Tetzner | Die Kinder aus Nr. 67 | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten

Reihe: Die Kinder aus Nr. 67

Tetzner Die Kinder aus Nr. 67

Erwin und Paul - Die Geschichte einer Freundschaft /Das Mädchen aus dem Vorderhaus
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7336-0243-7
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erwin und Paul - Die Geschichte einer Freundschaft /Das Mädchen aus dem Vorderhaus

E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten

Reihe: Die Kinder aus Nr. 67

ISBN: 978-3-7336-0243-7
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Kinderbuchklassiker im Doppelband Berlin in den 1930er Jahren: Erwin und sein Freund Paul gehören einer Hinterhofbande an, die wie Pech und Schwefel zusammenhält. Unbedingt wollen sie einen Fußball haben, aber sie können sich keinen leisten. Erwin muss sich einiges einfallen lassen, um das Geld aufzubringen. Doch dann muss Paul wegziehen - wie sollen sie nun zusammen Fußball spielen? Im zweiten Band finden die Kinder einen Weg, wie Paul un seine Familie wieder in das Haus zurückziehen können. Außerdem nehmen die Jungs ganz gegen ihre Prinzipien ein feines Mädchen aus dem Vorderhaus in die Bande auf. Das Mädchen heißt Mirjam, und mit ihr und Erwin als Anführern erlebt die Bande ihre tollste Zeit ... Bände 1 und 2 in einer Ausgabe!

Lisa Tetzner, geboren 1894 in Zittau, war Märchenerzählerin, Kinderfunkleiterin und Autorin von sozial engagierten Romanen, die Jugendliche bis heute fesseln. Ihre Bücher über ?Die Kinder aus Nr. 67? und ?Hans Urian? waren und sind große Erfolge. 1933 folgte sie ihrem Mann Kurt Kläber alias Kurt Held in das Schweizer Exil. Sie starb 1963 in Carona (Kt.Tessin).
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1 Das gestohlene Brot


Schon oft habe ich mir Gedanken gemacht, wie es wohl einem Haus zumute ist, in dem sehr viele Menschen leben und viele Dinge geschehen.

Das Haus, in dem meine zwei Freunde Erwin und Paul wohnten, hatte vorn ein Vorderhaus mit zwei Aufgängen, a und b. Fünf Stock hoch waren an jedem Treppenabsatz zwei Wohnungen mit Menschen darin. Rechts und links standen die Seitenhäuser mit den Aufgängen a, b, c, d, und daran schloss sich das Hinterhaus mit den Aufgängen e, f, g. An jedem Treppenabsatz gab es drei Wohnungen. Da lebten die Schulzes, Kuntzes, die Gabriels und Israels, die Richters, Brackmanns, Biedermanns, Familie Lebben, Hennig, Weyermann, Familie Klein, Familie Groß, Familie Kurze, Lange und so weiter. Zu jedem Aufgang führte eine schmale Holztreppe.

Wie oft mag diese Treppe müde sein, weil sie immerzu getreten wird und Lasten tragen muss. Denn keiner gibt ihr ein freundliches Wort, sondern alle trampeln nur eilig auf und ab. Ihr braucht mich nicht zu unterbrechen und mir vorzuhalten: Das alles spürt eine Treppe nicht, sie ist aus Holz und dazu da. Aber warum soll sie nicht trotzdem etwas fühlen und ihre eigenen Gedanken haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich ärgert, wenn Erwin mit unabgeputzten Schuhen den Straßendreck auf ihr abstreicht. Oder warum sollte sie nicht bekümmert sein, wenn die Witwe Weyermann mit durchgelaufenen Schuhsohlen und sehr nass nach Hause kommt. Denn sie beobachtet ja am besten, wie viel dünner jeden Tag die Sohle wird. Ich bin sicher, sie seufzt oft unter den vielen Tritten und denkt: Es ist zum Davonlaufen! Sie zerkratzen mich, zerbeulen und beschmutzen mich und denken nicht daran, mich zu schonen. Aber freilich: Solche Treppen sind sehr geduldig. Sie knarren höchstens einmal, aber sonst schweigen sie still und halten aus. Und das tut auch das ganze andere Haus, mitsamt seinen vielen Fenstern, Türen und Zimmern. Es knistert und knackt nur manchmal, aber dann verstehen wir nicht, was es bedeuten soll.

