Viewegh | Die Mafia in Prag | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Viewegh Die Mafia in Prag

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-552-06272-6
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-552-06272-6
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der ehemalige Lobbyist Darek Balík wird als Kronzeuge von der Polizei bewacht. An wechselnden geheimen Orten versucht er sich Zeit und Angst mit Wein und Zeitungen zu vertreiben. Ohne Vorwarnung entzieht ihm der Innenminister den Zeugenschutz. Damit ist Balík seinen Feinden ausgeliefert: Der Prager Bürgermeister, der lokale Pate, die russische Mafia, sie alle sind hinter ihm und dem kompromittierenden Material, das er gesammelt hat, her. Michal Viewegh hat die Niederungen der Politik in Tschechien genau recherchiert und zu einem Krimi verdichtet. Dass ähnliche Korruptionsaffären die tschechische Regierung tatsächlich zu Fall bringen würden, konnte er nicht ahnen, als der Roman entstand, der mit Witz und Pulp-Fiction-Elementen überzeugt.

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DIENSTAG
1. Kapitel
Im Laufe der Nacht hatte sich der Wind gelegt und das Wasser der Talsperre Orlík glänzte still in der Morgensonne. Schinder wachte zehn Minuten vor vier auf, und wie so oft kurz nach dem Aufwachen dachte er, er sei wieder im Gefängnis. Er starrte die vertraute Einrichtung seines Zimmers an, und nur ganz langsam wurde ihm bewusst, dass ihm die Trägheit seines Verstandes wieder ein Schnippchen geschlagen hatte. Diese halbwachen Täuschungen machten ihm nichts aus. Er hatte einfach viel zu lange im Knast gesessen, das war alles. Misstrauisch spitzte er die Ohren, aber die Dachrinne war heute nicht zu hören. Draußen war es ruhig, nur das Zwitschern der Vögel störte. Er hatte keine Lust, noch länger auf die Decke zu starren, und so stand er auf, und wie immer vor einem Auftrag ging er duschen. Er war nicht abergläubisch, aber ausgerechnet diese Gewohnheit war ihm wichtig. Auch sein Frühstück sah an solchen Tagen üppiger aus als sonst: Eier auf Speck, Essiggurken und Bier. Im Radio stellte er den Sender Blaník ein, dort wurden nämlich ab und zu Songs gespielt, die er kannte. So hat er es immer gemacht, warum also etwas daran ändern? Ich mache es wie immer, dachte Schinder – und plötzlich schoss ihm durch den Kopf, dass er noch nie jemanden foltern und erhängen musste. Nach dem Frühstück zog er Gummistiefel an, um sich im taufrischen Gras keine nassen Füße zu holen, und machte sich zum Wasser auf. Die Fenster der Nachbarhäuser waren dunkel, das flößte Schinder ein angenehmes Gefühl der Überlegenheit ein: Die anderen schlafen, und er als Einziger wacht. Er überquerte die Terrasse, wo früher so viele tolle Grillabende stattgefunden hatten. Vier von denen, die dort zusammen mit ihm gesessen, gesungen und getrunken hatten, waren bereits tot. Der Letzte, der an dieser Stelle von Kugeln zersiebt worden war, war Šebesta. Ein toter Ort, dachte Schinder. Die Fliesen unter seinen Füßen klapperten. Mit der Spitze seines Gummistiefels hob er eine hoch und sah zu, wie die Insekten erschrocken auseinanderstoben. Dann ging er zur Schaukel und zog an dem ausgeblichenen Seil. Qualität sah anders aus, aber für seine Zwecke reichte es. Seit hier zum letzten Mal ein Kind geschaukelt hatte, war eine Ewigkeit vergangen. Die Halbwelt hatte keine Kinder. Mit rascher Bewegung schnitt er das Seil entzwei, zog es durch die Ösen im morschen Sitz und wickelte es um seinen Ellbogen. Um Geruchsspuren und ähnlichen Kram kümmerte er sich nicht, dafür war der Chef zuständig. Nie und nimmer schmier ich mir die Augenbrauen mit Wachs ein und geh in Badehaube und Regenjacke los, murmelte er vor sich hin. Dann können die sich das alles gleich selber machen. Wie der Chef sagt: Solange man denjenigen kennt, der die Ermittlungen stoppen kann, braucht man sich nicht um Fingerabdrücke oder DNA-Spuren kümmern. Man sagt zwar, vollkommene Verbrechen gebe es nicht, der Täter mache immer Fehler – so stimmte das aber nicht. Natürlich gab es perfekte Verbrechen. Ein perfektes Verbrechen war eines, das überhaupt nicht untersucht wurde. Ein perfektes Verbrechen gab es dann, wenn der Mörder und die Polizei an einem Strang zogen.   