E-Book, Deutsch, 216 Seiten, E-Book
Väth Radikal arbeiten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-68951-061-9
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gebrauchsanweisung für ein befreites Arbeitsleben. Ein revolutionäres New-Work-Konzept für einen konstruktiven, wertschätzenden und fairen Arbeitsalltag in einer modernen Arbeitswelt
E-Book, Deutsch, 216 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-68951-061-9
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Markus Väth ist Arbeitspsychologe und Initiator des Radikalen Arbeitens. Er gilt als einer der führenden Köpfe für Neues Arbeiten und begleitet seit über fünfzehn Jahren Organisationen zu Führung und Zusammenarbeit. Außerdem ist er Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Nürnberg. Seine Ideen und Erfahrungen dokumentiert er in mittlerweile sechs Büchern und 70+ Artikeln und Interviews, unter anderem für ARD, RTL und diverse Printmedien. Er ist Kolumnist bei CAPITAL und Host des Podcasts 'Der Radikale Salon'.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Management: Führung & Motivation
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Personalwesen, Human Resource Management
- Wirtschaftswissenschaften Wirtschaftswissenschaften Wirtschaft: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologische Disziplinen Wirtschafts-, Arbeits- und Organisationspsychologie
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Organisationstheorie, Organisationssoziologie, Organisationspsychologie
Weitere Infos & Material
Der missverständliche Begriff: Was »radikal« wirklich bedeutet
»Wer es könnte: Die Welt hochwerfen – dass der Wind hindurchfährt.«
Hilde Domin, Dichterin
Wann hast du das letzte Mal etwas Radikales gedacht, gesagt, getan? Wann hattest du das Gefühl des persönlichen Sprungs, des Aufatmens, vielleicht der Befreiung aus Situationen, Beziehungen, Verhältnissen? Diesen persönlichen Moment, den der Schriftsteller Hermann Hesse mit dem Satz unsterblich gemacht hat: »Einem jeden Anfang wohnt ein Zauber inne«?1
Radikal denken, fühlen, handeln setzt das Bisherige in eine neue Perspektive. Man tritt in den Raum des Übergangs, wagt etwas und schlägt eine neue Richtung ein. Oft sind es Handlungen, die wir ersehnen, deren Konsequenzen wir aber oft nicht überblicken können: der berufliche Neuanfang in einer anderen Stadt, die Trennung nach einer langen Beziehung, das Übernehmen von Führungsverantwortung, die Entscheidung für oder gegen eine wichtige Operation, Mutter oder Vater werden. In allen diesen Situationen wagen wir etwas. Radikale Lösungen verändern nicht nur die Welt, sondern auch uns selbst.
Radikale Ereignisse haben spürbare Konsequenzen für alle Beteiligten. Der Begriff »radikal« kommt vom lateinischen radix (»Wurzel«); im Duden steht an erster Stelle der Begriffsklärung nicht, wie man meinen könnte, »mit Rücksichtslosigkeit und Härte vorgehend«, sondern »von Grund aus erfolgend, ganz und gar; vollständig, gründlich«. Radikal denken, fühlen und handeln bedeutet vor allem, dem Wesen einer Sache näherkommen. Persönliche Meilensteine in der Arbeit oder im Leben allgemein können dann radikal sein, wenn sie uns etwas über uns selbst erzählen: über unsere Wünsche und Ziele, über unsere wahren Werte und darüber, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen.
Selbstverständlich gibt es auch eine dunkle Seite der Radikalität. Manchmal lesen wir von Personen oder Gruppen, die sich religiös oder politisch »radikalisiert haben«. Auf offener gesellschaftlicher Bühne oder im stillen Kämmerlein werden Pläne für eine radikale Abkehr von bisherigen Verhältnissen geschmiedet. Eine Abkehr, ja Abscheu für bisherige Verhältnisse paart sich mit einer Zukunft, die man nicht nur für sich, sondern für einen möglichst großen Personenkreis herstellen will: die eigene Familie, den Staat, eine religiöse Gesellschaft oder gleich die ganze Welt.
Destruktive vs. konstruktive Radikalität
Man könnte deshalb zwischen »destruktiver Radikalität« und »konstruktiver Radikalität« unterscheiden. Radikalität kann destruktiv werden, wenn sie sich nicht mehr an offenen, rationalen Diskursen orientiert, sondern alternative Meinungen ausschließt oder wenn sie gewaltsam durchgesetzt wird. Radikale Ideen und Bewegungen, die ins Destruktive kippen, erkennt man unter anderem daran, dass man sich gegenüber Andersdenkenden abschließt oder sie sogar aktiv bekämpft. Destruktive Radikalität ist dogmatisch – sie hinterfragt sich selbst nicht mehr, sondern wird zur unhintergehbaren, absoluten Wahrheit. So werden auch keine Kompromisse mehr möglich und Veränderungen verwirklichen sich nur durch Zwang oder Gewalt. Demokratische Prozesse, die vielleicht am Anfang einer radikalen Idee standen, werden mehr und mehr zurückgedrängt oder ausgehebelt.
