E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Strittmatter / Berner / Kirschey-Feix Du bist mein zweites Ich
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8412-1705-9
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Briefwechsel
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-8412-1705-9
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
ERWIN STRITTMATTER (1912-1994) gehört zu den bekanntesten Schriftstellern der DDR. Von der offiziellen Literaturkritik oft angegriffen, wurde ihm dennoch der Nationalpreis verliehen. EVA STRITTMATTER (1930-2011) machte sich zunächst als Autorin von Kindergeschichten einen Namen und erreichte vor allem mit ihren Gedichtbänden ein Millionenpublikum. ERWIN BERNER, 1953 als ältester Sohn von Eva und Erwin Strittmatter geboren, war ein vielseitiger Bühnen- und Fernsehschauspieler. Er lebt in Berlin und schreibt Stücke, Gedichte, Liedtexte und Prosa. INGRID KIRSCHEY-FEIX arbeitete als Redakteurin und Korrespondentin für Zeitungen und Zeitschriften, seit 1989 ist sie in verschiedenen Buchverlagen als Lektorin, Autorin und Herausgeberin tätig.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1952
Spremberg, d. 26.II. 52
Eva!
Ob ich Dir wirklich schreiben soll? Deine Zustimmung beim Abschied war nicht sehr ermunternd. Du suchst – und das habe ich gerade bevor wir uns trennten empfunden.
Schon jetzt könnte der Brief beendet sein, denn er soll Dir eigentlich nur sagen, daß ich an Dich denke. Ich fluche, weil’s mehr geschieht, als mir bei meiner Arbeit zuträglich ist.
Damit habe ich fast schon mehr verraten, als gut ist. Aber das kommt wohl ganz darauf an, in welche Hände so ein Geständnis gerät.
Freilich hast Du in jener eigenartigen Morgenstunde gehaucht: »Ich mag Dich«, aber da ich noch mit meinen Gedanken in Deinem Wesen umherirre, weiß ich nicht, wo ich dieses Bekenntnis hinlegen soll.
Und ich habe an jenem Morgen gefühlt, daß wir uns nah sind. Ich sagte das auch. Du freutest Dich darüber. Allerdings habe ich das am nächsten Tage von Dir aus nicht mehr so bestimmt gefühlt. Irre ich mich? Warst Du zu müde?
Wie gut wäre es jetzt, eine Stunde, eine Weile miteinander zu reden.
Wenn Dir dieser Gruß mißfällt, dann beantworte ihn nicht, laß ihn unerwähnt. Ich werde dann wissen. –
Viel Gutes
vom »großen Mann«
Berlin, 29.2.1952
Lieber Erwin!
Ob die Stärke eines Wunsches seine Erfüllung herbeizwingt?
Ich glaube es fast, denn nach nur an der Oberfläche bewegten, nur scheinbar erfüllten Tagen beglückte mich gestern spät abends Dein Brief.
Viele Fragen finde ich in ihm; aber eine Gewißheit: das Nahesein, das diesen schrecklichen Sonntag inmitten der Anderen überstanden hat.
Ich war nicht »zu müde«, ich war nicht verändert, aber ich versuchte, Deine Mahnung an die »Vertreterin des DSV« in meinem Verhalten zu berücksichtigen.
Du schreibst, daß Du noch in meinem Wesen umherirrst, nicht weißt, was Du aus meinem Verhalten ableiten, wie Du mich verstehen sollst.
Du hast Recht, wenn Du annimmst, daß ich suche. Es ist ein schweres, ernsthaftes, manchmal schon verzweifeltes Bemühen, irgendwo ein Echo, eine wirkliche Berührung zu finden. Ich sprach zu Dir davon.
Ich weiß von Dir nicht viel, ich kenne Dein Leben nicht, ich möchte es nur gern in einem Bild zusammenfassen. Aber es gelingt mir noch nicht. Ich weiß nur eines: daß Du traurig bist. Ich sehe Dich aber anders, in einer ganz anderen, möglichen Art.
Für mich habe ich in diesen wenigen Stunden eines herausgelesen, was mir so wohltat: Güte, Verstehen wollen.
