Thompson | El Greco und ich | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Thompson El Greco und ich


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-86648-346-0
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-86648-346-0
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es ist der Sommer 1968, J. J. und sein bester Freund Tony 'El Greco' Papadakis sind zehn und unzertrennlich. Ihr geheimes Revier ist der Hafen einer stillgelegten Konservenfabrik - hier können sie unbemerkt geklaute Zigaretten rauchen, den Möwen nachschauen und Pläne für die Zukunft schmieden. Und von dem Tag träumen, an dem sie endlich den gewaltigen Pazifik sehen werden (denn der Atlantik ist im Vergleich nur eine Pfütze). Immer öfter jedoch grätscht die Realität in die jugendlichen Träume; und während eines Roadtrips entlang der Ostküste zeigt sich den Jungen eine bisher ungekannte Seite der USA, die ihren Blick auf das Leben und die Menschen für immer verändert. Woodstock und die erste Mondlandung, Rassenunruhen und der Vietnamkrieg bilden den Hintergrund zu diesem oft unwiderstehlich komischen, zuweilen herzzerreißend traurigen Roman über zwei Freunde, deren große Prüfung erst noch bevorsteht.

Mark Thompson, 1958 geboren und aufgewachsen in Stockton- on-Tees, studierte Politikwissenschaft an der London Guildhall University, hat viele Jahre in Spanien gelebt, intensiv die USA bereist und spielt Gitarre in einer Rockband. 'El Greco und ich' ist sein erster Roman. Mark Thompson lebt mit seiner Familie in York.
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Eins


Es war ein perfekter Sommertag. El Greco und ich lagen am Rand des Sportplatzes im piksenden Gras auf dem Rücken, draußen hinter den alten Umkleideräumen aus Backstein, und beobachteten die Formen, zu denen sich weiße Schäfchenwolken an einem tiefblauen Himmel auftürmten.

Ich sagte, dass ich den Mount Rushmore sehen könne, und so war es auch, wirklich.

Er zeigte auf den Wattebausch, der sich an den Rändern langsam auflöste, und sagte: »Stimmt, genauso sieht er aus. Da sind Jefferson, Lincoln und Washington, und wer ist der andere noch mal? Roosevelt.«

Ich staunte ein oder zwei Sekunden lang über sein Wissen. »Ach ja, den hatte ich vergessen«, sagte ich, als ob ich es gewusst hätte.

El Greco war der klügste Junge, dem ich je begegnet war. Er war weise.

Er war zehn Jahre alt.

Wir lagen eine gefühlte Ewigkeit so auf dem Rücken und versuchten, in den Wolken etwas zu erkennen, während die Sonne vom Himmel brannte und das lange, trockene Gras in einer sanften, zephirhaften Brise schimmerte. Das Wogen hauchzarter purpurfarbener Mohnblumen erinnerte an zum Abschied geschwenkte Taschentücher auf einem entfernten Bahnhof. Wir zogen an unseren Zigaretten und stießen Rauchkringel in die Luft. Wenn wir Zigaretten kauften, kauften wir Kents. Mein Vater rauchte Kents, genau wie El Grecos Mutter, so konnten wir, falls wir erwischt wurden, immer sagen, dass wir sie im Auto gefunden hatten und ihnen bringen wollten. Manchmal klauten wir ihnen auch welche.

»Wäre es nicht cool, wenn es die mit Bananengeschmack gäbe?«, sagte ich, während El Greco einen zunächst perfekten Rauchring beobachtete, der langsam nach oben stieg und dabei seine Form veränderte, bis er aussah wie der verbogene Reifen eines ausrangierten Fahrrads. Ruckartig setzte El Greco sich auf und stieß mit der Faust durch den Ring, sodass sein Handgelenk von Rauch umhüllt war. Kurz tat es mir um den Verlust des Kringels leid.

Er drehte sich zu mir um, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. Er lächelte und nickte. Erst langsam, dann, mit zunehmender Begeisterung, immer schneller. »Da sagst du was.« Er nickte wieder. »Stell dir das mal vor. Schokoladen-Zigaretten. Wow.«

Ich fühlte mich bestärkt und kam in Fahrt. »Erdbeer und Vanille, Pistazie, Tuttifrutti!«, rief ich voller Begeisterung.