Im Gegensatz zur destruktiven Radikalität kann konstruktive Radikalität als notwendiger Motor gesellschaftlichen Fortschritts gelten. Für diese Form der Radikalität braucht man Haltung und schützende Mechanismen der Selbstreflexion. Sobald eine radikale Bewegung aufhört, über sich selbst nachzudenken oder sich infrage zu stellen, ist der Weg zu Zwang und Unterdrückung nicht mehr fern. Genauso wichtig ist die mögliche Veränderung der Idee durch Argumente, Diskussion und den offenen Austausch mit anderen Perspektiven.
Destruktive Radikalität geht immer zulasten der Umgebung – bis hin zur psychischen oder physischen Vernichtung. Amokläufer, welche die eigene Familie oder eine Schulklasse auslöschen; Selbstmordattentäter, die sich auf einem Basar in die Luft sprengen, oder politische Parteien, die mit fremdenfeindlichen Ressentiments oder mit der Angst der Menschen auf Stimmenfang gehen. Das sind Beispiele einer destruktiven Radikalität, die letztlich Schaden auf allen Seiten anrichtet. Der ursprüngliche Impuls des Radikalen, die Veränderung der persönlichen oder gesellschaftlichen Verhältnisse, der Aufbruch, die Befreiung wird sofort im Keim erstickt durch Zerstörung und Leid.
Konstruktive Radikalität hingegen geht in Resonanz mit ihrer Umwelt. Alle historisch radikalen Bewegungen mit langfristigem Erfolg waren konstruktiv radikal: die indische Bewegung des gewaltlosen Widerstands unter Mahatma Gandhi gegen die britische Kolonialherrschaft; die amerikanische Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King, aber auch die friedliche ostdeutsche Revolution von 1989. Alle diese Bewegungen eint das Humanistische, das Konstruktive. Sobald Gewalt, Zerstörung und Unterdrückung ins Spiel kommen, bricht die Resonanz mit der Umwelt zusammen und man muss die Radikalität durch Zwangsmaßnahmen und totalitäre Methoden aufrechterhalten und rechtfertigen. So wandelt sich konstruktive Radikalität in destruktive.
Radikalität zeigt sich in vielen Ausdrucksformen, sei es in politischen oder sozialen Bewegungen, in der Form privater Initiativen – und in Organisationen. Auch dort muss Radikalität positiv besetzt werden, um Anschlussfähigkeit zu erzeugen. Gewerkschaften streiken für höhere Löhne und damit für »soziale Gerechtigkeit«, Unternehmensleitungen appellieren an »Werte« oder propagieren »Nachhaltigkeit« bzw. andere ethische Konstrukte, um radikale Schritte zu rechtfertigen. Es geht dann beispielsweise bei Standortschließungen »um das Überleben des Unternehmens«. Dass solche Aussagen in der Regel keinen positiven Widerhall, sondern eher unmittelbares Misstrauen erzeugen, zeigt, wie störanfällig die Resonanz zwischen Organisationsleitung und Belegschaft sein kann. Oft werden radikale Lösungen im Organisationskontext – von denen wir später einige kennenlernen werden – als destruktive Radikalität wahrgenommen. Anders als bei sozialen oder politischen Bewegungen entsteht in den seltensten Fällen eine Atmosphäre der Solidarität und der Übereinstimmung. Radikalität wird dann nicht miteinander, sondern gegeneinander gelebt. In Organisationen kämpft man dann nicht nur gegen die äußeren widrigen Umstände oder um Marktanteile, sondern auch gegeneinander: um Vorteile innerhalb der radikalen Dynamik und um die Deutungshoheit der Geschehnisse.
Solche destruktiven Varianten der Radikalität sollen allerdings nicht Thema dieses Buches sein. Radikales Arbeiten ist, wie wir sehen werden, weit davon entfernt, destruktiv zu sein, Menschen oder Dinge zu zerstören bzw. Leid zu verursachen. Im Gegenteil ist Radikales Arbeiten ein Entwicklungsprogramm für Menschen, eine »Gebrauchsanweisung für ein befreites Arbeitsleben«. Es stellt die positive Resonanz wieder her – zwischen dem Menschen und seiner Arbeit, zwischen den arbeitenden Menschen untereinander und auch zwischen der Organisation und der Gesellschaft. Es ist in den später dargestellten Prinzipien kein »Mind-Set«, sondern ein »Action-Set«, ein flexibles Programm zur Verbesserung der eigenen Arbeit: einfach, verständlich, wirksam. Radikales Arbeiten ist humanistisch in dem Sinne, dass es die Grundlage bildet für menschliche Arbeit an sich. Wo immer Menschen allein oder in Gruppen arbeiten, können sie von Radikalem Arbeiten profitieren.
Woran erkennt man nun radikale Ideen? Erinnern wir uns an die obige Herleitung und die Definition des Begriffs »radikal«: »von Grund aus erfolgend, ganz und gar; vollständig, gründlich«. Was bedeutet das im politischen, kulturellen oder organisationalen Kontext? Was kennzeichnet die »Gründlichkeit« positiver Radikalität? Betrachtet man historische Bewegungen wie die amerikanische Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King in den 1960ern, den Kampf der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc unter Lech Walesa in den 1980ern, ökonomische Initiativen wie das von Muhammad Yunus in den 1990ern forcierte Mikrokreditwesen in Bangladesch oder die Gemeinwohlökonomie des Österreichers Christian Felber in den 2010ern, fallen vier Merkmale in der Entwicklung dieser radikalen Ideen auf: der Paradigmenwechsel, die Risikobereitschaft, der visionäre Impuls...