Ulrich | Die Morde von Morcone | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Ulrich Die Morde von Morcone

Toskana-Krimi

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1522-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Robert Lichtenwald, Anwalt aus München, flieht vor einer Lebenskrise in sein Rustico in der Maremma im stillen Süden der Toskana. Hier, in den Hügeln um den Ort Morcone, möchte er zur Ruhe kommen und sein Leben überdenken. Doch bald nach seiner Ankunft entdeckt er an einer Schwefelquelle die Leiche eines Afrikaners. Auf der Brust des Toten ist ein Schriftzeichen eingeritzt. Als kurz darauf zwei weitere Menschen qualvoll sterben, wird Lichtenwald gegen seinen Willen in die Ermittlungen hineingezogen. Gemeinsam mit der eigensinnigen Lokalreporterin Giada Bianchi versucht er, den Mörder zu entlarven, die Verbrechen zu stoppen - und so auch sein eigenes Leben zu retten.
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EINS
Wahrscheinlich war es der Knoblauch. Er hatte zu viel davon aufgeschnitten gestern Abend und ihn zu kurz angebraten. Früher hätte ihm das nichts ausgemacht. Doch seit einiger Zeit schlief er schlecht nach Knoblauch. »Du wirst eben alt«, dachte Robert Lichtenwald, während er sich aus den Laken strampelte. »Und du hast zu viel getrunken.« Der Morellino vertrug sich aber auch zu gut mit den Spaghetti aglio e olio. Das rächte sich. Lichtenwald war mehrmals aufgestanden in der Nacht, hatte die Fensterläden aufgeklappt und hinausgeschaut auf die mondbleichen Hügel der Maremma mit ihren Ölbäumen, Weinreben und Steineichenwäldchen. Aus der Ferne klang ab und an das Rauschen eines Autos, das die Via Aurelia hinauf nach Livorno oder hinunter nach Rom fuhr. Sonst wurde die Stille nur durch den Klageruf eines Käuzchens gebrochen. Wohlig schaurig erschien ihm dann das Land, wie ein Traum, den man noch nicht zu deuten weiß. Jetzt lagen die Hügel aufgeräumt in der Morgensonne, lockten zum Loslaufen, zum Entdecken. Lichtenwald hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte. Er würde es ruhig angehen lassen heute. Er brauchte Zeit, um alles zu verarbeiten und seinen Lebensplan umzuschreiben. Viel Zeit. »Dottore! Wo stecken Sie?« – Ein dröhnender Bass riss ihn aus seinen Tagträumen. Es war der Conte, der Conte di Montecivetta, dem das Gut gehörte, auf dem Lichtenwalds Rustico, sein altes Bauernhaus, stand. Lichtenwald hörte Schritte auf dem Kiesweg. Dann knallte der Türklopfer dreimal gegen das Kastanienholz. »Kann ich reinkommen?«, rief der Conte und trat ein. Lichtenwald konnte sich gerade noch einen Morgenmantel überwerfen, schon stand ein Mann in Wanderstiefeln und Khakihosen in der Küche. Der Conte blickte amüsiert auf Lichtenwald, der unrasiert und schattenäugig am Gasherd hantierte. »Gerade erst aufgestanden, Dottore? Sie sind doch Deutscher. Da können Sie doch nicht an einem Montagmorgen bis elf Uhr im Bett bleiben. Sie sind mir ein Vorbild für uns Italiener!« »Ich bin vor allem im Urlaub, Graf«, brummelte Lichtenwald verdrossen. »Und in der Selbstfindung.« »Das sind Sie seit gut einer Woche. Allmählich müssten Sie sich doch gefunden haben.« Lichtenwald zuckte mit den Achseln. »Ich habe keine Eile damit.« Er füllte Pulver aus einer Dose mit einem Indianerkopf in den Espressokocher und setzte ihn auf den Herd. »Möchten Sie einen Espresso, einen caffè?« Der Conte nahm die Dose, schnüffelte hinein, riss die Augen auf und blickte auf den Indianerkopf. »Passalacqua! Alle Achtung. Das ist ein guter. Sie scheinen etwas von italienischer Kultur zu verstehen.« »Schön, dass ich Sie noch überraschen kann, Conte. Aber welchem Grund verdanke ich die Störung zu so früher Stunde?« »Wie ich bereits bemerkte: Es ist elf Uhr, Dottore. Ich selbst pflege ja um fünf Uhr aufzustehen. Jetzt wollte ich Sie zu einer Wanderung animieren, damit Sie Ihre neue Heimat würdigen lernen.« Lichtenwald nahm den fauchenden Kocher von der Gasflamme und goss den Espresso in zwei Tässchen. »Zucker?« »Niemals.« »Dio mio. Aufstehen um fünf Uhr, wandern, Espresso ohne Zucker – wer von uns beiden ist hier der Deutsche?« »Ich bin Conte, das verpflichtet. Außerdem haben wir die Deutschen immer geschätzt in der Familie, nur dass sie dann zu Nazis wurden und italienische Dörfer niedermachten, das haben wir nie verstanden.« »Ich auch nicht.« »Also, was ist jetzt? Kommen Sie mit?« »Heute nicht. Ich muss nachdenken, Tagebuch schreiben …« »Das fehlte gerade noch, dass Sie an so einem Frühlingstag in diesem Gemäuer versauern! Da werden Sie doch trübsinnig.« Der Conte legte zur Untermauerung seiner Worte seine rechte Hand schwer auf den Tisch. Ein Manschettenknopf funkelte im schräg durchs Fenster fallenden Sonnenlicht. »Sie tragen Manschettenknöpfe zum Wandern?«, fragte Lichtenwald ehrlich erstaunt. »Ich trage immer Manschettenknöpfe. Irgendwie muss ich mich ja von der Masse abheben.« Er lachte, als er den skeptischen Blick Lichtenwalds bemerkte. »Das war nur ein Spaß«, sagte er trocken. »So snobistisch bin ich auch wieder nicht. Die Manschettenknöpfe sind Familienerbstücke. Auf ihnen ist unser Wappen eingraviert. Sehen Sie?