Veenstra | Herzblut: Du stirbst in meinem Herzen nicht | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Veenstra Herzblut: Du stirbst in meinem Herzen nicht


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-440-14848-8
Verlag: Kosmos
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-440-14848-8
Verlag: Kosmos
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Unfalltod ihres Vaters lässt der 18-jährigen Mara keine Ruhe. Was ist bei dem Busunglück vor einem Jahr wirklich passiert? In dem kleinen Dorf, in dem Mara noch nie heimisch war, wird sie mehr und mehr zur Außenseiterin. Nur ihre beste Freundin Sanna hält immer zu ihr. Bis der geheimnisvolle Jonah neu in die Klasse kommt. Mara fühlt sich zu ihm hingezogen. Doch auch Sanna verliebt sich in Jonah, weshalb Mara versucht, ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken. Während Jonah Mara bei ihren Nachforschungen zum Tod ihres Vaters hilft, kommen sich die beiden langsam näher. Dabei stoßen sie auf Geheimnisse, die unter der scheinbar glücklichen Oberfläche der Dorfgemeinschaft lauern – und Mara selbst gerät mehr und mehr in Gefahr ...

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2
Als ich am nächsten Morgen gähnend in die Küche schlurfte, wirbelte meine Mutter wie aufgezogen herum. »Du bist wach, genau rechtzeitig, willst du Eukalyptushonig oder Ahornsirup zu deinem Porridge?« Ich blinzelte sie überrascht an. »Ähh, egal?« »Gut, dann stell ich einfach beides auf den Tisch.« Ihre Augen glitzerten verdächtig. Als stünde sie unter Strom, als hätte sie heute Nacht noch weniger geschlafen als ich. Gasthof Mühlbacher, der Mamas Kindergartenfreundin Daggi gehörte, machte spätestens um ein Uhr zu. Ich schluckte hart – was hatte sie den Rest der Nacht getan? – und versuchte, den Gedanken daran sofort wieder zu verscheuchen. Paps war nicht einmal ein Jahr tot. Sie würde doch nicht … nein, sicher hatte sie nur etwas Ablenkung nötig, auch für sie konnte es nicht einfach sein, dass sich sein Todestag bald jährte. Mama und ich sprachen nicht darüber. Anvertraut hatten wir uns nie viel, ich war ein echtes Papakind gewesen. Und dann, als wir ihn plötzlich verloren, hatten wir irgendwie verpasst, den Mund aufzumachen. Mit Opa Toni und Oma Erika redete Mama auch nicht, jedenfalls nicht über wichtige Dinge. Ich vermutete, die beiden waren noch immer sauer, dass Mama damals einfach so gegangen ist. Und dass sie, als sie dann zurückkam, es nicht wirklich freiwillig tat, sondern weil es nicht anders ging. Piets komplizierter Beinbruch hatte seine Sportkarriere beendet, das Einzige, was er sonst noch vorzuweisen hatte, war ein Busführerschein. Mamas Skulpturen wollte niemand kaufen und dann war da noch ich – gerade mal acht Jahre alt und immer hungrig. Ich ließ mich auf meinen Platz fallen, gegenüber blieb der Stuhl leer. Immer dann, wenn sich ein argloser Besucher darauf häuslich einrichtete, wurde ich so wütend, dass ich an meinem Geisteszustand zweifelte. Aber viele Leute kamen zum Glück nicht bei uns vorbei. Nicht mehr. Oma und Opa sahen wir zum Essen im Haupthaus. Und wenn Bio-Micha hier einfiel, Mamas ehemaliger Schulfreund, dann setzte er sich immer auf den vierten Stuhl. Ich schüttete kalte Milch in den Teller und löffelte die süße Pampe in mich hinein. Hunger hatte ich keinen, aber noch weniger Lust, darüber zu reden, warum. Außer unserem Pusten und Schlucken und dem Blubbern vom Herd unterbrach nichts die Stille. Ungemütlich rutschte ich hin und her und aß schneller. Ein paar vollgehäufte Löffel