Tschui Jakobs Ross
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-312-00623-6
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Vom Kampf um Selbstbestimmung im Zürich des 19. Jahrhunderts | »Es ist ein intensives Buch, stark und faszinierend.« Markus Wüest, Basler Zeitung
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Nagel & Kimche
ISBN: 978-3-312-00623-6
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die junge Magd Elsie träumt von einer Karriere als Musikerin. Kein leichtes Unterfangen in der Schweiz im 19. Jahrhundert, in dem neben der festen sozialen Ordnung auch Gewalt und Aberglaube herrschen. Der Hausherr fördert das Talent der Magd auf seine Weise; und als Elsie von ihm schwanger wird, erhält der Rossknecht Jakob sie zur Frau. Elsie fügt sich ihrem Schicksal - bis ein Fahrender auftaucht, der sich für ihre Musik begeistert. Ihre heimliche Liebe kostet seiner gesamten Sippe das Leben. Und Elsie kommt beim Kampf um ihre Selbstbestimmung beinahe selber um. Mit ungeheurer Wucht erzählt Tschuis Debüt eine Gotthelfsche Geschichte voller Magie und unbändiger Lebenskraft.
Silvia Tschui wurde 1974 in Zürich geboren. Sie studierte ein paar Semester Germanistik, absolvierte die Fachklasse Visuelle Gestaltung an der ZHdK und erwarb 2000 das Lehrdiplom Oberstufe. 2003 machte sie ihren Bachelor in Grafikdesign und Animation an Central St. Martins College in London und arbeitete vier Jahre als Animationsfilm-Regisseurin bei RSA Films in London. 2004 wurde ihre Arbeit für den British Animation Award nominiert. Zurück in der Schweiz arbeitete sie als Grafikerin, Journalistin und Redaktorin und schloss 2011 ihr Studium am Institut für literarisches Schreiben mit dem Bachelor ab. Zurzeit arbeitet sie als Redaktorin in Zürich bei Ringier.
Ihr erster Roman »Jakobs Ross« wurde mit dem Anerkennungspreis des Kantons Zürich ausgezeichnet und von Peter Kastenmüller fürs Theater Neumarkt adaptiert. Eine Verfilmung des Stoffs ist bei der Produktionsfirma Turnus Films in Arbeit und kommt im Januar 2024 in die Kinos. Ihr zweiter Roman »Der Wod« wurde von der Stadt Zürich 2017 mit einem halben Werkjahr gefördert. 2019 war sie damit für den Ingeborg Bachmann Preis nominiert
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Das Elsie kriegt eine Flättere
Ja, wenn das Elsie das Lied vom Blüemlitaler Bauern, wo vor Heimweh in der Fremde verräblet, nur wieder einmal in einem Salong singen und fidlen könnte, anstatt in diesem Finsterseer Chuestall nur das Rösli und das Klärli mit je einer Hampflen Heu in der Schnörre als Publikum zu haben! All den feinen Herren würd ob der traurigen Geschichte das Augenwasser nur so heraussprützen. Und am Schluss täten alle klatschen, und das Elsie wüsste, sie wär jetzt eine gemachte Frau.
So wie das eben hätte sein sollen, denkt sie beim Melken, mit zwei feuerroten, vom Jakob links und rechts frisch geflättereten Backen. Wenn sie den Jakob trotz allem nicht gehüratet hätte, sondern halt auf eigene Faust nach Floränz gezogen wäre. Zu Fuess und villicht sogar mit der Kutsche und später villicht bis ans Meer.
Das hat das Elsie einmal auf einer gemalten Postkarte gesehen, die hat ihr ein Herrschaftsfrölein mit Bernsteinaugen und einem Herz wie aus Butter gezeigt. Da kann der Zürisee also einpacken. Und wenn der Fabrikdiräkter nicht so eine hinterfotzige Sau gewesen wäre, wär sie mitsamt dem Herrschaftsfrölein mit dem Butterherz und den Bernsteinaugen den ganzen Weg in der Kutsche nach Floränz gefahren.
