E-Book, Deutsch, 243 Seiten
Tillenburg Nymphenspross
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7407-6854-6
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 243 Seiten
ISBN: 978-3-7407-6854-6
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Würdest du mir glauben, dass der Tümpel den Übergang in eine andere Welt öffnet?" Was für eine bescheuerte Frage. "Nein." Irgendetwas birgt irgendein großes, geheimes Geheimnis - da kann man doch nur die Augen verdrehen. Das denkt die 17-jährige Elina, als ihre Großmutter von einem magischen Portal spricht, das die Welten verbindet. Als sie plötzlich allein im stockfinsteren Wald einer fremden Welt landet, muss sie ihre Meinung jedoch ändern. Elina stolpert mitten hinein in die politischen Wirren Ligunds und die Arme von Jevan. Gemeinsam begeben sie sich auf eine aussichtslose Rettungsmission, während der Kampf um die Macht in Ligund beginnt. Auf ihrer Reise kommt Elina ihren Wurzeln auf die Spur und muss bald erkennen, dass Zoff mit den Eltern und eine vergeigte Französischarbeit ihre geringsten Sorgen sind.
Wiebke Tillenburg, geboren 1989, wuchs in Aachen auf und studierte dort Germanistik und Geschichte. Heute lebt sie am Rhein, kocht für Kinder und schreibt Geschichten aller Art.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
Der Garten war hergerichtet wie in einer der Schnulzen, bei denen ihr Vater gerne auf dem Sofa einschlief. Viel zu grün und saftig für einen trockenen Hochsommer strahlte der Rasen. Vereinzelte Stehtische mit weißen Tischdecken erhoben sich daraus wie übergroße Champions. Die Gäste gruppierten sich darum und plauderten fröhlich. Über ihren Köpfen verhinderte ein Netz aus scheinbar endlosen Lichterketten den Blick auf den Nachthimmel. Unterlegt wurde das angenehme Summen der Gespräche von leiser Jazzmusik. Warum musste es eigentlich immer Jazz sein? Konnten ihre Eltern nicht mal eine Party geben, bei der Heavy Metal gespielt wurde? Sie kicherte. Wie die Klienten in Lederkutten und mit langen Haaren wohl aussehen würden? Die Leute am Tisch nebenan, allesamt in Anzügen oder eleganten Sommerkleidern gekleidet, sahen irritiert zu ihr herüber. Sie lächelte ihnen freundlich zu. Sollten sie sie doch für merkwürdig halten. Dass sie den Samstagabend auf der Gartenparty ihrer Eltern verbrachte, war schon seltsam genug. Elina seufzte. Ihre Alternativen an diesem Abend waren auch nicht verlockend gewesen. Sie hätte mit Finn und ein paar anderen aus ihrer Klasse rausgehen können. Doch ihr erschien es albern, ziellos durch das Nachbardorf zu wandern, um sich schließlich auf einer der Bänke bei den Pferdekoppeln zu betrinken. Finn hatte sie gesagt, dass sie ihre letzte Erkältung auskurieren wollte. Aber ihr bester Freund kannte sie gut genug, um nicht weiter nachzufragen. In Wahrheit hatte sie einfach keine Lust dazu. Natürlich konnte sie sich auch nach oben in ihr Zimmer verziehen, aber dann wäre der Weg zum Buffet viel weiter. Sie betrachtete den leeren Teller, auf dem nur noch die Krümel an die Kanapees erinnerten, die sie wieder einmal viel zu schnell gegessen hatte. Sie schlenderte hinüber zu dem langen Buffet auf der Terrasse. Es war an der Zeit, sich der Tomatencremesuppe zu widmen, die Rosalie, ihre Haushälterin, Köchin und Seelenwärmerin, den ganzen Nachmittag über zubereitet hatte. Sie langte bereits nach einem frischen Teller, da nahm sie eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr. Das