Summers | Stadt der Sterne | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Summers Stadt der Sterne

Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-31015-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-31015-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Seit Jahrhunderten lastet ein Fluch auf der Familie Everly: Ihre schönsten und klügsten Kinder werden von der mysteriösen Penelope mitgenommen, als Sühne für ein Verbrechen, an das sich niemand mehr erinnern kann. Violet Everly war zehn, als ihre Mutter Marianne verschwand. Nicht einmal Penelope kann sie aufspüren, und so stellt sie Violet ein Ultimatum: Sie hat zehn Jahre Zeit, um Marianne zu finden. Schafft sie es nicht, holt sich Penelope stattdessen Violet. Ihre Suche führt Violet durch ganz Europa – und in eine andere, geheime, magische Welt voller Götter und Monster. Sie ist das Zuhause von Penelopes Assistenten Aleksandr, von dem Violet sich geradezu magisch angezogen fühlt. Doch kann sie ihm wirklich trauen? In ihrem Wettlauf gegen die Zeit bleibt Violet keine andere Wahl …

Georgia Summers stammt aus Großbritannien und Trinidad. Sie hat schon überall auf der Welt gelebt, darunter in Russland, Kolumbien und den USA, doch derzeit ist London ihre Heimat. Wenn sie sich nicht gerade dem Schreiben widmet, plant sie ihre nächste große Abenteuerreise oder träumt davon, in einem riesigen Château voller Geister zu wohnen.
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1


In mehreren Jahren wird sich Ambrose Everly an das Folgende erinnern.

Nicht an den Regen, der in Strömen an den Fensterscheiben herabfließt, durch jede nicht reparierte Spalte im Dach dringt und leise in zahlreiche im ganzen Everly House verteilte Schüsseln tropft. Und auch nicht an den gleißenden Blitz, der prompt zu einem Stromausfall führt und ihn dazu zwingt, in den Schränken nach Kerzen und einem Streichholzbriefchen zu wühlen. Nein, ihm wird vor allem die unerträgliche Stille im Gedächtnis bleiben, als würde das Haus mit angehaltenem Atem auf etwas warten.

Und so ist Ambrose beinahe erleichtert, als jemand laut an die Tür hämmert. Aber nur kurz. Obwohl es bloß ein Zufall sein kann, verkrampft sich sein Magen, während er durch den langen, dunklen Korridor tappt, vorbei an den Porträts seiner Ahninnen und Ahnen, die ihn mit düsterer Teilnahmslosigkeit betrachten. Nur wenige wissen von der Existenz dieses Hauses, und noch weniger fühlen sich willkommen genug, um anzuklopfen. Nervös öffnet er die Tür.

Zuerst sieht er lediglich Dunkelheit und den Regen, der vom überstehenden Dach tropft. Dann wird die Welt kurz von einem Blitz erhellt. Ein tropfnasser Mann in einer Lederjacke steht auf der Türschwelle. Obwohl es draußen stockfinster ist, sind seine Augen hinter einer tintenschwarzen Sonnenbrille verborgen. Hinter ihm steht ein grellroter Sportwagen, windschnittig und raubtierhaft.

»Du hast die Schlösser ausgetauscht«, sagt der Mann.

»Gabriel?«, fragt Ambrose, und dann gleich noch einmal: »Gabriel?«, da er kaum glauben kann, dass es sich bei dem Mann vor ihm nicht um eine Geistererscheinung handelt.

»Wir müssen miteinander reden, kleiner Bruder«, erwidert Gabriel grimmig.

Ambrose rührt sich nicht. Er atmet tief durch und versucht zu begreifen, was seine Augen sehen. Das dürfte gar nicht sein. Es scheint Doch tatsächlich steht sein Bruder in voller Lebensgröße vor ihm in der Einfahrt, als wäre er nie, geschweige denn mehr als zwei Jahre lang weg gewesen. Nur das Auto ist neu, aber es entspricht Gabriels Geschmack: protzig, laut und unfassbar hässlich. Ein aufgerichteter Mittelfinger, den keiner übersehen kann.

»Was machst du hier?«, fragt Ambrose.

Gabriel streicht sich die Haare aus der Stirn und sieht über die Schulter zur offenen Einfahrt, als würde er dort etwas – oder jemanden – erwarten. »Wir sprechen besser drinnen weiter.«

»Glaubst du, dass du verfolgt wirst?«, fragt Ambrose alarmiert.