Schinder hatte insgesamt siebzehn Jahre, also ein Drittel seines Lebens, hinter Gittern verbracht. Es war eine Welt, die ganz anderen Regeln folgte. Hätte er sie nicht angenommen, wäre er heute schon lange tot. Das menschliche Leben besaß in seinen Augen zwar keinen besonderen Wert, aber man konnte nicht behaupten, es wäre ihm nichts heilig. Menschen, die weder das Gefängnis noch die Halbwelt kannten, redeten und schrieben über ihn, als wäre er ein Unmensch. Das stimmte aber nicht. Er verstieß nicht gegen die Regeln der Menschlichkeit, wie sie es nannten. Er hatte bloß andere Regeln. Er kehrte ins Haus zurück, holte Seife aus dem Badezimmer und seifte das Seil ein. Dann versuchte er eine Schlinge zu knüpfen. Sie gefiel ihm nicht, also versuchte er eine neue. Als er gerade das Messer wetzen wollte, stolperte der Chemiker hinein und blinzelte ihn fragend an. »Es wird eine überdurchschnittliche Leistung verlangt. Mit ein paar Extras«, Schinder hielt das Schweigen des Chemikers nicht aus. »Du meinst eine Extrawurst, ja?«, sagte der Chemiker unsicher. Schinder konnte sich nicht erinnern, wann der Chemiker zum letzten Mal etwas mit sicherer Stimme behauptet hatte. »Es soll sich um eine Botschaft handeln. Eine Warnung, verstehst du? Damit es nie wieder zum Bespitzeln und Denunzieren kommt.« Die kranken Pupillen des Chemikers weiteten sich. »Eine Botschaft? Was meinst du mit Botschaft?« Den Mann kann man wirklich nur mit Mühe ertragen, dachte Schinder.     2. Kapitel
Dank Whisky schlief Darek Balík abends um halb neun ein, aber als er um drei Uhr morgens aufwachte, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Um fünf Uhr hielt er es nicht mehr aus und stand auf. In der Pension war es beunruhigend still. Draußen wetteiferten die Vögel um das schönste und lauteste Lied des Tages. Der Himmel lichtete sich. Unter den Thujen im Nachbargarten schlich ein schwarzweißer Kater herum. Balík suchte mit den Augen die Baumkronen ab, denn dort könnte sich ein Auftragskiller verstecken. Mit der gleichen Waffe, mit der der Mafiapate Mrázek erschossen wurde. So würde das Sterben am wenigsten wehtun. Er posierte mitten im Fenster, schob sogar die Vorhänge zur Seite, aber er musste sich am Fensterbrett festhalten. Falls Schinder den Auftrag hatte, würde der sich nicht verstecken, dachte Darek Balík, und seine Eingeweide verkrampften sich. Nein, der würde sich überhaupt nicht verstecken. Wenn der Löwe jagt, brüllt er. Außerdem würde er das Versteck von Balíks Geheimmaterial herausbekommen wollen, und würde es deshalb keinesfalls bei Höflichkeitsfloskeln belassen. Folter. Er versuchte das Wort zu verjagen, es blieb aber. Balík machte sich ein Frühstück, bekam jedoch keinen Bissen hinunter. Seine Speiseröhre wurde von Magensäure geflutet. Er steckte sich den Finger in den Hals, es half nicht. Die Rasur ließ er auch lieber aus. Die Vorstellung, sein Kinn und seinen Hals mit Rasierschaum einzupinseln, ähnelte zu stark dem Prozedere vor einer Hinrichtung, das er aus Filmen kannte. Er schaltete den Fernseher ein. Auf Nova gab sich der Stammler gerade als Weinkenner aus – und die Blondine mit dem Mikro in der Hand nahm ihm das aus irgendeinem Grund ab. Im Morgenstudio von ?T1 war eine Physiotherapeutin zu Gast, die behauptete, für unsere Gesundheit seien in erster Linie