E-Book, Deutsch, Band 1, 304 Seiten
Reihe: Monsternanny
Tolonen Monsternanny - Eine ungeheuerliche Überraschung
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-446-25982-9
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 304 Seiten
Reihe: Monsternanny
ISBN: 978-3-446-25982-9
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tuutikki Tolonen, 1975 geboren, ist Autorin zahlreicher Kinderbücher, Theaterstücke und wissenschaftlicher Artikel. Sie arbeitet u. a. als Lektorin und Reporterin für Vinski, Finnlands einzige Literaturzeitschrift für Kinder. 2018 erschienen Monsternanny - Eine ungeheuerliche überraschung und Monsternanny - Ein unterirdisches Abenteuer bei Hanser. Mit Monsternanny - Eine haarsträubende Nachricht folgte 2020 Band 3 der Reihe.
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1. Kapitel
Ein verhängnisvolles Frühstück
Wie so oft fing alles am Morgen an. Mama wischte mit einem kleinen Putzschwamm das Spülbecken. Die Hellemaa-Kinder Hilla, elf, Kaapo, neun, und die kleine Maikki, sechs Jahre und vier Monate alt, saßen um den runden Küchentisch und aßen Rice Krispies mit Milch.
Im Radio liefen die Nachrichten: »Heute beginnen in ganz Finnland die Sommerferien … In den nächsten Tagen erwarten wir warmes Wetter … Der Verkehr am Wochenende verlief alles in allem ruhig …«
Mama hörte auf zu wischen und drehte sich zu den Kindern um. Sie war nervös, und das aus gutem Grund. »Jetzt ist schon der Abreisetag, und die Fahrkarte ist immer noch nicht da«, seufzte sie. »Der Lotteriegewinn war wohl doch nur Betrug. Zwei Wochen Wellness in Lappland – so was passiert natürlich nicht wirklich.« Mama wandte sich wieder der Spüle zu und wischte weiter, während sie leise murmelnd fortfuhr: »Und ich glaub trotzdem dran! Der Koffer ist gepackt, fehlt nur noch die Fahrkarte.«
Die Kinder warfen einander vielsagende Blicke zu.
»Und die Haushaltshilfe«, sagte Hilla.
»Und die Haushaltshilfe«, wiederholte Mama.
»Und die Unsichtbare Stimme ist auch nicht da«, krähte Maikki.
Mama runzelte die Stirn.
»Dafür ist die Unsichtbare Stimme oft zu hören«, sagte Kaapo.
»Und wer oft zu hören ist, den braucht man nicht auch noch zu sehen«, kicherte Hilla.
»Lasst den Quatsch mit der Unsichtbaren Stimme!«, wies Mama die beiden zurecht. »Ihr wisst genau, dass Papa heute Abend nach Hause kommt. Er sitzt schon im Flugzeug.«
»Na klar«, flüsterte Hilla Kaapo zu.
Tatsächlich kam die Unsichtbare Stimme so gut wie nie zur angekündigten Zeit nach Hause.
»Was gibt’s da zu tuscheln?«, fragte Mama.
»Ach nichts«, antwortete Kaapo schnell.
Dann klingelte es an der Tür.
»Na endlich!«, rief Mama erleichtert. Sie schaute um sich. Die Küche war noch nicht wirklich aufgeräumt.
»Ich geh schon«, sagte Hilla und sprang auf.
Mama wischte schnell die Krispies-Krümel vom Tisch und lief hinter Hilla her in den Flur.
Draußen stand der Briefträger. Aber es war nicht der, der sonst immer kam. Der hier war eleganter angezogen und hatte bessere Laune. Er trug eine gelbe Weste, ein graues Käppi und eine graue Krawatte. Sicher war er nicht mit dem Fahrrad vom Postamt bis zu ihnen geradelt.
»Ist Mari Hellemaa zu Hause?«, fragte er höflich. »Ich hätte eine Postsendung für sie. Jemand muss quittieren, dass sie entgegengenommen wurde.«
»Quittieren?«, wiederholte Hilla.
