Taubes | Klage um Julia | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 333 Seiten

Taubes Klage um Julia

und andere Geschichten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7518-8033-6
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

und andere Geschichten

E-Book, Deutsch, 333 Seiten

ISBN: 978-3-7518-8033-6
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Julia ist das einzige Kind von Vater und Mutter Klopps, einem betagten Ehepaar, das seine Tochter größtenteils sich selbst überlässt. Ihr Schicksal wird erzählt aus der Perspektive eines grübelnden Geistes - eine Stimme in Julias Ohr, ein Parasit, der an dem Mädchen haftet. Anfangs sind Julia und der Geist Komplizen, geheime Spielgefährten in einer Art Kinderehe. Doch alles ändert sich, als Julias Monatsblutung einsetzt. Der Teenager befreit sich immer mehr aus den Klauen des Geistes, der abwechselnd wie ein abgewiesener Liebhaber stöhnt, wie ein Kindermädchen züchtigt oder sich wie unzählige Mütter von Teenagern der Verzweiflung hingibt. Die Stimme kann nur zum Schweigen gebracht werden, indem Julia sich den Erwartungen der Gesellschaft unterwirft und ihr Begehren durch ein christliches Gefühl der Scham zügelt. »Die heilige Familie!«, jubelt die Stimme, nachdem Julia geheiratet hat und ihr bürgerliches Schicksal besiegelt scheint. Doch der Geist täuscht sich, wenn er glaubt, dass die neue Rolle als Frau und Mutter Julia in Schach halten wird. Klage um Julia ist eine düster-komische Geschichte des Erwachsenwerdens innerhalb der Zwänge des 20. Jahrhunderts. Ergänzt durch eine Auswahl albtraumhafter Kurzgeschichten bietet der Band einen tiefen Einblick in Susan Taubes' groteske Welt, die bis heute nichts an Originalität und Wirkmacht verloren hat.

Susan Taubes, 1928 in Budapest geboren, emigrierte im Alter von 11 Jahren mit ihrer Familie in die USA, wo sie mit einer Arbeit zu Simone Weil promoviert wurde. Taubes lehrte Religionsgeschichte an der Colombia University, spielte auf den Bühnen New Yorks. Kurz nachdem ihr Roman Scheiden tut weh über ihre Trennung von Jacob Taubes in New York herauskam, nahm sie sich das Leben. Heute gilt sie als einflussreiche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts und ist Vorbild zahlreicher Schriftstellerinnen.
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Vorwort


Im September 1969 kehrte Susan Taubes nach Budapest zurück, in die Stadt, in der sie bis zu ihrem elften Lebensjahr gelebt hatte. Als sie vor dem Haus ihrer Kindheit stand, inmitten der Hektik des spätnachmittäglichen Berufsverkehrs – die Veranda voller bunter Blumen, die Büsche noch mit Beeren behangen, das schmiedeeiserne Tor verschlossen – überkam Taubes ein Gefühl von »Schönheit und Trauer, unerträglich«. Sie schrieb in ihr Tagebuch: »Unerträglich, dass ich hier stehe wie eine andere, der der Zugang zum Haus verwehrt ist; unerträglich, wieder hier zu stehen nach dreißig Jahren körperlosen, entwurzelten Umherziehens.« Mit den geisterhaften Überresten ihres früheren Ichs konfrontiert, fühlte sich Taubes genötigt, sich abzuwenden: »Eine eingefrorene Erinnerung taut nun plötzlich auf zu einem lebendigen, rasenden, verschlingenden Monster der Zeit.«

Taubes’ Erzählungen sind durchzogen von solchen Momenten des Desorientiertseins, ihre Figuren gefangen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Fantasie und Wirklichkeit, Traum und Wachen. Von Kindheit an hatte Taubes »die alltägliche Annahme, dass der Mensch ein Selbst, eine Seele oder irgendeine Art von Kern besitzt, mit dem er geboren wird und den er von der Wiege bis zur Bahre mit sich trägt«, infrage gestellt. Nachdem sie in den prägenden jungen Jahren ihres Lebens von einem Land ins andere – und von einer Sprache in eine andere – umgesiedelt war, kam sie zu der Überzeugung, dass eine Person kein einheitliches Gebilde ist, sondern eine »flüchtige, sich verändernde Vielfalt«. Klage um Julia, ein außergewöhnlicher Roman, den Taubes beschreibt »als die Verblüffung eines Engels oder einfach nur eines erhabenen Bewusstseins, das in einer Frau verkörpert ist«, führt diesen Gedanken zu einem düster-komischen Extrem. Sein körperloser Erzähler, eine Art »himmlischer Funke«, der von sich selbst die Vorstellung eines »sehr dünnen Herrn in Schwarz mit einem Gehstock« hat, dessen Schicksal jedoch mit dem einer Frau namens Julia Klopps von Geburt an verwoben ist, versucht Julias Lebensgeschichte zu erzählen, in dem vergeblichen Bemühen, ihre gemeinsame und doch gespaltene Identität zu begreifen. Trotz seines privilegierten Blickwinkels – manchmal ist er an Julias Seite oder wacht von oben über sie, manchmal schleicht er in ihrem Körperinneren herum oder ist an ihrer Stirn angebracht »wie eine Grubenlampe« – ist sein Verständnis mangelhaft, seine Fähigkeit, ihre persönliche Geschichte zu rekonstruieren, fragwürdig: Ein Arbeitstitel für diesen Roman war Remembering Wrong (Falsches Erinnern).