»Ich glaub, das ist eine richtig gute Idee«, sagte er versonnen, während er sich zurück ins trockene Gras fallen ließ.

Beide machten wir mit unseren Zigaretten klitzekleine Feuerchen und sahen gespannt zu, wie orangefarbene Finger schlangengleich an einem gelben Halm leckten, plötzlich auf dessen Nachbarn übersprangen und dann ebenso schnell auf den Nachbarn des Nachbarn, bis sich grauer und weißer Rauch entwickelte, sodass wir kurz darauf hektisch auf der harten und braunen Erde herumtrampelten. Der Geruch von Rauch war überall; Staub und Pollen erfüllten die Luft wie die Dieselabgase eines alten, gerade angelassenen Trucks, und wir husteten heftig, als diese beißende Mischung in unsere Lungen drang und sich in unserem Haar festsetzte.

»Wenn meine Mom den Rauch an mir riecht, krieg ich Höllenärger«, krächzte ich, während wir auf Dreck und Asche traten.

»Komm, holen wir uns eine Limo oder so, wir müssen sowieso bald nach Hause«, sagte El Greco und spuckte auf den verbrannten Boden. Wir tranken meistens Limo, wobei mein spezieller Favorit Rootbeer war, aber manchmal auch Kaffee, einfach, um anders als die anderen zu sein. Das machte uns besonders, und unsere Alten trieb es in den Wahnsinn. Das war Teil unseres Plans.

Wir steckten die Hände in die Jeanstaschen und rannten über das Feld. El Greco machte Bugs Bunny nach, was mich jedes Mal zum Kichern brachte, aber diesmal prustete ich richtig los, weil er sein Looney-Tunes-T-Shirt mit Bugs vorne drauf anhatte. »Is’ was, Doc?«, sagte ich, obwohl ich Bugs nicht so gut nachmachen konnte wie El Greco. Dafür aber hatte ich Micky Maus ziemlich gut drauf, wenn er »Pluto!« ruft, also machte ich genau das, und El Greco platzte fast vor Lachen. Gott, er machte mich wirklich froh, sagte immer das Richtige und immer im richtigen Moment. Für einen Zehnjährigen war er wirklich ein Mordskerl.

Am oberen Ende des Feldes hielten wir an, um uns einen Schwertkampf mit grünen Zweigen zu liefern, die wir von einer Weide gerupft hatten. Ich war König Artus, und er war Errol Flynn als Captain Kidd. Wir überquerten den Straßendamm zu Mister Jeb Doughtys Weizenfeld und gingen an der halb verfallenen Scheune vorbei, der weder Wind noch Regen etwas anhaben konnte; entschieden trotzte sie dem Zahn der Zeit und den unablässigen Angriffen der Jahreszeiten, dem hüfttiefen Schnee und der sengenden Sonne. Als wir gerade auf dem Weg zurück zu El Grecos Haus waren, hörten wir von ferne das Heulen von Sirenen. Neugierig gingen wir zurück zum Zaun.

Da waren sie und rasten die Anhöhe hoch.

Wir kletterten auf den Zaun, um besser sehen zu können. Zwei riesige rote Feuerwehrwagen kamen auf uns zugeschossen, mit gellenden Sirenen und flackerndem Blaulicht, das an den Autoscooter erinnerte, mit dem wir jedes Mal begeistert fuhren, wenn Jahrmarkt in der Stadt war.

Von der knochentrockenen Straße wurde Staub aufgewirbelt. Mit zusammengekniffenen Augen sahen wir den Wagen nach.

»Wo die wohl hinfahren?«

»Irgendwo muss es brennen, oder Fatty Conway steckt mal wieder im Geländer vom Amtsgericht fest.«

Als sich der rosafarbene Staub gelegt hatte, öffnete ich meine Augen und schaute nach Osten in Richtung der Feuerwehrwagen. Tatsächlich, da hinten brannte es. Und zwar so richtig. Rauch von der Farbe alten Männerhaars quoll am äußeren Rand des Feldes in den Himmel wie Sprühsahne.

