Tan | Das Haus der Türen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Tan Das Haus der Türen

Roman | Longlist The Booker Prize 2023
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7558-1074-2
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman | Longlist The Booker Prize 2023

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-7558-1074-2
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Malaysia 1921. Lesley Hamlyn lebt das äußerlich angenehme und gleichförmige Leben einer Frau der britischen Kolonialgesellschaft. Mit dem Eintreffen von Willie Somerset Maugham, einem alten Freund ihres Ehemanns Robert, kehrt Lebendigkeit in das Haus zurück und Erlebnisse der Vergangenheit drängen an die Oberfläche. Somerset Maugham ist zu diesem Zeitpunkt ein berühmter Schriftsteller, jedoch getrieben von Sorgen und Ängsten. Je stärker sich Lesley und er anfreunden, desto mehr Geheimnisse vertraut sie ihm an: ihre frühere Unterstützung politischer Rebellen, die das alte China beenden wollten, ihre Affäre mit einem chinesischen Mann, der Niedergang ihrer Ehe. Am Beispiel einer Freundin begreift Lesley, wie aussichtslos ihre Liebe ist und wie verheerend die Folgen für sie wären: ohne finanzielle Mittel, gesellschaftlich geächtet, würde sie ohne ihre Kinder leben müssen. Wie Somerset Maugham muss auch sie ihr wahres Ich verbergen und ihre unglückliche Ehe ertragen. Trost findet sie einzig in dem Gedanken, sie könne ihren Geliebten eines Tages wiedersehen. Doch Robert hat längst beschlossen, diesen Teil der Welt zu verlassen und nach Südafrika zu ziehen.

TAN TWAN ENG, 1970 in Malaysia geboren, hat in England Jura studiert und lange als Anwalt gearbeitet. All seine drei Romane standen auf der Longlist bzw. Shortlist des Booker Prize. Tan Twan Eng lebt in Malaysia und in Südafrika.
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1

Willie

Penang 1921

Somerset Maugham wachte nach Luft schnappend auf. Ein heftiger Husten schüttelte seinen Körper, ebbte aber zum Glück nach einer Weile ab, und er konnte wieder atmen.

Er lag umhüllt vom Kokon des Moskitonetzes in seinem Bett und wartete, dass sich sein Atem beruhigte. Er nahm einen schwachen schlammigen Nachgeschmack wahr. Als er geschluckt und sich die Lippen geleckt hatte, verschwand der Geschmack aus seinem Mund.

Er stemmte sich am Kopfteil hoch. Sein Körper fühlte sich wie mit Wasser vollgesogen an. Er hatte geträumt: Eine große Welle hatte ihn über Bord und in einen reißenden Fluss gespült; Schlammwasser war in seine Kehle gedrungen, in seine Lunge geströmt und hatte ihn in die lichtlosen Tiefen hinuntergezogen. In diesem Moment war er aufschnarchend aus dem Schlaf geschreckt.

Er teilte das Moskitonetz, setzte sich auf die Bettkante und stellte die Füße auf die Dielen. Beim Einschlafen war er weniger müde gewesen als jetzt. Die Kissenrolle hatte er mit Tritten auf den Boden befördert, und er glaubte fest, beim Aufwachen geschrien zu haben; hoffentlich hatte ihn niemand gehört. Er neigte den Kopf und lauschte. Außer dem leisen Rauschen der Wellen am Strand war nichts zu hören.

Sein Zimmer war spärlich möbliert: ein Rattansessel vor einem Fenster, ein niedriges, von alten, vergilbten Romanen überquellendes Bücherregal, an einer Wand eine Eichenholzkommode und in der Ecke ein Waschtisch mit Porzellanbecken. Der almeirah aus Teak, auf dem seine Taschen und Koffer lagen, nahm eine halbe Wand ein.

Er griff nach dem gerahmten Foto seiner Mutter, das auf dem Nachttisch stand, und verrückte es um eine Winzigkeit, sodass ihr Gesicht den Fenstern mehr zugewandt war. Ihre braunen Augen hatten schon immer schwermütig geblickt, auch in seiner Erinnerung, doch an diesem Morgen wirkten sie noch melancholischer als sonst. Er hob die Kissenrolle vom Boden auf und legte sie aufs Bett. Dann tappte er barfuß durchs Zimmer, öffnete die Fensterläden und lehnte sich hinaus.