Als Erwin einmal mit Paulchen im Hinterhaus saß, sagte er: »So ein Haus hat es viel besser als wir Menschen. Es braucht nich zu essen und nich zu trinken, is nie hungrig und hält doch feste, einen Tag wie den anderen, und alles is gut.«

Paul aber sagte: »Ich möchte trotzdem kein Haus sein und immerzu stinken wie das unsrige.«

Dass es manchmal stank, war begreiflich. Ihr braucht euch nur auszurechnen, wie viel Leute in diesem Haus kochten. Denn jede Wohnung hatte eine Küche und alle Küchen gingen auf den Hof, auf dem die Kinder spielen mussten. Bäume gab es hier nicht. Der Himmel mit der Sonne war weit über den Dächern, er schien so weit fort zu sein, dass sie fast nie nach ihm hinsahen. Sie merkten ihn nur, wenn es regnete oder wenn die Sonne so stark brannte, dass es ihnen zu heiß wurde. Wollten die Leute mehr von der Sonne und dem Himmel haben, so mussten sie aus der Stadt hinausfahren. Aber das konnten nur die Hausbewohner, die genug Geld in der Tasche hatten um eine solche Reise zu bezahlen.

Jetzt werdet ihr sicher gern wissen wollen, was für Berufe die Leute hatten, die in dem Haus mit den vielen Aufgängen wohnten. Die meisten Männer in dem Haus waren Arbeiter: Maurer, Tischler, Schlosser, Dreher, Setzer, Handlanger. Sie waren den ganzen Tag auf Arbeit. Denen ging es zu jener Zeit so schlecht, dass sie gar nicht mehr daran denken konnten, einen Ausflug zu machen, sondern froh sein mussten, wenn sie in dem Haus wohnen bleiben durften.

Es gab Straßenhändler in dem Haus, Zeitungsverkäufer, Chauffeure, einen Eismann, der im Winter mit warmen Würstchen handelte, auch einige Ladenbesitzer, einen Briefträger und einen Straßenbahnschaffner, sogar einen Zauberkünstler.

Und im Vorderhaus, über der Bäckerei Hennig, wohnte die Frau Manasse vom Maskenverleihgeschäft. Wenn sie die verschiedenen Masken- und Tierköpfe, Ritterkostüme und Teufelsgewänder zum Lüften ans Fenster hängte, dann standen alle Kinder unter ihrem Fenster und hätten sich so gerne ein einziges Mal verkleidet. Aber Frau Manasse mochte die Kinder nicht und lieh ihnen nie etwas.

Erwin Brackmann stand im Hof und pfiff nach Leibeskräften. Er hielt dazu drei Finger auf einmal in den Mund, und wenn er damit fertig war, trampelte er vor Ungeduld mit den Beinen hin und her. Donnerwetter, wo blieb denn Paulchen heute? Er war längst reisefertig. Seine Schirmmütze klebte tief über den Augen. Seine neue Botanisiertrommel hatte er fest unter den Arm geklemmt. Er hatte sie erst vor einigen Tagen von einer Tante geschenkt bekommen und wollte sie Paul vorführen. Der würde Augen machen.

Erwins Vater stand im Torbogen zum Vorderhaus und wurde ungeduldig. Wenn Paul Richter noch lange auf sich warten ließ, dann verpassten sie den Zug. Sie wollten doch ihren Sonntagsausflug machen. »Zu Mutter Grün«, wie Vater Brackmann das nannte. Er machte das seit Jahren mit seinem Erwin, und Paul durfte mit, weil Vater Richter Ausflüge nicht liebte. »Nee«, sagte der, »geht ihr man alleine! Wozu soll ich mir in die volle Vorortsbahn quetschen. Ich mach mir nichts aus Nudeltopf!« Er ging lieber ins Wirtshaus und spielte Karten.

»Jeder, wie er mag«, meinte Vater Brackmann. Die Mütter gingen auch nur selten mit, denn für alle war das Fahrgeld zu teuer, und sie mussten bei den kleinen Geschwistern bleiben. Dieser Paul, wo der bloß heute blieb? Erwin pfiff noch einmal drei Oktaven höher und dringender um seine Ungeduld auszudrücken. Oben im vierten Stock des linken Seitenflügels, Eingang d, wurde endlich ein Fenster geöffnet, und Frau Richter, Pauls Mutter, beugte sich heraus. Sie sah ein bisschen verweint aus. Irgendetwas schien da nicht zu stimmen. »Paule kommt gleich«, rief sie herunter. »Geht man schon voraus!«

Erwin wandte sich zum Gehen. Er hatte aber noch nicht das Tor verlassen, da kam Paul. Er knöpfte sich noch im Laufen seine Jacke zu, und die Schuhbänder flatterten rechts und links von seinen Beinen hinterher.

»Wo bleibste denn so lange?« Erwin sah Paul erstaunt an.

»Sonst bist du immer eine Viertelstunde vor der Zeit im Hof und trappst* [1] dir die Beine ab.«

»Hier«, sagte Paul – er war noch erschöpft – »hier ist das Geld für die Bahn und den Kaffee«, und damit reichte er Vater Brackmann fünfzig Pfennige. »Schon gut!«, sagte der und steckte das Geld ein.

