Theiss / Prolibris Verlag | Duo mit Beretta | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Theiss / Prolibris Verlag Duo mit Beretta

Darmstadt Krimi
Originalausgabe 2016
ISBN: 978-3-95475-142-6
Verlag: Prolibris
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Darmstadt Krimi

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-95475-142-6
Verlag: Prolibris
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Für die menschenscheue Isabell kommt es knüppeldick. Erst der Tod der Mutter, dann der Auszug aus der vertrauten Wohnung und schließlich der Überfall durch eine Bande Jugendlicher. Nun hat Isabell eine posttraumatische Belastungsstörung namens Billie. Die klopft 68er Sprüche und will partout als Streetworkerin die Welt retten. Prompt erhält Billie die schwierige Aufgabe, zwei in Darmstadt gestrandete junge Menschen vor dem Zugriff einer Zuhältermafia zu bewahren: einen amnesiekranken Schleuserhelfer und eine geflohene Zwangsprostituierte. Dass beide Heimkinder waren, scheint ein Zufall, bis plötzlich zwei Darmstädter Kinder auf Initiative von Behörden in einem dubiosen ungarischen Waisenhaus verschwinden. Billie nimmt den ungleichen Kampf mit den Menschenhändlern auf. Und unversehens hängt Isabell mit drin. Ein turbulenter Krimi mit Tiefgang und bissigem Humor zum Thema Geschäftemacherei mit Heimkindern.

Ella Theiss lebt in der Nähe von Darmstadt. Sie hat Germanistik und Sozialwissenschaften studiert und rund zwanzig Jahre unter ihrem Klarnamen Elke Achtner-Theiss als Redakteurin und Texterin gearbeitet, insbesondere im Themenbereich Bio-Lebensmittel. Seit 2008 schreibt sie auch Romane und Erzählungen. Mit ihrem historischen Krimi »Die Spucke des Teufels« belegte sie Platz 2 zum Gerhard-Beier-Preis 2010. Für zwei ihrer Erzählungen erhielt sie den 2. Freiburger Krimipreis 2013 und den QuoVadis-Kurzgeschichtenpreis 2013. 'Duo mit Beretta' ist ihr dritter Roman. - Mehr unter www.ellatheiss.de
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1. ISABELL

Mit mir stimmt was nicht. Ich sehe Gespenster. Genauer gesagt nur eins. Noch genauer gesagt nur meins, mein Double. Seit Wochen geht das schon, ich sehe in den Spiegel und sehe – nicht mich. Sondern sie. Mit verschränkten Armen steht sie vor mir und grinst mir ins Gesicht. Manchmal zwinkert sie mir zu, als wolle sie mich aufmuntern, manchmal rollt sie die Augen, als sei sie von mir genervt. Wende ich mich von ihr ab, kriecht sie in meine Ohren, flüstert peinliche Sprüche: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Oder: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Solche Sachen. Am schlimmsten ist, wenn sie leibhaftig neben mir auftaucht mit ihrem Zottellook, ihren schwarz umrahmten Augen und meinen Alltag durcheinanderbringt. Billie heißt sie. Ein peinlicher Name für eine Frau Mitte dreißig. Meine Meinung.

Billie trat in mein Leben in Form eines Molotowcocktails, ja, wirklich, sie katapultierte sich quasi aus einem Brandsatz in meine Seele. Psychologen würden sagen: Billie ist eine posttraumatische Belastungsstörung. Und zwar eine hartnäckige.

Es passierte am 31. März, einem Tag, der sich wie November anfühlte, so grau und trüb. Was nicht nur am Wetter lag. Ich musste mich von der Wohnung in Kranichstein verabschieden, in der ich fast drei Jahrzehnte gelebt hatte, ging ein letztes Mal durch alle Räume. – Neu-Kranichstein, nach Ansicht mancher Darmstädter ihr »schlechtester« Stadtteil im Norden: jede Menge Hochhäuser, meist brutale 13 bis 19 Stockwerke hoch und satellitenstadtüblich gruppiert. Eine typische Bausünde der 60er Jahre, seit den 90ern mit viel Grün, viel Teich und viel Infrastuktur aufgehübscht und aufgewertet. Sogar einen Wochenmarkt gibt es jetzt. Mag sein, dass es keiner glaubt, aber inmitten der »Eiger Nordwand«, wie die Wohnblöcke rings um die Bartningstraße im Volksmund heißen, habe ich mich als Kind und auch später durchaus heimisch gefühlt.

