Wahl / Crome / Deppe | Weltordnung im Umbruch | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 171 Seiten

Wahl / Crome / Deppe Weltordnung im Umbruch

Krieg und Frieden in einer multipolaren Welt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-89438-923-9
Verlag: PapyRossa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Krieg und Frieden in einer multipolaren Welt

E-Book, Deutsch, 171 Seiten

ISBN: 978-3-89438-923-9
Verlag: PapyRossa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Umbruch von historischer Tragweite: Die 500-jährige Dominanz Europas und der USA über den ?Rest der Welt? geht zu Ende. Eine neue Hegemonialmacht wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Es entsteht eine multipolare Weltordnung. Neue Akteure aus dem Globalen Süden steigen auf und haben ein weltpolitisches Gewicht wie nie zuvor. Keine der heute lebenden Generationen kennt eine solche historische Situation aus eigener Erfahrung. Der Umbruch wirft neue Fragen auf, zu Chancen und Risiken des neuen Systems, zu Krieg und Frieden. Wir haben es mit einer enorm gesteigerten Komplexität zu tun. Der Band analysiert die Umbrüche in der machtpolitischen Struktur und geopolitischen Dynamik des internationalen Systems, die Rolle wichtiger Akteure, darunter die EU und das Deutschland der ?Zeitenwende?. Thema sind auch jene Kontroversen, die in der Friedensbewegung angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten aufgebrochen sind. Dabei gehen die Autoren dem intellektuellen und affektiven ?Betriebssystem? von Bellizismus und Militarismus in der gesellschaftlichen Linken nach. Schließlich werden Grundzüge einer Friedenspolitik auf der Höhe unserer Zeit umrissen.

Peter Wahl, Publizist mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen, Mitbegründer von Attac Deutschland.
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1.
Die Umbrüche im Internationalen System verstehen


Die Welt befindet sich in einem Umbruch von enormer historischer Tragweite. 500 Jahre nach Kolumbus, nach Jahrhunderten der Versklavung und Ausbeutung Afrikas, Asiens und Lateinamerikas durch Kolonialismus, Imperialismus und Neokolonialismus endet die globale Dominanz der nordatlantischen Welt des weißen Mannes. Es entsteht eine multipolare Weltordnung, die in vielerlei Hinsicht mit einer Entwestlichung einhergeht. Hinzu kommt, dass der Westen, der heute nur noch höchstens 15 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, seit dem Bruch im transatlantischen Verhältnis durch die Trump-Administration gespalten ist. Dadurch sinkt sein Gewicht als machtpolitischer Block einmal mehr.

Keine der heute lebenden Generationen kennt eine solche Situation aus eigener Erfahrung und viele haben die Dramatik der Veränderungen noch gar nicht wahrgenommen. Auch die herrschenden Eliten im Westen stecken mitten in der Suche nach strategischen Antworten. Das Ende ihrer Hegemonie ist auch eine schwere Kränkung ihres Selbstbewusstseins, das seit Jahrhunderten von Überlegenheitsdenken begleitet ist. War es zunächst der messianische Glaube, die ›Heiden‹ zum Christentum bekehren zu müssen, dann der Rassismus des 19. und 20. Jahrhunderts, der sich einbildete, es sei die ›Bürde des weißen Mannes‹,1 dem Süden ›Zivilisation‹ zu bringen, so meint in unseren Tagen die ehemalige EU-Außenbeauftragte Mogherini: »Die EU war schon immer stolz auf ihre Soft-Power – und wird dies auch weiterhin sein, weil wir in diesem Bereich die Besten sind.«1 Oder ein vergleichsweise aufgeklärter US-Präsident wie Obama erklärt: »Ich glaube mit jeder Faser meines Wesens an die amerikanische Besonderheit« (exceptionalism).2 Von Donald Trump ganz zu schweigen.

Der Veränderungsprozess steht relativ am Anfang. Seine Gestaltung ist heftig umkämpft, es gibt viele Unwägbarkeiten, und auf den ersten Blick kann die Situation als chaotisch erscheinen. Auch für Friedenspolitik auf der Höhe der Zeit und einen emanzipatorischen Internationalismus werfen die Umbrüche viele neue Fragen auf. Wir wollen deshalb zunächst einige analytische Werkzeuge skizzieren, von denen wir glauben, dass sie notwendig sind, um die heraufziehende Weltordnung zu verstehen.