Öppen acht Jahre vorher, da steht nämlich das Elsie im grössten von allen Herrenhäusern in Wädiswil in der Küche. Singen tuet sie auch, aber dermal eben als Chind. Und die roten Backen kommen von einer Gluet beim Chämi. Dort schmelzt das Elsie Wachs in einem grossen Topf. Das riecht derart nach Bienen und Honig, dem Elsie ist zuerst der Goifer im Maul zusammengeloffen, und jetzt ist es ihr schlecht ob dem ebigen Wachsgeruch, und der Arm gheit ihr fast ab vom Rüehren, und zum den Takt Halten singt sie: Vom Flügen und vom Tau. In den Wachs kommt nachher Asche, zwei Liter auf fünf, und am Schluss Regenwasser, acht Liter auf fünf, und das Elsie singt von Feuer und Wolken.
Dann kommt der Topf an einen Haken, ohne Gluet darunter, und das Rüehren wird noch strenger, weil das Elsie während dem Kallen die Wachsseife zusammenhalten muess, und sie kann nur hoffen, dass in dem Moment an keinem von den Glockensträngen, wo aus verschiedenen Zimmern in der Küche zusammenlaufen, das Glöggli schellt, weil dann das Elsie unterbrechen müesst und das Frölein Furrer suechen oder sonst ein Meitli, je nach dem.
Wenn alles fest ist, fängt der Chrampf erst an: Dann schabt das Elsie die Wachsseife in Tiegel, holt Lumpen, bindet Filzli um die Knie und fängt an zu bohneren. Wenn sie amigs fertig ist mit all den Zimmern, kann sie grad zuoberst wieder anfangen.
Das Elsie bohneret gern, das Holz von den Parkettböden glänzt goldig, als ob es da noch öppis Weiches gäbe hinter der schimmernden Oberfläche. Und wenn das Elsie poliert, werden die glatten Bretter unter dem Streichlen vom Elsie tatsächlich warm und fangen an, Geschichten zu verzellen, die wachsen durch den Lumpen duren bis in ihren Bauch und steigen in ihr Herz, und sind sie erst an Lunge und Zunge vorbei, sind die Geschichten wie von selbst zu Wörtern und Melodien geworden.
Im Studierzimmer vom Diräkter mit dem Eichenboden singt sie vom Sterben und davon, wie so ein Eichenast nach Saft schreit, wenn ein Strick um ihn geschlungen wird, und Glieder nach Luft, wenn so ein Hals am säbigen Strick hänkt. Öppendie handlen die Lieder aber auch nur vom Wachsen, vom Regen oder davon, was die Elstere Glänziges im Baum versteckt und warum in einem anderen Wald drum ein Mann an einer Eiche verräblet.
Dem Elsie ist in dem Herrschaftshaus wohl, ausser wegen dem Sticken und Flicken, wo die Mägde am Abig noch müessen. Das hasst das Elsie, ihr geraten immer die Hohlsäume durenand, und dann gibt es Chopfnüss, genauso wie wegen der Singerei. Öppendie schletzt nämlich das Frölein Furrer die Tür auf und zischt, sie heig dem Elsie schon hundertmal gesagt, sie solle mit der Singerei aufhören, die Herrschaft well sicher ihre Rueh.
Dann muess das Elsie die Handrücken ausstrecken und warten, bis ihr das Frölein Furrer mit einem tünnen Holz rechts und links eins über die Knöchel haut. Und amigs gibt es eben auch eine Chopfnuss, das ist, wenn das Elsie in einem Gang bohneret und vor sich hin singt und es für das Frölein Furrer keine Tür zum Schletzen gibt. Chopfnüss findet das Elsie fast besser als Tatzen, weil dann die Hände nicht weh tuen beim weiterbohneren.
Und Chopfnüss, findet das Elsie, wie sie dann öppen acht Jahre später beim Melken sitzt, sind vill besser gewesen, als wenn der Jakob amigs mit seinen Fäusten daherkommt.
Das Elsie ersingt sich eine Freundin
Wie das Frölein Furrer an einem Morgen dem Elsie wieder wegen der Singerei wüest sagt, geht oben an der Stege eine Tür auf. Das Herrschaftstöchterlein steht auf der Balustrade. Verhüehneret, nur im Nachtgwand mit einem seidigen Überwurf darüber. Bleich ist sie. Ihre Augen glänzen mit tunklen Ringen darunter, und die hellbraunen Haare sind ganz vertschuderet. Zwei Jahr älter ist sie ungefähr, weiss das Elsie, und von einer anderen Welt.
Das Frölein Furrer verschrickt und versuecht gleichzeitig: knicksen, das Elsie, wo auf dem Boden knienlet, an den Haaren reissen und sich derbei auch noch für die Singerei entschuldigen. Die heig sicher das kranke Frölein aus seinem Schlaf gerissen. Und sie bringe sofort Ochsenbrüeh hinauf. Für ihre Gripp’.
