E-Book, Deutsch, 172 Seiten
Strindberg Inferno
1. Auflage 2017
ISBN: 978-80-268-7325-9
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 172 Seiten
ISBN: 978-80-268-7325-9
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Inferno' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Nach der Ehe mit Frida Uhl durchlebte Strindberg eine ausgesprochen düstere Phase seines Lebens, in der er unter Wahnvorstellungen, Realitätsverlust und Depressionen litt. Sie wird 'Inferno-Krise' genannt, da Strindberg die Erfahrungen dieser Zeit vor allem in dem Roman Inferno, Legenden in Form von autobiografischen, teilweise verklärten Aufzeichnungen verarbeitete. Es ist auch die Zeit, in der Strindberg begann, wissenschaftliche und alchemistische Versuche zu machen. In gewisser Weise gelang es ihm, sich 'frei zu schreiben' und so seine psychische Krise zu überwinden. In den folgenden sechs Jahren schrieb er mehr als 25 Stücke. August Strindberg (1849-1912) war ein schwedischer Schriftsteller und Künstler.
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DAS ZYKLAMEN, EIN BEISPIEL DER GROßEN UNORDNUNG UND DES UNENDLICHEN ZUSAMMENHANGS
Ich streifte an der Donau umher, wo so viele Rassen vor mir umhergestreift waren und manche Spur noch auf Züge zurückwies. An diesem ungeheuren Strome, der in Schwaben entspringt und im Orient mündet und nicht nur dem Lauf der Sonne, sondern seltsamerweise auch dem der Erde zuwider läuft, wuchsen die verschiedensten Blumen.
Gewohnt, auf dieser Welt alle Dinge sich ewig wiederholen zu sehen, empfand ich eine um so größere Freude, als ich eine Pflanze fand, die ich vorher noch nicht gesehen hatte, nämlich das Alpenveilchen, das Cyclamen Europaeum, von dem sich eine Zierart, das Persikum, seit zehn Jahren in allen Blumenhandlungen findet.
Ich wurde von meiner alten Liebhaberei, zu klassifizieren und zu ordnen, erfaßt, riß die Pflanze aus, schnitt ihre Blüte ab und zählte fünf Staubgefäße und einen Stempel.
Das brachte mich nicht viel weiter, denn dieser Klasse, dieser Kategorie gehören so verschiedene Arten an, wie die Winde, der Nachtschatten, die Braunwurz und das Speerkraut.
Der erste Eindruck war der eines Veilchens gewesen. Blätter, Blüten, Geruch, die Art und Weise dem Boden zu entsteigen, alles sprach für ein Veilchen, aber es war keines.
Die Wurzel mit ihrer runden Scheibe erinnerte in überraschender Weise an Aristolochia rotunda, aber das war es auch nicht.
Einen Augenblick war ich schon im Begriff, es unter die Orchideen mit ihrem zarten Äußeren und ihrer größeren an Schmetterlinge erinnernden Blüte einzuordnen.
Wenn ich aber die Haselwurz unter den Haselbüschen daneben ansah, war ich überzeugt, daß mein Zyklamen eine Haselwurz sei, um so mehr, als diese letztere zu derselben Familie wie die Aristolochia gehört und noch dazu dieselben Heilkräfte wie das Zyklamen besitzt; die Wurzel ist bei beiden abführend und Erbrechen erregend.
Es hatte sogar etwas von dem zähen Blatt der Lilie, die Einfachheit in der Anordnung und den Glanz der Farbe, dazu ahmte die Scheibe der Wurzel, von der die Blätter ausgingen, die Form einer Zwiebel nach.
Zu Hause legte ich die Pflanze in eine Untertasse, und was glaubte ich da auf der Oberfläche des Wassers schwimmen zu sehen? Das Blatt einer Seelilie! Erging es mir nicht wie dem Polonius, der alles das in den Wolken sah, was – Hamlet wollte? Aber ich wüßte nicht, daß mich irgendeine bestimmte Absicht geleitet hätte, ich hatte einzig und allein ein großes Magazin von Pflanzenbildern im Kopfe zum Vergleiche bereitliegen und war auch wirklich jedesmal, sooft ich eine Ähnlichkeit fand, auf der richtigen Fährte.
