Végel | Bekenntnisse eines Zuhälters | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 251 Seiten

Végel Bekenntnisse eines Zuhälters


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-88221-911-1
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 251 Seiten

ISBN: 978-3-88221-911-1
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Der Fänger im Roggen im Balkan Im Mittelpunkt dieses legendären ungarischen Romans steht eine Gruppe junger Freunde, die sich, statt um ihr Studium, mehr um die wahren Dinge des Lebens kümmern: um Frauen und Alkohol und vor allem um Geld. Sie lehnen die erstarrte Welt, in der sie leben, ab und begegnen der gesellschaftskonformen Betriebsamkeit mit Verweigerung. Sie haben die Unmöglichkeit jeder Revolte begriffen und sehen der Zukunft mit Unbehagen entgegen. Auch der Vorstellung von Liebe trauen sie nicht, für sie zählen nur Sex und die damit verbundenen Möglichkeiten Geld zu machen - ihre einzige Konzession an die Verhältnisse. Bekenntnisse eines Zuhälters - erzählt in einem beinahe unbeschwerten, leicht melancholischen Tonfall - stellt unser inzwischen erstarrtes Bild der wilden und politischen Sechziger auf den Kopf. Das schicksalhafte Jahr 1968 - wie sah es hinter dem eisernen Vorhang aus? In seinem wilden, komischen und turbulenten Roman zeigt uns László Végel die Welt von der anderen Seite.

László Végel, geboren 1941, lebt als Angehöriger der ungarischen Minderheit im serbischen Novi Sad. Mit Danilo Kis, Aleksandar Tisma oder Ottó Tolnai einer der großen Autoren der Wojwodina. Seinen ersten Roman veröffentlichte Végel 1967: Die 'Bekenntnisse eines Zuhälters' waren, so Péter Esterhá-zy, 'ein Meilenstein für die moderne ungarische Literatur'. Seitdem erschienen mehrere Romane und mit Preisen bedachte Essaybände sowie Theaterstücke. Zuletzt auf Deutsch: Exterritoritum. Szenen vom Ende eines Jahrtausends, Bekenntnisse eines Zuhälters sowie Sühne.

