E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Töpke The Shark is not working
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7410-0720-0
Verlag: Schüren Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die größten Desaster der Filmgeschichte
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-7410-0720-0
Verlag: Schüren Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Renatus Töpke arbeitet seit vielen Jahren auf den unterschiedlichsten Positionen hinter den Kulissen der Filmbranche. U.a. auch als Drehbuchautor. Er hat bereits zwei Filmbücher veröffentlicht, über Rockmusikfilme und über Zombies https://www.toepkefilm.de/
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Vom Winde verweht
«Es war ein völliges Chaos … Ich habe noch nie so viel Hass gesehen …»1
Marcella Rabwin (Assistentin von David O. Selznick)
Gone with the Wind
USA 1939
Regie: Victor Fleming
Mit Clark Gable, Vivien Leigh, Leslie Howard, Olivia de Havilland
Atlanta, 1861. Im amerikanischen Süden lebt die junge Scarlett O’Hara (Vivien Leigh) auf Tara, der Baumwollplantage ihrer Eltern. Nach dem Bürgerkrieg versucht die selbstbewusste, junge Frau, ihre Heimat wieder aufzubauen. Und mit dem undurchsichtigen Abenteurer Rhett Butler (Clark Gable) wird auch Scarletts Innenleben durcheinandergewirbelt.
Mit fast 400 Millionen Dollar Einspielergebnis (2024 = ca. neun Milliarden Dollar) und zwölf Oscars (inkl. zwei Ehrenoscars) gehört Vom Winde verweht zu den ganz großen Filmen der Kinogeschichte. Mit Dutzenden Haupt- und Sprechrollen, Hunderten von Statisten, tausend Pferden, Kilometern an eigens gebauten Straßen und knapp 100 Drehorten sprengten die Dimensionen der Produktion alles, was davor war. Dass es auch einer der kontroversesten Filme ist, wird erst im Rückblick so richtig deutlich. Vom Winde verweht pflegt ein unverhohlenes Bild von Machismo und rassistischen Stereotypen. Dass man Kunst immer auch in den Kontext ihrer Entstehungszeit setzen muss, wird dabei gern übersehen. Der Film ist klassisches Hollywood-Kino par excellence aus der goldenen Zeit der Hollywood-Studios.
Der spätere Erfolgsroman von Margaret Mitchell ist noch nicht erschienen, da wandert das Manuskript schon über die Studiotische Hollywoods. Doch Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) passen, RKO Radio Pictures passen und auch die 20th Century Fox passt. Ex-MGM-Produzent David O. Selznick und seine relativ kleinen Selznick International Pictures sind zumindest neugierig. Aber Selznick zögert. Der Preis von 50.000 Dollar für die Buchrechte ist für das Unternehmen zu viel. Aber auch Jack Warner von Warner Bros. wird hellhörig. Wäre das was für die bei ihm unter Vertrag stehende Bette Davis? Doch die hat kein Interesse. Dafür macht Selznick nach reichlicher Überlegung Nägel mit Köpfen und kauft die Rechte. Er sieht in dem Stoff seine Chance, es den großen Big Playern zu zeigen und seine Firma Selznick International zu etablieren.
