E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Vollenberg / Juschkat Piranhas im Schlossgraben
2. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7528-2649-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prosa und Lyrik
E-Book, Deutsch, 180 Seiten
ISBN: 978-3-7528-2649-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
*1953 in Dorsten, Dipl. Betriebswirtin, seit 2009 Schriftstellerin. Ihre Kurzgeschichten beschäftigen sich mit Geschichten, die das Leben schreibt. Aber sehr oft bewegen sich die Texte in eine kriminelle Richtung. Wichtig ist ihr aber stets eine humorvolle Ausrichtung. 2013 Nominierung für die Vestische Literatureule, 2014, 2015, 2016 Prämierung im Rahmen der Ruhrfestspiele Recklinghausen. Sieger der Literaturausschreibung des Ortsmarketing Raesfeld. Veröffentlichungen Wolkenlos chaotisch, cenarius Verlag Hagen 2013, Urlaubsroman; Gladbecker Anekdoten und Geschichten, Wartbergverlag 2015; Beziehungsdschungel (Regiokrimi) und Inselshopping (Inselkrimi) demnächst in Neuauflage. Regelmäßige Veröffentlichung von Kurzgeschichten in Anthologien und Literaturzeitschriften. Die stattliche Anzahl von einhundert Einzelveröffentlichungen ist bereits überschritten. Kontakt www.brigittevollenberg.de
Autoren/Hrsg.
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8. DER AUFTRITT IN ROT
VOR DEM AUFTRITT
Die Texte sind längst festgelegt,
der Ablauf steht, doch bin ich nicht
mit mir im Reinen, aufgeregt,
und Zweifel steht mir im Gesicht.
Die Zeile, die schon viele mal
zitiert, beklatscht, ja selbst gekrönt,
stell ich an meinen Marterpfahl –
sie hat sich an Kritik gewöhnt.
Vergessen bleibt dann jedes Lob,
denn nur der nächste Auftritt zählt,
und das, was ich aus Worten wob,
muss zeigen, ob es gut gewählt.
Ich bin beschäftigt, konzentriert,
und schieb doch Zeit nur vor mich her,
damit die Furcht an Macht verliert –
so wie der Rabe Nimmermehr.
Bis an die Grenzen meiner Norm
reiz ich die Seelenkarten aus,
und weiß doch nicht um meine Form,
und nichts um baldigen Applaus.
Dann wird es ernst, mein Name fällt,
das Publikum erwartet mich;
ich trete ein in diese Welt,
was vorher war, verdränge ich.
Es wird wie immer anders sein,
doch stell ich das erst später fest,
wenn nächstes Mal mich ganz allein
der Auftritt wieder warten lässt.
Warum fällt es mir so schwer, die Künstlerin anzuschauen? Sie steht auf ihrer kleinen Bühne, das Publikum im Visier, sucht Blickkontakt. Ich wende mich ab, beobachte die Dame aus dem Augenwinkel. Langsam drehe ich den Kopf zurück. Ihr Lächeln trifft mich erneut. Ihre Augen funkeln mich an.
Was will sie von mir? Warum sieht sie immer nur mich an? Bilde ich mir das ein? Was glaubt sie, in meinem Gesicht zu lesen? Ich versuche, die Mimik zu kontrollieren, bin bemüht, Neutralität auszustrahlen. Ihr strahlendes Lächeln erwidere ich nicht. Ich weiß, es ist nicht freundlich. Ein positiver Blick von mir käme einer heuchlerischen Geste gleich. Die Augen gesenkt, schaue ich auf meine Hände, drehe die Ringe in Position. Für einen kurzen Moment bin ich abgelenkt. Dann steht die Bühne erneut in meinem Fokus. Ich scheine immer noch für die Künstlerin der Mittelpunkt des Publikums zu sein. Ihr strahlendes Lächeln trifft mich wieder mit voller Wucht. Ich fühle mich verunsichert, bin leicht irritiert. Kann sie nicht einmal jemand anderen ansehen? Warum fixiert sich die Sängerin nur auf mich? Ich will nicht ihr Kontrapunkt im Publikum sein, ihr Partner im Spiel mit den Zuhörern.
