Vance / Iwoleit / Haitel | NOVA Science-Fiction 30 | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 252 Seiten

Vance / Iwoleit / Haitel NOVA Science-Fiction 30


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95765-862-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 252 Seiten

ISBN: 978-3-95765-862-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die NOVA-30-Jubiläumsgeschichten: Karsten Kruschel: Dreckdrohnen und die Mathematik Mozarts Horst Pukallus: Das lange Jahr der kurzen Tage Norbert Stöbe: RITA flies at 5 p.m. Markus Müller: Regenmädchen Tom Turtschi: Neuromarketing Wolf Welling: 'Zwei gehen rein ...' Thomas A. Sieber: Die gute Fee von Proxima B Michael Schmidt: Faith Healer Uwe Post: Der automatische Depp Mit dem SF-Klassiker von Jack Vance: Die Töpfer von Firsk Der Sekundärteil präsentiert Thomas A. Sieber über Jack Vance Robert C. Lacovara & Koen Vyverman über die Vance Integral Edition (VIE) Jörg Weigand erinnert an Thomas R. P. Mielke (1940-2020) Mike Glyer gedenkt Ben Bova (1932-2020) Und mit Jubiläumsbeiträgen von Michael K. Iwoleit, Ronald M. Hahn, Helmuth W. Mommers, Olaf G. Hilscher, Frank Hebben, René Moreau, Olaf Kemmler, Heinz Wipperfürth, Horst Pukallus, Horst Illmer, Jürgen Doppler aka Josefson, Dietmar Dath, Franz Rottensteiner und Dirk Alt Mit einem Titelbild von Helmut Wenske und Illustrationen von Michael Wittmann, Christian Günther, Victoria Sack, Nummer 85, Gerd Frey und Chris Schlicht.

Herausgeber Michael K. Iwoleit wurde 1962 in Düsseldorf geboren und lebt heute in Wuppertal. Er ist seit 1989 als freier Autor, Übersetzer, Kritiker und Herausgeber vor allem im Bereich Science-Fiction und fantastische Literatur aktiv. Er ist Mitbegründer und Mitherausgeber der Magazine Nova und InterNova und wurde als Autor vor allem für seine Novellen bekannt, für die er zweimal mit dem Kurd-Laßwitz-Preis und fünfmal mit dem Deutschen Science Fiction Preis ausgezeichnet wurde. Sein jüngster Roman Der Moloch erschien Anfang 2019 bei Fabylon. Die Autoren und Illustratoren werden in den Vitae in der Publikation ausführlich beschrieben.
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Karsten Kruschel: Dreckdrohnen und die Mathematik Mozarts


»Das sieht ja furchtbar aus«, sagte Frau Dorfmüller und zog rasch den Kopf weg, als der nächste Klumpen einer undefinierbaren Substanz an die Wand klatschte. Er rutschte langsam nach unten weg und sah dabei aus, als müsse er intensiv stinken.

Tat er aber nicht. Es handelte sich um schlichten Lehm.

»Glück gehabt«, sagte Göran Lundberg, der seiner fast einen Meter kleineren Chefin die Tür einen Spaltbreit offen hielt, damit sie das Desaster besser sehen konnte.

»Ich will ihn nicht stören«, meinte sie. »Er wird immer so wütend, wenn man ihn stört. Vor allem, wenn er einen seiner kreativen Schübe hat wie diesen hier.«

Beide – der groß gewachsene schwedische Gastassistent und die zierliche Chefin der musiktheoretischen Abteilung – schauten dem massigen Mann zu, der in der Mitte eines großen Klassenzimmers um ein merkwürdiges Objekt herumhüpfte. Bei dem Mann, dessen Ohren von großen Kopfhörermuscheln verdeckt waren, handelte es sich um Artigas Fessenheim, seines Zeichens Professor für Objektkunst hier im Hause und mehr oder weniger unantastbar, weil er eben diesem Haus mit seiner Kunst eine Menge Geld einbrachte.

»Dreck!«, rief er und schleuderte irgendetwas Längliches hinter sich. Es flog in hohem Bogen durch die Luft und schlidderte an die gegenüberliegende Wand. Auf seinem Weg dorthin begegnete es beschriebenen Notizzetteln, leeren Getränkedosen und spiralig aufgerollten Metallspänen.

»Wiederverwertung!«, rief Fessenheim nun und warf ein Stück Gartenschlauch in eine andere Ecke. Dann drang er mit einem Meißel auf das vor ihm aufragende Ding ein, das aussah wie ein Zwitter aus einem mittelschweren Verkehrsunfall und einem dramatisch aus dem Ruder gelaufenen Versuch, den hässlichsten Riesenkaktus der Welt zu erschaffen. Ein weiteres Kunstwerk des Professors, work-in-progress.

