Weinert | Auftritt der Geister | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 201 Seiten

Weinert Auftritt der Geister

Szenen gegen das Vergessen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-68912-524-0
Verlag: EDITION digital
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Szenen gegen das Vergessen

E-Book, Deutsch, 201 Seiten

ISBN: 978-3-68912-524-0
Verlag: EDITION digital
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Ein literarisches Dokument der Widersetzlichkeit, das mit scharfer Feder politische Masken zerreißt. Die teils satirischen, teils erschütternden Dialoge führen mitten hinein in deutsche Bahnhöfe des Ersten Weltkriegs, Villen in Shanghai, Gerichtshöfe des ungarischen Faschismus und Hinterzimmer deutscher Gymnasien unter der NS-Herrschaft. Weinert lässt Opportunisten, Fanatiker, Kriegsgegner und stille Helden aufeinandertreffen - in Szenen, die uns zeigen, wie nah das Gestern dem Heute ist. Ein aufwühlender Blick in die politische Bühne des 20. Jahrhunderts - klarsichtig, anklagend und erschreckend aktuell.

Erich Weinert (1890-1953) war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und politischer Lyriker. Geboren in Magdeburg, wurde er früh durch seinen sozialdemokratisch gesinnten Vater geprägt. Nach einer Ausbildung als Zeichenlehrer diente er im Ersten Weltkrieg und wandte sich danach künstlerischen und politischen Themen zu. In den 1920er-Jahren machte er sich mit beißend satirischen Gedichten und Kabaretttexten einen Namen. Er war eng mit der kommunistischen Bewegung verbunden, trat 1929 der KPD bei und schrieb für die Rote Fahne. Seine Zusammenarbeit mit Hanns Eisler und Ernst Busch brachte Lieder hervor, die bis heute bekannt sind, etwa Der heimliche Aufmarsch. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging Weinert ins Exil, zunächst nach Paris, dann in die Sowjetunion. Er schloss sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg an und war später in Moskau als antifaschistischer Propagandist tätig. 1943 wurde er Präsident des Nationalkomitees Freies Deutschland. Nach dem Krieg kehrte er schwer erkrankt nach Ost-Berlin zurück und engagierte sich für den kulturellen Wiederaufbau. Neben seinen eigenen Werken veröffentlichte er Übertragungen ukrainischer Dichter wie Schewtschenko und Franko. Er starb 1953 und wurde in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin beigesetzt.
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DER ERZIEHER PERSONEN: Frau Butz, Beamtenwitwe Ferdinand, ihr Sohn Kniebus, Gymnasialdirektor Der Schuldiener ORT: Sprechzimmer des Direktors SCHULDIENER (führt Frau Butz und Sohn herein) Bitte nehmen Sie Platz! Herr Direktor kommt gleich. (Er geht wieder.) FRAU BUTZ Danke. FERDINAND (weist auf ein Riesenbild Hitlers über dem Schreibtisch) Guck mal da, Mama! FRAU BUTZ Ist doch jetzt Vorschrift, Junge! FERDINAND Aber Goethe ist weg. Da hing nämlich früher Goethe! FRAU BUTZ So. Mhm. Also, Ferdi, ich bitte dich, sei nicht wieder vorlaut! Denk immer daran: Der Mann hats jetzt auch schwer - muss doch mit den Wölfen heulen! FERDINAND (grinst). FRAU BUTZ Ich denke, er wird ja auch unsere Lage verstehen - wo wir doch früher ... DIREKTOR KNIEBUS (tritt ein, hebt die Hand zum Gruß) Heil! FERDINAND (steht auf, hebt die Hand ein wenig). KNIEBUS (setzt sich) Sie haben mich zu sprechen gewünscht, Frau Butz. Ich nehme an, es handelt sich (er blättert im Terminkalender), es handelt sich um den Sohn. (Er mustert Ferdinand.) FRAU BUTZ Ganz recht, Genosse Kniebus. KNIEBUS Wenn Sie sich dieser schlichten Anrede bedienen wollen, Frau Butz, dann bitte