Strindberg | Inferno | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 221 Seiten

Strindberg Inferno


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3727-9
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 221 Seiten

ISBN: 978-3-8496-3727-9
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach der Ehe mit Frida Uhl durchlebte Strindberg eine ausgesprochen düstere Phase seines Lebens, in der er unter Wahnvorstellungen, Realitätsverlust und Depressionen litt. Sie wird 'Inferno-Krise' genannt, da Strindberg die Erfahrungen dieser Zeit vor allem in dem Roman Inferno in Form von autobiografischen, teilweise verklärten Aufzeichnungen verarbeitete.

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In diese neue Welt eingeführt, wohin niemand mir folgen kann, fasse ich einen Widerwillen gegen die anderen und fühle den unbezwingbaren Wunsch, mich von meiner Umgebung loszumachen. Ich benachrichtigte daher meine Freunde, daß ich in Meudon ein Buch, das Einsamkeit und Ruhe erfordere, schreiben wolle. Zur selben Zeit führten einige unbedeutende Zwistigkeiten einen Bruch mit dem Künstlerkreis des Restaurants herbei, so daß ich eines Tages gänzlich isoliert war. Die erste Folge davon war ein unerhörter Aufschwung meiner Lebensinstinkte, eine physische Kraft, die sich zu betätigen verlangte. Ich glaubte mich im Besitze grenzenloser Kräfte, und mein Hochmut gab mir die tolle Idee ein, den Versuch zu machen, ein Wunder zu tun.

In einer früheren Epoche und in den großen Krisen meines Lebens hatte ich beobachtet, daß ich eine Fernwirkung auf abwesende Freunde auszuüben vermochte. Man kennt aus den Volkslegenden die geheimnisvollen Beziehungen weit voneinander entfernter Personen, sei es im Traume, sei es im wachen Zustande durch Erscheinungen, sowie das Behexen einer Person durch eine andere. Ich möchte mich nun weder einer verbrecherischen Handlung beschuldigen noch mich davon ganz freisprechen, aber ich glaube jetzt zu wissen, daß mein Wille nicht so schlecht als der Rückschlag war, den ich davon empfing. Eine zehrende Neugierde, ein Ausbruch der durch die entsetzliche Einsamkeit hervorgerufenen verkehrten Liebe flößte mir eine übermäßige Sehnsucht ein, wieder mit meiner Gattin und meinem Kinde anzuknüpfen, da ich sie beide noch liebte. Aber wie das Mittel dazu finden, da der Scheidungsprozeß schon im Gang war? Ein außerordentlicher Fall, ein gemeinsames Unglück, ein Donnerschlag, eine Feuersbrunst, eine Überschwemmung ... überhaupt eine Katastrophe, welche zwei Herzen vereinigt, wie im Roman sich Feinde am Krankenbette eines Dritten versöhnen ...! – Halt! da hatt' ich's! Am Krankenbett! Die Kinder sind immer etwas krank, die Empfindsamkeit einer Mutter übertreibt die Gefahr; eine Depesche, und alles ist gesagt.

Ich hatte keine Ahnung von Magie, aber ein unheilvoller Instinkt flüstert mir ins Ohr, ich müsse mit dem Bild meines geliebten Töchterchens, das später mein einziger Trost in einem verfluchten Dasein werden sollte, zu Werke gehen.

Ich will weiter unten die Folgen meines Manövers erzählen, in dem meine üble Absicht mit Hilfe symbolischer Operationen zu wirken schien.

Die Folgen ließen inzwischen auf sich warten und ich setzte meine Arbeiten im Gefühl einer unerklärlichen und von der Ahnung neuen Unheils begleiteten Disharmonie fort. Als ich abends allein vor meinem Mikroskop saß, begegnete mir ein Zwischenfall, der sich mir um so starker einprägte, als ich ihn nicht verstand.

Seit vier Tagen hatte ich eine Nuß keimen lassen und löste nun den Keimling los, der, herzförmig und nicht viel größer als das Kerngehäuse einer Birne, zwischen zwei Samenblättchen steht und an ein menschliches Gehirn erinnert.

Man stelle sich meine Erregung vor, als ich auf der Platte des Mikroskops zwei erhobene, wie zum Gebet gefaltete, alabasterweiße Händchen erblickte. Ist es nur eine Vision, eine Halluzination? Oh nein! Es ist niederschmetternde Wirklichkeit, die mich schaudern macht. Unbeweglich, wie zu einer Beschwörung sind sie gegen mich ausgestreckt; ich kann ihre fünf Finger zählen, der Daumen ist kürzer als die andern, richtige Frauen- oder Kinderhände!

Ein Freund, der mich bei diesem sinnverwirrenden Schauspiel überraschte, mußte mir das Phänomen bezeugen und brauchte kein Hellseher zu sein, um zwei gefaltete Hände, die das Mitleid des Beschauers erflehten, zu sehen.

Was war das? Nichts als die zwei ersten unausgebildeten Blätter eines Walnußbaumes, der juglans regia, Jupiternuß; sonst nichts! Und trotzdem zugleich das unleugbare Faktum, daß sich zehn menschliche Finger mit bittender Gebärde zu einem de profundis clamavi ad te! falteten.

Aber als ein noch allzu ungläubiger Empiriker ging ich verstockt über den Vorfall hinweg.

Der Fall ist getan! Ich fühle die Ungnade der unbekannten Mächte auf mir lasten. Die Hand des Unsichtbaren ist erhoben, und die Schläge fallen dicht auf mein Haupt.

Zunächst zieht sich mein unbekannter Freund, der mich bis jetzt unterstützt hatte, beleidigt von mir zurück. Ich hatte ihm einen anmaßenden Brief geschrieben; nun stand ich ohne Hilfsmittel da.