Ségolène Dorfmüller stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie hielt die monumentalen Objekte, die ihr Kollege während seiner schöpferischen Anfälle hervorbrachte, persönlich und insgeheim für völlig wertlos, einfach wirre Haufen aus Müll, die nichts weiter bedeuteten als eben Müll. Aber auf dem internationalen Kunstmarkt, der ihr völlig fremd war, brachte jeder einzelne Artigas Fessenheim größere siebenstellige Beträge. Von dem Anteil, den das Haus von diesen Beträgen abbekam, wurde weit mehr refinanziert als Fessenheims Professur.

Ihre Meinung behielt Ségolène Dorfmüller natürlich für sich. Womöglich beruhte die Sache ja auf Gegenseitigkeit. Sie würde auch nicht wissen wollen, was Fessenheims künstlerischer Verstand von den eigenen Dorfmüllerschen musiktheoretischen Analysen halten mochte.

»Ich trau mich auch nicht, ihn zu stören«, sagte Lundberg, im wahrsten Sinn des Wortes von oben herab, und das mit einem so niedlich klingenden schwedischen Akzent, dass sie lächeln musste, weil sich der Assistent anhörte wie die Fernsehwerbung für ein großes Möbelhaus. »Man könnte verletzt werden, wenn man da reingeht«, setzte Lundberg hinzu.

»Das auch«, antwortete seine Chefin und musterte den Fußboden, der mit allerlei Stolperfallen übersät war – Drahtrollen, Besenstiele, irgendwelche verbogenen Bleche. Ein Mikado mit vielen Unbekannten. Sie seufzte und blickte zu Lundbergs blondem Schopf empor.

»Du willst nicht …?«, fragte sie und wusste schon, dass es hoffnungslos war. Sie musste Artigas Fessenheim selbst aufhalten. Dieser Lundberg hier war zwar ein großer, alle Schweden-Klischees ausfüllender Bilderbuch-Schwede, kam aber mit allem, was nicht in Noten oder Software-Codezeilen ausgedrückt werden konnte, eher schlecht zurecht.

Lundberg schwieg, wie nicht anders zu erwarten.

Artigas Fessenheim hatte sich hingehockt und mit einem dicken Filzmarker hastige Notizen auf einen der Pappdeckel geworfen, die in dem kleinen Imbisskiosk unten in der Halle als Tellerersatz für Bockwürste und Frikadellen dienten. Er pflegte ganze Stöße dieser Dinger zu mausen, um sie als Medium für allerlei Mitteilungen zu benutzen. Mit dem Ausruf »Archivieren!« schnipste er den Karton zu Seite und wandte sich wieder dem Kunstwerk zu, ohne seiner Notiz hinterherzuschauen. Der Pappdeckel landete in einer Ecke, in der schon zwei Dutzend ebensolcher Pappdeckel kreuz und quer durcheinander lagen.

»Na gut«, seufzte Ségolène Dorfmüller und wagte ein paar Schritte in das mit den Überresten Fessenheimschen Schaffenswahns übersäte Zimmer. Sie achtete sehr genau darauf, wohin sie ihre Füße setzte. Manche Dinge da unten sahen aus, als ob sie ihren Manolos etwas Böses antun könnten.

»Dreck!«, rief Fessenheim nun aus und warf wieder etwas Schmieriges, Tropfendes über die Schulter, glücklicherweise nicht in die Richtung der Musiktheoretikerin, die kurz erstarrte. Dieses Wurfgeschoss flog seitwärts, wo sich das Ding an der Wand festsaugte.

Die Dorfmüller schnappte sich nach einigen wackligen Schritten vom Boden einen langen Draht, bog ihn halbwegs gerade und stocherte damit nach den Schultern des Professors.

Schon der dritte oder vierte Anstupser führte, noch ehe Ségolène von einem der nächsten Wurfgeschosse getroffen wurde, zum Erfolg. Fessenheim erstarrte, zog sich die Kopfhörer von den Ohren und blickte sich um.

»Was zum Teufel wollen Sie denn hier?«, fragte er, ehe seine Augen sich überrascht weiteten. »Wie sieht es denn hier aus, um Himmels willen?!«

Artigas Fessenheim musterte voll ehrlichem Entsetzen das verwüstete Klassenzimmer.

Es sieht aus wie ein ganzes Klassenzimmer voller Objektkunst, dachte die Musiktheoretikerin grimmig. Ihrer Objektkunst, Professor.