entwürdigen Sie sie nicht durch Unvollständigkeit! Es heißt: Volksgenosse! FRAU BUTZ Ich weiß schon, was Sie sagen wollen - aber ich dachte, hier, wo wir unter uns sind ... KNIEBUS Was heißt unter uns? FRAU BUTZ Sie kennen mich wohl nicht mehr? Wir waren doch im sechzehnten Kreis in der SPD zusammen! Sie hatten doch immer die Kulturabende bei den Frauen geleitet. Mein Mann hat immer große Stücke auf Sie gehalten. Er ist ja im Juni gestorben. Hat immer gesagt: Das ist eine Säule der Republik, der Genosse Kniebus! KNIEBUS Gestatten Sie, dass ich Sie unterbreche, Frau Butz! Sie sprechen von einer nun Gott sei Dank ausgelöschten, entehrenden Vergangenheit. FRAU BUTZ Ich wollte Sie ja auch gar nicht in Verlegenheit bringen, Herr Direktor. Ich weiß ja, dass Sie Rücksicht auf Ihre Stellung ... KNIEBUS Ich darf wohl zur Sache kommen! Also - Ihr Sohn läuft Gefahr, den Reifegrad nicht zu erwerben. Der junge Mann hat sich durch sein renitentes Wesen, die Prinzipien der Unterordnung und des Gehorsams noch nicht begriffen habend, die Sympathie seines Ordinarius verscherzt - und ich glaube, dass jede mütterliche Intervention hier überflüssig ist, so gut sie gemeint sein mag. FRAU BUTZ (nach einer Pause) Es war ja auch nicht so, dass ich eine Protektion wollte. Ich dachte nur daran, wie sehr Sie sich damals in Ihren Vorträgen für Gerechtigkeit eingesetzt hatten. Ich dachte, um es ganz offen zu sagen, mit dem Genossen Kniebus kann man ja ein menschliches Wort reden. KNIEBUS Sie scheinen doch einer etwas deutlicheren Aufklärung zu bedürfen. Frau Butz. Ich habe in der Tat einmal die Mitgliedskarte dieser vaterlandsverräterischen Partei gehabt. Haben müssen. Sie haben es natürlich nie erfahren können, unter welchem Gesinnungsterror der Systemparteien, besonders der SPD, wir Kämpfer an der Kulturfront standen. Jahrelang habe ich gestöhnt unter der Heuchelei, zu der die schwarz-rot-gelben Unterrichtsministerien die leitenden Schulmänner zwangen. Und - Sie können mir glauben, werte Frau - mit einem Schrei der Erleichterung haben wir am dreißigsten Januar anno domini neunzehnhundertunddreiunddreißig dieses Joch von uns geworfen, da wir wussten: Nun endlich ist die Bahn den aufrechten Männern frei gemacht. In dieser Stunde bereits erwarb ich das Mitgliedsbuch der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Nun, hoffe ich, wissen Sie, mit wem Sie reden! FRAU BUTZ (verwirrt) Entschuldigen Sie vielmals, Herr Direktor! KNIEBUS Sehen Sie, wir Nationalsozialisten ... FRAU BUTZ Entschuldigen Sie. Ich möchte nicht länger stören - ich wusste nicht ... KNIEBUS Nun wissen Sie also. Der Fall Ihres Sohnes Ferdinand liegt, nach dem Rapport seines Ordinarius, folgendermaßen: Der Schüler Butz erlaube sich des Öfteren, besonders bei Behandlung des Pflichtthemas 'Deutschlands Verfall und Aufstieg, 1918 bis 1933', ungehörige Fragen zu stellen und Einwürfe zu machen, die deutlich als Ausflüsse unvölkischer und zersetzender Ideologien erkennbar seien. FRAU BUTZ Ich habe nicht ganz verstanden. Was hat er gemacht? FERDINAND Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Herr Direktor? KNIEBUS Bitte. FERDINAND Es ist anders. Herr Doktor Spannlang gibt mir seit längerer Zeit auf Fragen überhaupt keine Antwort mehr. KNIEBUS Es gibt Fragen, die keine Antwort verdienen. FERDINAND Ich weiß nicht. Darf ich Ihnen ein Beispiel anführen? Als er neulich ein Lebensbild von Karl Marx entwarf und diesen als einen perversen jüdischen Syphilitiker und stümperhaften Philosophaster bezeichnete und ich ganz bescheiden fragte, wie es dann aber zu erklären sei, dass selbst bürgerliche Kritiker, die