Kurz nach meinem fünften Geburtstag waren wir eingezogen, Vater, Mutter, meine großen Brüder und ich. Damals war die Familie noch komplett, nicht glücklich, aber komplett. Mit Vaters Tod, er starb an einer Leberzirrhose, ging es bergab. Mutter arbeitete hart, bis sie an Parkinson erkrankte, was sie schließlich in den Rollstuhl zwang. Meine Brüder zogen aus, ich gab meinen Job als medizinisch-technische Assistentin auf und blieb bei Mutter wohnen. Ihre Rente reichte für die Miete und ein passables Auskommen für uns beide. Urlaub war nicht drin, Kino auch nicht, doch Mutter wäre zu solchen Ausflügen ohnehin nicht in der Lage gewesen.

Mitleid mit mir? – Ist unangebracht. Ich bin nicht der Typ für ein geregeltes Berufsleben. Schlecht gelaunte Chefs und ehrgeizige Kollegen machen mich unglücklich. Softwaresysteme auch. Besonders unglücklich machen mich Männer. Sie übersehen mich einfach. Schon in der Schule haben sich die Jungs mir nur genähert, um an meine attraktiveren Freundinnen heranzukommen. Den Gedanken ans Heiraten gab ich folgerichtig mit achtzehn auf. Nein wirklich, ich habe in all den Jahren, die ich mit Mutter allein zusammenwohnte, nicht viel vermisst. Mein Leben hätte gut und gerne so weitergehen können. Doch Parkinson verläuft in unvorhersehbaren Schüben: Zittern und Muskelsteifigkeit, Störung der Reflexe, Inkontinenz, Ohnmachtsanfälle … Zuletzt ging es ganz rasch. Mit Mutters Tod entfiel ihre Rente. Beim Jobcenter nötigte man mich, mir Arbeit zu suchen. Und aus der Vierzimmerwohnung auszuziehen.

Ich gebe zu, ich bin sentimental. Der Abschied von den Räumen, die so lange mein Zuhause gewesen waren, tat schrecklich weh. Alles deprimierte mich: Das bleichgraue Licht, das sich ausbreitete, seit die Vorhänge fehlten, die hellen Rechtecke an der Tapete, die Mutters Blumenaquarelle hinterlassen hatten, die von Blut gedunkelten Fliesenfugen vor der Badewanne, Zeugnis von Mutters verzweifeltem Versuch, ihr Leiden abzukürzen. Die ganze ausgeräumte Wohnung erschien mir wie tot. Wie Mutters Leiche. Kalt und fremd.

Aber ich wollte tapfer sein, zwang mich zur nüchternen Überprüfung, ob alles leer und »besenrein« war, wie der Mietvertrag es bei Auszug verlangte. Mangels eines Besens – ich hätte ihn schlecht in der Straßenbahn transportieren können, ohne Aufsehen zu erregen – benutzte ich einen Akku-Handstaubsauger, kroch damit durch die Zimmer, bearbeitete auch die Ecken, die Scheuerleisten, die Fensterbänke, versuchte, die Staubflusen zu erwischen, die ich beim Auszug übersehen hatte.

Es war diese Gewissenhaftigkeit (eine sicherlich positive, aber heimtückische Eigenschaft, weil sie mir ständig Nachteile im Leben einbringt), die mich in einer nachlässig gezimmerten Abseite im Wandschrank diese Pappkiste entdecken ließ. Das heißt, ich konnte nicht gleich erkennen, was da lagerte. Viele Generationen von Spinnen hatten sie umwebt, irgendwann vertrieben von dem Staub, der Jahr für Jahr durch die Ritzen gedrungen war und ihre Netze verklumpt hatte.

Ich hielt mir die Hand vor Mund und Nase, richtete die Staubsaugerdüse auf das eklige Gewirr, bis sich ein altertümlicher Waschpulverkarton zu erkennen gab. Drinnen lauter Flaschen: Whisky, Wodka, Doppelkorn … Mein Vater, ein unentwegter Altlinker, war nicht wählerisch, wenn es darum ging, sich aus Gram über die ausgebliebene Weltrevolution zu betrinken.

Es versteht sich, dass ich diese Überreste entsorgen musste, damit die Nachmieter, die schon am folgenden Tag renovieren wollten, nicht schlecht von mir oder gar von meiner Mutter dachten. Kein Problem, sagte ich mir, die Flaschencontainer stehen ja keine zwanzig Meter weit an der Biegung der Zufahrtsstraße.

Ich nahm die Kiste und die Wohnungsschlüssel, trat in den Flur – und sah sie durchs Fenster: drei junge Männer mit wattierten Jacken, Schirmkappen oder Kapuzen, Beuteljeans und Sportstiefeln. Sie standen an einer halbhohen Betonmauer, die die Glascontainer großzügig einfriedete und von der Einfahrt einer alten, kaum noch frequentierten Tiefgarage abteilte. Sie tranken Bier aus Flaschen, rauchten was auch immer, rangelten und knufften sich. Keine Chance, unbemerkt an ihnen vorbeizukommen. Ihr Gegröle drang durchs Fenster und klang gefährlich nach Langeweile und Imponiergehabe. Oder nach Wut auf alle Welt.