Ich weiß wohl, daß die Psychologen ein garstiges griechisches Wort zur Bezeichnung der Neigung, überall Analogien zu sehen, erfunden haben, aber das soll mir nicht bange machen, denn ich weiß auch, daß es überall Ähnlichkeiten gibt: denn alles ist überall und in allem.
Daß mein Zyklamen mit dem Osterluzei, der Haselwurz und dem Veilchen Ähnlichkeiten haben sollte, mochte, streng genommen, hingehen, obwohl diejenigen, welche einen Unterschied zwischen äußerlich und innerlich, zwischen wesentlichen und unwesentlichen Eigenschaften machen, die von mir gefundenen Ähnlichkeiten für unwesentlich gehalten haben würden. Aber ein Botaniker würde schwerlich zugegeben haben, daß es an eine Lilie oder Orchidee erinnerte.
Das Zyklamen jedoch ist den Orchideen oder Lilien darin wesentlich ähnlich, daß es mit einem Samenlappen ausschlägt und einsamenlappig ist, obwohl es in den Floren unter den Primulazeen (welche zweisamenlappig sind) aufgeführt wird.
Zur Zeit Tourneforts hätte ich mein Zyklamen zu den Infundibuliformen mit einblättriger, regelrecht trichterförmiger Krone oder wohl auch zu den Anomalen mit vielblättriger, nicht schmetterlingsartiger Krone, wozu man Orchidee und Veilchen rechnet, zählen können. Das hätte sich zur Not vertragen, aber freilich auch nur zur Not, da das Zyklamen wohl einen Trichter und freiliegende Blätter besitzt, aber regelmäßig ist.
Hätte ich mich an das Jussieusche System gehalten, so wäre ich geradezu auf den Holzweg gekommen, denn ich hätte das Zyklamen dann unter den Dikotyledonen gesucht. De Candolle würde mich erst recht irregeführt haben.
Daß das Zyklamen einen Samenlappen hat, ist freilich nicht ganz exakt, aber was ist überhaupt exakt in der Natur?
Wenn ich ein Samenkorn des Zyklamen unter das Mikroskop lege, sehe ich inmitten von Eiweiß einen kleinen, geraden Keim, der dem einer Konifere ähnelt. Wenn ich das Korn treiben lasse, bläht es sich auf, und ein einziges Blatt, von gleichem Charakter wie das Pflanzenblatt selbst, wird sichtbar. Es ist also kein Samenlappen, nicht einmal ein Keimblättchen.
Das Zyklamen treibt also ohne Samenlappen, wie das ja auch bei der Walnuß der Fall ist, die sofort zwei vollständig ausgebildete und den Blättern des Baumes gleichende Blätter hervortreibt. Der Grund hierfür liegt unzweifelhaft darin, daß die zahlreichen Eiweißstoffe zur Ernährung unter der Erde oder als Samenlappen dienen.
Aber das Zyklamen hat noch mehr Geheimnisse, z.B. folgendes:
Wenn ich eine unreife Kapsel quer durchschneide, so gleicht der Querschnitt dem einer jungen Dolde derselben Pflanze.
Sollte die Kapsel nur eine Nachahmung und das Samenkorn nur eine kleine Knospenzwiebel oder gar noch ein kryptogamischer Vorkeim sein?
Eine gerechtfertigte Frage; denn man hat den Phanerogamen Gewalt angetan, als man entschied, sie pflanzten sich durch regelrechte Bebrütung fort; wie auch die großen Geister des vorigen Jahrhunderts, darunter Spallanzani, sie, wenn nicht überhaupt, so doch im einzelnen, für eine recht zweifelhafte Sache hielten.
Ich hatte die sonderbare Idee gehabt, daß es zwischen dem Zyklamen und der Seelilie etwas Gemeinsames geben müsse, war jedoch von nichts als einem flüchtigen äußeren Eindruck geleitet.
