E-Book, Deutsch, 340 Seiten
Weinert Das pasteurisierte Freudenhaus
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-68912-512-7
Verlag: EDITION digital
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Satirische Zeitgedichte
E-Book, Deutsch, 340 Seiten
ISBN: 978-3-68912-512-7
Verlag: EDITION digital
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Erich Weinert (1890-1953) war ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und politischer Lyriker. Geboren in Magdeburg, wurde er früh durch seinen sozialdemokratisch gesinnten Vater geprägt. Nach einer Ausbildung als Zeichenlehrer diente er im Ersten Weltkrieg und wandte sich danach künstlerischen und politischen Themen zu. In den 1920er-Jahren machte er sich mit beißend satirischen Gedichten und Kabaretttexten einen Namen. Er war eng mit der kommunistischen Bewegung verbunden, trat 1929 der KPD bei und schrieb für die Rote Fahne. Seine Zusammenarbeit mit Hanns Eisler und Ernst Busch brachte Lieder hervor, die bis heute bekannt sind, etwa Der heimliche Aufmarsch. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging Weinert ins Exil, zunächst nach Paris, dann in die Sowjetunion. Er schloss sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg an und war später in Moskau als antifaschistischer Propagandist tätig. 1943 wurde er Präsident des Nationalkomitees Freies Deutschland. Nach dem Krieg kehrte er schwer erkrankt nach Ost-Berlin zurück und engagierte sich für den kulturellen Wiederaufbau. Neben seinen eigenen Werken veröffentlichte er Übertragungen ukrainischer Dichter wie Schewtschenko und Franko. Er starb 1953 und wurde in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin beigesetzt.
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Und so was wählt! 1924 Da sitzen sie und meckern sachverständig Um einen Grand mit Einem aus der Hand. Doch plötzlich wird der deutsche Geist lebendig, Furor teutonicus im Skatverband. Heil Wilhelm! Nieder mit dem Sattlermeister*! Das Vorhemd kracht im kriegerischen Zorn. Es riecht so muffig nach Gesinnungskleister Wie Sauerteig von altem Schrot und Korn. Man steht geschlossen wie die Wacht am Rheine, Für Kaiser und für Reich, beseelt Vom Geist der Militärvereine. - Und so was wählt! Da sitzen sie, die Streuselkuchenschwestern Und sticken Kissen oder sonst so was. Man liest Romanfortsetzungen von gestern; Da werden Augen und so weiter nass. Es war so schön mit Prinzen und Prinzessen! Dann protestiert man gegen schwarze Schmach. Die wird man den Franzosen nie vergessen. Ein echter Deutscher hält, was er versprach! Das ist die deutsche Treue deutscher Frauen, Mit Rudolf Herzog** sanft vermählt, Im Drange, wiederaufzubauen! - Und so was wählt! Da sitzen sie, bei hochprozentiger Lösung, Die Sekundaner mit Bewährungsfrist, Und saufen Mut zum Zweck der Volksgenesung Und brüllen Hurra über jeden Mist. Epheben mit bemalten Hühnerbrüsten Umarmen sich in Selbstbefriedigung Und leisten Schwur auf Handgranatenkisten Und bringen die Franzosen auf den Schwung, Dem deutschen Barden straffen sich die Nerven Ob dieser Jugend, die krakeelt. Das sind des Vaterlands Reserven! - Und so was wählt! * Friedrich Ebert, der erste Präsident der Weimarer Republik, war von Beruf Sattler. ** Ein vom Bürgertum viel gelesener nationalistischer Unterhaltungsschriftsteller. Von allerhand Tieren 1924 Einst hatt ein Löwe sein Getier versammelt Und hatte lange und ergrimmt Im Gottesgnadenton gestammelt Und schließlich feierlich bestimmt: Man müsse sich zum heil'gen Kriege rüsten, Zur Rettung der Nation und Dynastie! - Da scholl, bewegt aus Untertanenbrüsten, Ein Hoch dem Kriege und der Monarchie. Da stiegen alle Esel von Kathedern Und zeigten militärische Allüren. Die Füchse spitzten ihre Gänsefedern Und schrieben Leitartikel und Broschüren. Der Löwe schrieb: 'An meine braven Schafe! Die Stunde ruft! Erwacht aus eurem Schlafe! Verkennt den Ernst der großen Stunde nicht!' Da taten auch die Schafe ihre Pflicht. Sie stürmten wild an ihre Landesgrenzen, Dem Feind die Hörner in das Herz zu bohren. Im Lande