Tauschinski / Polt-Heinzl | Talmi | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

Tauschinski / Polt-Heinzl Talmi


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-99065-022-6
Verlag: Edition Atelier
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

ISBN: 978-3-99065-022-6
Verlag: Edition Atelier
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Aus dem Leben eines charmanten Taugenichts in der Zwischenkriegszeit, erzählt von einer Frau, die ihn längst durchschaut hat und ihn dennoch liebt. Der Chauffeur Ernst Ronasek will hoch hinaus und erschwindelt sich in den rasanten 1920ern als 'Freiherr von Ronay' Herz und Geld so mancher reichen Dame. Sehr zum Verdruss der Künstlerin Susanne Sedlak, die neben den Sorgen über den aufkommenden Nationalsozialismus auch um das Seelenheil ihrer heimlichen Liebe bangt. Als die Nazis die Macht ergreifen und ihre Künstlerkollegin Aglaia deportiert wird, muss Susanne feststellen, dass Ernst die Seiten gewechselt hat ... 'Talmi' ist ein tiefgründiger und dennoch gewitzter Roman über Täuschung und Opportunismus, über Kunst und Widerstand - und über aufopferungsvolle Liebe.

Oskar Jan Tauschinski, 1914 in ?abokruki in Galizien/Polen geboren, 1993 in Wien gestorben. Im 2. Weltkrieg bei der polnischen Armee und in deutscher Kriegsgefangenschaft. 1940 als Zwangsarbeiter in Wien, 1944 wegen antifaschistischer Äußerungen mehrere Monate in Gestapohaft. 1947 erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft. Er verfasste Romane, Erzählungen sowie Kinderbücher und war als Lektor und Übersetzer tätig. Für seine literarischen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet. Talmi erschien 1952 in der Arbeiter-Zeitung und 1963 erstmals als Buch.
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TRAVIATA SINGT FÜR SPORTLICHE JUGEND


Wie glücklich bin ich über die Petroleumlampe, die mir Margot verschafft hat!

So weit haben wir es im Zeitalter der Technik gebracht, daß man sich heute in einer Zweimillionenstadt nur helfen kann, wenn man im Hof einen Brunnen und daheim einen altmodischen Kohlenherd besitzt. Wer überdies noch genügend Petroleum zum Leuchten hat, muß mit dem Neid der Nachbarn rechnen. Die elektrischen Lüster, die Gas- und Badeöfen, die Wasserleitungshähne und Radioapparate sind verkümmerte Organe im Wohnungskörper geworden – müßige Zeugen der Vergangenheit, Staubfänger, ebenso nutzlos wie die Makartbuketts und Streusanddosen unserer Großmütter.

Zwar stinkt meine Lampe höllisch und blakt wie ein Fabrikschlot, aber sie leuchtet doch auch, und ich kann im verdunkelten Zimmer vor meinem Schreibblock sitzen und an dich denken, Ernstl, anstatt mich im Finstern schlaflos auf dem Diwan herumzuwälzen und nur Gedanken über ein ungewisses Morgen und ein unwahrscheinliches Demnächst wiederzukäuen.

Was nützt es, daß der Krieg zu Ende geht? Wird man denn seine letzten Phasen überstehen? In längstens vier Wochen beginnt bei uns das, was Warschau und Budapest schon hinter sich haben. Warum sollte für Wien eine Ausnahme gemacht werden? Aber, mein Gott, vier Wochen! Vielleicht sorge ich mich da um eine Zukunft, die ich gar nicht mehr erleben werde.

Nur die Vergangenheit ist fester Boden, auf dem der Fuß nicht strauchelt, und darüber hat die Erinnerung einen soliden Laufteppich gelegt, breit oder schmal, bunt durchwirkt oder grau, aber wohlbekannt und vertraut, denn wir haben ihn ja aus eigenen Erlebnissen geknüpft.