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2.
WOZU DAS GANZE? ES PASSIERT DOCH NICHTS.
FREITAG
Großartig, wie genau ich mich an den gestrigen Tag erinnere. Wie üblich schnarchte Pud laut. Ich wälzte mich unruhig im Bett, als der Briefträger ans Fenster klopfte. Ich freue mich sehr, wenn ihn sehe. Der Teufel weiß warum. Vermutlich, weil ich auf eine Nachricht von außerordentlicher Wichtigkeit warte. Die mein Leben verändern würde. Dass sie eintreffen wird, davon bin ich manchmal felsenfest überzeugt. Aber ich habe mir noch nie richtig überlegt, was sie enthalten könnte. Ich weiß es nicht, und doch könnte ich mir gut vorstellen, dass es so kommt. Ich öffnete das Fenster und nahm den Brief entgegen. Er war an mich adressiert. Ein ziemlich dicker Brief. Pud reckte sich und glotzte blöd. Was ist das? Ein Brief, antwortete ich ungeduldig. Für dich? Siehst du das nicht? Von wem? Kennst du nicht, sagte ich. Pud ließ sich beruhigt wieder ins Kissen sinken, und ich öffnete den Brief. Merkurosz hatte geschrieben. Er schickte mir seinen Text, wie es Csicsi angekündigt hatte. Ich betrachtete die gleichmäßigen Buchstaben von Merkurosz, drehte den Brief zunächst uninteressiert in der Hand hin und her. In diesem Moment hasste ich Merkurosz glühend, aber doch nur solange ich den Brief nicht las. Ich war wütend auf ihn, weil er sich Csicsi unter den Nagel gerissen hatte und uns nun auf die Nerven geht, indem er schreibt, wie blöd wir seien. Ja. Unverschämter Typ, dachte ich, während seine winzigen schönen Buchstaben vor meinen Augen tanzten. Sogar seine Handschrift gemahnte mich daran, was für ein furchtbar korrekter Typ er war. Es lag ein kleiner Zettel dabei, direkt an mich gerichtet. »Lieber Blue, die Manuskripte überlasse ich dir. Natürlich schicke ich sie dir nicht, weil ich glaubte, dass sie dir von Nutzen sein könnten. Es sind lauter überflüssige Notizen. Es stimmt, ich habe meinen ursprünglichen Plan aufgegeben, es war, wie es war, sei mir nicht böse. Ich möchte mich von diesen Notizen lösen wie ein Kranker von seinen Erinnerungen. Doch sie wegzuschmeißen fände ich schade. Lies sie, wenn du Lust hast, du wirst feststellen können, dass ich – im Gegensatz zu euch – Pläne hatte. Möglich, dass ich mit der Zeit zu der zynischen Schlussfolgerung gelangt bin, dass ich, wer hätte das gedacht, genau dort ende, wo ihr seid. Das macht mir nichts aus, denk, was du willst, aber ich sage ganz offen, dass mich viele Dinge nicht mehr interessieren. Ich bitte dich, lies die Notizen aufmerksam durch, denn bedauerlicherweise fühle ich, der ich nur Zeuge sein wollte, deutlich, dass ich selbst Zeugen brauche. Ich habe euch jahrelang beobachtet. Ich denke, du weißt es. Es hat mich abgestoßen zu sehen, wie verantwortungslos ihr euch von Dingen befreit, die euch als Last erscheinen, und mit welcher Leichtigkeit ihr ohne jede Perspektive dahinleben könnt. Ich habe euch gehasst und nahm mir vor, ein objektives Buch über euch zu schreiben, in dem ich euch entlarven wollte. Doch ich schrieb nur diese paar Seiten. Denn durch meinen Weggang und den Abstand zu euch erscheint mir vieles anders als zuvor. Ja. In eurem verrückten Benehmen entdeckte ich eine Logik, die Logik derer, die sich selbst zerstören, die fröhlich erleiden, dass es nichts gibt, was sie aus der Bahn werfen könnte. Ich gebe zu, ich habe mich geirrt. Du ahnst bereits, es ist deshalb so gekommen, weil ich, obwohl ich alles um mich herum beobachtet habe, isoliert von der Welt lebte, und solange man isoliert ist, will man im Kampf gegen das Unbekannte stets gewinnen, doch wenn man dann auf einmal zu jemandem und zu etwas gehört, hat man keine große Lust mehr zu leben. Es grüßt dich Merkurosz.« Ungläubig las ich den Brief. Ich konnte nicht recht erfassen, was er bedeutete. Warum hatte er sich an mich gewandt? Ich nahm die aus einem Heft gerissenen Blätter und machte es mir auf dem Bett bequem. »Ich schreibe von jenen, die sich selbst gleichgültig gewesen sind, die sich selbst gegenüber keinen Respekt hatten. Bereits in jungen Jahren schauderte es sie vor großen Worten, deshalb wandten sie sich auch von großen Gedanken ab. Sie fürchteten sich davor, zur Ruhe zu kommen, denn dann hätten sie sich mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Sie fürchteten sich zu sprechen, denn auch vor den Worten flohen sie. Zuflucht suchten sie in der Bedeutungslosigkeit, um so ihre Feigheit zu kaschieren …«, hieß es schon in den ersten Zeilen. Ich bemühte mich, die Sätze ohne Anteilnahme zu lesen. Ob Merkurosz recht hatte oder nicht, interessierte mich nicht. Ich wollte nur herausfinden, wie er es geschafft hatte, Csicsi mitzunehmen, was es ihm möglich gemacht hatte, uns auszuplündern. Langsam entfaltete sich das Bild vor mir. Ich begann mir Sorgen zu machen, dass ich plötzlich Merkurosz verstehen und ihm dadurch in die Falle gehen könnte. Ich hatte geahnt, warum er mutterseelenallein durch die Stadt gerast war, warum er sich versteckt hatte, auf der Flucht gewesen war und warum er den Ankläger gespielt hatte. Ja. Warum er seine Aufmerksamkeit nicht dem üblichen Stumpfsinn gewidmet hatte. Warum er keine Freunde