Ihr Gesang ist laut, eher schrill. Ich erkenne Melodien, kann sie aber nicht zuordnen. Die Stimme der Künstlerin ist schrecklich. Sie versteht es nicht, den Ton zu halten. Oder ist es gar nicht ihre Absicht? Meine Gedanken bewegen sich zwischen Unvermögen und Provokation. Ist es künstlerische Freiheit, bekannte Melodien zu verändern, miteinander zu verflechten? Diese musikalische Darbietung gefällt mir nicht. Ihre skurrile Erscheinung kann die Gesangseinlage auch nicht wettmachen. Sie verliert für mich immer mehr an Farbe. Obwohl: Farbe ist ein Element, mit dem sie spielt, das sie in ihren Auftritt einbezieht. Ein aufdringliches Rot, das im Kontrast zu Schwarz mehr und mehr in den Beobachter eindringt. Ein schwarzer Hut mit breiter Krempe, dekoriert mit einer roten Blume. Rot angemalte Lippen, eine Spur zu ordinär. Nein, mehr als eine Spur. Ein rotes Schlauchkleid, mit einem knappen schwarzen Bolero, unter dem recht üppigen Busen gebunden, umschließt ihren Körper. Rote Gummistiefel! Das farbliche Potpourri passt, getrennt von der Person betrachtet. Aber die Künstlerin, die in diesem Outfit steckt, prägt das Bild als Gesamtwerk.
LILA LYRIK
‚Lila ist wie Poesie‘,
hat sich in mir festgesetzt,
doch benutz ich es fast nie,
nehme lieber Rot und Blau,
denn da weiß ich ganz genau,
was sich darauf reimt zuletzt.
Violett ist auch nicht schön,
wenn es mir ums Dichten geht,
ist vielleicht nett anzusehn,
hat am Ende zwar Akzent,
aber kein Gefühl, das brennt,
ganz egal, wie man es dreht.
Und so haben alle Farben
ihre Eigenschaften, Gaben,
doch ich zähl nur zu den meinen,
die auch lyrisch mir erscheinen.
Während des ersten Parts des Auftritts halte ich meinen Kopf hauptsächlich gesenkt. Den ständigen Blickkontakt kann ich nicht aushalten. Warum trägt sie nur rote Gummistiefel? Es sind eher Stiefeletten, der Schaft ist kurz. Die Beine, die aus der roten Fußbekleidung herausschauen, sind von einer ungesunden, schlecht durchbluteten Nacktheit. Fußfesseln gibt es nicht, weder in der Stiefelette, noch darüber. Der Knöchel geht in Wade und Knie über und verdickt sich in einer unförmigen, fleischigen Masse bis hin zu den Oberschenkeln, die unter dem Rand des Minischlauchkleides in Rot verschwinden. Der Stiefelschaft ist zu eng. Gibt es handelsübliche Gummistiefel, in die diese Waden passen? Nein, entscheide ich. Die Dame auf der Bühne hat das Problem praktisch gelöst, mit einer Schere. Vom oberen Rand des Schaftes hat sie einen Schlitz in die Stiefeletten geschnitten, der sich bis zum Fußrücken erstreckt. Die nötige Weite ist erreicht.