1.1. Basics der Funktionsweise des Internationalen Systems


Trotz Globalisierung und der Rede von der Weltgesellschaft unterscheidet sich das internationale System in vielerlei Hinsicht noch immer kategorial von innerstaatlichen Verhältnissen. Das lässt sich an folgenden Punkten festmachen:

1. Es gibt keinen Weltstaat. Eine oberhalb der Staaten stehende ›Staatlichkeit‹ existiert auf internationaler Ebene lediglich in Ansätzen, wie der UNO und anderen multilateralen Organisationen und im Völkerrecht. Dieses enthält jedoch zentral seit dem Kriegsächtungspakt von 1928 und mit der UN-Charta ein Friedensgebot, das alle Staaten – zumindest völkerrechtlich gesehen – grundsätzlich akzeptiert haben.

Moderne Staatlichkeit verfügt durch Verfassungen, hoch differenzierte Rechtssysteme, politische Strukturen und Verfahren über eine hohe Regulierungsdichte und beträchtliche Steuerungsmöglichkeiten, die die Machtverhältnisse und Konflikte der Gesellschaft in relativ geordneten Bahnen halten und moderieren. Ein Kernelement ist das Gewaltmonopol, über das Staaten nach innen (Polizei, Justiz, Strafvollzug) und nach außen (Militär) verfügen. Im internationalen System existiert jedoch kein Äquivalent dazu. Daher gibt es im Vergleich zu innerstaatlichen Rechtssystemen auch eine um Größenordnungen geringere Eingriffsfähigkeit zur Lösung von Konflikten. Zentrale Kategorien in zwischenstaatlichen Beziehungen sind daher nach wie vor Macht und Interessen. Die zwischenstaatlichen Beziehungen ähneln deshalb eher dem, was die politische Theorie als ›gesellschaftlichen Naturzustand‹ beschreibt, der tendenziell anarchische Züge aufweist und deshalb durch das Völkerrecht eingehegt werden soll.

2. Es gibt dementsprechend im internationalen System nur vergleichsweise rudimentäre Formen von obersten, schiedsrichterlichen Instanzen, wie es ein Verfassungsgericht oder der Oberste Gerichtshof innerhalb der Staaten ist.

Ebenso wenig gibt es eine internationale Exekutive, die richterliche Urteile umsetzen könnte. Selbst wenn es einmal im UN-Sicherheitsrat, der tendenziell diese Funktion erfüllen soll, zu einem Konsens für die Verhängung von Sanktionen oder den Einsatz von UN-Truppen kommt, müssen diese von Mitgliedsstaaten durchgeführt werden. Wie problematisch das sein kann, zeigt sich daran, dass dieses Verfahren wiederholt missbraucht wurde. 2011 z. B., als der Sicherheitsratsbeschluss für eine Flugverbotszone in Libyen nach der Stimmenthaltung Chinas und Russlands von Großbritannien, Frankreich und den USA mittels militärischer Intervention zum Regime-Change benutzt wurde. Zudem ist der Sicherheitsrat durch das Vetorecht der ständigen Mitglieder ohnehin immer dann blockiert, wenn Vetomächte ihre Eigeninteressen tangiert sehen.

Auch der Internationale Gerichtshof (IGH) mit Sitz in Den Haag, der in der UN-Charta verankert ist, kann nur aktiv werden, wenn alle an einem Streitfall beteiligten Länder2 ausdrücklich erklärt haben, sich seinem Urteil zu unterwerfen.3 Diesem Verfahren liegt der demokratietheoretische Gedanke zugrunde, wonach ein oberstes Gericht nur dann legitim ist, wenn es von allen Seiten anerkannt wird, also das vorliegt, was für innergesellschaftliche Verhältnisse der Gesellschaftsvertrag ist. Der klassische Gesellschaftsvertrag entsteht durch eine Verfassung, die durch ein demokratisches Verfahren entstanden ist.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), ebenfalls mit Sitz in Den Haag, der 2023/24 großes Aufsehen durch die Haftbefehle gegen Putin und Netanjahu erregt hat, ist dagegen keine UN-Institution. Seine Grundlage ist ein zwischenstaatliches Abkommen (Römisches Statut), dem 125 Länder beigetreten sind. Nicht dazu gehören u. a. China, Indien, Israel, Russland, die Türkei und die USA. Da der IStGH sich selbst ermächtigt hat, auch Nicht-Mitglieder seiner Zuständigkeit zu unterwerfen, wie bei Putin und Netanjahu, besitzt er in diesen Fällen keine durch einen dem Gesellschaftsvertrag ähnlichen Konsens begründete Legitimität. Es gilt das Prinzip der Völkerrechtsunmittelbarkeit, d. h. ein souveräner Staat ist direktes, unmittelbares Völkerrechtssubjekt und kann ohne seine Zustimmung nicht an neues Völkerrecht gebunden werden.

