E-Book, Deutsch, 156 Seiten
UWK / Linke / Mayer Peter Kampits
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-903470-01-9
Verlag: Edition Donau-Universität Krems
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zum 80. Geburtstag des Philosophen
E-Book, Deutsch, 156 Seiten
ISBN: 978-3-903470-01-9
Verlag: Edition Donau-Universität Krems
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Philosoph Peter Kampits wurde am 28. Juni 1942 in Wien geboren. Er studierte Philosophie, Psychologie und Geschichte an der Universität Wien sowie an der Sorbonne in Paris. Ab 1968 war er Universitätsassistent am Philosophischen Institut der Universität Wien, habilitierte 1974 und wurde 1977 zum Professor für Philosophie ernannt. Kampits war Vorstand des Institutes für Philosophie und Dekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft. Von 2012 bis 2016 leitete er das Zentrum für Ethik in der Medizin an der Donau-Universität Krems. Seit vielen Jahren ist Peter Kampits auch als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates für die WALDVIERTEL AKADEMIE tätig und so maßgeblich für die Programmgestaltung mitverantwortlich. Diese Publikation vereint Texte zu Themen, mit denen sich Kampits bei den Internationalen Sommergesprächen der WALDVIERTEL AKADEMIE und an der Donau-Universität Krems ständig beschäftigte: Der Einzelne und die Gemeinschaft, Medizin und Ethik, Weiterbildung und Universität, Metaphysik und Postmoderne, Jugend und Zukunft, Religion und Glaube, das Böse und das Gute, Freiheit und Freitod, Alter und Würde, Mitteleuropa und seine Regionen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Violetta L. Waibel
Für Peter Kampits
Meine Begegnung mit Peter Kampits ist vermittelt durch Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Ich las deren Schriften bereits im Gymnasium – die Lektüre der jungen Intellektuellen in den 60er, 70er und 80er-Jahren des Europas, das kritisch auf eingefrorene, fragwürdige, politische Strukturen der Gesellschaft blickte und Erneuerung des Denkens in den manchmal provokativen Schriften dieser beiden Autoren suchte. Albert Camus gehört zu jenen Gestalten der europäischen Kulturgeschichte, die den klassischen akademischen Fächern nicht eindeutig zuzuordnen sind, er ist Literat und Philosoph. Das gilt auch für Jean-Paul Sartre, den radikalen Denker der Freiheit, der engagierten Literatur. Camus wie Sartre waren in den 60er, 70er und auch noch den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts Kultautoren. Man las und diskutierte sie nicht nur in Frankreich, sondern auch im damaligen Deutschland und in Österreich. Es galt, die Werke und Stücke von Camus, darunter „Le mythe de Sisyphe“ 1942 („Der Mythos des Sisyphos“ 1950), „L’étranger“ 1942 („Der Fremde“ 1948), „La peste“ 1947 („Die Pest“ 1948), „L’homme révolté“ 1951 („Der Mensch in der Revolte“ 1953), von Sartre, etwa „Huit clos“ 1944 („Geschlossene Gesellschaft“), „Les mains sales“ 1948 („Die schmutzigen Hände“), „Les mouches“ 1943 („Die Fliegen“), „Le mur“ 1939 („Die Mauer“ 1973), „La nausée“ 1939 („Der Ekel“ 1973) oder auch „L’être et le néant“ 1943 („Das Sein und das Nichts“ 1993) zu studieren, zu diskutieren, das Denken daran zu schulen.
Indes ich noch in der Gymnasialzeit in den Schriften dieser und anderer Autorinnen und Autoren nach intellektueller Orientierung suchte, hatte sich Peter Kampits im fernen Wien Albert Camus, Jean-Paul Sartre sowie Gabriel Marcel, alle drei Schriftsteller und Philosophen des Existenzialismus und einer sowohl politisch als auch philosophisch engagierten Literatur, für seine Qualifikationsarbeiten der Promotion und der Habilitation gewählt.