Warum trägt sie ausgerechnet Schuhwerk aus diesem wasserundurchlässigen Material, heute, bei 30° C und einem Auftritt in einem Zelt, in dem die unangenehme Luft, angereichert mit den Körperausdünstungen der Menschen, steht? Die nächste Frage drängt sich mir auf: Warum ist das Kleid so kurz, so eng? Muss das sein? Ist das gewollt? Der weiche Stoff malt gnadenlos jede Rundung ab. Jede. Muss der Fummel, so weit über dem Knie, das kaum erkennbar ist, aufhören? Ich hasse nichts mehr als Minikleider, die von den falschen Frauen getragen werden. Eine unausgesprochene Kritik staut sich in mir. Das Erscheinungsbild dieser Künstlerin ist provokant. In mir kämpfen Ästhetik, Schönheit, kabarettistische Provokation miteinander. Die Frau ist eine Lachnummer, aber ich kann nicht darüber lachen, denn ihre Blicke haben mich zu einem Teil von ihrem Auftritt gemacht. Wie es scheint, bin ich den Medien verfallen, die uns wieder und wieder Schönheitsideale vorgaukeln, die für den größten Teil der weiblichen Bevölkerung ein Leben lang nur ein Traum bleiben werden. Ich kenne nur wenige Frauen, die groß und schlank sind und so lange Beine haben, dass das rote Schlauchkleid an ihnen wie ein Designer-Modell von Lagerfeld aussehen würde. Wer sieht schon aus wie Germanys next Topmodel? Eine Sendung, die ich mir bisher noch nie angeschaut habe. Ehrlich! Nein, es ist mein eigenes ästhetisches Empfinden. Ich bin auch nicht superschlank und es liegt mir fern, über die Figuren anderer Menschen zu lästern. Jeder ist, wie er ist, Hauptsache: Er ist zufrieden, fühlt sich wohl in seiner Haut.
DAS SCHÖNE IDEAL
Die Modeschöpfer dieser Welt,
sie wollen uns nur helfen,
verzaubern Stoff in ganz viel Geld
und alle Frau'n in Elfen.
Ob groß, ob klein, egal wie schwer,
ganz leicht, sie zu verwandeln;
ein jedes Mädchen hat das Flair,
sich Schönheit einzuhandeln.
So tragen sie den Hauch von Nichts,
die Schuhe vom Designer,
trotz allem ‚Über‘ des Gewichts –
je fetter, desto feiner.
Denn der Maestro setzt den Trend
nicht für die große Masse,
weil den nur eine Dame kennt –
und er füllt sich die Kasse.
Die Kombination aus Stimme und Optik wird abgerundet mit Texten, die aus dem Mund dieser Künstlerin sprudeln. Diese Dreierkombination setzt meine Fantasie in Gang, der ich nicht mehr Herr werde, solange ich gefangen zwischen anderen Zuschauern sitze und der Gesamtheit dieses Kunstobjektes ausgesetzt bin.
Sie singt von frustrierten Ehefrauen, die sexuell von ihren Männern vernachlässigt werden. Die kein Interesse an Männern ihrer Altersklasse haben, sondern nach jüngeren Ausschau halten. Sie behauptet in ihren Texten, dass diese jungen Burschen nur darauf warten und allzeit bereit wären. Meine Fantasie wird grenzenlos. Ich stelle mir diese Frau auf der Bühne nackt, in inniger Umarmung mit einem attraktiven jungen Mann vor. Vielleicht mit dem, der gerade zu meiner Rechten sitzt. Ich spüre blankes Entsetzen in mir aufkommen. Nein, niemals, diesen Gedanken kann ich einfach nicht zulassen. Ich schüttle meinen Kopf in der Hoffnung, die grässlichen Bilder fallen in meine tiefsten Speicher zurück.
Warum applaudiere ich eigentlich? Ist es eine Geste der Höflichkeit, der ich mich nicht entziehen kann? Die Künstlerin verbeugt sich artig, gewährt einen wogenden Einblick in ihr Dekolleté. Sie schwingt ihren Hut. Kokett bewegt sie ihren Kopf. Unsere Blicke haften aneinander wie zwei Magneten. Ich lese in ihren Augen: Du zählst auch zu diesen Frauen. Merkst du nicht, dass du nur in einen Spiegel schaust, wenn du mich ansiehst, mir zuhörst?
Ich kämpfe mit mir, aufzustehen und das Zelt zu verlassen. Die unerträgliche Hitze würde eine Flucht rechtfertigen. Ich bleibe sitzen. Peinlich berührt schaue ich nach rechts, blicke direkt in das Gesicht meines jugendlichen Nachbarn. Er sieht mich neutral an, leicht entsetzt. Er grinst nicht, weder blöd noch...




