Voehl | Der Henker 5 - Das Schloss der tausend Tode | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 5, 100 Seiten

Reihe: Der Henker

Voehl Der Henker 5 - Das Schloss der tausend Tode


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95572-985-1
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 5, 100 Seiten

Reihe: Der Henker

ISBN: 978-3-95572-985-1
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wer ohne Schuld ist, hat nichts zu fürchten. Alle anderen sollten sich vorsehen! Der Henker, Band 5: Das Schloss der tausend Tode Uwe Voehls legendäre Miniserie 'Der Henker' ... endlich als E-Book erhältlich!

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2. Kapitel


»Lass uns vorher noch etwas essen«, sagte Christine. Wusste der Teufel, was sie mit ›vorher‹ meinte und sich unter ›nachher‹ vorstellte, aber es klang verheißungsvoll genug. Christine war eine attraktive Blondine, die außer einem schwarzen Catsuit nichts am Körper zu tragen schien. Lukas kannte sie erst seit vier Wochen und war überrascht gewesen, eine Frau wie sie hier draußen auf dem Land zu finden. Außer dass sie erst seit kurzer Zeit zu ihren Eltern auf den Bauernhof gezogen war, wusste er eigentlich nichts von ihr. Er hatte sie beim Einkaufen kennengelernt, weil sie aus Versehen seinen Einkaufswagen zur Kasse geschoben hatte. Seitdem waren sie sich immer wieder zufällig über den Weg gelaufen, und schließlich hatte er sie ins Kino eingeladen.

»Ich habe noch ein Hähnchen in Estragonsoße zu Hause. Das schieb ich uns in die Mikrowelle«, schlug Lukas vor.

»Ich würde lieber irgendwo etwas essen gehen«, sagte Christine. »Da vorne war ein Hinweisschild, dass gleich ein Gasthaus kommen muss.«

»Ach, du meinst den ›Krug‹«, sagte Lukas. »Das war früher die Dorfkneipe. Jetzt gibt's da nur noch ausländische Kost.«

»Na und? Sag bloß, du hast Vorurteile?«

Lukas hatte keine Lust, die Diskussion zu vertiefen. Außerdem hatte er ganz einfach keine Lust, gerade heute Abend mit Christine essen zu gehen. Er hatte andere Pläne. Trotzdem beugte er sich ihrem Wunsch.

Er fuhr an einigen Backsteinhäusern und der kleinen, weißgetünchten Kirche vorbei und parkte seinen Passat vor dem Gasthaus.

Früher, vor zwanzig Jahren, war das Wirtshaus wohl mal so etwas wie der gesellschaftliche Mittelpunkt des Dorfes gewesen. Es war über Generationen hinweg weitervererbt worden, und im Laufe der Zeit war aus dem Wirtshaus ein richtiges Gasthaus geworden. Außerdem hatte die Frau des letzten Wirts, die alle nur ›Mutter Thea‹ nannten, mit Erfolg einen kleinen Kolonialwarenladen betrieben, in dem es nicht nur Wurst und Bier gab, sondern einfach alles, was die Leute sich sonst aus der Stadt hätten besorgen müssen. Schließlich hatte das Gasthaus lange leergestanden. Erst seit einigen Monaten war in den alten Mauern wieder Leben eingekehrt. Russische Einwanderer hatten es gepachtet.

Aber als es noch leergestanden hatte, hatte man es die Rattenburg genannt, und alle Leute im Dorf hatten einen großen Bogen darum gemacht.

Lukas zog den Zündschlüssel ab, und da passierte es: Schlagartig wurde es stockdunkel. Es war aberwitzig! Einen Moment zuvor noch hatten die Laternen genügend Licht gespendet, und die Leuchtreklame über dem Eingang des Gasthauses hatte einladend geleuchtet.

Einen Moment lang war Lukas so verblüfft, dass er die Dunkelheit instinktiv mit dem Herausziehen des Zündschlüssels in Verbindung brachte. Er steckte ihn wieder in das Schloss und startete den Wagen. Der Wagen sprang an, aber trotzdem wurde es draußen nicht heller. Selbst die Scheinwerfer des Passats versagten ihren Dienst.

