E-Book, Deutsch, 255 Seiten
Tell En Cyclo Pedia
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7109-5086-5
Verlag: Benevento
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alles übers Fahrradfahren
E-Book, Deutsch, 255 Seiten
ISBN: 978-3-7109-5086-5
Verlag: Benevento
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Johan Tell ist ein schwedischer Journalist und Autor. Er hat 18 Jahre lang für die Zeitschrift »Vagabond« Reisereportagen geschrieben und bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Darüber hinaus engagiert er sich in Umweltthemen und hält Vorträge. Eigentlich aber dreht sich bei ihm alles ums Fahrradfahren - ganz nach dem Motto: Nur auf zwei Rädern bin ich wirklich Mensch.
Weitere Infos & Material
B
BACON
ist Radfahrerjargon für den Schorf, den man an Knien, Ellenbogen oder anderen hervorstehenden Körperteilen nach einem ordentlichen und schmerzhaften Sturz davongetragen hat.
BALANCE
ist ein Phänomen, über das ich nachdenke, während ich versuche, außerhalb von Vicenza in Italien einen Berghang hinunter an einem Profi dranzubleiben. Für mich geht es schnell dahin, doch für Antonio Furlano ist unsere Geschwindigkeit gemächlich. Vielleicht 50–55 km/h. Der Fahrtwind kühlt trotzdem, und wir haben jetzt die Sonne verloren, weil wir uns auf der Nordseite des kleinen Bergs befinden. Antonio richtet deshalb den Oberkörper auf, lässt den Lenker los, beginnt, in seiner Rückentasche nach seiner Weste zu kramen, holt sie hervor und zieht sie über. Alles, während wir einen langen Bogen mit derselben Geschwindigkeit machen. Balance, denke ich, es ist faszinierend, dass Fahrräder gleichsam von selbst weiterfahren, auch wenn wir den Lenker loslassen.
Als Kind bekam ich zu hören, die Erklärung dafür, dass sich ein Fahrrad aufrecht hält, wenn man es beispielsweise ohne Fahrer eine Wiese hinunterrollen lässt, sei der gyroskopische Effekt. Später hörte ich, dass das mit dem gyroskopischen Effekt falsch sei und dass die Balance des Fahrrads stattdessen auf dem Nachlauf beruhe. Der Nachlauf ist der Abstand zwischen dem Punkt, an dem die gedachte Verlängerung der Gabel den Boden trifft, und dem Punkt auf einer senkrechten Linie, die durch die vordere Nabe geht. Ein großer Nachlauf bewirkt, dass das Fahrrad sich selbst aufrichtet. Je länger der Nachlauf ist, desto besser ist also die Balance.
Kritiker dieser Erklärung führen die Tatsache an, dass man ausgezeichnet die Balance halten kann, selbst wenn man langsam fährt, wo weder gyroskopischer Effekt noch Nachlauf eine große Rolle spielen. Deshalb spricht man heutzutage eher davon, dass es die Geschwindigkeit in Kombination mit der Lenkung ist, die zur Balance des Fahrrads beiträgt. Dass die Möglichkeit zu steuern wichtig ist, weiß jeder, der versucht hat, auf einem Fahrrad mit manipuliertem Lenker zu fahren, der das Rad in die entgegengesetzte Richtung dreht. Dann ist es fast unmöglich, die Balance zu halten.
Alle Faktoren scheinen also eine Rolle zu spielen, und sie tun es in unterschiedlichem Grad in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Bei niedriger Geschwindigkeit, fast im Stand, arbeitet man viel mit dem Lenker, um die Balance zu halten, aber auch mit Gewichtsverlagerung im Oberkörper, Veränderung des Drucks auf die Pedale, Einknicken mit der Hüfte und den Knien. Alles, um den richtigen Schwerpunkt zubehalten. Je schneller man dann fährt, desto weniger braucht man sich diesen Korrekturen zu widmen. Die Geschwindigkeit hilft einem jetzt, die Balance zu halten. Und ja, man bekommt auch ein wenig Hilfe von der Zentrifugalkraft und der jeweiligen Geometrie der Gabel. Die Geometrie, die für ein Reiserad in Sachen Balance am besten ist – dazu bestimmt, direkt bis nach Timbuktu zu radeln –, ist wiederum am schlechtesten für ein teures Rennrad, das an einen Sprinter angepasst wurde, der abrupte Richtungswechsel und Ausbruchsversuche unternehmen können soll, ohne von einem Drahtesel daran gehindert zu werden, der darauf getrimmt ist, stur geradeaus zu fahren. Also für ein solches Rennrad, auf dem Antonio Furlano vor mir den Berg hinuntersaust, während er in der Rückentasche nach den Kopfhörern für sein Mobiltelefon sucht.
BALLONREIFEN
sind laut meiner Ausgabe der schwedischen »eine ziemlich unpräzise Bezeichnung für alle modernen Niederdruckreifen für pneumatische Räder«.
Man kann auch sagen, dass ein Ballonreifen größer als die Felge ist, auf die er gezogen ist, einen beinahe kreisrunden Querschnitt hat, weich über Unebenheiten rollt, dafür aber schwerfällig ist. Für gewöhnlich assoziiert man Ballonreifen mit alten Militärfahrrädern, deren Produktion in den 80er-Jahren eingestellt wurde.