Klage um Julia beginnt mit einem Schmerzensschrei, wie der eines betrogenen Liebhabers: Julia ist verschwunden, und der Erzähler ist, beinahe wortwörtlich, auseinandergerissen. Der »fürstliche Parasit«, der ihre Röcke anprobiert, während er dahinschwindet, muss sich der Frage stellen, die seine Schilderung ihrer schwierigen Kindheit, Jugend und ihres Erwachsenendaseins bestimmt: »Was war ich ohne sie?« Anfänglich erinnert die voyeuristische Faszination des Erzählers für Julias Körper, seine anzügliche Besorgnis angesichts ihrer aufkeimenden Sexualität und seine gleichzeitige Vergötterung von Julia als Jungfrau und Braut an Vladimir Nabokovs Humbert Humbert oder an den räuberischen Verfolger in Anna Kavans Eis. Der Erzähler betrachtet Julia als seine »Gefangene«, seine »Schöpfung«; abwechselnd spielt er ihren Vater, Ehemann und Zuhälter, während sie schwer fassbar bleibt, Gegenstand seiner Faszination, Missbilligung, Verwirrung und in zunehmendem Maße seines Neides.

Doch im Verlauf der Erzählung, da ihre Beziehung zueinander klarer wird, verändert sich auch die Dynamik derselben. Indem sie ihn verlässt, hat sich Julia ganz kühl aus seinen Fängen befreit und seinen Kontrollversuchen ein Ende gesetzt. »Ich bilde mir ein, Julia sei meine Marionette«, gibt er reuig zu, »dabei ist sie es, die mich an der Nase herumführt.« In der gnostischen Tradition war der Schöpfer des Universums ein potenziell böswilliger Demiurg, der einen »göttlichen Funken« in den Menschen gefangen hielt. Julias fehlendes Verständnis ihres wahren spirituellen Wesens versperrt ihr den Weg zur Selbsterkenntnis und verdammt sie – ebenso wie den körperlosen Geist – zum elenden Materialismus der irdischen Sphäre. Seine verzweifelten Versuche, sie zu retten, spiegeln die moralische Dringlichkeit wider, die viele Denker der Generation Taubes’ empfanden, nämlich die Heuchelei, den Konformismus und die Gewalttätigkeit der Nachkriegsjahre und der postnuklearen Welt zu überwinden und zu transzendieren. Doch wenn dieser Geist Julias ideales Ego darstellt – das vollkommene Ich, nach dem der Narzisst laut Freud strebt –, dann bedeutet seine Unfähigkeit, sie vor einem sinnlosen Leben bourgeoiser Frustration zu bewahren, ein vernichtendes Scheitern, das die oberflächliche Commedia dell’Arte des Romans unterminiert.

