Valetov | Zone | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

Valetov Zone

Zu jung, um zu sterben
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-99604-4
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Zu jung, um zu sterben

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

ISBN: 978-3-492-99604-4
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Aus einem Militärlabor ist ein Virus entkommen. Jeder Infizierte über 18 Jahren beginnt innerhalb weniger Wochen zu altern und stirbt - die Welt der Erwachsenen ist ausgelöscht. Die unerfahrenen Kinder und Jugendlichen kämpfen einen aussichtslosen Kampf ums kurze Überleben. Zusammengerottet in Banden, versuchen sie, ihren jeweiligen Ruinensektor der untergegangenen Welt zu schützen. Seit Tim von seinem Stamm verstoßen wurde, ist er auf der Flucht. Er schließt sich der gnadenlosen Einzelkämpferin Belka an. Von verfeindeten Banden gejagt begeben sie sich auf eine gefährliche Reise durch das verstrahlte Land - denn Tim hat Bruchstücke von Wissen zusammengetragen und ist einem Antivirus auf der Spur ...

Jan Valetov wurde 1963 im ukrainischen Dnepropetrowsk (heute Dnipro) geboren. Er absolvierte ein Studium als Raketenbauingenieur. Nach langen Jahren als Ingenieur und später als privater Geschäftsmann begann er Mitte der 2000er-Jahre zu schreiben. Seither hat er sieben Bücher veröffentlicht, teils als mehrbändige Serien, wovon einige Bestsellerstatus erreicht haben und mit Preisen ausgezeichnet wurden. Einer seiner Romane wurde für das russische Fernsehen adaptiert. Valetov lebt im ukrainischen Dnipro.
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Kapitel 2


Der Einbruch


Schon nach fünf Minuten hatte Nerd die Orientierung verloren. Natürlich waren sie in der kurzen Zeit noch nicht weit gekommen, doch Belka hatte den Pfad verlassen, sodass er die Gegend kaum wiedererkannte.

Einmal liefen sie durch einen alten Eisenbahntunnel hindurch, eine gewaltige Betonröhre, in der sie noch nicht mal den Kopf einziehen mussten. Am Boden hatte sich Wasser gesammelt, das überraschend gut roch, nicht faulig und abgestanden, sondern wie das eines richtigen Flusses. Nur wusste Nerd genau, dass es in der Nähe keinen Fluss gab.

Der nächste Bach, in dem die kleineren Kinder lernten, die flinken Barben zu fangen, befand sich eine Meile von Park entfernt, hinter der großen Achterbahn und einem breiten Sandstreifen.

Dann gab es noch die Banca, aber die stank. Fast als wäre sie kein Fluss, sondern ein Sumpf. Im Frühjahr stieg ihr Wasser enorm an, im Juli legte es sich eine giftgrüne Schaumkrone zu, und erst im November, wenn es sich morgens mit einer feinen Eiskruste überzog, wurde es wieder klar.

Ansonsten fand man nur noch an einem anderen Ort Wasser, und das waren die Sümpfe. Doch wer einen Funken Verstand besaß, mied sie. Schon allein wegen des ekelhaften Gestanks.

Außerdem galten sie als Ort der Toten. Warum, wusste niemand. Wenn es da wirklich Leichen gab – welche Gefahr sollte dann von ihnen ausgehen? Warum sollte man sie fürchten? Sie konnten ja niemandem mehr etwas anhaben.

Nerd hätte das alles gern als Horrorgeschichten abgetan, die man den kleinen Kindern erzählte, damit sie sich von den Sümpfen fernhielten, aber oft genug hatte er abends von dort ein Heulen gehört, das ihm das Blut in den Adern hatte gefrieren lassen. Das waren mit Sicherheit keine Eulen gewesen, die da geschrien hatten.

Außerdem …

Außerdem huschten nachts seltsame Lichter zwischen den kahlen Stämmen umher, die immer wieder grün aufloderten. Nerd hielt diese grellen Punkte natürlich nicht für die Augen von Untoten, hatte aber trotzdem Angst davor.

Belka ging voraus und sah sich kaum nach ihm um. Er musste sich gewaltig anstrengen, um nicht zurückzubleiben.

Letztlich war Nerd für den Wald überhaupt nicht geschaffen. Davon, dass er sich lautlos bewegte, konnte daher keine Rede sein, und nach einer Viertelstunde schnaufte er wie ein Topf über dem Lagerfeuer.