« Er schob den Ärmel seines Sportsakkos zurück, damit Lichtenwald das Schmuckstück besser betrachten konnte. Es zeigte eine Eule mit ausgebreiteten Schwingen auf einem stilisierten Hügel. »Montecivetta, Sie verstehen? Was heißt das auf Deutsch?« »Eulenberg«, sagte Lichtenwald. »Klingt gar nicht so hart wie eure Sprache sonst. Eher romantisch, und geheimnisvoll.« »Passt das zu Ihnen, Conte? Romantisch? Und mysteriös?« Der Conte schmunzelte. »Wir werden sehen. Aber jetzt kommen Sie doch mit. Es wird Ihnen guttun.« Bald darauf gingen die beiden aus dem Haus. Der Conte fuhr seinen Geländewagen mit traumwandlerischer Sicherheit durch endlose Kurven hinab Richtung Meer. Er schwieg. Lichtenwald war es recht so. Er blickte auf die explodierende Frühlingslandschaft. Die Maremma, die schon in wenigen Wochen von der Sonne goldbraun gebrannt sein würde, war jetzt ein Mosaik aus Grüntönen. Weizenfelder, Obstbäume, Ginstersträucher und Feigenbüsche, gelbe und rosafarbene Blüten überall und quietschrote Geranien an den weißgetünchten Bauernhäusern mit den typischen Außentreppen. Maremma. Seine Maremma. Lichtenwald kurbelte das Fenster hinunter und sog die frühlingstrunkene Luft tief in sich ein. Seine Nase kribbelte. Er hätte sein Allergiespray mitnehmen sollen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, die Fahrt in vollen Zügen zu genießen. Er war in diese Landschaft vernarrt, seit er vor fünfundzwanzig Jahren mit Stefanie erstmals hier durchgefahren war. Auch damals war es Frühling. Gleich am ersten Abend auf der Terrasse einer Pizzeria oben in Montiano mit Blick bis zum Meer versprachen sie sich, hier einmal ein Haus zu kaufen. Genauso war es nun gekommen, und doch ganz anders, als sich Lichtenwald das erhofft hatte. Der Conte parkte an einem Feldweg bei einer Auffahrt zur Via Aurelia, der alten Römerstraße, die sich, heute vom Fernverkehr gemartert, am Meer entlangzieht. Zwei gebrauchte Kondome lagen am Boden. »Nachts ist die halbe Aurelia ein Straßenstrich«, sagte der Conte. »Wegen der vielen Fernfahrer. Aber auch einige Leute aus der Gegend kommen hierher. Leute, von denen Sie es nie ahnen würden. Es ist widerwärtig!« Lichtenwald blickte auf die Kondome und dann auf den Conte. »Wieso ist hier mitten in der Landschaft ein Strich? Dafür gibt es doch Bordelle, in den Städten.« Der Conte seufzte. »Italien ist anders. Extremer. Im Guten wie im Schlechten. Ja, auch wir hatten mal ganz offiziell Bordelle. Doch dann kam in den fünfziger Jahren eine Kämpferin gegen die Ausbeutung der Frauen, die Senatorin Lina Merlin, und setzte ein Verbot durch. Daraufhin wurden Aberhunderte case chiuse im ganzen Land geschlossen. Die Folgen können Sie sich vorstellen.« »Die Prostitution verlagerte sich auf die Straße.« »Genau. Heute warten in Italien Zehntausende lùcciole – Glühwürmchen, wie wir sie wegen ihrer kleinen nächtlichen Lagerfeuer nennen – an den Ausfallstraßen der Städte, aber auch an Verbindungsstraßen mitten auf dem Land. Achten Sie mal drauf, wenn Sie wieder die Via Aurelia entlangfahren. Das gilt nicht nur nachts, sondern rund um die Uhr. Viele der Frauen sind illegal im Land lebende Afrikanerinnen oder Albanerinnen. Sie sind den Zuhältern und allen Gefahren der Straßen schutzlos ausgeliefert.« »Und die Behörden lassen das zu?« »Pah! Die Behörden!« Der Conte schaute Lichtenwald mitleidig an. »Sie werden noch viel lernen müssen. Preisfrage: Was machen wir Italiener, wenn etwas auf dem Gehsteig liegt und stinkt? Wir halten uns die Nase zu und laufen darum herum.« »Ausgerechnet im Land der großen Verführer ist also Prostitution weiterhin ein Massenphänomen?«, fragte Lichtenwald. »Klar, das hatte ich vergessen, weil es uns so selbstverständlich vorkommt. Millionen von Italienern gehen mehr oder weniger regelmäßig zu Prostituierten. Es ist ein Milliardenmarkt, auf dem es, nun ja, Spezialangebote für jeden Geschmack gibt: Transvestiten, Transsexuelle …« »Übertreiben Sie jetzt nicht etwas?« »Im Gegenteil. Ich untertreibe. Italien ist ein verlorenes Land …« »Mag sein. Ich mag es trotzdem. Aber sagen Sie, Conte: Haben Sie mich hierhergeführt, um mich von meiner Italienliebe zu heilen?« Der Conte lächelte müde. »Keineswegs. Das habe ich bei Toskana-Deutschen längst aufgegeben. Ich will Ihnen etwas Schönes zeigen. Ein Juwel aus Stein, wenn auch ein zerbrochenes. Und vielleicht finden wir unterwegs noch ein paar interessante Käfer.« »Käfer?« Lichtenwald blickte den Conte fragend an. »Ich sammle alles, was uns diese gesegnete Erde näherbringen kann.« »Sie wollen tatsächlich Ihr Projekt von einem Maremma-Museum verwirklichen?« »Sehe ich so aus, als ob ich nur Sprüche fabriziere? Natürlich werde ich das Museum errichten. Ein leeres Bauernhaus auf Gut Montecivetta wird sich schon finden.« »Und so wollen Sie Touristen anziehen?« Der Conte blieb stehen und schaute Lichtenwald an, als sei dieser nicht bei Trost. »Als ob hier nicht schon genug Deutsche, Schweizer und Engländer herumliefen, die viel Geld ausgeben, um so...