»Nein, ich war vorsichtig. Aber man kann ja nie wissen.«

»Solltest du dann überhaupt hier sein?« Ambrose zuckt zusammen. Seine Frage hat vorwurfsvoller geklungen als beabsichtigt.

»Es ist wichtig«, sagt Gabriel.

Es gibt nicht viele Gründe, warum Gabriel es riskieren würde, nach Hause zu kommen, und jeder von ihnen ist beunruhigend. Ambroses Magen krampft sich erneut nervös zusammen. »Okay«, gibt er nach.

Als Gabriel über die Schwelle tritt, begrüßt ihn das Haus mit einem Seufzen – ein verlorener Everly, der endlich zurückgekehrt ist. Ambrose führt ihn durch den Korridor, vorbei an zahlreichen undichten Stellen in der Decke, der verblassten Tapete und den ungenutzten Möbeln, die mit einer dicken Staubschicht überzogen sind. Für Ambrose sieht das Haus noch genauso aus wie in ihrer Kindheit, nur ein bisschen heruntergekommener und liebesbedürftiger. Doch während Gabriel nun den Blick durch die Räume wandern lässt, schämt er sich plötzlich dafür, dass er so wenig darauf geachtet und nie die Zeit gefunden hat, die nötigen Reparaturen durchzuführen. Dann wird er wütend: Wen kümmert es schon, wie das Haus aussieht? Schließlich ist sein Bruder nicht da gewesen, um mit anzupacken.

Im Dunkeln stolpert Gabriel über etwas und flucht. Ambrose hebt das Hindernis auf – eine der Puppen ihrer Nichte, die eine Rüstung aus Alufolie und ein aus Cocktailspießchen gebasteltes Schwert trägt. Er lächelt liebevoll. Im Haus ist ein ganzer Schwung von ihnen verteilt. Violet erklärt zwar, sie wäre zu alt für sie, doch er findet sie noch immer in allerlei ungewöhnlichen Aufmachungen – gepanzerte Feen, Ritter mit Rosen, eine Prinzessin, die triumphierend ihr Schwert in die Höhe reckt.

»Gehört die dem Kind?«, fragt Gabriel.

Ambrose streicht die zerknitterte Alurüstung glatt. »Ja, sie gehört Violet.«

Gabriel sieht die Puppe finster an.

Der einzige Ort im Haus, an dem die Beleuchtung noch funktioniert, ist die Bibliothek mit ihren altmodischen, in Wandhalterungen angebrachten Öllampen. Während Gabriel den Notizblock auf dem Schreibtisch hin und her schiebt, zündet Ambrose sie mit seinem letzten Streichholz an. Ein warmer Lichtschein erfüllt den Raum und spiegelt sich in den Schutzfolien auf den Buchrücken.

Ambrose lehnt sich an den alten Garderobenschrank am hinteren Ende der Bibliothek und bemüht sich, seine Neugier im Zaum zu halten. Sie haben noch nie zu der Sorte Geschwister gehört, die sich umarmten, und so hält er sich auch jetzt von seinem Bruder fern und vergräbt die Hände in den Hosentaschen. Zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass Gabriel das Haus verlassen hat, und obwohl sie sich einig gewesen waren, dass es so das Beste sei – und obwohl nie zur Diskussion gestanden hat, wer von ihnen bleiben und wer gehen würde – verspürt Ambrose einen Anflug von Verbitterung. Zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt musste er lernen, ein Vater zu sein. Zwei Jahre hat er Alurüstungen gebastelt, verbittert über Schlafenszeiten und Mahlzeiten gestritten, ihrer Nichte einen Hauch von Bildung eingetrichtert und dabei seine eigenen Studien schleifen lassen – und Gabriel hat von alldem nichts mitbekommen. Doch Gabriel hat den lukrativen Job, der das Haus über Wasser hält, er selbst dagegen lediglich einen halbfertigen Abschluss und vage Hoffnungen auf eine akademische Laufbahn. Und nur einer von ihnen hat bleiben müssen.