Tischtuch hatte sich bewegt. Die Nachbarskatze? Elina hob das Tuch an und Getränkekisten begrüßten sie stumm. Vielleicht war es doch bloß der Wind, dachte sie. Da entdeckte sie ein kleines Mädchen, das unauffällig um die Gäste herumschlich. Die braunen Locken wippten bei jedem Schritt. Sie trug eine Flasche Limonade, die besonders schwer und groß an dem zierlichen Kind wirkte. Eine Limonadendiebin! Auf frischer Tat ertappt. Elina lächelte. Der Kleinen musste genauso langweilig sein wie ihr. Warum sonst sollte sie etwas stibitzen, das ohnehin frei ausgeschenkt wurde? Sie folgte einer spontanen Eingebung. Wenn sie sich schon langweilte, konnte sie auch dem Mädchen helfen, die öde Erwachsenen-Party zu überstehen. Sie schätzte das Mädchen auf acht oder neun Jahre. Wie ein Raubtier pirschte Elina heran und ging hinter einem der geliebten Bambussträucher ihrer Mutter in Deckung. »Was machst du denn?«, zischte jemand, ein Mann vermutlich, den Elina hinter dem Strauch nicht ausmachen konnte. »Ich habe gesagt, du sollst bei mir bleiben! Wenn ich dich hier verliere, finde ich dich nie wieder.« Er klang eher besorgt als wütend. Elina lugte zwischen den Stäben hindurch. Ein Junge mit dunklem Haar und wuchtiger Nase stand vor dem Mädchen. Er trug, wie die meisten jugendlichen Gäste dunkle Jeans, Hemd und Anzugjacke, auffällig war jedoch, dass die Sachen extrem schlecht saßen. Die Hosenbeine waren ein wenig zu lang, die hängenden Schultern der Jacke deuteten ebenfalls daraufhin, dass das Kleidungsstück für jemand größeren gedacht war. Und auf dem Hemd prangte ein nicht zu übersehender Fleck. Elina kümmerte es nicht, wie andere Menschen sich kleideten, doch der Junge hob sich eindeutig von den anderen Gästen ab. Auch ohne die auffällige Narbe auf seiner linken Wange. Fahrig strich er sich das Haar aus dem Gesicht und machte eine strenge Miene. Er wollte sich wohl als der ältere, souveräne Beschützer aufplustern, doch zerstörte das nervöse Zupfen am Ärmel die Vorstellung. Das Mädchen schien sich nicht von ihm beeindrucken zu lassen. »Wie willst du mich denn hier verlieren? Es ist doch ganz hell, obwohl es schon Nacht ist.« Die Kleine hielt ihm ihre Beute unter die Nase. »Hast du das hier schon probiert?« Elina stutzte. Warum sollte er Limonade probieren? Das Zeug schmeckte doch immer gleich. Sie fühlte sich unwohl. Es war nicht ihre Art, andere Leute zu belauschen. Und wenn schon. Sie wohnte hier! Es war also ihr gutes Recht, durch diesen Garten zu schleichen, wo und wann immer sie wollte. Sie richtete sich auf. »Hast du Elina gefunden?«, fragte der Junge. »Unter den Tischen da vorne war sie nicht«, gab die Kleine zurück. Woher kannte er ihren Namen und was wollte er von ihr? Plötzlich war sie nicht mehr diejenige, die einem kleinen Mädchen einen Streich spielen wollte, sondern diejenige, die von einem fremden Jungen gesucht wurde und am Rande der Party hinter einem Strauch kauerte. Im Dunkeln. Es war eindeutig Zeit für den Rückzug. »Komm, wir gehen weiter nach vorne. Da finden wir sie wohl eher als hier hinten.« Er kam um den Strauch herum, blickte jedoch weiterhin über die Schulter zu dem Mädchen. Er übersah Elina, die sich gerade aufrichtete, geriet ins Straucheln und landete im taufeuchten Gras. Das Mädchen brach in schadenfrohes Kichern aus. Elina machte sich auf wüste Flüche gefasst. Doch der Fremde stimmte in das Lachen der Kleinen ein, sprang auf und klopfte loses Gras von seiner Hose. »Jetzt hast du Elina gefunden.