blieben die Intelligenzen Als unabkömmliche Kulturfaktoren. Die Esel stiegen wieder aufs Katheder Und sprachen von heroischer Verklärung. Die Schweine handelten mit Fett und Leder Und garantierten so die Volksernährung. Die Geier stürzten sich auf die Tribute Und schufen mit den Wölfen Syndikate. - Die Schafe aber zahlten treu dem Staate Mit ihrer Wolle und mit ihrem Blute. Man schreit Hurra. Es hagelt nur von Siegen. Rein überschaflich sind der Schafe Kräfte. Die Wälder füllen sich mit Beutezügen. Und alle Welt macht glänzende Geschäfte. Die Wölfe schmücken sich mit hohen Orden. Die Schweine werden schier zum Platzen mollig. Doch nur die Schafe scheinen nicht mehr wollig Und sind erheblich magerer geworden. Die kamen furchtbar auf den Hund. Die Sache hatte einen tiefen Grund: Das Schweinevolk in höhern Positionen, Das fraß begeistert doppelte Rationen. - Doch so was war den Schafen selbst zu bunt. Und eines Nachts beschleicht ein düstres Fatum Die Gottbegnadeten im fetten Schlafe: Die Hammelschaft erlässt ein Ultimatum Und konstituiert die Republik der Schafe. - Da flohn die Heimathelden in die Wälder; Der Löwe selbst verschwand im Siegerkranz; Das Schweinevolk versteckte seine Gelder. Man zitterte vor jedem Lämmerschwanz. Nun fühlten sich, von Etsch bis Belt, Die Schafe über alles in der Welt. Dann gaben sie, als einig Volk von Brüdern Für jedes Raubtier volle Amnestie. Das kroch sogleich heran, sich anzubiedern, Und predigte von Gleichheitsharmonie. Es fühlte sich als Schafe unter Schafen Und huldigte Verfassungsparagrafen. Gefallen waren die sozialen Hürden, Und Wölfe, Geier, Esel, Schweine Bekamen wieder Amt und Würden Und gaben wieder jedem Schaf das Seine. Der Oberhammel sprach zu seinen Heeren: Wir brauchen nichts als unsers Leibes Nahrung! Die uns regieren, haben die Erfahrung. Drum lasst euch nur verfassungsmäßig scheren! - Da wurden gleich die Esel wieder keck. Die Schweine wurden wieder fett und fetter. Die Füchse schufen nationale Blätter, Und selbst der Löwe kroch aus dem Versteck. Die Wölfe trugen Orden auf den Lenden. Die Geier schluckten hohe Dividenden. - Und eh man sich versehn, war weit und breit Auf einmal wieder gute, alte Zeit. - Und auch die Wölfe hatten unterdessen, Wo sie als Staatsanwälte figuriert, So manchen armen Hammel aufgefressen, Der einst für Hammelfreiheit agitiert. Die Schafe lagen bei den Wiederkäuern Und kauten Gras und zahlten ihre Steuern. Und riss zuweilen eine Lammsgeduld, Dann rief das Oberschaf: Nur kein Tumult! Ertragen wir mit Würde Gottes Strafe! Denn wir sind auch nicht ohne Schuld. Das sahen denn die treuen Lämmer ein, Die nichts verstehn und alles gern verzeihn, Und kehrten heim zum großen Dauerschlafe. - Es waren eben veritable Schafe! Geist und Stoff 1925 Die Eingeschriebene Frida Stumpf Verließ eines Tages den Sündensumpf An der Hand eines Philologen. Er sagte: Fräulein, ich liebe Sie! Worauf sie in seine chambre garnie Nach der Uhlandstraße gezogen. Er las ihr vor aus der Odyssee; Frida lag auf dem Kanapee. Er nannte sie seine Hetäre. Und abends, da saß sie auf seinem Knie. Da sprach er von seliger Harmonie Und ob sie zufrieden wäre. Im Sexuellen verstand er keinen Spaß; Er nahm es ernst und tat es mit Maß An Hand einer kleinen Tabelle. Selbst Fridas Technik verlockte ihn nicht. Punkt zehn Uhr fünfzehn nahm er das Licht Und verließ ihre Kammerschwelle. Doch einmal, da folgte sie ihrer Natur, Denn ihr Zimmer lag separat am Flur. Und schon war sie wieder im Sumpfe. Der Doktor kam früh um sieben ans Bett, Da fand er bei ihr ein neues Korsett Und einen Hundertmarkschein im Strumpfe. Da nahm er das Mädchen Frida Stumpf Und stieß es zurück in den Sündensumpf. Sie sei ein verworfenes Mädchen! - Doch ging die Sache ihm sehr ans Herz. Er schrieb Elegien im Stil von Properz Und auch soziale Tragödchen. Die Tabelle reichte noch bis zum April. Und manchmal des Abends küsste er still Ihr Strumpfband, das violette. Und sprach, indem er sich langsam besoff: Das ist der Konflikt zwischen Geist und Stoff! Und ging mit sich selber zu Bette.