Mit dem Doktortitel in der Tasche ging Peter Kampits in den späten 60er-Jahren nach Paris, um deren philosophische Literatur und literarische Philosophie vor Ort zu studieren. Der eine, Camus, ist zu der Zeit schon tot, zerschellt an einer Platane auf dem Weg von seinem Landhaus im südfranzösischen Lourmarin in seine Wohnung in der Rue Madame in Paris. Dem anderen, Sartre, konnte Kampits in Paris noch persönlich begegnen. Mehr als ein Jahrzehnt seines Lebens lag noch vor Sartre, das er ab 1973 in Blindheit erdulden musste, die das Schreiben, aber nicht öffentliche Auftritte unmöglich machte. Camus erhielt wenige Jahre vor seinem frühen Tod 1957 den Nobelpreis für Literatur. Sartre wurde er sieben Jahre später, 1964, zuerkannt, den er jedoch ablehnte; er wollte unabhängig bleiben, unbeeinflusst von Erwartungshaltungen an den Nobelpreisträger Sartre. Ein Entschluss, den er später vergeblich rückgängig zu machen suchte.
Zurück von den Studien in Paris und erneut an die Universität Wien, konnte 1968 Kampits’ Buch „Der Mythos vom Menschen. Zum Atheismus und Humanismus von Albert Camus“ gedruckt werden. Sieben Jahre später, 1975, erschienen die beiden Bücher „Sartre und die Frage nach dem Anderen. Eine sozialontologische Untersuchung“ sowie „Gabriel Marcels Philosophie der zweiten Person“.
Um die beiden einstigen Kultautoren, die sich zeitweilig auch persönlich nahe waren, bis sie aufgrund der Häme Sartres über Camus’ philosophische Position in „L’homme révolté“ sich zutiefst zerstritten und entzweit hatten, ist es inzwischen, in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts, ruhiger geworden, vergessen sind sie indessen nicht.
Die Schnittstellen gemeinsamer gedanklicher Orientierungen führten bald zu einem sehr persönlichen Gespräch, als Peter Kampits und ich uns zu Beginn des Jahres 2004 zum ersten Mal persönlich begegneten und kurze Zeit zuvor voneinander Notiz nahmen. Er war Institutsvorstand der Philosophie und sollte bald auch erster Dekan der neu strukturierten Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft werden, ich freute mich auf meinen Eintritt in das Institut für Philosophie in Wien, um dort Transzendentalphilosophie zu unterrichten, zu der ich freilich auch Sartre zählte.
Das gemeinsame Gespräch erfuhr einen ersten Höhepunkt, als wir im Frühjahr 2011 zusammen einen Workshop zum Thema „Ich und der Andere – Fichte und Sartre über die Freiheit“ veranstalteten, dessen Beiträge 2015 im Band „Fichte und Sartre über Freiheit. Das Ich und der Andere“ erschienen sind. Die Konzeptionen dieser beiden ebenso unterschiedlichen wie im Geiste verwandten Denker der Freiheit hat unsere Gespräche stark beflügelt. Kampits las Sartre in der Tradition der in Wien so stark präsenten Phänomenologie, ich verstand Sartre in der Perspektive Descartes’, Kants, Fichtes und Hegels, die maßgeblich Sartres Denken beeinflussten. Freiheit, die heute so oft bestritten wird, ist, so sind und waren wir uns einig, die Grundlage verantwortlichen Handelns des Menschen in der Welt, auch wenn der existenzialistische Denker Sartre die Möglichkeit der Freiheit hart an ihren Grenzen zur Kausalität der Natur auslotet, wie Kampits mehrfach gezeigt hatte, gerade auch weil ihn medizinethische Fragen sehr stark beschäftigten und er in diesen Debatten in Österreich stimmführend war und ist.