»Ist es noch weit?«, keuchte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Belka warf ihm nur einen kurzen Blick zu und schüttelte den Kopf.

Das Eichhörnchen war inzwischen aus der Kapuze geschlüpft und sprang durch die Bäume. Ob es den Weg ausspähen wollte? Um Belka zu beschützen?

Obwohl es wirklich nicht mehr weit war, tanzten vor Nerds Augen bereits schwarze Punkte, als Belka durch ein von Efeu überwuchertes Metallgitter schlüpfte.

Schwärze und Kälte empfingen die beiden.

»Warte!«, befahl Belka leise.

Nerd gehorchte widerspruchslos. Ein weiteres Mal wischte er sich den Schweiß von der Stirn.

Belka hantierte im Dunkel herum. Nerd vermutete, dass sie einen Riegel zurückschob.

»Lebst du hier?«, fragte er.

Belka schüttelte bloß den Kopf.

»Geh rein!«, befahl sie dann.

Nerd quetschte sich an ihr vorbei.

»Geradeaus!«

Er achtete penibel darauf, wohin er seine Füße setzte.

»Jetzt nach links«, sagte Belka kurz darauf.

Er bog ab.

»Da wären wir.«

Wahrscheinlich nutzte sie den Ort als eine Art Vorratslager, denn Nerd machte eine verbeulte Blechkanne und einige Kisten aus.

»Setz dich!«

Das brauchte Belka ihm nicht zweimal zu sagen.

»Danke«, stieß Nerd aus, sobald er auf den Fußboden geplumpst war.

»Willst du was trinken?«

»Ja.«

Belka zog einen Becher hinter den Kisten hervor und goss Wasser aus der Kanne ein. Es war so kalt, dass ein stechender Schmerz Nerds Zähne durchfuhr. Trotzdem trank er gierig die Hälfte des Bechers leer.

»Hier!«

Belka reichte ihm einen Brotfladen aus Samen und grobem Mehl, der hart wie eine Schuhsohle war. Der Teig enthielt nicht die kleinste Prise Salz – aber wählerisch durfte er in seiner Situation nicht sein. Nerd biss ein Stück von dem Fladen ab, kaute es mühevoll hinunter und trank einen großen Schluck Wasser hinterher.

Belka hatte sich auf die Kiste gegenüber gesetzt und die MP neben sich gelegt. Aufmerksam sah sie ihren Gast an.

»Sie nehmen dich nicht mehr auf«, stellte sie fest.

»Ich weiß …«

»Und im Wald überlebst du nicht.«

Nerd versuchte, sich ein Lächeln abzuringen, brachte jedoch nur ein schiefes Grinsen zustande.

»Auch das ist keine Neuigkeit für mich«, murmelte er dann.

»Was haben sie gegen dich?«

»Du hast es doch selbst erlebt«, antwortete Nerd. »Ich treffe einen Hirsch nicht mal dann, wenn er vor mir steht.«

»Ist das alles?«

»Für den Stamm bin ich ein nutzloser Esser …«

»Das überzeugt mich schon eher«, hielt Belka ernst fest. »Eigentlich komisch, dass du überhaupt so lange durchgehalten hast.«

»Leicht war es nicht.«

»Hat sich vorhin niemand für dich eingesetzt?«

»Ich habe keine Freunde.«

»Von deinen Büchern abgesehen.«

»Mhm.«

»Aber der einzige Nutzen, den du von Büchern hast, ist der, dass du sie verfeuern kannst, wenn es kalt ist«, fuhr Belka fort.

Nerd sah sie an. Ihr Gesicht konnte er nicht gut erkennen, doch er war sich sicher, dass kein Lächeln ihre Worte milderte.

»Willst du den Gnadenlosen wirklich austricksen?«, fragte Nerd sie dann.