später war ich endlich frei und rannte aus dem Hinterausgang in Richtung Wald. Früher hatte ich ganze Tage bei uns im Wohnzimmer auf dem Sofa gesessen und gelesen. Seit Piets Tod war ich ständig draußen unterwegs. Als wäre ich ihm dadurch irgendwie näher. Oder zumindest meiner Erinnerung an ihn. Den Hang hinauf führte mein Weg an den »drei Schwestern« vorbei, jenen mächtigen Zwetschgenbäumen, die unser erst letztes Jahr geweißeltes kleines Häuschen perfekt vom Fachwerk-Hof meiner Großeltern abschirmten. Niemand sah, wie lange bei mir das Licht brannte oder ob ich mich durch die Hintertür stahl. Mein Urgroßvater hatte sie gepflanzt. Was wohl der Grund war, warum sie noch immer nicht abgeholzt waren, obwohl sie kaum mehr Früchte trugen. Das kleine Beet, das Piet und ich vorletztes Jahr am Rand zum Wald angelegt hatten, war inzwischen verschwunden. Ein paar Vögel, die keine Lust auf Italienreisen hatten, zwitscherten. Der Nebel hing im Tal, hier oben schien die Sonne. Doch zwischen die Bäume des Mischwaldes reichte sie nicht. Als gäbe es dort eine unsichtbare Grenze. Oder mein Kopf spielte mir einen Streich und überlagerte die Realität mit den nächtlichen Traumbildern. Als ich bei dem Holzkruzifix auf den laubbedeckten Waldweg trat, wurde es mit einem Mal deutlich kälter. Ich schauderte. Jetzt bloß nicht abergläubisch werden. Eigentlich mochte ich den Wald schon immer lieber als Strand und Meer oder schneebedeckte Gipfel. Und sehr viel lieber als die immer gleichen Grundstücke mit Obstbäumen, die sich rund um unseren Hof erstreckten – oder besser um den Hof meiner Großeltern. Selbst nach zehn Jahren fühlte es sich nicht an, als wäre er unserer. Oder meiner. Oder ein Zuhause. Hinter mir standen hangauf, hangab Bäume in geraden Reihen – Kirschen, Birnen, Äpfel, Zwetschgen, Marillen, Quitten – bis hinunter ins Tal, wo die Färsbach vor der Umgehungsstraße entlangplätscherte wie eine natürliche Grenze: Achtung, Sie betreten jetzt die Zivilisation! Ich folgte dem Pfad mit dem blauen Kringel. Seit ich nicht mehr joggte, war das meine Lieblings-Spaziergangsstrecke. Steil wie es sich für einen Wallfahrtsweg gehört, wandte sich der Pfad etliche Höhenmeter hinauf zu der nur noch an Feiertagen benutzten Kapelle. Auf halbem Weg, an der Kreuzung, ragte die Rote Marter auf. Angeblich hatten der Erntehelferin Maria hier Wegelagerer aufgelauert und sie mit ihrer eigenen Sichel … uh, nur nicht daran denken. Piet hatte dazu seine eigene Interpretation: Er glaubte an einen hinterhältiger Mord und dass die junge Frau von jemandem schwanger gewesen war, der ihr Verhältnis geheim halten wollte. »Mara«, hatte er gesagt und mich angelächelt, als er mir das erste Mal von Maria erzählte, »Menschen machen komische Dinge aus Liebe. Und noch viel komischere aus Feigheit und Angst.« An der Abzweigung zögerte ich. Rechts ging es weiter zum Friedhain. Der Platz, an dem all diejenigen ihre letzte Ruhe fanden, die es gerne biologisch hatten oder nicht daran glaubten, dass sie jemand regelmäßig besuchen wollte, wie Piet immer gegrinst hatte. Nun lag er selbst dort. Der Weg geradeaus führte zum Rabenstein mit seiner steilen Aussichtsplattform, über die Frau Karst, meine Dramatisch- Gestalten-Lehrerin, letztes Jahr spaziert war, als könnte sie fliegen. Seitdem saß sie im Rollstuhl und sprach kein Wort mehr. Mein Vater hatte sie in seinen letzten Wochen trotzdem immer wieder besucht. Ich schüttelte mich. Wenn all die Touristen diese Geschichte kennen würden, ob sie dann noch immer derart motiviert dort