Trump hatte deshalb in seiner ersten Amtsperiode sogar Sanktionen gegen die damalige Anklägerin des Gerichts verhängt, als sie versuchte, Kriegsverbrechen der USA im Irak zu untersuchen. US-Behörden wurde jede Zusammenarbeit mit dem IStGH untersagt. Letztere Maßnahme wurde auch von der Biden-Administration beibehalten. Als der IStGH dann 2024 Anklage gegen Netanjahu erhob, bezeichnete Biden das als »skandalös«, und Außenminister Blinken erklärte, dass Den Haag »keine Jurisdiktion über Israel hat«.4 Trump hat kurz nach Antritt seiner zweiten Amtszeit gegen Führungskräfte, Angestellte und Mitarbeiter des IStGH und deren Familienangehörige ein Einreiseverbot in die USA verhängt.

Das Legitimitätsdefizit einer Gerichtsbarkeit mit internationalem Geltungsanspruch gilt erst recht für das ›Sondertribunal‹ zu Putin, das der Europarat in Den Haag einrichten will. Es handelt sich dabei um die anmaßende Vortäuschung von Zuständigkeit und eine reine Propagandaveranstaltung.

3. Kehrseite der geringen Bindewirkung von multilateralen Institutionen und Völkerrecht ist die Tatsache, dass machtpolitische Stärke noch immer das entscheidende Regulationsprinzip in den internationalen Beziehungen ist, zumindest wenn vitale Interessen im Spiel sind. UN-Charta und Völkerrecht werden von Staaten immer solange hochgehalten, wie es in die eigenen Interessen passt. Ist dies nicht der Fall, wird es durch mehr oder minder geschickte Propaganda unter den Tisch gekehrt, wie z. B. 1999 durch die Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen Angriffs der NATO-Staaten auf Jugoslawien durch den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer. Man müsse »ein neues Auschwitz« verhindern, so die skrupellose Instrumentalisierung der Shoah. Auch die Angriffe Israels auf den Iran im Juni 2025 und die Bombardierung der iranischen Urananreicherungsanlagen durch die USA sind ein eindeutiger Bruch mit dem völkerrechtlichen Verbot eines Angriffskriegs. Wenn es zu ernsten Konflikten kommt, dominiert eben nach wie vor das Recht des Stärkeren über die Stärke des Rechts.

Das ist aus emanzipatorischer Sicht inakzeptabel, und der Vorrang des Rechts vor Stärke ist zu Recht ein Kernelement von Friedenspolitik. Zugleich darf nicht vergessen werden: Internationales Recht verkörpert immer auch in Rechtsform geronnene Machtverhältnisse. Aber hier geht es zunächst einmal darum, zu sagen was ist, die Wirklichkeit zu beschreiben. Ohne realistische Diagnose gibt es keine erfolgversprechende Therapie.

4. Woher kommen Macht und Stärke? Sie entstehen aus Machtressourcen. Die bedeutendsten Machtressourcen sind: militärische Macht, ökonomisches und technologisches Potenzial, politischer Einfluss und die sogenannte Soft Power, d. h. die in weitestem Sinne kulturelle oder...


Wahl, Peter
Peter Wahl, Publizist mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen, Mitbegründer von Attac Deutschland.

Crome, Erhard
Erhard ­Crome, Geschäftsführender Direktor des ­WeltTrends-Instituts für Internationale Politik.

Deppe, Frank
Frank Deppe, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg.

Brie, Michael
Michael Brie, Sozialphilosoph, bis 2023 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der ­Rosa-Luxemburg-Stiftung.



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