Als ich ferner die Korrekturen von Sylva Sylvarum erhalte, entdecke ich, daß der Text gerade wie ein gut gemischtes Kartenspiel umbrochen ist. Nicht nur die Seiten sind vermischt und falsch numeriert, sondern auch die verschiedenen Teile durcheinandergeworfen, so daß sie auf eine ironische Art die Theorie von "der großen Unordnung", die in der Natur herrscht, versinnbildlichen. Nach unendlichen Verzögerungen und Verspätungen ist die Broschüre endlich gedruckt, aber als der Drucker mir die Rechnung überreicht, zeigt es sich, daß sie die vereinbarte Summe um mehr als das Doppelte übersteigt. Ich muß zu meinem Leidwesen mein Mikroskop, meinen schwarzen Anzug und einige mir verbliebene Schmucksachen versetzen, aber schließlich, ich bin gedruckt und habe das erstemal in meinem Leben die Überzeugung, etwas Neues, Großes und Schönes gesagt zu haben. In leicht begreiflichem Übermut trage ich die Exemplare zur Post und werfe mit einer verächtlichen Gebärde gegen den feindlichen Himmel das Kreuzband in den Briefkasten. Holla! denke ich, dein Rätsel, Sphinx, habe ich gelöst und nehme es mit dir auf!

Bei meiner Rückkehr nach Hause wurde mir die Hotelrechnung überreicht.

Gereizt durch diesen unerwarteten Schlag, – denn ich wohnte nun schon ein Jahr lang in diesem Hause, beginne ich, auf Kleinigkeiten, die ich früher übersehen habe, aufmerksam zu werden. So wird zum Beispiel in drei benachbarten Zimmern Klavier gespielt.

Ich bin überzeugt, es ist eine Intrige einiger skandinavischer Damen, deren Gesellschaft ich gemieden habe.

Drei Klaviere! Und ich kann das Hotel nicht verlassen, da ich kein Geld habe!

Mit einem Fluch gegen den Himmel, diese Damen und mein Schicksal schlafe ich ein. Den nächsten Morgen wache ich von einem unerwarteten Lärm auf. Man schlägt in dem Zimmer, das auf der Seite meines Bettes liegt, einen Nagel ein; dann klopft es auf der andern Seite. Ein alberner Streich, ganz im Charakter dieser Künstlerinnen, was weiter!

Als ich mich aber nach dem Mittagessen zu meinem gewöhnlichen Schlaf aufs Bett lege, geht über meinem Alkoven ein Gepolter los, daß der Putz der Decke mir auf den Kopf fällt.

Ich gehe zur Wirtin hinunter und beklage mich über das Betragen der Pensionärinnen. Sie behauptet, nichts gehört zu haben, ist übrigens sehr höflich und verspricht mir, jeden, der es wagen würde, mich zu stören, aus dem Hause zu jagen, denn es lag ihr viel daran, mich in ihrem Hotel, das nicht sehr gut ging, zu behalten.

Ohne den Worten einer Frau viel Glauben beizumessen, vertraute ich mich doch ihrem Interesse an, das sie zwang, mich gut zu behandeln. Dessenungeachtet hört der Lärm nicht auf, und ich komme zu der Überzeugung, daß diese Damen mich glauben machen wollen, es seien Klopfgeister im Hause. Die dummen Personen!

Gleichzeitig ändern auch die Kameraden im Restaurant ihr Benehmen mir gegenüber, und eine geheime Feindseligkeit äußert sich in scheelen Blicken und versteckten Anspielungen. Kampfesmüde sage ich Hotel und Restaurant Valet und ziehe, bis aufs Hemd ausgeplündert, unter Zurücklassung meiner Bücher und sonstigen Siebensachen um. Am 21. Februar 1896 zog ich im Hotel Orfila ein.

VI

Das Fegefeuer



Hotel Orfila hat ein klösterliches Aussehen und ist eine Pension für Studierende katholischer Konfession. Die Aufsicht führt ein ruhiger, liebenswürdiger Abbé, und Ruhe, Ordnung und gute Sitten herrschen hier. Was mich aber besonders nach so vielen Verdrießlichkeiten tröstet, ist, daß Frauen hier nicht zugelassen werden.

Das Haus ist alt, die Zimmer niedrig, die Korridore dunkel, und die hölzernen Treppen winden, schlängeln sich hin und her wie in einem Labyrinth. Ein Hauch von Mystizismus durchweht das ganze Gebäude, das mich seit langem angezogen hat. Mein Zimmer geht auf eine Sackgasse, so daß man von seiner Mitte aus nichts weiter als die bemooste Mauer mit zwei runden Fensterchen sieht. Sitze ich aber an meinem Tisch vor dem Fenster, so blicke ich auf eine ungewöhnlich liebliche Landschaft. Unter mir zieht sich eine efeuumrankte Ringmauer um einen Klosterhof, in dem junge Mädchen unter Platanen, Paulowinien und Robinien wandeln. Dazwischen steht ein entzückendes Kapellchen im Spitzbogenstil. Etwas weiter sieht man hohe Mauern mit unzähligen Gitterfensterchen, die mich an ein Kloster denken lassen; weiter im Tale überragt ein Wald von Schornsteinen alte, halbversteckte Häuser, und aus weiter Ferne grüßt der Turm von Notre-Dame-des-Champs, mit dem Kreuz und dem Wetterhahn auf seiner Spitze. In meinem Zimmer hängt ein radiertes Bildnis des heiligen Vinzenz de Paul und ein anderes, den heiligen Petrus darstellend, im Alkoven über meinem Bett. Der Himmelspförtner! Welch schneidende Ironie für...



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