hatte, warum er sich nicht mit Mädchen vergnügt hatte. Ja. Er war stolz, weil er sich zu etwas entschlossen hatte. Er hatte geglaubt, er werde derjenige sein, »der der Falle, welche die Stadt ihren Bewohnern gestellt hat, entkommen könnte«. Ja. Das hat er geschrieben. Die Falle. In die wir so naiv und tölpelhaft hineingeraten waren. Pud hob den Kopf. Er lauerte. Er witterte etwas. Ich erhob mich, steckte den Brief von Merkurosz in meine Tasche und zog mich an. Ich wollte Pud nicht auf die Nase binden, was los war. Nicht weil Merkurosz auch ihn beschrieben hat, sondern weil er meiner Meinung nach nichts begreifen würde. Er wäre einfach außerstande, Merkurosz zu verstehen. Als ich mich angezogen hatte, fragte er streitlustig, wohin ich denn gehen wolle. Zu dem Ingenieur. Wann gedenkst du diese Drecksarbeit zu beenden? Wenn ich genug Geld habe. Du verkaufst deine Seele. Na und? Wer tut das nicht. Zeig mir einen, der seine Seele und seinen Körper nicht zu Markte trägt, sagte ich. Machen wir uns keine Illusionen. Pud setzte sich auf. In Ordnung, lass uns nicht mehr davon reden. Gut? Versöhnen wir uns. Was machst du heute Abend? Wir haben uns lange nicht mehr zusammen betrunken. Ich habe gestern Geld organisiert, wir könnten was trinken gehen. Ich legte meine Hand auf die Türklinke. Ich sagte, ich sei bis zum Abend zurück, wenn er wolle, könne er auf mich warten. Beim Hinausgehen sah ich, dass er nach seinem elektrischen Rasierer Marke Braun griff. Ich rannte auf die Straße, wo ich mein Versprechen sofort bereute. Wir würden uns wie Schweine volllaufen lassen und uns glauben machen, dass auf diese Weise alles in Ordnung käme. Wir würden irgendwelchen Zirkus veranstalten und hätten dann wieder Gesprächsstoff. Ich weiß genau, wie das abläuft. Ich ging geradewegs zur Wohnung des Ingenieurs. Unterwegs sah ich Mem, sie betrat gerade die katholische Kirche. Arme Mem! Ich wusste, dass sie da enden würde. Mit gesenktem Kopf lief ich weiter. Interessant, immer mehr Bekannte von mir schleichen in die Kirche, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Doch es ist, als schämten sie sich bei dieser Flucht, sie erklären niemandem, warum sie das tun. Vielleicht hoffen sie, dort Gehör zu finden. Es wäre ja auch toll, wenn das möglich wäre! Jedenfalls glauben sie, dass so alles in Ordnung kommt. Das ist ja auch was. Ja. Bei der Wohnung des Ingenieurs angekommen, klingelte ich und wartete geduldig. Csicsis Brief sowie Merkurosz’ Geständnis hatten mich überzeugt, dass ich dieses Mädchen treffen müsse. Der Ingenieur würde schon nichts daran auszusetzen haben. Schließlich hatte er es ja selbst vorgeschlagen. Er wünschte sich mich als seinen Komplizen. Aber darum geht es nicht. Ich kämpfe um mich selbst. Doch es scheint, als habe der Ingenieur mich ins Herz geschlossen. Er vertraut mir. Ich weiß nicht warum. Merkurosz irrt sich. In seinen Notizen steht: »Blue’s Arbeitgeber hat sich sein Leben lang abgerackert, ist der Partei beigetreten, rein karrierehalber, er baute Autobahnen, leckte die Stiefel seiner Chefs, und jetzt jagt er Mädchen nach, um sein Selbstwertgefühl zu steigern. Ein kaputter Typ. Er denkt, die Zeit sei reif für ihn, lockerzulassen und sich Trost zu verschaffen. Nur darum geht es ihm. Er redet davon, das richtige Leben zu führen, er habe gefunden, wonach er gesucht hatte, und nun pfeife er auf die Welt. Unausstehlich, überheblich. Neidisch auf die, die anders leben wollen. Bestimmt weiß die Polizei über seine Machenschaften Bescheid und hält ihn sich als Geisel. Im Allgemeinen werden Lebenskünstler zu Spitzeln.« Eines ist sicher, Merkurosz redet wirres Zeug. Er überblickt die Lage nicht. Er hat keinen Schimmer, dass die Mädchen gerade darauf aus sind, dass man sie erpresst. Doch mich interessieren Gerüchte nicht. Geschäft ist Geschäft. Der Ingenieur öffnete die Tür und musterte mich überrascht. Man konnte ihm ansehen, dass er nicht mit mir gerechnet hatte. Ich muss ein paar Filme entwickeln, sagte ich. In Ordnung, sagte er und ließ mich eintreten. Er bat mich, mich zu setzen. Einen Moment lang zögerte ich, übermannt von einem Gefühl der Unsicherheit. Er holte Getränke, bot mir davon an. Wie immer. Aus purer Routine. Ich sagte, ich wolle ihm etwas Wichtiges mitteilen. Ich solle gleich damit rausrücken, sagte er. Sein gleichgültiger Tonfall gefiel mir nicht. Aber ich machte den Mund auf. Ich sagte, ich möchte, dass er mir das blonde Mädchen überließe, das unlängst hier war. Ich beteuerte, dass ich selbst nicht wüsste, warum ich mir...


László Végel, geboren 1941, lebt als Angehöriger der ungarischen Minderheit im serbischen Novi Sad. Mit Danilo Kis, Aleksandar Tisma oder Ottó Tolnai einer der großen Autoren der Wojwodina. Seinen ersten Roman veröffentlichte Végel 1967: Die 'Bekenntnisse eines Zuhälters' waren, so Péter Esterhá-zy, "ein Meilenstein für die moderne ungarische Literatur". Seitdem erschienen mehrere Romane und mit Preisen bedachte Essaybände sowie Theaterstücke. Zuletzt auf Deutsch: Exterritoritum. Szenen vom Ende eines Jahrtausends, Bekenntnisse eines Zuhälters sowie Sühne.



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