Aber meine Untersuchung zeigte mir, daß ich gar nicht so sinnlos gewesen war. Von der Seelilie haben die Botaniker lange geglaubt, sie stehe mit einem Fuße in den Monokotyledonen, obwohl sie dikotyledonisch ist, denn ihr Stiel ist nicht zentralzylindrisch und der Wurzelüberzug gleicht in seiner Anordnung demjenigen der Lilien und Orchideen. Aber es gibt noch außerdem eine absolute Übereinstimmung zwischen dem Zyklamen und der Seelilie, nämlich folgende:
Die Seelilie hebt ihren Stiel aus dem Wasser und zieht ihn nach der Befruchtung wieder auf den Grund des Gefäßes zurück. Ebenso das Zyklamen; denn es dreht seinen Stiel spiralförmig, um die Frucht unter die Erde zurückzuziehen.
Es ist nicht leicht, den Grund zu bestimmen, der das Zyklamen, diese Alpenpflanze, zu einer solchen Handlungsweise treiben mag, es sei denn, daß man angesichts des geheimnisvollen Charakters seiner Fortpflanzung annehme, sie bezwecke, die Frucht vor Kälte zu bewahren. Wir stehen da einem mehr als rein mechanischen Akt gegenüber, denn Stiele befruchteter Blumen, die ich einer kühlenden Mischung aussetzte, zeigten durchaus keine Neigung, sich spiralförmig zu drehen.
Als ich eines Tages die hochragenden Wälder der blauen Donau durchstreifte, wurde ich auf einen Efeuteppich aufmerksam, dessen Blätter sich nach der Sonne gewendet hatten, deren Strahlen nur mühsam das Laubwerk durchdrangen. Als ich den Efeu, eine niedere Art, wie sie überall im Walde wächst, eine Weile betrachtet hatte, sah ich plötzlich ein Zyklamen darunter. Bald sah ich noch eins und noch eins und endlich ebensoviele Zyklamen- wie Efeublätter. Ich hatte das Zyklamen vorher nicht entdeckt, weil das Blatt dieser Art, Cyclamen Europaeum, eine dunkelgrüne, von weißlichem Grau eingefaßte Zeichnung aufweist, davon der dunkelgrüne Teil die Form eines Efeublattes bildet. Sofort dachte ich an den Mimetismus, jene Fähigkeit gewisser Tiere, das Aussehen der sie umgebenden Dinge anzunehmen. Ich zweifelte noch, ob ich diese Theorie in Erwägung ziehen sollte – denn solange die Botaniker den Pflanzen ein Nervensystem und einen selbständigen Verstand absprechen, bin ich ja sie zu verwerfen berechtigt – als ich mich nach einer anderen, freieren Richtung gezogen fühlte.
Ich hatte bei meiner Beschäftigung mit dem Pflanzenreiche oft Gelegenheit gehabt, die Natur darin, wie sie etwas skizziert, bevor sie es ausführt, zu verfolgen. Nun bemerkte ich bei dem Zyklamen, daß das Rot der Blüte bereits im Blattstiel vorbereitet und auf der Palette des Blattes niedergelegt war, und fragte mich, ob die weiße, verschlungene Verzierung auf der oberen Oberfläche des Blattes nicht vielleicht der erste Entwurf einer neuen Form sei.
Wieder zu Hause, suchte ich das Zyklamen in allen Floren Europas und las in den italienischen Floren, daß im mittleren und südlichen Italien ein Zyklamen mit ausgerandeten und vielwinkeligen Blättern des Namens Cyclamen Repandum wachse. In der französischen Flora fand ich ein Cyclamen Hederaefolium, dessen Blätter denen des Efeu glichen.
Gab es also doch zwischen dem Efeublatt und der Zeichnung des Zyklamenblattes einen ursächlichen Zusammenhang?
Das Efeublatt hat eine von Diokles entdeckte mathematische Form, Zissoide genannt, zum Vorbild.
Die neuere Geometrie charakterisiert sie als eine Kurve, welche beständig den vom Scheitel einer Parabel auf deren Tangenten gefällten...