Waak / Dax Spex
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8493-0034-0
Verlag: Metrolit Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Das Buch. 33 1/3 Jahre Pop
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-8493-0034-0
Verlag: Metrolit Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Die Bibel für die Jünger des Pop: Die besten Texte über Popkultur und Musik aus über drei Jahrzehnten. Das Nachschlagewerk und Zeitreisebuch in einem.
Spex – nach dem englischen Slang-Ausdruck für Brille „specs“ benannt – erfand eine neue Sprache, in der seither in Deutschland über Popkultur gesprochen wird. Autoren wie Diedrich Diederichsen und Rainald Goetz, Klaus Theweleit und Georg Seeßlen schrieben und schreiben in Spex über den Stand der Dinge – in Musik, Kunst, Mode, Film und Literatur.
Das Buch kompiliert Texte, Listen und Cover aus der Geschichte des Blattes: Von den ersten Tagen, als das Magazin noch als großformatige Schwarzweiß-Zeitschrift im New-Wave-Look erschien, über die stilprägenden achtziger Jahre in Köln bis zur heute in Berlin erscheinenden 'neuen' Spex.
Mit Beiträgen von Diedrich Diederichsen, Dietmar Dath, Clara Drechsler, Christoph Gurk, Barbara Kirchner, Jutta Koether, Joachim Lottmann, Hans Nieswandt, Tobias Rapp, Klaus Theweleit u.v.m.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Rock’n’Roll, Punk, Relevanz, New Wave, Spex, Ska – alles klar? Keiner weiß Bescheid
Editorial von Gerald Hündgen—Spex 10 /1980 Nach der ersten Ausgabe von SPEX hat es einige Kritik gegeben, die meinte, das Spektrum der besprochenen Gruppen sei zu eng und zu sehr auf »Insider« zugeschnitten. Innerhalb der Redaktion gab es hingegen Stimmen, die anlässlich der neuen Ausgabe fragten, ob David Bowie und die Inmates nicht schon aus dem Konzept von SPEX fielen? Sprechen wir also vom »Konzept«! (Dabei will ich mich hier bewusst auf die musikalische Seite beschränken. Die Frage, inwieweit auch Bereiche wie Bücher, Filme, politische Fragen … bei uns ihren Platz haben sollten, müsste gesondert besprochen werden.) Klar, die erste Ausgabe lässt keinen Zweifel, wo’s langgeht. »New Wave« ist gemeint, wenn (leicht ironisch) »MUSIK ZUR ZEIT« versprochen wird. Gut, was ist denn New Wave? »New Wave« (oder »Punk«) ist 1976/77 als Reaktion auf die »Supergruppen/-stars« entstanden, deren Welt der Cocktail-Bars und Nobel-Discos mit den Alltagserfahrungen der Jugendlichen genauso wenig zu tun hatte wie ihre stundenlangen Beschwörungen des Kosmos und allerlei mythischer Gestalten mit Rock’n’Roll. Mit »Punk« bestimmten (wieder) Spontanität und Ideenreichtum die Musik – im Gegensatz zu hohlen Demonstrationen technischen Könnens. Die Würze: »Sag’s in drei Minuten oder halt den Mund! « Und darüber stand die alles entscheidende Frage »und, kann man dazu tanzen?« Von Anfang an aber gab es Leute, die »New Wave« weiter/anders verstanden. Nämlich als neu gewonnene Freiheit, die es erlaubte, an die Grenzen konventioneller Rockmusik und darüber hinaus vorzustoßen. Zu Beginn wurden diese unterschiedlichen Richtungen noch durch die gemeinsame Ablehnung »neuer Helden« und Ideologien zusammengehalten. Und vor allem standen sie zusammen gegen die noch übermächtigen »Boring Old Farts« und die Industrie. Heute jedoch, wo auch »New Wave« seine Helden produziert hat und selbst Business wurde, ist diese Klammer weggefallen. »Punks« und »New Waver« verdächtigen sich gegenseitig des Verrats an den ursprünglichen Idealen. Wobei Erstere den Vorwurf der hoffnungslosen Erstarrung einstecken müssen und umgekehrt von den »neuen Hippies« die Rede ist. »Rock’n’Roll is Dead«
