Tschechow | Drei Schwestern | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 91 Seiten

Tschechow Drei Schwestern

Drama
3. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7531-2684-5
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Drama

E-Book, Deutsch, 91 Seiten

ISBN: 978-3-7531-2684-5
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die drei Schwestern Olga, Ma?a und Irina und ihr Bruder Andrej leben in einer russischen Provinzstadt. Ihre Lebensträume soll ein Umzug nach Moskau zu erfüllen. Andrej jedoch heiratet eine naive Frau und versumpft. Die drei Schwestern suchen auf ihre Weise nach Glück: Irina im Berufsleben, Ma?a in außerehelicher Liebe und Olga als Lehrerin. Dennoch werden sie nicht glücklich und kommen auch nicht nach Moskau. Anton Tschechow verhandelt in seinem berühmten Drama poetisch und existenzialistisch zugleich die wesentlichen Fragen des Daseins.

Anton Pawlowitsch Tschechow, geboren am 29. Januar 1860 in Taganrog, Russland und gestorben am 15. Juli 1904 in Badenweiler, Deutsches Reich, war ein russischer Schriftsteller, Dramatiker und Novellist und einer der bedeutendsten Vertreter der russischen Literatur. Er war von Beruf Mediziner, praktizierte jedoch nahezu ausschließlich ehrenamtlich. Stattdessen schrieb und publizierte er in den Jahren von 1880 bis 1903 mehr als 600 literarische Schriften. Internationale Berühmtheit erlangte er vor allem durch seine Theaterstücke wie ?Die Möwe? (1895), ?Der Kirschgarten? (1903) oder ?Drei Schwestern? (1901).
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Erster Akt


1. Auftritt

Olga (im blauen Uniformkleid einer Lehrerin am Mädchengymnasium); Mascha (im schwarzen Kleide, den Hut auf den Knien, sitzt und liest in einem Buche); Irina (im weißen Kleide, steht sinnend da.)

Olga. Heut' vor einem Jahr ist der Vater gestorben – gerade an Deinem Namenstag, Irina, am fünften Mai. Es war sehr kalt an dem Tage – es schneite sogar. Ich glaubte nicht, daß ich's überleben würde, – Du lagst ohnmächtig da, wie tot. Und nun ist kaum ein Jahr vergangen – und wir reden davon so gleichgültig, Du hast schon Dein weißes Kleid an, und Dein Gesicht strahlt. (Die Uhr schlägt zwölf.) Auch damals schlug gerade die Uhr. (Pause.) Ich erinnere mich noch – wie sie den Vater hinaustrugen, spielte die Militärkapelle, und auf dem Friedhof wurde geschossen. Merkwürdig übrigens: Er war doch General und Brigadekommandeur, und doch waren nur wenig Leute am Grabe. Allerdings fiel an dem Tage ein starker Regen – Regen und Schnee …

Irina. Wozu die Erinnerung auffrischen!

2. Auftritt

Olga, Mascha, Irina; an der Tafel im Saale erscheinen Baron Tusenbach, Tschebutykin und Soljony.

Olga. Heut' ist's warm, man kann die Fenster weit aufmachen – und doch haben die Birken noch nicht ausgeschlagen. Genau elf Jahre ist's her, daß der Vater die Brigade bekam und wir von Moskau abreisten. Ich hab's noch ganz frisch im Gedächtnis.: Es war Anfang Mai, und in Moskau prangte schon alles in schönster Blüte. So warm war's, alles von Sonnenschein übergossen. Elf Jahre sind seither vergangen – und ich erinnere mich noch an alles so genau, als ob wir erst gestern abgereist wären. Du mein Gott! Wie ich heut' morgen erwachte und die hereinflutende Lichtmasse und den Frühling draußen sah – da ward meine Seele von Freude erfüllt, und ich empfand eine heiße Sehnsucht nach der Heimat.

Tschebutykin. (im Saal). Nein, so'n Teufelskerl!

Tusenbach. Ist natürlich alles Unsinn!

Mascha (nachdenklich über das Buch gebeugt, pfeift leise eine Melodie).

