Verweyen / Sedlacek | Die idealistischen Grundwerte unserer Kultur | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 20, 200 Seiten

Reihe: Wissenschaftliche Bibliothek

Verweyen / Sedlacek Die idealistischen Grundwerte unserer Kultur

Wahre Menschlichkeit
2. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-1437-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wahre Menschlichkeit

E-Book, Deutsch, Band 20, 200 Seiten

Reihe: Wissenschaftliche Bibliothek

ISBN: 978-3-7534-1437-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Seit den Tagen des Sokrates, der nach einem aristotelischen Wort "die Philosophie vom Himmel auf die Erde" holte, zieht sich bis in die Gegenwart eine Kette von Persönlichkeiten, die es als den höchsten Sinn ihres Lebens verstanden, am Bau des Tempels reiner Menschlichkeit mitzuschaffen. Einer der sich für dieses Bauwerk der Menschlichkeit auf vorbildliche Weise eingesetzt hat, ist der Autor Johannes M. Verweyen. Hier liegt nun eine neue und aktualisierte Ausgabe eines seiner bedeutendsten Werke vor.

Die Habilitation des Philosophen Johannes Maria Verweyen (1883-1945) erfolgte im Jahr 1908. Nachdem er einige Jahre als Privatdozent gelehrt hatte, wurde er 1918 zum außerordentlichen Professor ernannt. Wegen seiner offenen Kritik am Nationalsozialismus entzog man ihm 1934 die Lehrerlaubnis. Seine unkonventionelle Art der Behandlung philosophischer und religiöser Themen und seine stetige Suche nach dem Sinn des Lebens erregten Aufsehen und machten Verweyen zu einem der meist diskutierten Philosophen. Seine Vorlesungen brachten Rekordbesuche. Viele seiner Themen sind heute erneut aktuell.