hinaufkeuchen würden, um … hinunterzugucken? Das Prinzip hatte ich nie begriffen. Raufkraxeln, um ins Tal zu starren? Tolle Belohnung, wirklich! Aber nun gut, wer bei uns Urlaub machte, musste gerne Kilometer durch die freie Natur jagen, ob zu Fuß oder in einem Kanu. Was anderes gab es nicht. Vom Frühling (Kirschblüte, wie wunderbar) bis zu den letzten schönen Herbsttagen (was für eine Farbenvielfalt!) wurden wir überrannt von staunenden Städtern, die mit den Wanderweg-Infos aus dem Tourismusbüro vor der Nase durch die Gegend rasten. Derart konzentriert, dass sie weder die kleine Turmruine westwärts bemerkten noch die gut getarnten Eingänge der Bergkeller und der Wolfshöhle. Letztere war nicht mehr ausgeschildert, seit sich dort, ebenfalls letztes Jahr, unser angetütterter Reporter Eddie echt dumm zu Tode gestürzt hatte. Direkt auf einen der größten Stalagmiten … Rennende Schritte rissen mich aus den Gedanken. Äste knackten, irgendetwas oder -jemand kam direkt auf mich zu, und das in einem Affenzahn. Wildschweine? Die gerieten um diese Zeit in den Brunftmodus und waren echt gefährlich. So ein ausgewachsener, wild gewordener Eber hätte mit mir leichtes Spiel. Eilig lief ich auf den nächsten Baum mit tief hängenden Ästen zu. Zur Not würde ich mich hochschwingen und abwarten. Doch da brach weiter oben eine dunkle Gestalt durch das Gebüsch – eine zweibeinige Gestalt. Ich erstarrte. Was tun? Verstecken oder sich mutig in den Weg stellen und sagen: »Hey, die Joggingroute geht da vorne lang, schon mal was von schützenswerten Waldpflanzen gehört?«? Wohl kaum. Ich zog mich in den Schatten zurück. Vielleicht konnte ich unbemerkt bleiben. Plötzlich wurde es still. Ich spähte vorsichtig um den Baumstamm. Völlig bewegungslos stand er auf der kleinen Lichtung und lauschte. Dass es ein »Er« war, da war ich mir sicher, auch wenn sein Gesicht im Schatten der Kapuze lag. Die Klamotten waren verwaschen, aber prima in Schuss, und selbst auf die Entfernung waren breite, aber nicht zu breite Schultern zu erkennen. In Alarmbereitschaft wirkte er und durchtrainiert, nicht aufgepumpt wie Ben Greifenhohe. Nein, der Typ war ungefähr in meinem Alter und eher Leichtathletiker als Fitnessstudiofuzzi oder vielleicht auch Kampfsportler? Dunkle Locken fielen ihm ins Gesicht, als er sich plötzlich argwöhnisch umblickte. Mit gerunzelter Stirn scannte er die Umgebung. Ich zog den Kopf ein. Drehte ich jetzt durch oder hatten seine Augen tatsächlich geglüht? »Komm raus, ich hab dich gehört!« Hatte der Fledermausohren? Ich hatte keinen Mucks von mir gegeben! Mist! Was tun? Aus meinem Versteck treten, freundlich winken und so was sagen wie: »Hallo, ich dachte ich versteck mich mal, nur für den Fall, dass du ein wilder Eber oder Mörder bist«? Was würde er von mir denken? Und warum interessierte mich das überhaupt? Sicher war der mit seinen Eltern hier zum Urlaub und würde spätestens heute Nachmittag auf Nimmerwiedersehen verduften. Außerdem: Mir doch egal, was so ein Stadtfuzzi von mir dachte. »Okay, dann komm ich eben nachsehen!« Er klang genervt. Ich machte einen Schritt vorwärts. Mich wie ein ängstliches Reh erwischen zu lassen wäre peinlicher als alles andere. »Sieh an, ein Wald-Mädchen, folgst du mir etwa?« Ich schüttelte den Kopf und blitzte ihn möglichst herablassend an. »Reden tut ihr hier nicht viel, was?« Er fuhr sich durch die Haare und schnaubte auf. »Verrückt«, grummelte er. »Verrücktes, beschissenes Kaff!« Sauer stemmte ich die Hände in die...



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