Er spürte plötzlich Christines Hand, die sich an seinem Arm festhielt. Unter anderen Umständen wäre ihm dies sehr willkommen gewesen, aber nun hatte er andere Sorgen.

»Mein Gott!«, sagte Christine. »Wieso ist es plötzlich so dunkel?« Ihre Stimme zitterte.

»Keine Ahnung«, sagte Lukas matt. »Vielleicht sollte ich mal aussteigen und nachsehen.«

Es kam ihm merkwürdig vor, aber instinktiv hoffte er, dass ihn Christine davon abhalten werde. Etwas schien in dieser Dunkelheit auf ihn zu lauern. Das war natürlich Unsinn, aber trotzdem war er drauf und dran, die Türen zu verriegeln, in der Dunkelheit Gas zu geben und davonzubrausen. Selbst auf die Gefahr hin, in irgendeinem Straßengraben zu landen.

Etwas klatschte gegen die Scheibe. Christine schrie auf. Lukas betätigte den Knopf der Zentralverriegelung. Aber den Wagen zu starten, wagte er in dieser Finsternis nicht.

Noch nicht.

Ihr Mischlingshund Tim musste noch ausgeführt werden. Und das um acht Uhr abends, kurz vor der Tagesschau! Also hatte sich Jean-Paul missgelaunt die Leine geschnappt. Thom, sein Sohn, war erst drei Jahre alt, aber er bestand darauf, mitzukommen. Eigentlich war es schon zu spät für den Winzling, aber Jean-Paul hatte die Hoffnung, dass der Kleine nach einem kurzen abendlichen Spaziergang umso ermatteter ins Bett fallen würde. Vielleicht würde es ihm und Irena sogar noch gelingen, aus diesem verkorksten Abend doch noch etwas Nettes zu machen.

Aber zunächst musste er sich mit Tim und Thom begnügen.

»Okay, zieh dir die Gummistiefel an«, sagte er zu Thom.

»Vati, du hast okay gesagt. Jetzt musst du 50 Pfennig in die Okay-Spardose werfen!«

Jean-Paul hatte diese Spardose eingerichtet, um Thom die ewigen ›Okays‹ abzugewöhnen. Allerdings war er mittlerweile der fleißigste Einzahler. Kinder sind cleverer, als ein Familienvater glaubt.

Draußen schlug der Wind gegen die Fensterscheiben. Eigentlich mochte Jean-Paul keine Tiere, Hunde am wenigsten. Mit fünf Jahren hatte ihm ein Terrier in die Hoden gebissen. Thom, sein und Irenas Sohn, war eher den großartigen Leistungen der Ärzte als seiner sexuellen Ausdauer und Potenz entsprungen. Vielleicht war Thom deswegen überdurchschnittlich intelligent, wer mochte das wissen? Vielleicht war er es aber auch deswegen, weil Jean-Paul und Irena ihn so liebten. Weil es so verdammt schwierig gewesen war, ihn in die Welt zu setzen.

Thom hatte sich Stiefel und Anorak angezogen. Er konnte es natürlich schon selbst und war stolz darauf. Er sah, wie immer, perfekt darin aus. Ein zauberhafter kleiner Kerl von drei Jahren, mit blonden Haaren, die unter der Kapuze hervorlugten, und hellblauen Augen, die jetzt erwartungsvoll leuchteten.

»Dann lass uns mal losziehen! So ein Sauwetter!«

»Moment noch, Vati!«, sagte Thom. Ihm schien noch etwas eingefallen zu sein. Er öffnete die unterste Schublade der Kommode und holte zwei Dinge heraus. Eine Taschenlampe und eine Sound-Laser-Pistole, mit der er einen höllischen Lärm veranstalten konnte. Sie gab futuristische Geräusche von sich und blinkte infernalisch, wenn man den Abzug betätigte.