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III. Erster Teil
Was der idealistische Humanist erkennt
1. Wahrheitsdienst
Biografie und Nachruf lieben es, daran zu erinnern, in wie entsagungsvoller Arbeit der heimgegangene Forscher sein Leben verbrachte, mit welcher Ehrlichkeit und Unerschrockenheit er seine, die Gemüter vielleicht sehr beunruhigenden Resultate verkündete. Doch nicht nur gelegentlich und gleichsam anhangsweise besteht ein solcher Hinweis zu Recht. Zu innig und bedeutsam sind Wissenschaft und Charakter verflochten, als dass diese Verbindung nicht verdiente, mit grundsätzlicher Klarheit in das sittliche Bewusstsein erhoben zu werden. Auch die Wissenschaft wie das Erkennen überhaupt ist eine moralische Angelegenheit. Aus dem primitiven Chaos beliebiger Einfälle, fantastischer Deutungen und individueller Vergewaltigungen des Wirklichen strebt die Wissenschaft zu einer allgemeingültigen (überindividuellen) Erfassung des Tatsächlichen. Aus dem Bereich des „Subjektiven“ mit seiner Zufälligkeit und Beschränktheit zieht sie aus zur Eroberung des „Objektiven“, um es durch Erfahrung und Denken zu bezwingen. Aber ungeachtet dieses objektiven Zieles kommen auch in der Wissenschaft — hinsichtlich der psychologischen Bedingungen ihres Entstehens — subjektive Faktoren zur Geltung. Ein gemeinsames Ideal pflegt sich in den verschiedenen Individuen verschieden zu brechen und gelangt in ihnen in einer besonderen Weise zur Darstellung. Auch in der Wissenschaft ist es das Individuum mit seiner ganzen — psychologisch reizvollen — Eigenart, welches die Verwirklichung der Norm anstrebt. Schon in der Wahl seines Gegenstandes, des Gebietes, dessen Erforschung er sich widmet, bringt der Einzelne seine innere Verfassung zum Ausdruck, — sein Ethos, d. h. im Sinne des griechischen Sprachgebrauches die Offenbarung einer Willensrichtung. Und nicht nur das Was, auch das Wie der Forschung ist psychologisch-subjektiv bestimmt. Dasselbe Resultat, dieselben Tatsachen werden häufig auf ganz verschiedenem Wege ermittelt. Verschieden vollends kann derselbe Stoff in formaler Hinsicht zur Darstellung gelangen. Schwerfällig und verworren sind Stil wie Rede des einen, fließend und plastisch die des anderen. Noch erinnert man angesichts der vielfach für einen geläuterten Geschmack unerträglichen, den bescheidensten stilistischen Anforderungen widerstreitenden Gelehrtensprache nicht an eine triviale Selbstverständlichkeit, wenn man den Satz ausspricht: Der Geist wissenschaftlicher Gründlichkeit braucht keinen Schaden zu nehmen, wenn er auch auf Schönheit der Form bedacht ist, ohne dabei in einseitigen Form-Kultus, in ästhetische Selbstgefälligkeit zu geraten. Ein stilistisch einwandfreies Buch ist nicht notwendig mit dem Makel eines seichten Wortschwalls behaftet. Ein von der Barbarei eines lässigen und unschönen Sprechens befreiter Redner ist nicht notwendig dazu verurteilt, den Boden strengster Sachlichkeit zu verlassen. Auch an der Stätte der Wissenschaft darf er einen Ehrenplatz beanspruchen. Hier ganz besonders. Trockenheit und Langeweile in Wort und Schrift zu vermeiden, ist gerade um der Wissenschaft selbst willen aus psychologisch-didaktischen Gründen geboten. Von Unverstand und Einseitigkeit zeugt die Redensart, Wissenschaft dürfe nicht „interessant“ sein; sie bleibe ihrem Wesen nach zur „Trockenheit“ verurteilt. In gewisser Hinsicht verhält es sich gerade umgekehrt. Interesse zu wecken und vorhandenes zu beleben, schafft die psychologische Vorbedingung zur Aneignung und Erwerbung irgendwelcher Erkenntnis. Um diese Bedingungen herzustellen, reicht bloße Gelehrsamkeit nicht aus. Es ist dazu ein hohes Maß von allgemein-menschlichen Eigenschaften erforderlich: eine liebevolle Versenkung in die Eigenart des zu unterweisenden Menschenkreises. Pädagogischer Automobilismus, der in selbstsüchtigem Gefallen über die Köpfe der Hörer hinwegredet, unbekümmert um die wissensarmen Folgen eines solchen Unternehmens, widerstrebt dem Geist eines erleuchteten Unterrichts. Ein vorbildlicher Pädagoge, ein humanistischer Lehrer ist zudem nicht denkbar ohne die Gabe anschaulicher Gestaltungskraft. Auch innerhalb der Wissenschaft gleicht jede künstlerische Darstellung eines Gegenstandes der Tätigkeit des Bildhauers, der den rohen Marmorblock seiner Idee unterwirft. Darum macht bloßes Wissen keinen Jugendbildner. Ihrem Ziele nach ist die Wissenschaft von der Kunst wesensverschieden, aber sie braucht eine künstlerische Formanleihe nicht zu verschmähen, wie umgekehrt Kunst keinen Grund hat, auf Ideenarmut stolz zu sein. Selbst