»Und nun machen wir Dauerlauf, damit wir den Zug um 35 noch erwischen!« Es war eine herrliche Sache, mit Vater Brackmann durch die stillen Straßen zu laufen. Immer hopp, hopp, eins, zwei – eins, zwei. Darüber vergaß Paul ganz, dass er noch vor zwei Minuten schreckliche Angst gehabt hatte, nicht mitzudürfen. Nicht etwa, weil er sich hatte etwas zuschulden kommen lassen, sondern aus Gründen, die er zunächst noch nicht verstand und übersah. Das heißt, er wusste selbst nicht, was los war. Er wusste nur, dass sein Vater gestern sehr bedrückt heimgekommen war. Er hatte der Mutter etwas zugerufen und die Mutter hatte gleich zu weinen angefangen. Sie wollte es scheinbar gar nicht glauben. Sie sagte immer: »Ach nee, nee, nur det nich!« Paul hatte sich nicht darum gekümmert, weil er gerade ein Barometer basteln wollte. Aber heute Morgen, als er seinen Vater um das übliche Ausflugsgeld bat, da erklärte der Vater plötzlich: »Das geht nicht mehr. Das muss jetzt alles anders werden. Du bleibst von nun an hier. Ausflüge, det is Luxus. Du kannst auch uff de Straße spielen!«

Paul erschien es schrecklich, an einem solchen warmen, schönen Sonntag in der Stadt zu bleiben und auf der heißen Straße zu spielen; schließlich hatten Erwins anhaltende Pfiffe und Mutters Bitten es doch noch erreicht, und da war er nun und wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, sondern sich einfach freuen.

Freuen konnte man sich auf den Ausflügen mit Vater Brackmann unbändig. Gleich am Bahnhof fing es an. Der Zug war so überfüllt, dass niemand mehr ins Abteil gelassen werden sollte.

Aber Vater Brackmann rief einfach: »Ach wat, in euerm Nudeltopf fehl ich ja noch als det Beste. Je mehr ihr mit mir gekocht werdet, umso besser haltet ihr euch!« Da hob und zog man ihn lachend hinein. Auch Erwin und Paul krochen dazwischen, und dann ging die Tür nur mit Mühe und Not zu. Keiner konnte sich mehr rühren. Erwin musste seine Botanisiertrommel ganz dicht unterm Kinn halten, damit sie ihm nicht zerquetscht wurde. Aber Vater Brackmann fand das alles knorke*. Er erzählte sofort eine Geschichte von den Heringen in der Tonne, die besser würden, je mehr sie gepresst und je enger sie gelagert würden. Alle Mitreisenden mischten sich ins Gespräch. Sie lachten und nannten Vater Brackmann den »Oberhering«. Unaufhörlich erzählte Vater Brackmann Geschichten oder ließ die Umstehenden Gegenstände raten. Keine Minute langweilte man sich mit diesem Vater. Wenn die Leute aussteigen mussten, wünschten sie ihm einen guten Sonntag und winkten ihnen. Auch wenn sie allein waren, blieb es lustig, denn dann spielte Vater Brackmann »Ich sehe was, was du nicht siehst«, und zwar sah er nicht Dinge im Wagen, sondern Dinge, die in der Fahrt draußen vorüberflogen. Paul und Erwin drängten sich an die Fensterscheibe um in der gleichen Fahrgeschwindigkeit diese Dinge zu erwischen und dann triumphierend zu erklären: »Das Haus dort! Nein, der Hund da! Jener Baum dort!« Paulchen war fast neidisch, dass er nicht so einen Vater hatte. Denn in allen Dingen war dieser Vater etwas Besonderes.

Einmal hatte er miterlebt, wie Erwin beim Ballspiel am Sonntag in Grünau ein Fenster einschlug. Paul hatte ihn sogar im Verdacht, dass es nicht so ganz aus Versehen geschah. Und dann lief er einfach zu seinem Vater und sagte: »Au...


Tetzner, Lisa
Lisa Tetzner, geboren 1894 in Zittau, war Märchenerzählerin, Kinderfunkleiterin und Autorin von sozial engagierten Romanen, die Jugendliche bis heute fesseln. Ihre Bücher über ›Die Kinder aus Nr. 67‹ und ›Hans Urian‹ waren und sind große Erfolge. 1933 folgte sie ihrem Mann Kurt Kläber alias Kurt Held in das Schweizer Exil. Sie starb 1963 in Carona (Kt.Tessin).

Lisa TetznerLisa Tetzner, geboren 1894 in Zittau, war Märchenerzählerin, Kinderfunkleiterin und Autorin von sozial engagierten Romanen, die Jugendliche bis heute fesseln. Ihre Bücher über ›Die Kinder aus Nr. 67‹ und ›Hans Urian‹ waren und sind große Erfolge. 1933 folgte sie ihrem Mann Kurt Kläber alias Kurt Held in das Schweizer Exil. Sie starb 1963 in Carona (Kt.Tessin).



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