Das was ich eigentlich suche: Wärme, die alle Spannungen zu lösen weiß.
Wenn Du in meinem Leben nicht mehr werden würdest, als diese Morgenstunden umschließen, hättest Du mich dennoch froh gemacht.
Ich kannte von Dir bis zu dieser Zeit nicht viel mehr als den Namen. Wundert es Dich, daß ich den Zugang zu Deinem Wesen suchte und zu dem Naheliegenden, zu Deinem Buch griff? Sicher nicht.
Ich habe es am Montag gelesen und habe die Nähe zu Dir gefunden, die ich mir wünschte. Ich möchte Dir viel dazu sagen, was einem starken Gefühl der Verbundenheit entspringt.
Aber ich kann es nicht jetzt. Eines nur weiß ich: daß hinter diesem bitteren Leben etwas Anderes als Möglichkeit, als Notwendigkeit steht. Die Sehnsucht, die in Lope steckt, findet in unserem Leben ihre Erfüllung; auch die menschlichen, die einfachsten Beziehungen werden schön. Und durch die Herbheit mancher Erlebnisse spüre ich Deine Liebe zu den Menschen, Deine Sehnsucht nach dem Anderssein, die gerade Dir die Fähigkeit gibt, das Neue zu gestalten. Sicher ist das schlecht gesagt; aber vielleicht fühlst Du doch, wie ich es meine.
Ich teile Deinen Wunsch nach einem guten Gespräch.
Ich wünschte, daß ich Dich bewegen würde, zu der Kommissionssitzung am Dienstag, 4.3., zu der Du eingeladen wurdest, nach Berlin zu kommen.
Es wäre wahrscheinlich eine bessere Gelegenheit zu einem Treffen als Potsdam. Zu der nächsten Arbeitstagung am 15./16.3. werde ich wieder dort sein.
Aber ich sehe Dich sicher bald?!
Ruhe zur Arbeit wünscht Dir
Eva
Berlin, 5.III. 52
Du Mädchen Eva!
Jetzt sitze ich hier wach und bereit wie eine Frühlingsknospe, die aufspringen möchte.
Das Mädchen Eva wußte doch mit den Tücken der Köpenicker S-Bahn nicht Bescheid. Schon um 1.30h fuhr keine mehr. Straßenbahnbummel durch Berlin. – Nachtlinie. Jetzt gegen 3h hier auf dem Ostbahnhof. Für Boris war es zu spät. Außerdem muß ich allein sein.
An Deiner Straßenbahn-Haltestelle habe ich mir vorzustellen versucht, wie das Mädchen jeden Morgen einsteigt. Die Nachtstimmung könnte auch 1885 gewesen sein. Gaslaterne beleuchtete das Firmenschild eines Schlächtermeisters. Die frühlingsbereiten Bäume. Eine O-Bus-Schachtel, oben und unten erleuchtet, fuhr vorüber. Ein einziger Fahrgast darin. Er schlief. Der Schaffner kontrollierte den Schlaf.
Ich war zum Jauchzen bereit. Allen Menschen hätte ich Liebes sagen können. Mit einem Betrunkenen schloß ich »feste« Freundschaft bis zur Schillingsbrücke. Unsere Zustände waren verwandt. Am liebsten hätt’ ich ihm vom Mädchen erzählt. Mir ist es zu allen Zeiten schwerer gewesen, mit Glück als mit Unglück allein zu sein. Ich wünsche mir, Irmgard käme morgen und begänne von Dir zu schwärmen, dann könnt’ ich sie still und innerlich dabei begleiten.
Weißt Du, wie es ist, wenn dunkle Wolken von Sonne angestrahlt werden? – Auf dem Tisch, an dem ich schreibe, liegen die schlafenden Köpfe zweier Männer. Wartesaal-Nachtstimmung. Wie können die Männer schlafen, wenn doch mein Herz so pocht!
Ich kann nur ahnen, wie Du schläfst. Sicher ist dann Dein Mund nicht so Spiegel innerer Unruhe und gleicht sich den Kinderaugen an. Dieser Mund aber auch!