Mittlerweile gilt es in bestimmten »kulturbewussten« Kreisen als schick, ein Schild vor sich herzutragen, auf dem »ROCK’N’ROLL IST TOT« prangt. John Lydon (Ex-Rotten) hat das mit der Frage begründet, wie oft man denn noch denselben konventionellen 12-taktigen Rocksong schreiben wolle. Auch ihm dürfte klar gewesen sein, dass alle Hitparaden zeigen, dass dies wohl noch eine ganze Zeit der Fall sein wird. Wenn er aber damit meinte, dass es sich hierbei mittlerweile um ein künstlerisch leeres Schema handele, das zu keiner Entwicklung mehr fähig sei (»Die Sex Pistols waren die letzte Rock’n’Roll-Band«), steht die Musik von Clash, Jam, XTC … dem entgegen. Neben vielen anderen beweisen sie, dass »Rock« immer noch zu sehr eindrucksvollen musikalischen Leistungen fähig ist. Aber auch die Gruppen, die die herkömmlichen musikalischen Formen längst hinter sich gelassen haben, hören damit nicht auf, Rock’n’Roll zu sein. Ihre Platten werden von den Firmen über dasselbe Netz vertrieben wie die letzte Boney-M-Scheibe. Promotion für ihre Platten wird in den marktüblichen Musikgazetten gemacht und nicht in Kulturzeitschriften. Das Wichtigste jedoch ist der kulturelle Rahmen, in dem sie stehen: Das Publikum, das sie erreichen (wollen), ist wie sie selbst in der Tradition der Rockmusik groß geworden. »New Wave« meint doch wohl »neu« in Bezug auf diese Tradition – nicht Musik oder sogar Kultur schlechthin. Wir waren oben, ihr da unten
1968 galt es noch als ausgemachte Sache, dass »Psychedelia« die »Rock«musik im Unterschied zum »Pop« erst emanzipiert habe und diese nun ein Mittel der kulturellen »Revolution« (»progressiv«, »Underground«) sei. Heute wissen wir einmal mehr, »dass Musik die Welt nicht verändert«. Jedes Rock’n’Roll nicht. So werden denn Theorien über »neue Sachlichkeit«, »neue Ich-Strukturen«, »Musik, die stärker mit (…) dem technischen Display des modernen Alltags interferiert« u. Ä. verbraten, die in ihrer Verblasenheit die Ergüsse des Hippie-Propheten Timothy Leary geradezu volkstümlich erscheinen lassen. Wer heute in einer Diskussion über »populäre« Musik das Wort ergreifen will, sollte mindestens über fundierte Kenntnisse in Soziologie und Philosophie verfügen. Wer denkt da nicht an die Zeiten zurück, als »Punk«/»New Wave« als Musik der Arbeiter- und arbeitslosen Jugendlichen galt und ihre Sprache die der Straße war? Jede Diskussion darüber, was R’n’R ist und ob er noch was zu sagen hat, wird dann sinnlos, wenn man sich mit der »neuen Ernsthaftigkeit« den Boden der Erfahrungswelt der Masse der Jugendlichen selbst unter den Füßen wegzieht. Kein Wunder denn auch, wenn die »Pogo Punks« die von ihnen initiierte Bewegung von typischen Mittelklasseschwätzern enteignet sehen und sich weigern, den Kalender von 1977 von der Wand zu nehmen. Sicher in die 80er …
Während die einen an alles die Messlatte der »Relevanz für die 80er« halten, lassen die anderen nur gelten, was mit 300 km/h im 4/4-Takt angebraust kommt. Beides aber bedeutet nur ein Erstarren in neuen Formeln. Jeder auf seine Weise akzeptiert nur noch die Musik, die einmal als richtig erkannte (Vor-)Urteile bestätigt. Damit ist sie dann nur noch Mittel der Selbstbestätigung. Wenn es jedoch eine Geschichte des Rock’n’Roll gibt und man daraus auch noch eine Lehre ziehen darf, dann die eine, dass sich alle Formeln in Schall und Rauch verwandeln. Um bei den viel gescholtenen Hippies zu bleiben: Sie sind ja ursprünglich als »revolutionäre« Bewegung angetreten, um sich später im Bremserhäuschen wiederzufinden. Mit ihren Begriffen verstanden sie die Welt da draußen nicht mehr und hatten selbst dieser Welt nichts mehr zu sagen. … oder Freiheit in Unsicherheit