»Unterschreiben«, erklärte der Mann von der Post.
Mama trocknete die Hände an der Schürze ab und schob Hilla beiseite. »Ich bin Mari Hellemaa«, sagte sie. »Ich habe eine Ferienreise gewonnen, das ist bestimmt meine Fahrkarte.«
Der Mann von der Post nickte zustimmend und hielt Mama ein Formular und einen Stift hin. »Hier unterschreiben bitte! Und hier unten noch mal …«
Mama unterschrieb, und der Mann überreichte ihr einen Briefumschlag. »Bitte sehr! Einen wunderschönen Tag noch!«
Mama riss den Umschlag vorsichtig auf. »Na also, da ist sie«, sagte sie erleichtert.
In dem Umschlag steckte ein zusammengefalteter Brief, und dazwischen lag die Fahrkarte.
»Und was steht in dem Brief?«, fragte Hilla.
Mama faltete ihn auseinander und begann, laut vorzulesen:
Verehrte Empfängerin,
noch einmal herzlichen Glückwunsch! Nun werden Sie also die gewonnene Reise antreten. Höchste Zeit, den Akku aufzuladen und sich zu erholen! Höchste Zeit, ausschließlich an das eigene Wohlergehen zu denken und sich von Vogelgezwitscher und kitzelnden Sonnenstrahlen wecken zu lassen! Herzlich willkommen!
Nach zwei Wochen bei uns werden Sie sich wie neugeboren fühlen. Unser Wellness-Camp beginnt morgen um 12 Uhr mittags an einem Ort, der eine kleine Überraschung werden soll. Das Camp dauert genau zwei Wochen, während der Sie kein Geld brauchen, sondern nur warme Kleidung und den richtigen Campgeist, wie wir es nennen. Nach dem Aufenthalt bei uns werden Sie wieder nach Hause reisen, sofern Sie nicht selbst einen anderen Ort bevorzugen. Der Sonderzug zu unserem Wellness-Camp fährt heute Abend um 20 Uhr vom Hauptbahnhof ab. Kommen Sie bitte nicht zu spät! Die Fahrkarte liegt bei.
»Der Sonderzug zu unserem Wellness-Camp«, wiederholte Hilla. »Mama scheint nicht die Einzige zu sein, die so eine Reise gewonnen hat.«
»Aber die anderen mussten ihre Reise bestimmt selbst bezahlen«, sagte Kaapo. »Stimmt’s, Mama?«
Mama antwortete nicht, sondern schaute weiter auf den Brief. Dabei runzelte sie ganz komisch die Stirn.
»Steht da noch was?«, fragte Hilla.
»Du liebe Güte!«, sagte Mama. »Sie schreiben, weil euer Papa eine reisende Tätigkeit ausübt, schicken sie die versprochene Haushaltshilfe für die ganzen zwei Wochen, bis ich wieder da bin!«
»Hast du denen nicht gesagt, dass die Unsichtbare Stimme nach Hause kommt?«, fragte Kaapo.
»Ich dachte doch, es wäre sonnenklar, dass Papa hier ist«, sagte Mama.
»Heißt das, wir kriegen einen Babysitter?«, fragte Maikki begeistert.
Maikki mochte Erwachsene, die sich um Kinder kümmerten: die Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten, die Tanten im Gesundheitszentrum und sogar Krankenschwestern, einfach alle.
»Jedenfalls war davon, dass jemand hier wohnen soll, nie die Rede«, sagte Mama. »Ich dachte, es kommt ein paarmal in der Woche jemand vorbei, der ein bisschen sauber macht und für euch Essen kocht. Und jetzt das!«
»Wetten, die Unsichtbare Stimme kommt doch nicht, wenn sie hört, dass wir schon rund um die Uhr versorgt sind?«, flüsterte Hilla Kaapo zu.
Kaapo zuckte nur mit den Achseln.