El Greco sah, was ich sah, und ausnahmsweise musste er mir nichts erklären.

»Scheiße! Nichts wie weg hier!«

Wir waren vom Zaun runter, bevor ich meinen Satz zu Ende gesprochen hatte, und liefen, so schnell wir konnten, über das Feld. Wie alle zehnjährigen Jungs fluchten wir ziemlich viel, diesmal allerdings übertraf ich meinen eigenen Rekord, als ich im Laufen »Scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiße! Scheiße!« keuchte. Die hohlen Grasstängel peitschten gegen unsere Beine und ließen die Haut brennen. Wir rannten, bis wir nicht mehr konnten und uns im Schatten einer Akazie auf den Boden fallen ließen. Ich traute mich fast nicht, zurück zum Sportplatz zu schauen, aber die Neugier war stärker, also drehte ich den Kopf. Der Himmel, der zuvor strahlend blau mit einigen Schäfchenwolken gewesen war, war nun grauweiß. Riesige, zuckende Zungen schossen in die Luft. In wenigen Minuten hatte sich ein Sportplatz in ein Kriegsgebiet verwandelt. Mein Herz stockte gleichzeitig mit meinem Atem, als ich ungläubig auf die Szene vor mir starrte. Dann dröhnte es so laut in meiner Brust, dass es sogar El Greco hören musste. Ich hielt die Luft an in der Hoffnung, meinen Puls verlangsamen zu können. Ich hatte einmal einen Film gesehen, in dem jemand Adrenalin oder Curare oder irgendwas in der Art gespritzt bekam, woraufhin sein Herz dermaßen zu rasen begann, dass er einen Infarkt bekam und tot auf einer Flughafenrolltreppe zusammenbrach. Alle hatten sich dadurch in die Irre führen lassen, bis auf mich und den Kriminalbeamten, der den Fall löste. Ich fühlte mich, als hätte ich auch so eine Spritze bekommen.

»Gütiger Gott! Das ist ja ein Wahnsinnsfeuer!« El Greco stieß einen Pfiff aus und klopfte auf den Grasboden, auf dem wir lagen. Wenn eine Krise drohte, klang er oft wie ein alter Mann, der schon alles im Leben gesehen hatte.

»Lass uns verdammt noch mal abhauen«, sagte ich leise.

»Okay, gehen wir, die Bullen sind auch gerade gekommen.«

Selbst El Grecos Gelassenheit konnte nichts gegen die Panikwellen ausrichten, die inzwischen zu regelrechten Brechern angewachsen waren. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, schrak zusammen wie eine Rennmaus, drehte mich um und sah El Greco, der mich angrinste. »Na los«, sagte er voller Zuversicht, »niemand weiß, dass wir das waren, und außerdem war es ein Unfall.«

Seine Gemütsruhe floss durch seine Fingerspitzen und meine Schulter hinab bis in meinen Arm. Ich spürte, wie meine Angst kurz abflaute, aber als er seine Hand wegnahm und in gebückter Haltung loslief, um nicht gesehen zu werden, kehrte sie zurück und floss wieder durch mich hindurch. Diesmal waren wir fällig. Wir hatten so viele verrückte Sachen angestellt und waren nie erwischt worden, aber das hier war etwas anderes – das hier war ein Verbrechen, und die Polizei war hier, nicht zu übersehen in ihrem schwarz-weißen Dodge mit den verbeulten Schutzblechen und den Goldplaketten auf den Türen.

Ich flehte zu Gott, an den ich nicht richtig glaubte, und bat ihn um eine letzte Chance. Ich...


Mark Thompson, 1958 geboren und aufgewachsen in Stockton- on-Tees, studierte Politikwissenschaft an der London Guildhall University, hat viele Jahre in Spanien gelebt, intensiv die USA bereist und spielt Gitarre in einer Rockband. "El Greco und ich" ist sein erster Roman. Mark Thompson lebt mit seiner Familie in York.



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