Gabriel bemerkt seinen Blick. »Das Kind, Violet. Wo ist sie?«

»Sie schläft«, erwidert Ambrose, obwohl er, um ehrlich zu sein, keine Ahnung hat, wo ihre Nichte gerade steckt. Wahrscheinlich glaubt sie, er hätte nicht bemerkt, dass sie sich nachts aus dem Bett geschlichen hat, dabei erklingt jedes Mal, wenn sie es tut, eine Symphonie aus knarzenden Dielenbrettern und quietschenden Scharnieren. »Was willst du, Gabriel?«

Stille. Gabriel blickt einen Moment lang aus den dunklen Fenstern. Dann zieht er die zerschlissenen, an den Rändern ausgefransten Vorhänge zu.

Wieder beschleicht Ambrose das schreckliche Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Er beginnt, auf und ab zu gehen, um die überschüssige Energie in seinen Armen und Beinen loszuwerden. »Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan«, sagt er. »Sie ist glücklich, wohlgenährt und in Sicherheit …«

»Letzteres stimmt leider nicht, kleiner Bruder.«

Ambrose hält mitten im Schritt inne. »Wie bitte?«

»Violet ist kein Geheimnis mehr. Was auch immer Marianne getan und mit wem immer sie gesprochen hat – sie war nicht vorsichtig genug.«

Der Name ihrer Schwester hängt wie eine Gewitterwolke zwischen ihnen. Ambroses Ohren rauschen, und sein Magen verknotet sich vor Angst.

»Bist du sicher?«, flüstert er.

Gabriel nickt.

»Fuck.«

Mehr fällt ihm nicht dazu ein. Seit Jahren befürchtet er das Schlimmste, und nun ist es eingetreten. Vor seinem inneren Auge sieht er einen Schatten auf seine ungezähmte kleine Nichte fallen.

»Bist du sicher, dass es nicht deine Schuld ist?«, fragt Ambrose misstrauisch. »Dir ist während deiner Reisen, bei denen du Gott weiß was tust, doch bestimmt mal irgendwas rausgerutscht.«

Gabriels Schultern versteifen sich. »Du glaubst doch wohl nicht allen Ernstes, ich würde die Sicherheit des Kindes riskieren …?«

»Wenn dir etwas an ihr läge, hättest du diese Scharade mit den Scholarinnen und Scholaren schon vor Jahren beendet«, schneidet Ambrose ihm das Wort ab.

Während sie sich mustern, ist Donnergrollen zu vernehmen. Ambrose fährt sich hektisch durch die Haare, seine Brust hebt und senkt sich vor unterdrückter Wut. Er versucht, ruhig durchzuatmen, doch seine Gedanken rasen. Was zur Hölle sollen sie denn jetzt bloß tun?

»Sie ist auch meine Nichte, natürlich liegt mir etwas an ihr«, entgegnet Gabriel zornig. »Außerdem mache ich das alles nicht nur des Geldes wegen. Was glaubst du denn, wie ich von den Gerüchten über Marianne und Violet erfahren habe?« Er hebt eine Augenbraue. »Ich bin nicht zu stolz, um zu tun, was nötig ist. Und was ist mit dir?«

Ambrose holt noch einmal tief Luft. Diesmal fällt es ihm etwas leichter. Violet zuliebe muss er sich zusammenreißen und methodisch all ihre Möglichkeiten durchgehen. »Wir könnten sie wegschicken. Irgendwohin, wo sie keiner vermutet. Du hast die dafür nötigen Kontakte. Du könntest sie mitnehmen.« Noch während er den Gedanken ausspricht, merkt er, dass ihm vor dieser Vorstellung graut.

»Dafür ist es zu spät«, erwidert Gabriel düster. »Und wem würdest du Violet denn überlassen wollen? Welcher meiner ›Kontakte‹ würde sein Leben für uns riskieren?« Er hebt eine Augenbraue. »Du vertraust ja nicht mal mir.«

Dazu fällt Ambrose nichts ein, und so schweigt er.

»Damit würden wir bestenfalls ein paar Monate gewinnen, kleiner Bruder. Und das wäre nicht genug.«

Dass er ihn immer nennen muss! Es ist schon lange her, dass Ambrose...


Summers, Georgia
Georgia Summers stammt aus Großbritannien und Trinidad. Sie hat schon überall auf der Welt gelebt, darunter in Russland, Kolumbien und den USA, doch derzeit ist London ihre Heimat. Wenn sie sich nicht gerade dem Schreiben widmet, plant sie ihre nächste große Abenteuerreise oder träumt davon, in einem riesigen Château voller Geister zu wohnen.



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