Der Tag war kühl, und es dämmerte schon. Sie würden bald verschwinden. Dachte ich. Ich spielte auf meinem Handy ein paar Solitärs und spähte gelegentlich hinaus. Nach einer Viertelstunde zählte ich vier, nach weiteren zehn Minuten fünf Kerle.

Das war so ein Moment in meinem Leben, in dem ich gern ein eigenes Auto gehabt hätte, meinetwegen ein altes und unscheinbares. Dann hinein mit dem Karton, ab und weg. Ich träume oft von einem kleinen Wohnwagen. Der würde reichen für die paar Sachen, die mir wichtig sind. Damit würde ich an die Schottische Küste fahren oder in die Schweizer Berge oder in die Camargue. Irgendwohin, wo man nicht dauernd auf Menschen trifft. Erst recht nicht auf herumlungernde, Bier saufende und grölende Halbstarke.

Ich überlegte, ob ich eine Bekannte mit Auto anrufen könnte, damit sie die Kiste und mich in meine neue Wohnung bugsiert. Oder zu einer anderen Altglassammelstelle. Doch es gab niemanden, dem ich gern erklärt hätte, woher die vielen alten Flaschen stammten. Es half nichts, die mussten in die Container vorm Häuserblock. Noch vor zwanzig Uhr, wie die Aufkleber verlangten, um die Nachbarn nicht zu belästigen.

Als sich nach einer weiteren Viertelstunde die Anzahl der Kerle wieder auf drei reduziert hatte, nahm ich all meinen Mut zusammen, den Karton in beide Hände und den Aufzug nach unten. Ich trat aus dem Haus und ging, meine Kiste fest an den Bauch gepresst, auf die Mülltonnen zu. Der ein oder andere geparkte SUV bot mir ein paar Meter weit Sichtschutz.

Ich spitzte die Ohren und registrierte zufrieden, dass sie mit einer Diskussion über die Qualitäten der örtlichen Spielhölle beschäftigt schienen. Also trat ich aus der Deckung, marschierte ohne einen Blick in ihre Gesichter auf die Einfriedung zu, passierte den Durchgang zu den Containern und drehte der Meute den Rücken zu. Mein Herz pochte, ich atmete flach und hastig, schob aber scheinbar unbekümmert meine Flaschen nacheinander – weiß zu weiß, grün zu grün, braun zu braun –durch die dosendicken runden Öffnungen, jedweden Schwung und damit lautes Klirren vermeidend.

Ich war fast fertig, griff nach der letzten Flasche, die im Gegensatz zu den anderen in vergilbtes Zeitungspapier gehüllt war und mich in ihrer Form an Sekt denken ließ. Sie war keinesfalls leer, wog schwer in meiner Hand. Vorsichtig löste ich das Papier ab, fand ein unversehrtes Etikett mit dem Aufdruck Moët & Chandon und einen kunstvoll mit Draht umwickelten Korken.

Ich stutzte. Ein echter Champagner, ein teurer Champagner, viele Jahre alt. War so etwas noch genießbar? Fieberhaft überlegte ich, was ich auf die Schnelle damit anfangen sollte, als sich eine nach Tabakrauch stinkende Pranke auf meine Schulter legte: »Na, Püppi, was haste’n da Schönes?«

Ich fuhr herum, sah in ein pickelnarbiges Gesicht mit schwarzem Flaum auf der Oberlippe. Und schwieg.

»Sie will mir was schenken«, murmelte ein feister Kerl mit flächigen Wangen und einer...


Ella Theiss lebt in der Nähe von Darmstadt. Sie hat Germanistik und Sozialwissenschaften studiert und rund zwanzig Jahre unter ihrem Klarnamen Elke Achtner-Theiss als Redakteurin und Texterin gearbeitet, insbesondere im Themenbereich Bio-Lebensmittel. Seit 2008 schreibt sie auch Romane und Erzählungen. Mit ihrem historischen Krimi »Die Spucke des Teufels« belegte sie Platz 2 zum Gerhard-Beier-Preis 2010. Für zwei ihrer Erzählungen erhielt sie den 2. Freiburger Krimipreis 2013 und den QuoVadis-Kurzgeschichtenpreis 2013. "Duo mit Beretta" ist ihr dritter Roman. – Mehr unter www.ellatheiss.de



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