E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Weeber Die bissigsten Spottgedichte Martials
Originalausgabe 2023
ISBN: 978-3-15-962167-8
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weeber, Karl-Wilhelm - deutsche Übersetzung lateinischer Lektüre - 14427
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-962167-8
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Karl-Wilhelm Weeber ist einer der bekanntesten deutschen Altertumswissenschaftler. Er leitete das Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal, ist Honorarprofessor für Alte Geschichte an der dortigen Universität und Lehrbeauftragter für die Didaktik der Alten Sprachen an der Ruhr-Universität Bochum.
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Einleitung
Vom großen Caesar haben Sie eine Menge gehört, von Augustus, dem Begründer des römischen Kaisertums, auch so einiges, der schwerreiche Crassus ist Ihnen ein Begriff und ebenso der eloquente und selbstverliebte Cicero? Von Seneca, Neros Prinzenerzieher und ›Ober-Stoiker‹ seiner Zeit, haben Sie das eine oder andere gelesen, und der knorrige alte Karthago-Hasser Cato ( – »im Übrigen bin ich der Meinung …«) erscheint Ihnen als bekannter Repräsentant des römischen Imperialismus? Mit Neros faszinierenden ›Verrücktheiten‹ sind Sie vertraut, und Lucullus als kompromissloser Vertreter nicht nur luxuriöser Esskultur verkörpert für Sie die gesellschaftliche Elite Roms? Dann ist Ihnen auch das entsprechende Ambiente nicht fremd. Zu diesen ›großen‹ Gestalten gehören die prächtigen Tempel und marmornen Säulenhallen, das legendäre Forum Romanum, die Redeschlachten im – nicht immer ganz so ehrwürdigen – Senat und die dicken Buchrollen mit den bedeutenden Werken der lateinischen Literatur. Kurz gesagt: Das monumentale, strahlende klassische Rom ist Ihnen vertraut.
Aber kennen Sie auch Ligurinus, den Tafeltyrannen, dessen Rezitationen sich derart in die Länge ziehen, dass der Wildschweinbraten zu vergammeln droht? Oder den Geschenkeschnorrer Clytus, der achtmal im Jahr Geburtstag feiert und seine Bekannten auf diese Weise nach Strich und Faden abzockt? Oder Phileros, der – seinem sprechenden Namen »Liebesfreund« gemäß oder zum Trotz – bereits sieben Ehefrauen unter die Erde gebracht und entsprechend üppig geerbt hat? Oder den Geizkragen Gellius, der seinen Freunden nie Geld leihen kann, weil er »ständig am Bauen ist«? Den Angeber Mamurra, der lange Verkaufsverhandlungen in Luxusboutiquen führt, um am Ende mit zwei billigen Bechern nach Hause zu gehen? Oder den nervtötenden Latrinenschreck Vacerra, der sich den lieben langen Tag in öffentlichen Toilettenanlagen herumtreibt, um ein Opfer zu finden, das ihn zum Gastmahl bittet?
Das vorliegende Bändchen lädt Sie dazu ein, diese und manche anderen merkwürdigen Typen etwas besser kennenzulernen – Zelebritäten des Alltags, wenn man so will, und damit ein Stück normaler Kulturgeschichte, wie sie beim isolierten Blick auf die ›Großen‹ nicht selten zu kurz kommt. Gewiss, das sind, wie Sie an den Beispielen schon gemerkt haben werden, nicht unbedingt Begegnungen mit angenehmen Zeitgenossen des Alten Roms. Aber sie sind in jedem Fall vergnüglich und in einen erstklassigen literarisch-ästhetischen Rahmen gekleidet. Sie werden schmunzeln, lachen, sich an Kabinettstückchen scharfzüngigen und scharfsinnigen Humors erfreuen, sich über bösen und böswilligen Spott wundern und auf offene Sottisen und versteckte Pointen stoßen. Martials Humor kommt nicht immer fair daher, sondern oft genug maliziös und verletzend, aber stets mit einem spöttisch-epigrammatischen Biss von großer Virtuosität.
Aber wer ist dieser Garant unserer lustvollen anderen Kulturgeschichte Roms? Von der Biographie des Dichters Marcus Valerius Martialis, kurz Martial, wissen wir nur sehr wenig. Um 40 n. Chr. im spanischen Bilbilis geboren, kam er in Neros Regierungszeit um das Jahr 64 nach Rom. Zwischen 85 und 102 veröffentlichte er zwölf Bücher Spottepigramme, dazu noch ein Buch () mit Kurzgedichten unter anderem zu Shows anlässlich der Einweihung des Colosseums sowie zwei Bücher und , meist Zweizeiler mit Vorschlägen zu Gast- und Tafelgeschenken. Wenige Jahre vor seinem Tod, wohl um das Jahr 98/99, kehrte Martial in seine spanische Heimat zurück. Dort ist er um das Jahr 104 herum gestorben – »ein talentierter, geistreicher, treffsicherer Mann, der in seinen Schriften eine Menge Witz und Galle und auch nicht weniger Aufrichtigkeit unter Beweis stellte«. Mit diesen Worten würdigte ihn der Jüngere Plinius, der damals mit ihm, wie er betont, einen Freund verlor ( III 21,1 f.).
, »Witz und Galle«, war in der Tat das höchst erfolgreiche Rezept, mit dem Martial in den literarisch interessierten Kreisen der Hauptstadt bestens ankam. »Ganz Rom lobt, liebt und singt unsere Büchlein«, frohlockt er – und dabei ist es ihm völlig gleich, ob manch einer, wenn er seine Epigramme liest, »rot oder bleich wird, stutzt, den Mund aufsperrt und in Hass ausbricht«. Diese Provokationen sind Programm: »Das will ich, jetzt gefallen mir meine Gedichte so recht« ( VI 60).