Die Welt lag noch wie unter einer grauen Tuscheschicht, doch am Himmelsrand sickerte schon ein schwacher Schimmer herein. Sein Eckzimmer im Obergeschoss des Hauses bot einen weiten Blick über den Garten. Zu seiner Linken zog sich in ungefähr zehn Yards Entfernung ein niedriger Holzzaun am hinteren Ende des Gartens entlang und trennte das Grundstück vom Strand. Vor dem Zaun wuchs eine hohe Kasuarine, in deren Schatten eine gusseiserne Gartenbank stand. Als er zum Strand spähte, entdeckte er Lesley Hamlyn. Sie stand am Meeressaum und sah aufs Wasser hinaus. Einen Augenblick später drehte sie sich um und ging zurück. Sie schlüpfte durch das Holztürchen, schlenderte über den Rasen zum Haus und verschwand unter dem Verandadach, ohne zu ihm hinaufgeschaut zu haben.

Der Houseboy hatte ihm noch nicht den Krug mit dem heißen Wasser gebracht, das er zum Rasieren benötigte. Er wusch sein Gesicht am Becken und nahm sich frische Kleider aus dem Schrank – ein langärmeliges weißes Baumwollhemd, eine Kakihose und ein cremefarbenes Leinenjackett, das der dhobi am Abend zuvor gebügelt hatte, während sie beim Essen saßen. Seine Schuhe standen auf Hochglanz poliert und aneinandergereiht draußen vor der Zimmertür. Die Schlafzimmer der Hamlyns lagen auf der anderen Seite des breiten Gangs; beide Türen waren geschlossen. In der Mitte des Gangs befand sich ein Aufenthaltsbereich, ein Vorbau über dem Windfang, dessen Fenster, je eines an den drei Seiten, auf den Rasen vor dem Haus und die halbkreisförmige Auffahrt hinausgingen. Hinter dem quadratischen Bereich lagen vier weitere Räume – auf Willies Seite des Gangs das Gästebad und daneben das Zimmer von Gerald. Auch Geralds Budapester waren geputzt und vor seiner Tür abgestellt worden. Willie ging Richtung Treppe weiter und blieb gelegentlich stehen, um die nebeneinanderhängenden Aquarelle zu betrachten, Darstellungen hiesiger Shophouses. Die kunstvollen Stuckverzierungen an den Fassaden waren mittels dünner schwarzer Linien von geradezu architektonischer Präzision detailgetreu abgebildet. Pinselstriche in kräftigen Farben glichen die peinliche Akribie, mit der die Häuser gezeichnet waren, durch ihre Lebendigkeit aus und fingen die Atmosphäre der quirligen, lärmigen asiatischen Viertel in den Städten der Straits Settlements gekonnt ein. Jeweils in der unteren rechten Ecke stand ein Titel – Moulmein Road, Bangkok Lane, Ah Quee Street, Rope Walk –, und wie Willie feststellte, als er die Signatur genauer betrachtete, stammten alle Bilder von Lesley Hamlyn.

Während er auf dem Weg nach hinten zur Veranda das Erdgeschoss des hellen, luftigen Hauses durchquerte, nickte er den Houseboys zu, die in den Gängen für ihn zur Seite traten. Robert und Lesley saßen schon beim Frühstück, jeder hinter seiner Zeitung vom anderen abgeschottet. Willie betrachtete sie von der Tür aus. Er hatte Robert als attraktiven, groß gewachsenen Mann mit breiten Schultern in Erinnerung gehabt und war erschrocken beim Anblick der gebeugten Gestalt, die ihn am Nachmittag zuvor, auf einen Malakkastock mit Goldgriff gestützt und flach, fast hechelnd atmend, im Windfang begrüßt hatte. Der buschige Schopf von einst war verschwunden, der Schädel kahl; nur über den Ohren verlief ein schmaler Streifen aus spärlichem grauem Haar. Auch die Stimme seines alten Freundes hatte er nicht wiedererkannt – der sonore Bariton, um den ihn Willie früher beneidet hatte, war zu einer quengelig klingenden, brüchigen Fistelstimme verkümmert.

Der Dobermann zu Roberts Füßen hob den Kopf und bellte, als Willie sich näherte. Die Eheleute ließen die Zeitungen sinken. »Sei nicht so unhöflich, Claudius!«, sagte Robert, langte hinunter und streichelte die Ohren des Hundes. »Morgen, Willie. Früh auf den Beinen. Gut geschlafen?«

»Wie ein … Baby«, stammelte Willie.

»Nimm dir, Willie«, sagte Robert und nickte zur Anrichte hin.

Willie hob die Deckel der Speisewärmer. Kipper, gebratener Speck, Würstchen, Eier, Toast, wie erwartet. Aber auch Käse und heimisches Obst – Bananen, Mangos, Sternfrucht. Er füllte seinen Teller nur zur Hälfte und setzte sich an den Tisch.