Laut sagte sie: »Herr Kollege, seit einer halben Stunde läuft unser Mozart-Versuch. Und alle Ihre Drohnen nehmen daran teil. Wir hatten Ihnen dazu ein Memo geschrieben.«

»Tatsächlich?« Fessenheim betrachtete immer noch das Chaos ringsum.

»Ich habe Ihnen ein Memo geschrieben, genauer gesagt«, stellte Göran Lundberg klar und erntete dafür einen finsteren Blick seiner Chefin.

»Das ist wohl im Spamfilter gelandet«, murmelte der Professor. »Was für eine Sauerei, das alles hier. Meine Drohnen, sagen Sie? Die, die meinen Dreck auffangen, wenn ich ›Dreck‹ rufe, und ihn wegschaffen? Die Drohnen, die alles auffangen, was ich hinter mich werfe?«

Sein Blick fiel auf die aus der Kantine entwendeten, beschriebenen Pappen.

»Die Drohnen, die meine Gedanken ins Sekretariat bringen, wo sie abgetippt werden sollen? Die sind bei Ihnen?«

»Ja«, antwortete Frau Dorfmüller einfach.

Artigas Fessenheim tippte auf sein iPod, worauf die zischelnde Technomusik, die aus seinen Kopfhörern quoll, verstummte. »Warum, um alles in der Welt?«, erkundigte er sich.

»Sie sind nun Teil unseres Mozart-Projekts«, ergänzte Göran Lundberg. »Bis heute Abend.«

Wenn dergleichen möglich wäre, hätte er den Namen Mozart in Großbuchstaben ausgesprochen, so stolz, wie er offensichtlich darauf war.

»Mozart?!« Das Gesicht von Artigas Fessenheim war nun ein einziges Fragezeichen. Ségolène Dorfmüller musste daran denken, dass dieser Mann seit Jahren ein Geheimnis daraus machte, dass er eigentlich den schnöden Namen Ulli Schumann trug und gelernter Elektriker war. Mit Mozart konnte er offenbar nicht viel anfangen.

»Ich zeige es Ihnen, Herr Kollege«, sagte sie liebeswürdig und wies zur Tür. In der ragte Lundberg auf, blond und nutzlos, und wich hastig zur Seite aus, als seine Chefin und der weltberühmte Professor auf ihn zukamen.

Draußen angekommen, in der großen, lichtdurchfluteten Halle, von der aus alle Treppenhäuser des Gebäudes abzweigten, wies die Dorfmüller mit großer Geste auf den gewaltigen Luftraum, der sich nicht wie gewohnt leer zwischen den weit entfernten Wänden spannte, sondern angefüllt war von vielen Tausenden kleiner Flugobjekte. Alle waren handspannengroß und verfügten über vier kleine, leise surrende Propeller, mit denen sie sich in der Luft hielten. Hier und da erkannte Fessenheim eine seiner Dreckdrohnen am schmutzigen Gehäuse. Manchmal hatte er unbeabsichtigt eines seiner kleinen Helferlein direkt erwischt.

»Das sind alle Drohnen, die das Institut derzeit besitzt«, erklärte Göran Lundberg stolz, als hätte er sie persönlich eingesammelt.

»Ich frage mich, warum sie nicht wie üblich meinen Dreck auffangen und meine Notizen transportieren«, knurrte der Professor. »Dafür waren sie sehr praktisch. Ich habe mich daran gewöhnt. Man wirft irgendwas über die Schulter, und zack!, ist es ordentlich weggeräumt. Man schnipst eine Pappe in die Luft, und abends habe ich eine Mail mit dem sauber getippten Text im Postfach.«

»Die Drohnen arbeiten heute ausnahmsweise einmal nicht für Sie, Herr Professor, weil sie uns für heute Nachmittag für dieses Mozart-Ding zur Verfügung stehen«, sagte Lundberg und ließ zusammen mit seinem Akzent auch etwas Überdruss hören. »Ehrlich gesagt, sind die kleinen intelligenten Biester mit den Aufgaben bei Ihnen auch ein wenig, wie soll ich sagen … unterfordert.«

Artigas Fessenheim warf dem schwedischen Austauschassistenten einen skeptischen Blick zu. »Ist das so?«

»Ja.« Der hochaufragende Assistent nickte eifrig. »Sie, Herr Professor, nutzen lediglich die einfachen Spracherkennungsroutinen der Drohnen und die antrainierten Reaktionen, nicht aber die Interaktion der Drohnen untereinander.«

»Die Schwarmintelligenz«, warf Ségolène Dorfmüller ein.

Artigas Fessenheim schnaubte verächtlich.

»Bei Menschen endet Schwarmintelligenz in der Regel beim kleinsten gemeinsamen Nenner«, sagte er,...



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