Wenige Jahre später war es Peter Kampits, der ein Kolloquium aus Anlass des 100. Geburtstages von Albert Camus im November 2013 veranstaltete und unsere Gespräche sich wieder zusammenfanden. Das war auch die Zeit, als Camus’ „Caligula“ 2012 in der Regie von Jan Lauwers auf dem Programm des Burgtheaters stand, mit Cornelius Obonya in der Hauptrolle auf der Casino-Bühne. Camus bekam damit am Schwarzenbergplatz einen bemerkenswerten Auftritt in Wien, der mit großer Wucht und überwältigender Theatralität zeigte, wie zeitgemäß und heutig Camus’ absurdes Theater noch immer sein kann. Camus hatte das Stück 1938 geschrieben, um in ihm selbst die Hauptrolle in einem kleinen Theater in seiner Heimatstadt Algier zu realisieren. Dazu sollte es nicht kommen. Erst 1945 wurde es in Paris uraufgeführt, nicht mit Camus in der Hauptrolle.
Das Stück handelt von dem römischen Kaiser Caligula, der nach dem Verlust seiner Schwester und Geliebten Drusilla in einen Machtrausch verfällt. Er ist kein brutaler Despot, sondern ein raffinierter, intellektueller Verbrecher, der seine Nächsten und Untertanen immer mehr seiner Macht oder genauer seinem Machtmissbrauch, unterwirft, um seine absolute Freiheit zu verwirklichen und wie in einem Experiment prüft, was sie alles erdulden, bis er schließlich von ihnen erdolcht wird. Ein Tod, gegen den er sich am Ende nicht wehrt. Camus nennt den Tod Caligulas einen Selbstmord auf höherer Ebene. In der Deutung von Peter Kampits: „Caligula findet sich in einer ‚ewigen Einsamkeit’ und Verschlossenheit für den Anderen. […] In dieser Einsamkeit seiner Selbstvergötterung erfährt Caligula, dass die Absolutsetzung der Freiheit und die bloße Umkehrung der Werte nicht ausreichen, um das Unmögliche möglich zu machen und um diese Einheit zu erreichen.“ Und weiter: „Am Scheitern Caligulas, der der Maßlosigkeit seines Anspruches nicht absagen kann, deutet sich auch eine Grenze an, die für Caligula in erster Linie als Grenze seiner Freiheit bestimmt ist. Caligulas Auflehnung verwirklicht und vollendet sich in einer absoluten und unbegrenzten Freiheit, die als Verfügbarkeit über den Anderen den Menschen zu einem Objekt reduziert, und damit am Menschlichen des Menschen vorbeigeht.“
Wenn auch nicht zu diesem Stück, so fanden wir uns doch manches Mal, zufällig oder geplant, zusammen, um die immer seltener gespielten Werke von Sartre oder Camus im Theater, meist in kleinen Off-Theatern, zu besuchen und zu besprechen, wenn sie denn doch auf dem Plan waren.
Die Zeit der Hochblüte, in der der Existenzialismus in aller Munde und in hohem Kurs stand, zu dem Camus aber dezidiert nicht gezählt werden wollte, und die Zeit, in der das Absurde Theater in Off-Bühnen der freien Theaterlandschaft zelebriert wurde, ist vorbei. Die Sorgen um die Zukunft, das politische Engagement, die die Kriegs- und Nachkriegsgeneration eines Camus, der mit seiner verbotenen Zeitschrift „Combat“ im Widerstand gegen Deutschland aktiv war, oder Sartre, der zeitweilig Kriegsgefangener in Deutschland war, zu ihrer engagierten Literatur leitete, sind heute andere geworden. Und doch sind sie so fern nicht von diesen beiden Denkern. In der Corona-Pandemie wurde Camus’ „Die Pest“ erneut zum Bestseller.
Die Frage der Anerkennung des Anderen, die Peter Kampits wieder und wieder thematisiert hat, mit Sartre, mit vielen anderen...