Olga. Pfeif' nicht, Mascha. Wie kann man nur … (Pause.) Dieser Dienst im Gymnasium, dieses Stundengeben bis zum späten Abend verursacht mir ewig Kopfschmerzen. Ich glaube wirklich, ich werde schon alt. Während der vier Jahre, seit ich angestellt bin, ist mir's immer, als ob meine Kraft und meine Jugend Tag für Tag tropfenweise hinschwänden. Und nur ein Gedanke wächst und erstarrt in mir beständig …

Irina. Nach Moskau zurückzukehren. Das Haus verkaufen, alles hier aufgeben – und dann nach Moskau …

Olga. Ja – so bald wie möglich! Nach Moskau! (Tschebutykin und Tusenbach lachen.)

Irina. Unser Bruder wird wahrscheinlich bald Professor werden – denn der darf doch auf keinen Fall hier versauern! Bleibt nur die arme Mascha übrig.

Olga. Mascha kommt jedes Jahr zu uns nach Moskau, für den ganzen Sommer.

Mascha (pfeift leise eine Melodie).

Irina. Mit Gottes Hilfe wird sich schon alles ordnen lassen. (Schaut zum Fenster hinaus.) Ein Prachtwetter ist das heut'. Ich weiß nicht, warum ich so froh gestimmt bin! Heut' morgen fiel mir ein, daß mein Namenstag ist, und mit einem Mal empfand ich eine solche Freude, und ich gedachte meiner Kinderjahre, da Mama noch lebte. Was für wunderbare Gedanken gingen mir durch den Kopf – was für Gedanken!

Olga. Du strahlst heut übers ganze Gesicht, ausnahmsweise hübsch bist du. Auch Mascha ist hübsch, und Andrej wäre ein schöner Mann, wenn er nicht so stark geworden wäre. Das steht ihm gar nicht zu Gesichte. Und ich – ich bin alt geworden, und so abgemagert bin ich, jedenfalls vom Ärger mit den Mädchen im Gymnasium. Heut' bin ich frei und kann zu Hause bleiben – da hab' ich auch gleich keine Kopfschmerzen und fühle mich jünger als gestern. Achtundzwanzig Jahre bin ich nun alt … Alles ist schließlich gut, alles kommt von Gott – ich glaube aber: wenn ich verheiratet wäre und den ganzen Tag in meinem Heim zubringen könnte, – ich würde mich wohler dabei fühlen. (Pause.) Ich würde meinen Mann lieben.

Tusenbach (zu Soljony). Sie reden einen Unsinn zusammen – 's wird einem über, Ihnen zuzuhören. (Tritt in das Gastzimmer ein.) Ich hab' ja ganz vergessen: unser Batterie-Chef Werschinin wird Ihnen heut' seine Visite machen. (Setzt sich ans Klavier.)

Olga. Ah, sehr angenehm.

Irina. Ist er alt?

Tusenbach. Nein, in den besten Jahren. Höchstens vierzig, fünfundvierzig Jahre. (Klimpert leise.) Scheint ein famoser Kerl. Nicht dumm – das ist sicher. Nur spricht er etwas viel.

Irina. Ist er interessant?

Tusenbach. Es macht sich. Etwas stark verehelicht ist er: Frau, Schwiegermutter und zwei Töchter. Übrigens ist er schon zum zweiten Mal verheiratet. Überall, wo er Besuch macht, erzählt er, daß er eine Frau und zwei Töchter hat. Auch hier wird er's erzählen. Die Frau ist halb verrückt, trägt einen langen Zopf, wie ein Mädchen, spricht lauter hochtrabendes Zeug, philosophiert und macht jeden Augenblick einen Selbstmordversuch, jedenfalls, um ihren Mann zu ärgern. Ich wäre längst fortgelaufen von einer solchen Frau, er aber trägt es und beklagt sich nur darüber.