BAMBUS
als Material für einen Fahrradrahmen, sollte einen das nervös machen? Ich wäre ganz beruhigt, besonders, wenn man Gerüste für Wolkenkratzer in Hongkong gesehen hat, die ganz aus Bambus bestehen. Wenn Bambus Arbeiter 70 Stockwerke über der Erde sicher halten kann, dann kann man auch auf einem Fahrrad aus demselben Material entspannt bleiben.
Ein moderner Bambusrahmen unterscheidet sich allerdings ziemlich von denen, auf die ein Tourist in Vietnam stößt, die hauptsächlich für Armeleutefahrzeuge dienen und aus zusammengebundenen Stangen gemacht sind. Die heutigen Bambusrahmen sind fast so leicht wie ein Rahmen aus Carbon, fast so fest und fast so verwindungssteif. Jedoch sind sie bedeutend teurer. Wer einen Bambusrahmen wählt, tut dies vermutlich, weil sie gut aussehen oder weil sie in Sachen Umweltschutz einen Vorteil haben. Bambus ist ein nachwachsendes Material, wenn man also seinen Rahmen verschlissen hat, ist sozusagen ein neuer nachgewachsen, was Grundvoraussetzung für nachhaltigen Konsum ist. Das Problem aus dem Blickwinkel des Umweltschutzes wiederum ist selbstverständlich, dass der Rest des Fahrrads – Gabel, Vorbau, Sattelstütze, Schaltung, Lager, Bremsen, Pedale, Kurbelsatz, Züge – aus verschiedenen Arten von Metallen und Kunststoffen besteht. Ist man also nur darauf aus, ein Kilo Kunststoff einzusparen, um das es sich vermutlich dreht, wenn man von einem Carbonrahmen zu einem Bambusrahmen wechselt, ist es einfacher, mit Plastiktüten Schluss zu machen.
Für den, der es sich leisten kann, ist ein Bambusrahmen ein Beitrag zu einem besseren Karma. Allein das Wissen, dass der Rahmen auf einem Feld in Vietnam gewachsen ist, ist vermutlich einiges wert. Und dann gibt es auch noch Fahrräder mit Holzrahmen – noch schöner und noch teurer.
BANDANA
stammt ursprünglich aus dem Hindi und bedeutet so viel wie »(etwas) Gebundenes«. Man bezeichnet damit heute ein im Nacken gebundenes Kopftuch. Man kann es auch »Piratentuch« nennen. In Radfahrerkreisen wurde es dadurch bekannt, dass Marco Pantani, auch der Pirat genannt, es über seinem rasierten Scheitel trug (jedoch ohne Helm).
BAR
kann im Zusammenhang mit Fahrrädern drei Dinge bedeuten:
1.Eine Maßeinheit für den Reifendruck, eine unendliche Quelle für Diskussionen darüber, welcher denn nun der richtige sei.
2.Synonym für einen energiereichen, mehr oder weniger sinnvollen, süßen Riegel, den man in der Rückentasche dabeihat und dessen Kilopreis dem von Biorindfleisch aus Freilandhaltung entspricht.
3.Der Ort, zu dem man unterwegs ist.
BEINRASUR
Glatt rasierte Beine sind unter Profiradsportlern üblich. Die Ansicht, dass kein Rennen in moderner Zeit mit unrasierten Beinen gewonnen wurde, wird als absolute Wahrheit verkauft. Wohingegen die Behauptung, dass das Rasieren einen Radrennfahrer wirklich schneller macht, lange als bloßes Gerücht abgetan wurde. Die, die trotzdem daran festhielten, stützten sich auf einen wissenschaftlich zweifelhaften Artikel im von 1987, wo Chester Kyles Studie präsentiert wurde. Kyle meinte, dass rasierte Beine eine Verbesserung von 0,6 Prozent mit sich bringen, was einige Sekunden Zeitgewinn bei einem Vierzigkilometerrennen bedeutet, zumindest für jemanden, der wie ein Verrückter fährt.
Die meisten, die sich im Lauf der Jahre rasiert haben, haben es also eher getan, weil sie sich nicht trauten, es darauf ankommen zu lassen. Außerdem kann man ja viele gute Gründe dafür finden: Es ist leichter, eine Massage zu bekommen, leichter, Schürfwunden zu reinigen, nichts bleibt an Bandagen und Tapes kleben, es fühlt sich unter frisch gebügelten Laken angenehm an, und der Partner findet es auch schön. Aber kürzlich haben Mark Cote und Chris Yu, sogenannte bei Specialized, einen neuen Test gemacht: Sie haben eine Handvoll Radrennfahrer mit unrasierten Beinen gefunden, sie in einen Windkanal gesteckt und eine Strecke auf Zeit fahren lassen. Das Ganze wurde danach mit rasierten Beinen wiederholt. Diesen zufolge wurde auf einer Distanz von 40 Kilometern ein Zeitgewinn zwischen 50 und 80 Sekunden gemessen. Ein einzelner Test reicht natürlich nicht aus, um eine Erkenntnis rein wissenschaftlich als Wahrheit zu etablieren. Aber bis sich jemand der Sache annimmt, diesen Test von Specialized infrage zu stellen und zu wiederholen, wird kein einziger Profi auch nur einen Gedanken darauf verschwenden, mit unrasierten Beinen zu fahren. Und Rapha wird weiterhin spezielle Rasierseife für Beine zu einem Stückpreis von 20 Euro verkaufen.
BERG
Der Berg der...