Der meine ist weder farbenfroh noch breit, obwohl ich mein Leben lang bemüht war, ihn möglichst »kunstgewerblich« zu gestalten. Einem einsamen Krüppel stehen nicht viele bunte Fäden zur Verfügung. Alles, was rot und leuchtend daran ist, stammt von dir, Ernstl! Vielerlei Farben hast du für meinen Teppich geliefert, wohltuende und grelle, aber zum Schluß hast du das Muster heillos verwirrt.

Drei Jahre liegt dein Tod nun zurück, und ich grüble seither ununterbrochen darüber nach, ob es so hat kommen müssen. Vergeblich mühe ich mich, Logik in dieser wüsten Ungereimtheit zu finden, die du dein Leben nanntest, und denke oft, daß ich dich wohl nicht gut genug gekannt habe. Aber wer hat sich so viel mit dir beschäftigt wie ich? Wer hat jedes deiner Worte auf die Waagschale gelegt, jede deiner Taten und Untaten so genau registriert und kommentiert? Beinahe hätte ich jetzt geschrieben: Wer hat dich so geliebt? Aber das wäre falsch und unwahr. Nein, nein, geliebt habe ich dich nie! So viel Selbstachtung und Vernunft habe ich doch immer aufgebracht. – Da zeigt es sich schon, wie vorsichtig man beim Schreiben sein muß. Das Papier verleitet zur Übertreibung. Und dabei setze ich mich doch gerade darum zum Schreibtisch, um schwarz auf weiß die objektive Wahrheit niederzulegen. Das hier sollen nicht meine Memoiren werden, sondern nur Tagebuchblätter, die dich und dein vertanes Leben betreffen. Wenn erst dein Dasein in Worte und Schriftzüge gebannt vor mir liegt, werde ich vielleicht erkennen, warum es so mit dir gekommen ist, warum alle Gunst des Schicksals und alle Gaben der Natur an dir verschwendet waren. Vielleicht aber – und dies ist der Hauptzweck meiner Arbeit – gelingt es mir, nachzuweisen, daß du ganz bestimmt unschuldig warst an Schwester Josefas folgenschwerem Unfall und daß dein eigener Tod eine Verkettung tragischer Zufälle und nicht die Verzweiflungstat eines Verantwortungslosen gewesen ist.

Heute ist mir dieser Gedanke gekommen, als ich am Abend vor der brennenden Oper stand. Und während ich nun hier sitze, verglosen vielleicht die Sessel, auf denen wir damals saßen – damals, vor zwanzig Jahren, als wir einander kennenlernten. Wahrscheinlich gibt es bald überhaupt keine stummen Zeugen unseres Lebens mehr. Dies Zimmer hier, in dem du so oft saßest, ist vielleicht morgen von einer Bombe zerschlagen. Schon jetzt scheint es mir fremd und kahl, weil Margot die Vorhänge, die wir zusammen ausgewählt haben, die Bilder, die du so liebtest, die Bücher, deren Menge dich so beeindruckte, in den Keller geräumt hat.

Der Mantel, in dem ich fröstelnd sitze, ist voll Ruß und riecht nach Rauch. Kein Wunder. Es schneite ja dicke, glühende Flocken wie bei einem feurigen Schneegestöber. Ich stand in der verlängerten Kärntnerstraße, dicht hinter einer Kette von Polizisten; neben mir wortlose Menschen mit rot überflackerten Gesichtern und Pupillen, in deren Dunkel sich die lodernde Feuersäule des Heinrichshofes beweglich spiegelte. Woran mochten sie alle denken, meine lieben Kompatrioten, die damals so begeistert »Heil!« gerufen hatten, als diese Krankheit begann, deren letzten Phasen sie nun beiwohnen? – Ach, Ernstl, auch du hast »Heil!« gerufen, du Narr!

Vom Karlsplatz her wehte uns eisiger Nebelwind in den Rücken, aber die Gesichter glühten von der Brandhitze. Es war wie ein gigantisches Kaminfeuer in einem kalten, finsteren Saal.

Alles erinnert an dich, Ernst!! Oper brennt; wo die Tische »Café Heinrichshof« standen, fallen jetzt glühende Balken auf das Pflaster. Überall bist du, und dabei bist du längst nirgendmehr – drei Jahre nach deinem tödlichen Unfall.