ein bekannter Logiker unserer Zeit, der vor dem Verdacht geschützt ist, Kunst an falschem Ort in die Wissenschaft hineinzutragen, gab dem Wunsche Ausdruck, es möchte sich der Einfluss der Fantasie auf das Wissen, in der künstlerischen Gestaltung der erkannten Gegenstände noch mehr als insbesondere bei uns zu geschehen pflegt, geltend machen. „Ich möchte nur hervorheben“, fährt derselbe fort, „dass nicht nur die literarische Darstellung und die mündliche Überlieferung der Lehre von solchem künstlerischen Geist erfüllt sein sollten, dass vielmehr schon jede edle Forschung von ihm getragen ist. Die Wissenschaft gestaltet die Bestandteile des Wirklichen sowie die Gebilde unseres Denkens nach Art der Kunst, indem sie jeden Gegenstand, den sie forschend ergreift, aus dem Zusammenhang mit allen übrigen heraushebt, zu einer'Einheit isoliert, gleichsam abrundet und so ebenfalls zu einem repräsentativen Typus innerlich umbildet“ (B. Erdmann, Die Funktionen der Fantasie im wissenschaftlichen Denken). Ein anderer Denker der Gegenwart (P. Natorp) erinnert in einem Aufsatz über Platon daran, es gebe Tiefen der Wissenschaft, in denen sie mit den Tiefen der Dichtung völlig eins werde. Auch Leonardo sei Künstler, obgleich wissenschaftliche Besonnenheit jeden Strich seines Pinsels überwache. Aber solche einsichtsvollen Äußerungen bleiben Ausnahmen. Der vorherrschende Gelehrten-Typus (schon ein das Richtige witternder Sprachgebrauch legt ihm das Merkmal der „Trockenheit“ bei) ist von einer starken, aus eigenem Unvermögen stammenden Geringschätzung beseelt gegen die Erfüller ästhetischer Ansprüche in wissenschaftlichen Reden und Schriften. Nicht immer wahrt er den Geist der Kritik und Vornehmheit in den belichten hämischen Befehdungen eines lebensvolleren, menschlich vielseitigeren, Kunst und Wissenschaft in höherer Einheit umfassenden Typus, der ein ungleich stärkeres geistiges Leben zu entzünden pflegt. Nur in dem einen Sinne darf die Wissenschaft nicht „interessant“ sein, dass sie individuellen Neigungen schmeichelt, persönlichen Wünschen und Trieben Zugeständnisse einräumt und dadurch die Allgemeingültigkeit gefährdet, die ihr oberstes Ziel bleibt. Dies schließt nicht aus, dass auch für den Lehrenden wie Lernenden „Lust und Liebe die Fittiche zu großen Taten“ sind. Wissenschaftliche Zielsetzung hindert es nicht, dass die Tätigkeit beider in Affekten der Begeisterung für ihren Stoff verankert ist. Nur gestattet sie derartigen triebhaften Regungen nicht, „tendenziöse“ Wirkungen zu erzeugen, vergönnt ihnen keinen Einfluss auf die Inhalte des Denkens, welche Loslösung von allen Emotionen fordern Es ist die reine sachliche Bestimmtheit, die das Grunderlebnis des wissenschaftlichen Menschen ausmacht. Aber gerade der steile Weg zu dieser über das bloße Individuum hinausragenden Höhe erheischt nun wiederum ein hohes Maß von individuellen Kräften; vorab den Ernst unbedingter Wahrheitsliebe. Ein Durst nach Realitäten, nach Sachverhalten, brennt in der Seele des echten Forschers. Nur mit Mitteln, wie sie durch die wissenschaftlichen Methoden vorgezeichnet sind, diesen Durst zu stillen, ist das Ziel einer Studium und Wissenschaft bedingenden Charakterbildung, einer sittlichen Aufgabe folglich, deren Schwierigkeit mancher zu unterschätzen geneigt sein mag. Nichts verschweigen und nichts hinzusetzen, keine unbegründete Behauptung in die Welt hineinsenden, keine unsichere, auf schwankenden Reden ruhende Hypothese als exakt bewiesene Erkenntnis ausgeben, ehrlich Nichtwissen (Non-liquet.) bekennen, wenn die Fäden der Forschung noch nicht weiter gesponnen werden können, nicht gegensätzliche Gedanken und Richtungen mit charakterloser Konfusion vermengen, nicht durch allzu „liberale“ Verwaschungspolitik gegen die intellektuelle Reinlichkeit verstoßen, keinen Modesuggestionen erliegen: Solche Wahrheitsliebe zu betätigen ist ohne beständige ethische Kontrolle kaum möglich. Sie ist in gewissem Sinne auf den Gebieten naturwissenschaftlicher, zumal experimenteller Untersuchung leichter durchführbar als in den Geisteswissenschaften, in denen der Forscher meist nicht so rasch, vielfach überhaupt nicht sein Resultat durch die sinnliche Wahrnehmung korrigiert findet. In jedem Fall aber erhöht sich die Schwierigkeit, jenem Ideal treu zu bleiben, je stärker die persönlichen Interessen sind, die den Forscher aus irgendeinem Grunde mit einem erwünschten Resultate verbinden. Da heißt es, die Bereitschaft zum Umlernen in sich lebendig erhalten, einen ungetrübten Blick...



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