Wie Taubes’ bahnbrechender Roman Nach Amerika und zurück im Sarg (Originaltitel: Divorcing) stellt auch Klage um Julia die willkürlichen Kräfte dar, die die Ausrichtung eines Lebens bestimmen. Die vorherrschende Spannung des Romans besteht in dem Konflikt zwischen dem, was der Erzähler sich für Julia vorstellt – dass »sie dazu geschaffen [war], einem Mann zu gehören, ihn zu schmücken wie ein Juwel« –, und Julias eigenen Wünschen. Auch in den anderen Geschichten, die neben der Julia-Erzählung in diesem Band erscheinen, werden oft Frauen geschildert, die verzweifelt die ihnen zugeschriebenen Rollen ablehnen und sich in radikaler Weise neu zu definieren versuchen. Julias Unzufriedenheit in ihrer Ehe mit einem Mann, der gern ihre Muttermilch nuckelt und sich selbst als »arbeitssüchtig« bezeichnet, taucht in ähnlicher Form in der Erzählung »Die Goldkette« wieder auf, in Rosalies streitbarem Wunsch, von einem anderen als ihrem unfähigen Ehemann geschwängert zu werden, und in dem »Osterbesuch« – ein Kleinod, dessen schmerzliche Intensität im Widerspruch zu seinem Schockeffekt steht; unerlaubt Liebende schaffen sich einen Freiraum, um ihre Liebe zueinander zu bekennen und ihre Fantasien auszuleben, die weit entfernt sind von der stumpfsinnigen Schufterei ihres Alltags. In seinem Essay Jenseits des Lustprinzips (1920) formulierte Sigmund Freud die Idee, dass unser Leben von den konkurrierenden Triebkräften des Eros und des Thanatos beherrscht wird. Ob sie nun davon fantasieren, bei lebendigem Leib gefressen zu werden, um sich mit dem Geliebten im Bauch eines Raubvogels zu vereinen, ob sie in ihrem Hochzeitskleid mehrfachen Kindesmord begehen oder dem Tod persönlich ein Eheversprechen geben, Taubes’ Heldinnen veranschaulichen ihre eigene Überzeugung, die sie 1950 in einem Brief an ihren Ehemann zum Ausdruck brachte: dass die »menschlichen Leidenschaften abgründig dunkle Dinge sind«.

Wer das Buch Nach Amerika und zurück im Sarg gelesen hat, kennt den groben Umriss des Lebens von Susan Taubes, der sich fragmentarisch durch ihr Werk hindurchzieht. Sie wurde 1928 in Budapest geboren und zog 1939 mit ihrem Vater, Sandor Feldmann, dem Autor von an Freud orientierten Studien über Sexualpathologie, Manierismen und Nervenleiden, in die Vereinigten Staaten, während ihre Mutter mit ihrem neuen Mann in Ungarn zurückblieb. Verschiedene Geschichten Taubes’ handeln von abwesenden Müttern und Vätern, die herrische Psychoanalytiker sind: Dr. Rombach, der die Kälte seiner Tochter als Teenager auf »einen Kompensationsmechanismus zur Überwindung [ihrer] starken ödipalen Bindung an [ihn]« zurückführt, oder Dr. Sigismund in »Schwan«, der seine Patienten einen nach dem anderen in eine Anstalt einweist, weil er befürchtet, sie könnten seine Tochter verführen. Eine Sprache finden und zu schreiben beginnen ist in diesen Geschichten oft mit dem schwierigen Übergang zum Erwachsenendasein verbunden: Marianna Rombach, die »ganze Stunden damit verbringen kann, einfach nur im Wörterbuch zu blättern«, helfen die Worte, in der Realität verankert zu bleiben, während Griselda Sigismunds unheimliche Fiktionen – niedergeschrieben auf Papierfetzen, die sie vom Rezeptblock ihres Vaters abreißt – die unheimlichen Ereignisse vorausahnen, die später eintreten.

Simone Weil, ein Vorbild von Taubes, schrieb: »Verwurzelt zu sein ist vielleicht das wichtigste und am wenigsten anerkannte Bedürfnis der menschlichen Seele.« Taubes erlebte ihre »fortwährende Entfremdung« von dem Heim und der Familie ihrer Kindheit – viele ihrer jüdischen Verwandten...


Taubes, Susan
Susan Taubes, 1928 in Budapest geboren, emigrierte im Alter von 11 Jahren mit ihrer Familie in die USA, wo sie mit einer Arbeit zu Simone Weil promoviert wurde. Taubes lehrte Religionsgeschichte an der Colombia University, spielte auf den Bühnen New Yorks. Kurz nachdem ihr Roman Scheiden tut weh über ihre Trennung von Jacob Taubes in New York herauskam, nahm sie sich das Leben. Heute gilt sie als einflussreiche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts und ist Vorbild zahlreicher Schriftstellerinnen.

Miller, Nadine
Nadine Miller, in New York geboren, aufgewachsen in Deutschland, übersetzt seit 1980 literarische und wissenschaftliche Texte aus dem Französischen und Englischen.

Susan Taubes, 1928 in Budapest geboren, emigrierte im Alter von 11 Jahren mit ihrer Familie in die USA, wo sie mit einer Arbeit zu Simone Weil promoviert wurde. Taubes lehrte Religionsgeschichte an der Colombia University, spielte auf den Bühnen New Yorks. Kurz nachdem ihr Roman Scheiden tut weh über ihre Trennung von Jacob Taubes in New York herauskam, nahm sie sich das Leben. Heute gilt sie als einflussreiche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts und ist Vorbild zahlreicher Schriftstellerinnen.Nadine Miller, in New York geboren, aufgewachsen in Deutschland, übersetzt seit 1980 literarische und wissenschaftliche Texte aus dem Französischen und Englischen.



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