Das Casting stellt sich als äußerst schwierig heraus, da das mittlerweile veröffentlichte Buch zu einem Bestseller geworden ist und den Pulitzerpreis gewinnt. Zwei Jahre soll dieser Prozess schließlich andauern. Jeder der Leser hat schließlich nach dem Lesen ein eigenes Bild der Hauptfiguren Rhett Butler und Scarlett O’Hara vor Augen. Besonders letztere Rolle ist schwer zu besetzen. Für die Rolle von Rhett Butler will Selznick von Anfang an Clark Gable, doch dieser steht beim Konkurrenten MGM unter Vertrag und hat gar kein Interesse an der Rolle. Und MGM leiht keine Stars aus. Da hilft auch nicht, dass MGM-Boss Louis B. Mayer Selznicks Schwiegervater ist. Selznick zieht mit Gary Cooper kurzzeitig einen anderen MGM-Star in Erwägung, doch auch diesem wird ein Seitensprung verwehrt. Aber Selznick lässt nicht locker. Gable ist sein Wunschkandidat. Nach zähen Verhandlungen einigen sich MGM und Selznick darauf, dass MGM die Hälfte des kalkulierten Budgets von 1.250.000 Dollar (2024 = ca. 28 Millionen Dollar) bereitstellen. Dafür erhalten sie die Hälfte des Gewinns und dürfen den Film exklusiv in ihrer eigenen Kinokette Loew’s Inc. veröffentlichen. Selznick bekommt im Gegenzug Gable, dessen Wochengage von 7.000 Dollar er aber gesondert zahlen muss. Und Gable? Der wird nicht gefragt, schließlich hat er einen Vertrag. Das bedeutet aber auch, dass der Drehstart auf Ende 1938 verschoben werden muss, da dann erst Selznicks Vertriebsdeal mit United Artists ausläuft.
Die Besetzung der Scarlett O’Hara ist nicht annähernd so einfach und zieht sich in die Länge, weshalb Selznick schon einmal mit dem Dreh beginnt. Gleichzeitig macht er aus der Suche eine nie da gewesene PR-Aktion und fordert sogar die Kinogänger auf, Wunschkandidaten per Post einzureichen. Selznick sieht sich über Monate 1.400 junge Frauen an, die auf die Chance ihres Lebens hoffen. Die Rolle ist die bis dato begehrteste weibliche Hauptrolle in Hollywood. Auch bekannte Namen wie Katharine Hepburn und Joan Crawford machen Probeaufnahmen. Insgesamt verschlingt dieser Castingprozess Zehntausende Dollar, da es Hunderte Probeaufnahmen und Screentests gibt. Viele auf teurem Farbfilm. Doch die Kosten werden mit viel Publicity wettgemacht. Das ganze Land verfolgt mit angehaltenem Atem, wer Scarlett wird. Am Ende bleiben zwei Kandidatinnen: Paulette Goddard und Vivien Leigh. Letztere lernt der Produzent durch Zufall kennen, als sein Bruder mit ihr im Schlepptau bei den Dreharbeiten des Feuersturms von Atlanta vorbeischaut. Es ist ein enges Kopfan-Kopf-Rennen. Tatsächlich bekommt beinahe Goddard die Rolle. Als jedoch bekannt wird, dass sie Charlie Chaplin, dem Teile von United Artists gehören, heiraten will, erhält Leigh den Zuschlag. Selznick will insgeheim ohnehin auch lieber eine Newcomerin in der Rolle der Scarlett.
Das Drehbuch wird von Theaterautor Sidney Howard verfasst, der darauf besteht, bis zur Abgabe in Ruhe gelassen zu werden. Widerwillig stimmt Selznick zu, und im Oktober 1936 beginnt Howard auf seiner Farm in Massachusetts zu schreiben. Er liefert im folgenden März ein telefonbuchdickes Drehbuch ab, das einen Sechsstundenfilm ergeben würde. Selznick überlegt sogar, ob ein Zweiteiler funktionieren würde, aber die Kinobetreiber finden die Idee nicht so prickelnd. So fordert Selznick also Änderungen. Howard kommt den Wünschen nach – und das Drehbuch wird noch länger. Selznick ist fassungslos und kommt zu gern Howards frustrierter Bitte auf Entlassung nach. Mittlerweile stecken 400.000 Dollar aus Selznicks eigener Tasche in dem Projekt. Mit allem, was er zu Vom Winde verweht hat, fliegt er auf die Bermudas, um es in Ruhe noch einmal zu sichten. Dort wird ihm klar, dass er Howard braucht. Doch der denkt gar nicht daran zurückzukehren. Mit Oliver H. P. Garrett kommt ein früherer MGM-Kollege für einige Tage an Bord, um mit dem Produzenten Howards Script zu überarbeiten. Es folgen u. a. John van Druten, Scott Fitzgerald und Jo Swerling, die alle mit Selznick an verschiedenen Szenen arbeiten. Eine Armee Autoren bearbeitet das Script, nur um dann doch wieder von Selznick umgeschrieben zu werden. Um die Doppelbelastung Vorproduktion/Drehbuch durchzustehen, helfen Selznick Scotch und Benzedrine.