Ulrich, Stefan
Stefan Ulrich wurde 1963 in Starnberg geboren. Im August 2005 zog er mit seiner Frau Annette und den Kindern Franziska (acht Jahre) und Julius (sechs Jahre) von München nach Rom um. Von dort berichtet er als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung über Rom, Italien und den Vatikan.

Stefan Ulrich, geboren 1963, verbrachte als Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" je vier Jahre in Rom und Paris. Heute lebt er mit Frau, Tochter und Sohn wieder an der Isar. Er arbeitet im Ressort Außenpolitik der "Süddeutchen Zeitung" - und schreibt weiterhin am liebsten über Italien. Seine Bücher „Quattro Stagioni“ (2008), „Arrivederci Roma“ (2010) und „Bonjour la France“ (2013) erschienen im Ullstein-Verlag, Berlin, und wurden allesamt zu Spiegel-Bestsellern. „Quattro Stagioni“ wurde außerdem fürs Fernsehen (ARD/Arte; Thomas Heinze und Esther Schweins in den Hauptrollen) verfilmt.

Stefan Ulrich, geboren 1963, verbrachte als Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" je vier Jahre in Rom und Paris. Heute lebt er mit Frau, Tochter und Sohn wieder an der Isar. Er arbeitet im Ressort Außenpolitik der "Süddeutchen Zeitung" - und schreibt weiterhin am liebsten über Italien. Seine Bücher "Quattro Stagioni" (2008), "Arrivederci Roma" (2010) und "Bonjour la France" (2013) erschienen im Ullstein-Verlag, Berlin, und wurden allesamt zu Spiegel-Bestsellern. "Quattro Stagioni" wurde außerdem fürs Fernsehen (ARD/Arte; Thomas Heinze und Esther Schweins in den Hauptrollen) verfilmt.


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