Stammele ich? Laß mich stammeln! Ich möcht doch so gern wieder einmal ein ganzer Mensch sein. – Meine Umgebung verbraucht mich nur stückweis – ach!
Einen stillen, schönen Abend für Dich
Erwin
Berlin, 5.3.1952
Lieber Erwin!
Warum soll ich eigentlich auf Deinen Brief warten, um ihn dann zu beantworten? Es kann doch auch anders sein. Ich habe Dir auch von mir aus viel zu erzählen. Und nicht nur das:
Bevor ich diesen Tag, mit viel geplanter Arbeit, beginne, will ich all das Schöne, das mich bewegt, um das meine Gedanken seit dem Erwachen kreisen, in das ich mich mit aller möglichen Andacht versenke, so zusammennehmen, daß es wieder so aufklingt wie gestern abend.
Meine Worte kommen gar nicht an das heran, was ich ausdrücken möchte; aber da Du das Gefühl kennst – seit gestern weiß ich es sicher – wirst Du mich verstehen.
Warum mußt Du auch so weit und so lange fort sein – es ist so schwer, Gefühle in Worte umzusetzen. Man kann sie nur beschreiben und trifft es doch nie.
Wenn Du jetzt hier wärst, würden wir uns gemeinsam über diesen herrlichen Tag freuen, der vom Frühling vorhergeschickt zu sein scheint. Diese ersten sonnigen Stunden im neuen Jahr lassen für mich alle Möglichkeiten des erwachenden Sommers hervortreten. Es gibt für mich keine ähnliche Begeisterung wie die, die mich packt, wenn im April – Mai abends der Wind die Welt auszudehnen scheint. Er erzählt dann wirklich. Mir von süßen Sommertagen am Meer und langen Wanderungen durch dunkle Wälder und von Wegen, die durch Wiesen und Weiden in ein Dorf führen, vielleicht ein Fischerdorf auf Mönchgut. Wenn ich könnte (wenn nicht die »Verantwortung« wäre) würde ich am liebsten bald aus Berlin ausrücken. Aber es geht ja nicht!! Ich kann nur davon träumen und versuchen, in 18 abgezählten Urlaubstagen einen Teil davon zu verwirklichen.
Aber es gibt ja außerdem noch anderthalb Wochenendtage jede Woche, die man ausnutzen kann, und das werde ich in diesem Jahr bestimmt tun.
Als ich heute früh die Augen aufmachte, war sofort der vergangene Abend wieder da, und der sonnige Morgen, der mir ins Fenster lachte, paßte ausgezeichnet zu meiner Stimmung.
Dann habe ich erst einige Stunden ganz still verbracht, um nur nichts zu zerstören; am liebsten hätte ich nicht gearbeitet, sondern nur mit geschlossenen Augen zurückgedacht und »nach vorn« geträumt. Deshalb mußte ich Dir jetzt unbedingt erst schreiben. Ich hätte einfach nichts anderes anfangen können.
Ich bin mir nur selber böse, daß ich nicht in der Lage bin, auch nur einen kleinen Teil von dem in meine Worte zu legen, was mich bewegt. Ich glaube, ich habe noch nie einen so schlechten Brief geschrieben.
Wenn es nicht albern und dumm wäre, so würde ich jetzt – wie ein ABC Schütze auf seiner Schiefertafel – auf den Seiten dieses Briefes nur einen Satz immerzu wiederholen: »Ich freue mich, daß Du da bist.« Wenn auch in Spremberg – Du bist trotzdem »da«. Wie froh ich bin, weißt Du sicher. Denn ich weiß es ja auch von Dir, wenn Du es auch nicht sagst. Deine Augen und Deine Hände verstehen es so gut auszudrücken, daß Du keine Worte dazu brauchst.
Wie werden wir die langen Tage überstehen, bis wir uns wieder nahe sein können? Ich werde wohl nur träumen.
Es ist schön durch so bewegte Tage, wie wir sie haben, einen Traum ganz still vor...