« Sie hoffte, dass es nicht so verkrampft klang, wie sie sich vorkam. »Das war ja leichter als gedacht.« Wenigstens war er nicht viel lockerer. »Warum sucht ihr eigentlich nach mir?« Und warum kennt ihr mich? Er druckste herum. »Meine Tante hat von dir erzählt. Sie hat uns überredet, mit hierher zu kommen.« »Wer ist denn deine Tante und wie heißt ihr beiden überhaupt?« Elina war immer noch skeptisch. Der Junge verlor ganz die Sprache, dafür übernahm die Kleine das Reden. »Ich bin Senja und der da«, sie stupste den Älteren mit dem Ellenbogen an, »heißt Jevan. Weißt du, wo ich einen Becher für dieses Sonnenwasser herbekomme?« Sie hob die Flasche. »Ja, natürlich«, antwortete Elina verwirrt. »Kennst du keine Limonade?« Eine Antwort erhielt Elina nicht oder sie überhörte sie angesichts des Geräuschpegels. Zu dritt gingen sie zurück zur Terrasse. Die angeregten Gespräche und das Gelächter der Partygäste empfing sie. Sie mussten sich zwischen den Grüppchen durchschlängeln. An der eigens für die Feier errichteten Bar ließ sie sich drei Gläser geben und führte die beiden anderen zu einem Stehtisch etwas abseits. Sie teilten Senjas Beute unter sich auf. Das Mädchen nahm den ersten Schluck und es war, als ginge die Sonne in ihrem Gesicht auf. »Was wolltest du eigentlich mit der Flasche?«, fragte Elina. »Du kannst dir jederzeit ein Glas Limonade bringen lassen. Du musst nur die Leute mit den Tabletts in den Händen ansprechen.« Sie zeigte auf die Kellnerinnen und Kellner, die allesamt mit weißen Schürzen und mehr oder weniger beladenen Tabletts ausgestattet waren. »Aber die kann ich ja gar nicht mitnehmen.« Senja stellte ihr Glas auf dem Tisch ab und angelte mit den Fingern nach einer Salzstange. Sie stieß mit der Nasenspitze an die Tischkante. Elina nahm das Glas mit den Knabbereien und reichte es ihr. »Bei uns gibt es so was nicht«, erklärte Jevan. Senja kaute schmatzend. Lebten die beiden hinter dem Mond? Schon klar, dass Kinder das Zeug nicht zu früh bekommen sollten, aber Senja war bestimmt schon acht Jahre alt. »Sie hat ein Glas davon getrunken und wollte sich gleich einen kleinen Vorrat anlegen.« Er lächelte entschuldigend. Ein Grübchen wurde auf seiner Wange sichtbar. Elina schnaubte belustigt. »Das kann ich verstehen. Ich würde mich auch am liebsten mit Rosalies Tomatensuppe in mein Zimmer verziehen.« »Wer …« Er schüttelte den Kopf. »Aber das ist doch auch dein Fest. Solltest du nicht hier bleiben?« »Ach was! Das ist Sache meiner Eltern. Die meisten Gäste kenne ich nicht mal. Aber«, sie senkte sie Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, »fast alle hier kennen mich. Das ist gruselig.« Ratlos sah er sie an. Er hatte den Witz nicht verstanden. Wie auch? Die meisten Gäste waren langjährige Klienten ihrer Eltern und kannten die schrecklichen Fotos von Elina, die ihre Büros zierten. Sie winkte ab. »Vergiss es.« »Darf ich mir was von dem Kuchen da vorne nehmen?«, unterbrach Senja. »Du darfst dir von allem etwas nehmen.« Elina lächelte das Mädchen an, das sofort davonrannte, um das Buffet zu plündern. Sie und Jevan sahen ihr nach. Kaum hatte das Mädchen den langen Tisch voller Köstlichkeiten erreicht, schnappte sie sich ein Stück Zitronenkuchen. »Es gibt auch Teller!«, rief Elina ihr zu, doch Senja streifte glücklich kauend weiter am Buffet entlang. »Ist sie deine...