Aber das Meitli winkt ab mit einer schlappen Hand und sagt, sie sei nur herausgekommen, weil sie wissen well, wie das Lied weitergehe. So schön singe auch im Chor vom Pangsionat keine, und so lang wie die Magd da gesungen heig, habe sie vergessen, dass sie ja Fieber heig und Müeh mit dem Schnaufen. Die Magd solle die Bohnerbürste liggen lassen und in ihre Chammer kommen, und das Frölein Furrer solle tifig zwei Chacheln mit Brüeh heraufbringen, und Mark und Gmües grad derzue.
Und dann steht das Elsie in der Chammer vom Frölein, deren Boden hat sie schon tusigmal poliert, aber die Chammer ist jetzt, wo das Frölein daheim und nicht im Pangsionat ist, vill farbiger. Gwänder liggen umen und Büecher mit farbigen Einbänden. Der Spiegeltisch ist offen, daran gehänkt schimmeret eine Perlenkette, und Bürsten mit silbrigem Rücken liggen neben verchrugleten Spitzentüechli. Neben dem Bett ein Tischli, darauf blinkt ein silbriges Tablett, das hat das Elsie mehr als einmal mit Essig poliert und derbei von Eseln mit staubigen Lungen gesungen.
Das Frölein schlurpet wieder ins Bett, und einen Wimperenschlag lang stehen beide nebeneinander vor dem Spiegel, ein bernsteinfarbener Blick aus schwarzumringleten Augen trifft im Spiegel einen blitzblauen über rötschigen Backen, und keine Sekunde denkt das Elsie, blaublitzig und rötschig sei schöner als bernstein und bleich. Sie gseht auch nicht ein anderes Kind, wo vom Elsie seinerseits ganz verzauberet ist. Das Elsie ist stattdessen ganz stumm, wegen den Gwändern, wegen Kette, Silber und Spitze und nicht zuletzt wegen dem feinen Gesicht vom Frölein. Wo zu ihr!, zu ihr redt, als wär sie auch fast ein Frölein, nämlich: Es soll ihre Bohnerschürz abziehen und die Gwänder auf dem Polstersessel auf den Boden legen, das Frölein Furrer räume dann schon auf. Sie soll absitzen. Wie sie heisse und woher sie derart singen könne?
«Elsie», meint das Elsie und wird rot und bleibt stehen und brösmelet, sie wisse nicht woher, die Lieder, die kämen einfach, je nach dem, was sie grad am Machen seig, sie könne die nicht extra erfinden. Und wie das Frölein da recht enttäuscht luegt, meint das Elsie schnell, sie wisse sonst auch noch ein paar Chilenlieder.
Das Frölein lacht und meint, sie heisse Amalie-Sophie, aber das Elsie könne ihr einfach Frölein Sophie sagen, und ja, dann soll ihr das Elsie halt in Gottsnamen so ein Pfaffenlied singen.
Das Elsie hat kaum Luft geholt und angefangen, da schiesst das Frölein ganz unkränklig schon wieder aus dem Bett auf, packt das Elsie am Ärmel und meint, es müess! umbedingt! sofort mit ins Musigzimmer kommen! Schleikt das Elsie hinter sich her, schletzt die Tür hinter sich zue und im Musigzimmer den Teckel vom Flügel auf und sich selber auf den Klavierschemel.
Und dann muess das Elsie weitersingen, alle Lieder, wo sie kennt, und das Frölein haut derzue mal forsch in die Tasten oder streichlet sie ganz zart, je nach dem, was das Elsie grad wie singt, und das Elsie hat wiederum das Gefühl, aus ihren Rippli lösten sich lauter Schneeflocken, wo in den Morgensonnenstrahlen verglitzern. Und dem Elsie wird es derbei derart warm, dass sie sicher ist, sie heig ihrer Lebtag bis itzt gefroren und ständig nur draussen stehen müessen.
Hinter der Musigzimmertür steht schon eine ebige Länge das Frölein Furrer und lost wie von Tonner und Toria getroffen zue. Erst wie es im Zimmer drinnen einen Moment lang ganz still wird und dann ein zweistimmiges Gegigele losgeht, macht sie die Tür auf, und da meint das Frölein Amalie-Sophie, sie seig itzt schon sehr müed und...