Die freundliche Aufnahme von Martials Epigrammen bei einem Publikum, das die Kombination von ›böser Zunge‹ mit Zeit- und Sittenkritik literarischer Brillanz zu schätzen wusste: Es dürfte sie tatsächlich gegeben haben. Und damit auch die Förderung, der sich der erfolgreiche Epigrammatiker seitens großzügiger Mäzene erfreute. Jedenfalls verfügte Martial über ein kleines Stadthaus in Rom, ein Landgut in der näheren Umgebung der Hauptstadt, ein paar Sklaven und genügend begüterte Freunde, an die er sich wenden konnte, wenn es bei ihm finanziell knapp zu werden drohte. Dazu kam es aber offensichtlich nicht, auch wenn Martial sich in mehreren Gedichten als stilisiert und als Klient auftritt, der von der mangelnden Großzügigkeit mancher Patrone enttäuscht und frustriert zu sein vorgibt.
Freilich ist der ein Klischee, das im Deutschen durch ein falsches Verständnis von noch verstärkt wird. Entgegen den Angaben in Vokabelverzeichnissen von Lateinlehrbüchern heißt nämlich nicht »arm« (das wäre im Lateinischen oder ), sondern »unbegütert«. Im Unterschied zu den Herren ›von Stand‹ verfügte der nicht über Einkünfte aus Großgrundbesitz, die ihm ein arbeitsfreies Leben ohne Existenzsorgen ermöglichten. Wer war, nagte nicht am Hungertuch, musste sich aber – vor allem durch Erwerbsarbeit – darum kümmern, seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie zu sichern.
Wenn Martial sich in manchen Gedichten als »Klient« bezeichnet, der wirklich reiche Gönner um Geschenke bittet, so geschieht das vor dem Hintergrund, dass man auch als gefeierter Dichter finanziell nicht abgesichert war. Die Antike kannte kein Recht auf geistiges Eigentum, das zu Buchtantiemen geführt hätte. Jeder konnte Gedichte und andere schriftstellerische Produkte kopieren oder kopieren lassen, ohne dem Urheber oder dem ›Originalverlag‹ für das Copyright etwas bezahlen zu müssen.
Martial war indes kein ›armer Poet‹. Er gehörte dem Ritterstand an, und das setzte einen Besitz von 400 000 Sesterzen voraus. Aber er hatte, wie Walter Kißel kürzlich gezeigt hat, so gut wie keine festen Einkünfte und zählte damit zu den Minderbemittelten, zu einem ritterlichen Prekariat, wenn man so will, das aber von wirklicher Armut im heutigen und erst recht im antiken Sinn weit entfernt war.
Ob Martials Selbstaussagen in jedem Fall »schlüssig« sind, wie Kißel meint, mag man bezweifeln. Der Dichter schlüpft schon hier und da in ein poetisches Ich, das mit dem biographischen Ich nicht identisch ist. Dass man aber, wie ein Großteil der Martial-Philologie vor Kißel sicher angenommen hat, Selbstaussagen einer rein fiktiven Sprecher- zuschreiben müsse, scheint mir von Kißel klar widerlegt zu sein – nicht zuletzt durch die grundsätzliche Feststellung, dass die Antike selbst keinerlei Theorie zur autorunabhängigen Ich- entwickelt hat.
Insofern steht auch die These auf sehr wackligen Beinen, dass es sich bei Martials Rom um eine rein literarische ›Kunststadt‹ handle und sich in den Epigrammen nicht die Lebensrealität des antiken Rom spiegle. Das war immer schon eine recht fragwürdige Behauptung: Wenn Satire Wirkung entfalten will, baut sie natürlich auf den Wiedererkennungseffekt bei den Zeitgenossen – was die reale Lebenswelt angeht, aber auch die porträtierten Gestalten und Typen, die sich in ihr tummeln. Natürlich steht außer Frage, dass Satire einschließlich des Spottepigramms vergröbert und zuspitzt, dass sie nicht abwägt und differenziert, sondern um der Pointe und der moralischen ›Botschaft‹ willen die Realität verzerrt. Ebenso wenig wie das Kabarett in unserer Zeit ein 1 : 1-Spiegel der Wirklichkeit ist, handelt es sich beim Rom der Spottgedichte Martials um ein detailgetreues Abbild des Alltagslebens, wie man es von einem Historiker erwarten würde. Ob beispielsweise wirklich so viele Mahlzeitenjäger in den Bädern und Latrinen Roms auf der Lauer lagen, wie es die Häufigkeit des Motivs bei Martial andeutet, ist durchaus fraglich. Nicht aber, es sie gab und dass unsere Kenntnisse vom Leben im Alten Rom deutlich eingeschränkter wären, wenn wir Martial und andere Satiriker nicht als Quellen zur Verfügung hätten.
Wie sieht es mit Martials ›Opfern‹ aus? Sind das reale Individuen oder fiktive Personen, die eher als Typen denn als identifizierbare Zeitgenossen daherkommen? Kißel glaubt nachweisen zu können, dass Martial in der Regel mit Klarnamen arbeitete. Das mag in manchen Fällen so sein, doch dürfte es sich in der Mehrzahl um verschleiernde Pseudonyme handeln. Zum einen bekennt sich Martial selbst programmatisch zu dem Prinzip...