- Neu
E-Book, Deutsch, 289 Seiten
Walter / Vogt / Fritzen Handbuch Wehrrecht
2. aktualisierte Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-045228-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 289 Seiten
ISBN: 978-3-17-045228-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Herausgeber, Dr. Christian Raap, ist Ministerialrat und Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu den Rechtsthemen dieses Buches. 19 Autorinnen und Autoren haben dieses Handbuch mit seinen 22 Kapiteln verfasst.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1Amtshaftung
Christian Raap
Im Dienstbetrieb der Bundeswehr kommt es immer wieder zu Schäden an Personen und anderen Rechtsgütern Dritter. Schäden sind zum Teil unvermeidbar, zum Teil werden sie aber auch durch Soldaten schuldhaft verursacht. Ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist die Verantwortlichkeit des Staates für einen von ihm zu verantwortenden Rechtsbruch.1 Aus der Rechtsbindung allen staatlichen Handelns folgt eine objektiv-rechtliche Pflicht zur Beseitigung von Rechtsverstößen des Staates.2 Die wichtigste Anspruchsgrundlage für den Ausgleich von dem Staat zuzurechnenden Schäden ist der Amtshaftungsanspruch gem. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.?V.?m. Art. 34 Satz 1 GG.3 Verfassungsrechtlich ist gewährleistet, dass der Staat für Pflichtverletzungen seiner Amtsträger haftet.4 § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist bei diesem Anspruch die haftungsbegründende, Art. 34 Satz 1 GG die haftungsüberleitende Norm.5 Verfassungsrecht und zivilrechtliches Deliktsrecht gehen hier gewissermaßen eine rechtliche Symbiose ein.6 Sind die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs gegeben, tritt an die Stelle der persönlichen Haftung des Amtsträgers die Haftung des Staates. Durch diese befreiende Schuldübernahme7 wird der Amtsträger von der unmittelbaren Verantwortlichkeit gegenüber dem Geschädigten befreit. Die Schuldübernahme bezweckt in erster Linie den Schutz des Geschädigten; ihm soll in jedem Falle ein leistungsfähiger Schuldner zur Verfügung stehen.8 Auf der Rechtsfolgenseite führt die Amtshaftung zu Geldersatz,9 also nicht etwa zu einem Anspruch auf eine rechtmäßige Amtshandlung. Denn der Staat haftet lediglich in dem Maße, in dem der Amtsträger auch persönlich haften würde, und ist auch nur zu Leistungen verpflichtet, die der Amtsträger als Privatperson erbringen könnte.10 Als Privatperson wäre der Amtsträger zu hoheitlichen Handlungen nicht imstande.11
I.Anwendbarkeit des Amtshaftungsanspruchs
1.Grundsätzliche Anwendbarkeit
Grundsätzlich ist der Amtshaftungsanspruch anwendbar, wenn Soldaten Schäden zum Nachteil Dritter verursachen. Die meisten Schäden entfallen auf den sog. Grundbetrieb (Ausbildungs-, Übungs- und sonstiger Betrieb der Streitkräfte im In- und Ausland einschließlich vor- und nachbereitender Maßnahmen für Einsätze).
2.Auslandsschadensfälle
3.Kampfhandlungen in bewaffneten Konflikten
Die lange umstrittene Frage, ob der Amtshaftungsanspruch auch auf von deutschen Soldaten durch Kampfhandlungen in bewaffneten Konflikten verursachte Schäden anwendbar ist,14 hat der BGH in einer vielbeachteten Grundsatzentscheidung 2016 ausdrücklich verneint:15 Der nie geänderte Wortlaut von § 839 BGB (seit 1896) und Art. 34 GG (seit 1949), die Normgeschichte, der daraus ableitbare Gesetzeszweck und systematische Erwägungen sprechen gegen eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Amtshaftungsnormen auf Kampfhandlungen deutscher Streitkräfte im Ausland. Einer darüber hinausgehenden richterlichen Rechtsfortbildung würde entgegenstehen, dass derart grundlegende Entscheidungen allein vom Gesetzgeber zu treffen sind. § 839 BGB ist auf den „normalen Amtsbetrieb“ zugeschnitten, das heißt auf den Ausgleich von Schäden, die aufgrund von Amtspflichtverletzungen im Rahmen des allgemeinen und alltäglichen Verwaltungshandelns entstehen. Die Entscheidungssituation eines verwaltungsmäßig handelnden Beamten kann nicht mit der Gefechtssituation eines im Kampfeinsatz befindlichen Soldaten gleichgesetzt werden. Wenn sich aus dem Völkerrecht keine individuellen Schadensersatzansprüche ableiten lassen, besteht auch keine Verpflichtung, einzelnen Personen durch Auslegung des innerstaatlichen Rechts im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. Art. 25 Satz 1 GG) einen Schadensersatzanspruch nach nationalem Recht einzuräumen. Da bei realitätsnaher