Oder irre ich? War es doch kein Unfall?

Ich weiß es nicht; aber vielleicht werde ich es wissen, wenn alles genau aufgeschrieben vor mir stehen wird. Wie war das doch damals, bei jener Traviata-Aufführung im März 1925? – Ach, wie kalt es ist! Ich muß mir die Füße in eine Decke wickeln …

Wieder einmal stand ich im Stehparterre ziemlich weit vorne, aber doch leider nicht an der Brüstung, und wartete auf den Beginn der Vorstellung. Wie freute ich mich auf die Ouvertüre, die gleich ertönen sollte, mit ihrem tränenfeuchten Geigengesang, der später von einer festlich getragenen Tanzweise abgelöst wird und der, vor dem vierten Akt nochmals angestimmt, in das hoffnungslose Schluchzen einer Todgezeichneten ausklingt. Damals liebte ich dies Werk um seiner selbst willen. Heute kann ich es nicht hören, ohne daß sehr persönliche, mein eigenes Leben und Erleben betreffende Erinnerungen in mir wach werden.

Neben mir stand eine schöne blonde Person von ebenmäßigem Wuchs und selbstgefällig törichtem Gesicht, das trotz der frühen Jahreszeit tief gebräunt war. Allem Anschein nach kam sie gerade von einem Skiurlaub im Gebirge. Sie schien mit ihrem Äußeren durchaus zufrieden. Das neue geblumte Kleid und die Frisur taten ihre Schuldigkeit. Auch hätte sie keinen günstigeren Standort für ihre Schönheit wählen können als neben mir, obwohl sie sicherlich nur von dem Wunsch, gut zu sehen und zu hören, beseelt, so rasch nach vorne geeilt war. Auf mich wurde sie ohne Zweifel erst aufmerksam, nachdem sie die noch fast leeren Logenreihen und das Parkett einer genauen Musterung unterzogen hatte.

Der Lokalaugenschein war zu ihrer vollsten Zufriedenheit ausgefallen. In einer der Parterrelogen, der zweiten oder dritten von uns aus, hatte ein junger Mann Platz genommen, der seinerseits das Opernglas über die Köpfe der dicht gedrängten Stehplätzler streifen ließ, wobei er sichtlich beim Anblick meiner hübschen Nachbarin verweilte. Er mußte noch sehr jung sein, vielleicht ein Student im ersten oder zweiten Hochschuljahr. Die Art, wie er sein Glas handhabte, wie er den Kopf langsam hin und her wandte, während die Linke lässig über den Logenrand hing, hatte etwas vollendet Graziöses – fast zu Graziöses für einen jungen Burschen, der noch dazu recht breitschultrig und muskulös aussah und einen kurzen, sehnigen Hals hatte. Besonders im Profil kam die Kräftigkeit dieses Halses zur Geltung, der vom Kleinhirn abwärts in gerader, harter Linie in den Kragen hinablief. – Dies wird einmal ein Stiernacken werden, mußte ich unwillkürlich denken. Vorläufig war es noch ein entzückender Stierkalbnacken.

Nun hob der junge Logeninsasse in scheinbarer Kurzsichtigkeit das Programm nahe vors Gesicht. Er hielt das Heft in den großen, sehr weißen und langfingrigen Händen mit einer Behutsamkeit, die eines kostbaren Pergamentes wohl würdig gewesen wäre, und tat, als sei er in die Lektüre vertieft. Aber seine Augen glitten immer wieder zerstreut vom Papier fort und zu uns herüber; und dies war verständlich.

Meine Nachbarin war zusehends schlanker und größer geworden. In ihre sonnengebräunten Wangen stieg bezaubernde Röte und ließ mich an eine reife, sommerwarme Marille denken. Auch sie schien ihr Textbuch auswendig lernen zu wollen; dazwischen fand sie Zeit, hie und da ihre Locken ordnend aus der Stirn zu streifen oder an ihrem Kleid herumzunesteln. Nur ganz selten und mit völlig beherrschter Teilnahmslosigkeit sah sie sich im...



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