»Keine falsche Zurückhaltung, Willie«, sagte Robert.

»An den falstaffschen Appetit von« – Willies Unterkiefer schob sich vor, als er das nächste Wort aus sich herauszwang – »euch Leuten hier habe ich mich noch immer nicht gewöhnt«, sagte er, nachdem die Blockade in seiner Kehle überwunden war, deretwegen ihm viele mit Mitleid und Ungeduld begegneten. »Diese Berge von Essen bei … jeder Mahlzeit … in dieser … Hitze …« Er wandte sich zu Lesley. »Ich habe Sie … am Strand … gesehen.«

»Mein Morgenspaziergang«, erwiderte sie. »Ihr Sekretär – Gerald –, ist er schon auf?«

Das Stocken in ihrer Stimme war kaum zu hören gewesen, doch Willie hatte es bemerkt. »Er ist kein … Frühaufsteher«, sagte er, ohne den Blick abzuwenden. »Was hoffentlich keine Unannehmlichkeiten bereitet.«

»Sei nicht albern, Willie«, sagte Robert, und an Lesley gewandt: »Kannst du veranlassen, dass der Koch jeden Morgen etwas für ihn zur Seite stellt, meine Liebe?«

Robert schnitt einen Keil aus dem Camembert und warf dem Dobermann das Stück zu. Der Hund verschlang es und leckte sich über die Lefzen. »Claudius liebt seinen Käse.« Robert verfütterte grinsend ein zweites Stück an den Hund, und Willie sah, dass Lesleys Lippen dünn wie straff gespannter Draht geworden waren.

»Ihr habt Besuch.« Er deutete auf einen Waran, der aus der Hibiskushecke hervorstapfte. Das Vieh maß ungefähr drei Feet, wobei der dicke Schwanz fast so lang wie der Körper war. Seine Zunge schnellte immer wieder hervor, während es sich mit gedrungener, muskulöser Grazie über den Rasen bewegte. Die Spatzen, die im Gras gepickt hatten, flogen davon.

»Ach, das ist Monty«, sagte Robert. »Er ist vor ein paar Jahren hier aufgetaucht. Nimmt täglich ein kurzes Bad im Schwimmbecken der Warburtons, das sind die Nachbarn von nebenan. Also, was steht heute auf dem Programm, alter Knabe? Lesley würde dir mit dem größten Vergnügen zeigen, was es hier alles zu sehen gibt.«

Bevor Willie etwas erwidern konnte, wandte Lesley hastig ein: »Ich treffe mich heute mit den Damen vom Kirchenbasar, und danach muss ich in der Stadt Besorgungen machen.«

»Na, dann ein andermal«, erwiderte Robert. »Die Gute kennt sich mit der Geschichte unserer Insel hervorragend aus. Sie weiß alles über Penang. Früher hat sie Stadtführungen für Freunde gemacht, die aus dem Ausland kamen. Diesen deutschen Schriftsteller haben wir auch herumgeführt, als er in Penang war – wie hieß er noch gleich, meine Liebe? Hesse, nicht wahr? Ja, Hermann Hesse.«

»Erholsame Tage der Muße am … Strand, mehr will ich nicht«, sagte Willie. »Ich muss Unmengen von … Büchern lesen, und Gerald ist noch nicht wieder bei Kräften. Er … benötigt viel Ruhe.«

»Der arme Kerl hat gestern Abend in der Tat etwas kränklich ausgesehen.« Robert musterte Willie über den Rand seiner Brille hinweg. »Und du wirkst auch noch angeschlagen, wenn ich das sagen darf.«

»Die letzten Wochen haben uns einiges … abverlangt. Hermann Hesse war also in Penang?«

»Elf, zwölf Jahre ist das her. Ich habe nie etwas von ihm gelesen. Du?«

»Ja, ein paar Sachen. Falls du mit der Zeitung fertig sein solltest, Robert …«

Robert reichte ihm die Straits Times, und sie frühstückten in behaglichem Schweigen. Als Robert aufbrach, um in seine Kanzlei in der Stadt zu...


Tan, Twan Eng
TAN TWAN ENG, 1970 in Malaysia geboren, hat in England Jura studiert und lange als Anwalt gearbeitet. All seine drei Romane standen auf der Longlist bzw. Shortlist des Booker Prize. Tan Twan Eng lebt in Malaysia und in Südafrika.

Grabinger, Michaela
MICHAELA GRABINGER lebt in München und hat u. a. Elif Shafak, Anne Tyler, Charlotte Wood und Meg Wolitzer ins Deutsche übertragen.



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