Betrachtung für die Bundesrepublik Deutschland nur Auslandseinsätze gemeinsam mit Partnerstaaten, insbesondere im Rahmen der NATO, in Betracht kommen, bestünde im Rahmen der Amtshaftung ansonsten die Möglichkeit der Zurechnung völkerrechtswidriger unerlaubter Handlungen eines anderen Bündnispartners nach Maßgabe des § 830 BGB. Das würde nicht nur die Gefahr einer kaum eingrenzbaren (gesamtschuldnerischen) Haftung heraufbeschwören, sondern hätte auch zur Folge, dass vor den deutschen Zivilgerichten das hoheitliche Handeln eines anderen Bündnispartners inzident zu überprüfen wäre. Gerade Letzteres könnte das außenpolitische Verhältnis Deutschlands zu seinen Bündnispartnern nachhaltig belasten, zumal sich im Amtshaftungsprozess die prozessuale Notwendigkeit ergeben könnte, taktische oder strategische Überlegungen offenzulegen und Sachverhalte vorzutragen, welche jedenfalls andere Bündnispartner als geheimhaltungsbedürftig ansehen. Einer richterlichen Rechtsfortbildung, das Amtshaftungsrecht unter Aufgabe seines traditionellen Verständnisses nunmehr auch auf bewaffnete Auslandseinsätze der Streitkräfte zu erstrecken, stünden durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Denn der Gesetzgeber hat in grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Das Grundsatzurteil des BGH leistet insgesamt einen wesentlichen Beitrag zur Rechtssicherheit für das Handeln deutscher Streitkräfte in bewaffneten Konflikten.16
4.Ex-gratia-Leistungen
Auch wenn für im bewaffneten Konflikt verursachte Kampfhandlungsschäden keine Schadensersatzpflicht besteht, ist die Bundeswehr nicht gehindert, im haushaltsrechtlich zulässigen Rahmen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht geschädigte Personen aus humanitären Gründen zu unterstützen (sog. Ex-gratia-Leistung).17
II.Anspruchsvoraussetzungen
Ein Amtshaftungsanspruch besteht, wenn (1.) jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (2.) die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht (3.) schuldhaft verletzt und (4.) dadurch einen Schaden verursacht (Kausalität), (5.) ohne dass ein Haftungsausschluss vorliegt.18
1.Ausübung eines öffentlichen Amtes
Es muss „jemand“ für den Staat (oder einen sonstigen Träger öffentlicher Gewalt) gehandelt haben. „Jemand“ kann jede mit der Ausübung von Hoheitsgewalt befasste Person sein.19 Der Amtshaftungsanspruch stellt nicht auf den Status des Handelnden, sondern auf die Art des Handelns, d.?h. die wahrgenommene Funktion ab.20 Der Handelnde braucht folglich kein Beamter im statusrechtlichen Sinne zu sein. Man spricht insoweit vom Beamten im haftungsrechtlichen Sinn. Auch ein Soldat kann daher „jemand“ sein.21
Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung22 danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen. Bei der Teilnahme am Straßenverkehr ist der mit der Fahrt verfolgte Zweck entscheidend. Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Dienstfahrt eines Soldaten militärischen Zwecken und folglich der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dient.23 Hoheitlich ist z.?B. der Soldatentransport zu einem Truppenübungsplatz.24 Ebenfalls hoheitlich ist die Behandlung von Soldaten (der Bundeswehr) im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung (§ 30 Abs. 1 Satz 2 SG).25 Reinigt ein Soldat aufgrund Befehls das Wachlokal in einer Kaserne, liegt hoheitliches Handeln vor; Hygiene ist für die Gesundheit der Soldaten unabdingbar und damit Voraussetzung der Verteidigungsbereitschaft.26
Der innere und äußere Zusammenhang zwischen hoheitlicher Tätigkeit und schädigender Handlung fehlt, wenn ein Soldat im Dienst aus Zorn über die schlechte Verpflegung auf einen Mitarbeiter der verantwortlichen Verpflegungsfirma schießt. Tötet ein Soldat plötzlich einen Offizier aus Wut und Rache mit einem Feuerstoß aus der Maschinenpistole, ist der Zusammenhang ebenfalls zu verneinen.27
2.Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht
Amtspflichten resultieren aus dem Dienstverhältnis der konkreten Person zu ihrem Dienstherrn. Allgemeine Verpflichtungen ergeben sich aus der Gesetzesbindung für alle Amtswalter.28 Die Verletzung kann in einem Tun, aber auch in einem Unterlassen (bei entsprechender Rechtspflicht) liegen. Die verletzte Amtspflicht muss zumindest auch dem Schutz des Geschädigten dienen (sog. Schutzzwecktheorie).29 Eine Drittbezogenheit besteht, wenn die verletzte Rechtsnorm den Schutz der Interessen des Geschädigten bezweckt....