Jeder, der Musik liebt, wird sich damit auseinandersetzen, wohin sie sich entwickelt. Aber es darf eben nicht darum gehen, an die Stelle der alten Klischees neue zu setzen. R’n’R ist eine Freistildisziplin, in der alles erlaubt ist, wenn es lebendig ist, wenn es etwas in Gang setzt. Dann ist es auch gleich, ob die Specials »Ska«, Clash »Rockabilly«, Jah Wobble »Reggae« oder PIL »Disco« aufgreifen, um mit Elementen anderer Stile eine »zeitgemäße« Musik zu machen. Warum aber sollte dann nicht auch SPEX über Musik berichten, die vielleicht nicht einmal am Rande von »New Wave« liegt? Liegt darin nicht gerade der Reiz von R’n’R, »Neues« zu entdecken, sich weiterzuentwickeln, seine Vorstellungen von Musik immer wieder neu zu sehen? Wie gesagt, bei vielen Musikern ist diese Offenheit deutlich, indem sie »schamlos« die Archive der Rockmusik plündern oder bei anderen Formen, ja anderen Kulturkreisen nach Anregungen suchen – um damit eine eigene Musik zu machen. Bei vielen Hörern – namentlich New-Wave-Puristen – erlaubt erst das auf die ein oder andere Art und Weise erworbene Gütesiegel »New Wave« (das richtige Aussehen, die richtige Plattenfirma …) den Zugang. Leute, die sonst schon bei Erwähnung des Wortes »Jazz« das Weite suchen, finden an This Heat Gefallen. Ebenso werden die lange als kontinentale Ableger der US-Hippies gemiedenen »Deutschtöner« wieder gesellschaftsfähig, nachdem u. a. Johnny Rotten und Pete Shelley (Buzzcocks) Can lobend erwähnten. Die Reihe der Beispiele ließe sich lange fortsetzen (Disco, Funk, Soul …). (Un-)Ruhe bewahren!
Auch eine Musikzeitung sollte sich deshalb von vornherein der Gefahr bewusst sein, sich rigoros auf einen Musikstil zu beschränken und sich damit freiwillig allem Alten/Neuen/Anderen zu verschließen. Das soll nicht heißen, dass man ständig mit der Nase im Wind rumläuft, um ja nicht den neuesten Trend zu verpassen. Dann kann’s einem wie der englischen Musikpresse gehen, die 1978 die Power-Poper als den letzten Schrei feierte, um sie nur Wochen später nicht einmal mehr zu erwähnen. Oder als ihnen beim Anblick der ersten Typen in Parka und Anzug (›Mods‹) der Schrecken derart in die Glieder fuhr, dass einer tot geborenen Mode ellenlange Artikel gewidmet wurden. (Momentan ist »Psychedelia« dran.) Es darf aber auch nicht bedeuten, dass man in Ausgrabungsmanie verfällt oder verzweifelt nach dem noch nie Dagewesenen sucht. Rock’n’Roll ist eine Musik des Aufbruchs und der Auflehnung. Das klingt sehr allgemein. Aber allein daran gemessen, ist Heavy Metal Baujahr 80 mit seiner Unterwerfung unter den Status quo eine alte Musik im Vergleich zu manchen Platten, die mehr als 20 Jahre auf dem Buckel haben. SPEX muss deshalb eine Haltung annehmen, die sich erst mal neugierig zeigt, allen Stilrichtungen gegenüber. Maßstab – so schwammig es klingen mag – sollte dabei sein, ob eine bestimmte Musik, so fern sie New Wave auch stehen mag, heute noch etwas zu sagen hat. Klar, das klingt alles ziemlich vage und wenig griffig. Ansonsten wäre jedoch eine Doktorarbeit daraus geworden. Und dass wenigstens ein paar Leute den Artikel lesen und SICH DAZU ÄUSSERN, wollte ich doch sicherstellen. Mir zumindest sind nach dem Schreiben mehr Fragen gekommen als vorher. Aber Altbundeskanzler Konrad Adenauer hat den Wahlspruch...