ich gelesen hatte, ihn als einen der größten, wenn nicht den größten Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts hinstellten ... KNIEBUS Da hat er Ihnen keine Antwort gegeben, nicht wahr? FERDINAND Nicht nur das - er hat mir drei Striche wegen flegelhaften Betragens eingetragen! FRAU BUTZ Hast du denn das so flegelhaft gesagt, Ferdi? FERDINAND Nein. KNIEBUS (steht auf) Seien Sie doch mal ganz ehrlich, junger Mann. Sie haben doch mit dieser Frage eine bestimmte Absicht verbunden, nämlich Ihren Ordinarius in den Augen Ihrer Mitschüler zu diskreditieren! FERDINAND Nein, Herr Direktor! KNIEBUS Unterbrechen Sie mich nicht. Und nicht nur Ihren Ordinarius, sondern auch die leuchtende Weltanschauung unseres Führers verächtlich zu machen? Wie? FERDINAND (steht auf) Nein, Herr Direktor! FRAU BUTZ Mit Absicht sicher nicht, Herr Direktor! Aber ich bitte Sie, bedenken Sie doch, wie der Junge erzogen worden ist! KNIEBUS Gar kein Milderungsgrund, gar kein Milderungsgrund! Ein Jüngling, der von der heiligen Welle der nationalen Revolution nicht höher getragen wird und mit der greisenhaften ratio an der Welt herumtüftelt, anstatt - wie sich das gehört - zu glauben, ein solcher Jüngling hat das Anrecht verwirkt ... nun, ich möchte nicht beleidigend werden. FRAU BUTZ Nun, Herr Direktor, dann wird wohl auch jede Anstrengung meines Sohnes vergeblich sein. Verzeihen Sie die Belästigung, Herr Direktor! (Sie steht auf.) FERDINAND Einen Augenblick, Mama! (Sein Gesicht ist gerötet.) Herr Direktor, wenn wir auch glauben und nicht mehr denken sollen - darf ich Sie dennoch um eine Aufklärung bitten? KNIEBUS (unruhig am Fenster) Stehe zur Verfügung. FERDINAND Ich entsinne mich, dass Sie einmal bei einem Jungbannerabend die Festrede gehalten haben. Da stellten Sie die Prinzipien der Demokratie, des Humanismus und der Meinungsfreiheit als die unzerstörbaren Säulen der menschlichen Gesittung hin. KNIEBUS (gereizt) Na und? FERDINAND War das bei Ihnen damals Überzeugung, Herr Direktor? KNIEBUS Schon die Frage ist eine Unterstellung, junger Mann! Das war meine Überzeugung; aber Überzeugungen ändern sich mit den Erlebnissen. Wer gegen seine Überzeugung spricht, ist ehrlos! FERDINAND Das meine ich auch. Und deshalb werde ich meinem Ordinarius nie die Antwort geben, zu welcher er mich zwingen möchte, sondern nur die, welche ich für richtig halte! KNIEBUS Soso! Sprechen Sie übrigens auch mit Ihren Mitschülern in dieser Weise? FERDINAND Ja. KNIEBUS So. Dann wären Sie ja relegationsreif. FRAU BUTZ Herr Direktor, er spricht unüberlegt. FERDINAND (heftig) Nein, ich weiß, was ich spreche! KNIEBUS Soso! Sie machen also marxistische Propaganda in der Anstalt. FERDINAND Jawohl. Weil ich nicht so feige bin, meine Überzeugung für eine Karriere zu verkaufen! FRAU BUTZ (entsetzt) Ferdinand! KNIEBUS (geht zur Tür und öffnet) Ich darf wohl bitten! FRAU BUTZ (im Hinausgehen) Verzeihen Sie ... FERDINAND (geht mit stolzem Schritt hinaus, sehr laut) Mahlzeit! KNIEBUS (aufgeregt ihm nachrufend) Wissen Sie nicht, was sich gehört? Können Sie nicht Heil Hitler sagen? FERDINAND (von der Treppe heraufbrüllend) Nein! KNIEBUS (ruft in den Korridor nach dem Schuldiener) Dießel, kommen Sie mal rein! SCHULDIENER (kommt) Herr Direktor? KNIEBUS Notieren Sie mal: Schüler Butz, Ferdinand, Untersekunda III, darf das Gebäude der Anstalt nicht mehr betreten. Staatsfeindliche Betätigung. SCHULDIENER (schreibt) ... Staatsfeindliche Betätigung. KNIEBUS Sie informieren wohl Ihren Pg. Sturmführer. SCHULDIENER Den Jungen werden wir uns mal angucken!



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