Ende Januar 1939 kann der Dreh schließlich beginnen. Selznick hat für die Mammutaufgabe der Regie George Cukor verpflichtet, mit dem er schon öfters gearbeitet hat und der als ‹Frauenregisseur› gilt. Doch begeistert vom Stoff zeigt der sich weniger: «Ich hielt es nicht für die Wiederkunft Christi»,1 sagt er Jahre später. «Es war eine effiziente, leicht minderwertige Sache, aber eine verdammt gute Geschichte mit einigen sehr originellen Dingen darin.»1
Und es läuft alles andere als rund. Immer wieder geraten Gable und sein Regisseur über das Drehbuch und einzelne Szenen aneinander. Auch weigert sich Gable, mit Südstaatendialekt zu reden. Nach zehn Tagen sind 23 Minuten Film gedreht – halb so viel wie geplant. Selznick ist entsetzt, Cukor schiebt es aufs Drehbuch, Selznick hat genug und feuert ihn. Ihrer Freundschaft versetzt diese Erfahrung zwar eine Delle, doch bleibt sie noch viele Jahre bestehen. Andere Stimmen behaupten, dass Gable für die Entlassung Cukors verantwortlich ist, da der Star früher angeblich als Stricher in Hollywoods Schwulenkreisen aktiv war. Cukor, der homosexuell ist, wusste wohl davon. Gable war die Zusammenarbeit also eher unangenehm. Vivien Leigh und Olivia de Havilland sind weniger begeistert und stellen ihren Produzenten zur Rede. Doch dessen Entscheidung ist gefallen.
Mit Victor Fleming soll ein anderer Veteran das Steuer übernehmen, der zudem auch noch ein Kumpel von Gable ist. Fleming dreht jedoch gerade Der Zauberer von OZ für MGM. Selznicks Schwiegervater greift ein und macht ein paar Anrufe. Schon ist Fleming verfügbar. An seiner Stelle übernimmt Freund und Kollege King Vidor dessen restliche Drehtage. Die Koordination von Schauspielern, Crewmitgliedern, Setbauten und Dreharbeiten in verschiedenen Hallen und Drehorten fordert generell Höchstleistung von den Mitarbeitern der Produktion. Dazu kommt ein enormer Zeitdruck, da Selznick sich selbst und seinem Team immer wieder knallharte Fristen setzt.
Nur gefällt Fleming das Drehbuch nicht. Daraufhin rüttelt Selznick MGM-Vertragsautor Ben Hecht buchstäblich aus dem Schlaf. Da die Zeit drängt, spielen Selznick und Fleming Hecht, der den Roman nicht gelesen hat, das Drehbuch Szene für Szene vor: «Nachdem jede Szene gespielt und besprochen worden war, setzte ich mich an die Schreibmaschine und habe geschrieben. Selznick und Fleming, die unbedingt mit ihrem Spiel weitermachen wollten, hetzten mich immer weiter», erinnert sich Hecht. «Auf diese Weise arbeiteten wir sieben Tage lang, 18 bis 20 Stunden pro Tag. Selznick weigerte sich, uns zum Mittagessen zu lassen, mit dem Argument, dass Essen uns nur aufhalten würde. Er sorgte für Bananen und gesalzene Erdnüsse […].»2 Selbstverständlich gibt es auch Amphetamine. Nach gut zwei Wochen hat Selznick eine neue erste Hälfte des Drehbuchs. Da die Zeit...