wir verantwortlich. Der Lobbyist schaltete den Fernseher wieder aus. Er setzte sich an sein Notebook und wählte aus dem Ordner mit Musik, die er schon für seine Beerdigung ausgesucht hatte, endlich die wichtigsten Titel aus. Er hörte sich alle drei Kompositionen noch einmal an und brannte sie auf eine CD; dann ließ er sich aufs Bett fallen und schluchzte ins Kissen. Sein Herz raste. Sein Atem ging schnell. Er war fest entschlossen, seine Tochter anzurufen – er wollte nur bis sieben warten, um sie nicht zu wecken. Aus der Schachtel, die er vom Oberst geschenkt bekommen hatte, packte er das Handy aus und legte die SIM-Karte ein. Irgendwann konnte er sich nicht mehr beherrschen, und schon ein paar Minuten nach halb sieben tippte er die Nummer ein. Sie nahm sofort ab, musste also bereits wach gewesen sein. Sie stellte sich nicht vor. Ihr Hallo klang forsch und wachsam gleichzeitig. »Alles Gute zum Geburtstag, Diana«, sagte er mit belegter Stimme. Sie verstummte. Er betete, sie möge nicht auflegen. »Bist du da?« Erst jetzt hörte er, wie sie Luft holte. »Ja.« Er wollte etwas sagen, aber zu seiner Überraschung war sie schneller. »Was kann ich für Sie tun?« Er dachte, er hätte sich an ihr Siezen gewöhnt, aber es tat immer noch weh. »Leider nichts. Man wird mich töten.« Er hörte selbst, wie jämmerlich und peinlich er klang. Lügen sind manchmal überzeugender als die Wahrheit, fiel ihm ein. In so einer Zeit leben wir. Sie zischte genervt – wie eine Angestellte der Elektrizitätswerke, wenn schon wieder ein Kunde seine Stromrechnung beanstanden möchte. »Sie haben getrunken, oder?« Er suchte nach Worten. Sie wiederholte ihre Frage mit erhöhter Stimme, sprach ihn sogar mit dem Nachnamen an: Herr Balík. Kühler und abweisender hätte sie kaum sein können. Mit dem Handy am Ohr schritt er wütend im Zimmer auf und ab, und sein Blick sprang zwischen Tür, Garten und Straße hin und her. »Das habe ich. Gestern Abend. Aber darum geht es nicht. Ich wollte dich um etwas bitten«, sprudelte er hervor. »Wusste ich’s doch. Menschen wie Sie rufen nur dann an, wenn sie etwas brauchen.« Menschen wie Sie. Der nächste Peitschenhieb. Aber er musste sich darüber hinwegsetzen. »Ich möchte dir was geben. Bitte.« »Ich will aber nichts von Ihnen. Schon lange nicht mehr – das wissen Sie genau.« »Kannst du bitte zu dem Ort kommen, wo wir genau vor zwanzig Jahren zusammen gewesen sind? Behalte den Namen für dich, bitte, sag ihn nicht laut!« Das Handy war zwar neu, aber die Erfahrung lehrte ihn, misstrauisch zu bleiben. Sie räusperte sich. »Falls du dich erinnerst, sag ja.« Sie schwieg. »Erinnerst du dich, wo wir vor zwanzig Jahren zusammen gewesen sind?« »Ja! Aber wir sind damals an zwei Orten gewesen, falls Sie sich erinnern können?!« Jetzt wirkte sie nicht nur distanziert, sondern auch noch entrüstet. »Den näheren Ort meine ich. Der näher zu dir liegt. Von deiner...


Profousová, Eva
Eva Profousová, geboren 1963 in Prag, lebt seit 1983 in Hamburg. Sie ist freiberufliche Literaturübersetzerin (Prosa, Theater), Publizistin und hat u.a. Jáchym Topol, Jaroslav Rudiš, Tereza Boucková und Radka Denemarková ins Deutsche übertragen.

Viewegh, Michal
Michal Viewegh, geboren 1962 in Prag, arbeitete nach einem abgebrochenen Wirtschaftsstudium als Nachtwächter und studierte anschließend Tschechisch und Pädagogik. Er lebt heute als freier Schriftsteller in Prag, wo er ein Bestsellerautor ist. Bei Deuticke erschienen bisher: Erziehung von Mädchen in Böhmen (1998), Die Liebe eines Vaters (1999), Roman für Frauen (2002), Geschichten über Sex und Ehe (2004), Völkerball (2005), Der Fall untreue Klára (2007), Engel des letzten Tages (2010), Zeitweiliger Orientierungsverlust (2011) und Die Mafia in Prag (2014).



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