»Ja.«

»In dem Fall brauchen wir die Bücher.«

»Alle?«

»Nein. Nur zwei. Aber ohne sie sind wir aufgeschmissen.«

»Hast du sie dabei?«

»Nein«, gab Nerd mit einem Seufzer zu. »Die sind noch in der Bibliothek.«

»Scheiße.«

»Mhm«, murmelte Nerd erneut. »Ziemliche Scheiße sogar. Aber ohne den Atlas und das Tagebuch brauchen wir gar nicht erst anzufangen.«

»Was ist ein Atlas?«

»Ein Buch mit Karten.«

»Hä?«

»Es ist ein Buch, mit dessen Hilfe du deinen Weg bestimmst. Darin sind Flüsse eingezeichnet, Straßen, Städte und …«

»Für unsere Zeit? Oder für die Zeit, bevor der Gnadenlose zum ersten Mal aufgetaucht ist?«

»Selbstverständlich für die Zeit davor.«

»Und das soll uns was bringen?«

»Die Flüsse sind ja noch immer die gleichen«, erwiderte Nerd. »Die Straßen auch. Sogar die Städte sind noch an der alten Stelle.«

»Wahrscheinlich hast du recht, und es hilft uns«, gab Belka zu. »Und was ist ein Tagebuch?«

»Das …« Nerd dachte kurz nach. »Ein Tagebuch ist ein Buch, in dem jemand über sich selbst schreibt. Was er erlebt oder gesehen hat, mit wem er gesprochen hat oder wohin er gegangen ist.«

»Jeden Tag?«

»Nein, nicht unbedingt jeden. Nur wenn etwas Außergewöhnliches geschieht. Zum Beispiel …« Nerd holte tief Luft. »Heute habe ich einen Hirsch verfehlt und wurde deshalb von den Bossen aus dem Stamm gejagt. Ich dachte schon, dass ich elendig verrecken muss, aber eine alte Freundin von mir hat mich vor einer grauenvollen Nacht allein bewahrt und mir von ihrem Essen abgegeben.«

»Und wen bitte sollte das interessieren?«

»Früher haben die Menschen gern Bücher gelesen.«

»Die Welt, in der Menschen gern Bücher gelesen haben, gibt es aber nicht mehr.«

»Das stimmt nicht. Noch lesen ja wenigstens einige von uns. Aber wir haben aufgehört, Bücher zu schreiben. Die Welt von früher ist deshalb zwar kaputt, aber noch nicht ganz untergegangen. Das wird erst der Fall sein, wenn …«

»Sag mal, hast du vielleicht versucht, Leg vom Lesen zu überzeugen?«, fiel Belka ihm ins Wort. »Dann wäre mir klar, warum er dich nicht ausstehen kann … Wieso brauchen wir dieses Tagebuch?«

»Es führt uns an den Ort, an dem der Gnadenlose entstanden ist.«

»Verarsch mich nicht«, blaffte Belka ihn an. »Der Gnadenlose ist kein Mensch, der irgendwo geboren worden ist und womöglich irgendwann stirbt. Der Gnadenlose frisst unser Leben, aber er selbst ist kein Lebewesen.«

»Trotzdem ist er in gewisser Weise geboren worden. Natürlich nicht wie ein Mensch«, erklärte Nerd geduldig. »Aber dieses Tagebuch … Mir ist ja klar, dass das schwer zu verstehen ist … Wenn ich bloß wüsste, wie ich dir das alles erklären soll …«

»Sag einfach, was du weißt!«

»Also … Dieses Tagebuch gehörte dem Mädchen, dessen Vater den Gnadenlosen kreiert hat und der dadurch den Untergang der Welt verursacht hat.«

Er sah Belka an.

Inzwischen hatten sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt, sodass er sogar das Eichhörnchen ausmachte, das ihn mit funkelnden schwarzen Augen aus der Kapuze des Hoodys beobachtete. Was Belka dachte, verriet ihm ihre Miene jedoch nicht.

»Steht in diesem Tagebuch auch, wie man den Gnadenlosen austricksen kann?«

»Der Gnadenlose – das ist eine Krankheit. Und es gibt eine Medizin. Das Tagebuch verrät uns, wie wir sie finden. Deshalb müssen wir zurück nach Park und diese beiden Bücher aus der Bibliothek holen.«

»Dann machen wir das gleich heute Nacht«, entschied Belka.

»Du glaubst mir also?«

»Ja. Schlaf bis dahin noch eine Runde.«

»Dann glaubst du mir wirklich?« Nerd strahlte sie glücklich mit einem idiotischen Lächeln an, wobei seine Augen zusammengekniffen waren wie bei einem der Chinababys, die manchmal in Park zur Welt kamen. Wenn diese Kinder mit dem flachen Gesicht nach zwei Jahren nicht sprachen, verlangte das Gesetz, dass sie getötet wurden. Die aktuellen Bosse warteten aber gar nicht erst so lange. Sobald der Schamane ein Kind als Chinababy einstufte, verschwand es...



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