Soljony (tritt mit Tschebutykin aus dem Saal ins Gastzimmer). Mit einer Hand heb' ich nur anderthalb Pud, mit zweien dagegen fünf, ja sogar sechs Pud. Daraus schließe ich, daß zwei Menschen nicht nur doppelt, sondern sogar dreimal so stark sind als einer, oder vielleicht noch stärker…

Tschebutykin. (liest im Gehen die Zeitung »Swjet«). Gegen Ausfallen der Haare … zwei Drittel Lot Naphtalin auf ein halbes Quart Spiritus … aufzulösen und täglich zu gebrauchen … (Macht sich Notizen in ein Taschenbuch; zu Soljony.) Ich sag' Ihnen also: das Fläschchen wird gut zugekorkt, und durch den Korken wird ein Glasröhrchen gesteckt … und dann nehmen Sie ein kleines Quantum ganz gewöhnlichen Alaun …

Irina. Iwan Romanytsch! Lieber Iwan Romanytsch!

Tschebutykin. Was denn, mein Kindchen, mein liebes, gutes Herzchen?

Irina. Sagen Sie mal – warum bin ich heut' so glücklich? Als wenn ich auf dem Meer dahinsegelte: über mir dehnt sich der weite blaue Himmel, und große weiße Vögel schweben durch die Lüfte. Warum ist das nur so? Warum?

Tschebutykin. (küßt ihr zärtlich beide Hände). Mein weißer Vogel!

Irina. Wie ich heut' früh erwachte, aufstand und mich wusch, da war's mir mit einem Mal, als wäre mir alles auf dieser Welt hier klar, als wüßte ich, wie man leben soll. Ich weiß jetzt alles, lieber Iwan Romanytsch. Der Mensch soll sich beschäftigen, soll arbeiten im Schweiße seines Angesichts, wer er auch sei, und darin allein liegt der Sinn und das Ziel seines Lebens, sein Glück, sein Triumph. Wie schön ist es doch, ein Arbeiter zu sein, der mit Tagesanbruch aufsteht und auf der Straße Steine klopft, oder ein Hirt, oder ein Lehrer, der Kinder unterrichtet, oder ein Lokomotivführer. Ja es ist, bei Gott, besser, ein Ochse zu sein oder ein ganz gewöhnliches Lastpferd, das doch seine Arbeit tut, als eine junge Dame, die mittags um zwölf Uhr aufsteht, im Bett ihren Kaffee trinkt, dann sich zwei Stunden lang anzieht … o, wie schrecklich ist das! Ich dürste förmlich nach Arbeit – wie man bei großer Hitze nach einem Schluck Wasser dürstet. Und wenn ich von jetzt ab nicht früh aufstehen und arbeiten werde, – dann dürfen Sie mir Ihre Freundschaft kündigen, Iwan Romanytsch!

Tschebutykin. (zärtlich). Gewiß, gewiß, ich werde sie Ihnen kündigen …

Olga. Der Vater hat uns daran gewöhnt, um sieben Uhr aufzustehen. Jetzt erwacht Irina um sieben Uhr, liegt aber wenigstens bis neun Uhr im Bett und simuliert über irgend etwas. Und so ein ernstes Gesicht macht sie dabei!

Irina. Du hast Dich eben daran gewöhnt, mich als kleines Mädchen zu betrachten, und wunderst Dich, wenn ich ein ernstes Gesicht mache! Ich bin doch zwanzig Jahre alt!

Tusenbach. Sehnsucht nach der Arbeit! O mein Gott, wie kann ich dieses Gefühl begreifen! Ich habe nie im Leben gearbeitet! Ich bin in dem kalten, trägen Petersburg geboren, in einer Familie, die niemals Arbeit oder irgend welche Sorgen gekannt hat. Ich erinnere mich noch, wie ich aus dem Kadetten-Corps nach Hause kam: der Lakai zog mir die Stiefel aus, ich quälte alle Welt mit meinen Launen, und meine Mutter sah mit förmlicher Ehrfurcht zu mir auf und war höchst erstaunt, wenn andere nicht dasselbe taten. Man suchte mich auf jede Weise vor Arbeit zu bewahren. Aber auf die Dauer ist's doch nicht gelungen. – Diese Zeiten sind vorüber, und ein reinigender, kräftiger Sturm bereitet sich vor, der von unserer Gesellschaft die Trägheit, die Gleichgültigkeit, das Vorurteil gegen die Arbeit, die faule Langeweile hinwegblasen wird. Ich für meinen Teil werde arbeiten, und in fünfundzwanzig bis dreißig Jahren wird jeder Mensch...



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