»Das hätte ich früher wissen sollen«, fuhr Mama kopfschüttelnd fort. »Eine wildfremde Person! Wo sollen wir die überhaupt hinstecken? Wir haben nicht mal ein Gästezimmer.«
»Dein Bett ist doch frei«, sagte Maikki.
Mama schüttelte immer noch den Kopf und las weiter.
»Ist sonst noch was?«, fragte Kaapo, als er sah, dass Mamas Lippen eine immer schmalere Linie bildeten.
»Lies vor!«, forderte Maikki sie ungeduldig auf.
Sie werden außerdem an einem geheimen Test teilnehmen, mit dessen Hilfe wir herausfinden wollen, wie man den heutigen Menschen von lästiger Hausarbeit entlasten kann. Die Haushaltshilfe, die zu Ihnen kommt, ist deshalb ein dafür, aber auch für die Betreuung von Kindern perfekt ausgebildeter Halbmensch …
»Halbmensch?«, rief Maikki aufgeregt. »Wie bitte? Lies noch mal!«
»Maikki, schrei nicht rum!«, sagte Hilla. »Mama, lies weiter!«
»… ein Halbmensch, altmodisch auch ›Waldtroll‹ oder ganz allgemein ›Monster‹ genannt …«
Hilla kicherte. »Das soll bestimmt ein Witz sein!«, sagte sie.
»Vorsicht, Kamera!«, sagte Kaapo und schaute über die Schulter.
Nur Maikki strahlte Mama an. Konnte das wahr sein? Ein Waldtroll bei ihnen zu Hause? Ein Babysitter, der gleichzeitig ein Monster war?
Mamas Stimme klang angespannt, als sie weiterlas:
Wir möchten betonen, dass dieses Wesen nicht gefährlich ist. Der Test ist jedoch unbedingt vertraulich, und Sie dürfen unter keinen Umständen jemandem davon erzählen. Beim Brechen der Schweigepflicht droht ein empfindliches Bußgeld. Außerdem möchten wir Sie daran erinnern, dass Sie mit der Annahme des Lotteriegewinns zugleich der Schweigepflicht zugestimmt haben …
Mama hob den Blick. Sie sah besorgt aus. »Da war überhaupt keine Rede von irgendwelchen Halbmenschen oder Monstern«, sagte sie wütend. »Ich dachte, es ginge darum, dass ich hinterher nichts über die Wellness-Anwendungen ausplaudere. Das hier ist doch wohl was vollkommen anderes. Meine Kinder sind keine Versuchskaninchen, und ich lasse mir auch keine Bußgelder im eigenen Haus verpassen!«
»Aber ich kann ganz bestimmt schon ein Geheimnis für mich behalten!«, protestierte Maikki. »Ich will, dass der Waldtroll zu uns kommt!«
»Maikki, schrei nicht rum!«, sagte Kaapo.
Und genau da klingelte es wieder an der Tür.
»Himmel noch mal!«, schimpfte Mama.
Hilla ging zur Tür und machte auf. Dann wurde es im Flur vollkommen still.
Draußen stand ein bräunlich graues Zottelwesen. Es war groß und breit und füllte fast die ganze Türöffnung aus. Aber was war es bloß? Es stand fest auf zwei riesigen Füßen und hatte zwei topfdeckelgroße Hände mit nur vier Fingern, die dafür so dick wie Grillwürste waren. In einer der großen Hände hielt das Wesen ein mehrfach zusammengefaltetes, reichlich krumpeliges Blatt Papier. Aber hatte es nun ein dickes zotteliges Fell, oder trug es einen aus Zottelstoff genähten Overall? Das konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen. Im Flur roch es plötzlich wie in einem muffigen alten Keller. Das Wesen rollte mit seinen großen, grünlich gelben kugelrunden Augen und brummte.
Maikki versteckte sich schnell hinter Mama.
Hinter dem Wesen schaute jetzt ein grau gekleideter Bote hervor, aber es war...