»Wenn Monster kommen«, sagte Thom mit ernster Miene. Er war drei und glaubte an Monster. Monster waren seit einigen Wochen sein Lieblingsthema, kein Grund zur Beunruhigung, wie Jean-Paul und seine Frau nach langen Diskussionen übereingekommen waren. Jean-Paul hatte Thom sogar ein ekelhaftes Wasser-Monster aus Gummi gekauft, damit er seinen Spleen besser visualisieren konnte.

Für Thom waren die Monster real. Im Sofa, in der Toilette und natürlich im Keller. Bisher hatte Jean-Paul immer gehofft, dass sich das Monster-Syndrom, wie er es nannte, nur im Hause bemerkbar machen würde; es war an diesem Abend das erste Mal, dass Thom auch draußen auf Geisterjagd gehen wollte.

Kinder werden älter, und ihre Phantasien werden täglich größer. Bis die Phantasien eines Tages so groß sind, dass sie platzen und man plötzlich feststellt, erwachsen geworden zu sein, dachte Jean-Paul.

»Los, komm endlich, Vati!«, wurde er gedrängt.

Tim eilte schon kläffend nach draußen. Irgendetwas schien mit ihm nicht ganz in Ordnung zu sein. Er wirkte heute Abend unruhig und nervös.

Der sprühfeine Regen warf sein Netz über sie, und nach wenigen Schritten waren sie bereits durchnässt. Tim war schon fünfzig Meter vorausgeeilt. Die Bogenlampen warfen seinen langen Schatten, der wie ein riesiges Untier wirkte, diabolisch verzerrt auf den nass glänzenden Asphalt. Sowieso glich Tim mehr einem großen Wolf als einem Hund. Jetzt, im fahlen Licht der Laternen, wirkte er wölfischer denn je.

Thom jagte hinter Tim her. Der Kegel seiner Taschenlampe zuckte wie ein Suchscheinwerfer hin und her. Der Sound-Laser gab futuristische Geräusche von sich und leuchtete dabei in roten und grünen Geisterbahnfarben.

Sie gingen an den Nachbarhäusern vorbei, die jetzt in der späten Dämmerung wie kalkweiße Grüfte wirkten, aus denen nur das unwirkliche Flackern der laufenden Fernseher drang.

Zwischen der Siedlung, in der Jean-Pauls Haus stand, und dem eigentlichen Dorfkern mit der Kirche und dem Gasthaus lagen Maisfelder. Zu beiden Seiten des Weges stiegen sie sanft bergauf und verloren sich in der Dunkelheit. Dort draußen gab es Bauernhäuser, zu denen nie ein Mensch gelangte. Die Alten erzählten, dass noch mancher seltsame Kauz dort draußen wohnte, dem man besser aus dem Weg ging. Jean-Paul wusste nichts Genaueres, und er hatte sich für das Gerede auch nie interessiert. Und trotzdem hatte er immer ein merkwürdiges Gefühl, wenn er abends die schmale Landstraße zwischen den in der Dunkelheit liegenden Feldern entlang ging.

Tim und Thom waren schon weit vorausgelaufen und verschwanden schließlich hinter einer Kurve. Jean-Paul hörte Tims übermütiges Bellen und Thoms ebenso übermütige Rufe. Rechts hoch hinauf ging es zum Friedhof, der eingebettet inmitten der Felder lag und dessen Gräber immer so tadellos gepflegt waren, obwohl Jean-Paul nur selten dort Besucher gesehen hatte. Und wenn, dann hatten die Besucher, wenn sie ihm entgegengekommen waren, nie so ausgesehen, als kämen sie vom Unkrautjäten oder Stiefmütterchenpflanzen. Eher so, als kämen sie direkt von einer Beerdigung, mit blitzblanken Schuhen, dunkler, feierlicher Kleidung und ernsten Gesichtern, auf denen aber nie so etwas wie Trauer lag.

»Wo bleibst du denn, Vati?«, hörte er Thom rufen.

Jean-Paul schnaufte. Wenn er mit Tim und Thom spazieren ging, fühlte er sich immer uralt. Vielleicht lag es auch an diesem verfluchten Weg und den...



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