Weinert | Die Sprache der Rechten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Weinert Die Sprache der Rechten

Wie wir täglich manipuliert werden

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-8288-6864-9
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Soziale Medien wie Facebook sind Popkultur und politisches Instrument zugleich. Per Twitter irgendwann einen Krieg erklären? Kein Problem für Donald Trump. Witzige ausländerfeindliche Bildchen auf Facebook posten? Das machen rechte Seiten gern, und Deutschland möchte unterhalten werden! Promis werden wie Gladiatoren durch die Arena gejagt, angestachelt von den Medien – und die AfD krakeelt Nazi-Vergleiche mit sich selbst, um die Nichtwähler für sich zu gewinnen. Der Kommunikationswissenschaftler und promovierte Medienexperte Dr. Frederik Weinert deckt die Mechanismen und die Scheinheiligkeit des Nachrichtensystems auf. Als langjähriger freier Journalist durchschaut er die Methoden der angeblichen "Lügenpresse". Mit spitzer Feder nimmt Weinert jedoch nicht nur die Medien aufs Korn, sondern uns alle, die wir immer krassere und schrillere Geschichten lesen wollen: Manege frei im Medienzirkus.
Weinert Die Sprache der Rechten jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


KAPITEL II 1 Nazi-Schlümpfe und Reichsbürger Die besten Verschwörungstheorien in den sozialen Medien Es ist sechs Uhr morgens. Irgendwo in der Ferne kräht ein Hahn. Die ersten Sonnenstrahlen küssen erst den Kirchturm und dann die anderen Hausdächer. Nicht selten beginnt ein typischer Mittwochmorgen auf diese Weise im idyllischen Mittelfranken in Bayern. Die ersten Berufstätigen gehen ihrer Arbeit nach. Und so duftet es wunderbar aus den Backstuben, die Zeitungsausträger werfen die letzten Zeitungen in die Briefkästen und die Krankenschwestern beginnen ihren Dienst in der Klinik. Doch die Idylle trügt. Etwas abseits huschen schwer bewaffnete Polizisten durch das Morgengrauen. Sie gehören zum SEK und sind kaum zu erkennen. Der Einsatz scheint brisant zu sein, denn die Beamten tragen eine kugelsichere Weste und einen ballistischen Helm. Einer von ihnen wird am Donnerstag – also einen Tag später – tot sein. Zur gleichen Zeit und ganz in der Nähe: Ein Mann mittleren Alters läuft in seiner Wohnung hektisch hin und her. Immer wieder tastet er sich ab, so als würde er überprüfen, dass er auch wirklich alles dabei hat. Der Mann schaut in den Spiegel und wirkt entschlossen. Wie ein Reh spürt er die nahende Gefahr – das SEK. Der Mann sieht sich als Opfer, glaubt, sich schützen zu müssen. Auch er ist bis auf die Zähne bewaffnet. Das ist einfach, denn der Mann ist Jäger. Menschenjäger, wie er in einigen Minuten zeigen wird. Plötzlich hört der Mann Geräusche im Treppenhaus. Irgendjemand dringt ein. Es ist das Sondereinsatzkommando der Polizei. Es gibt einen Schusswechsel. Zunächst feuert der Mann von seiner Wohnung aus auf die Polizisten, später geht das Geballere im Treppenhaus weiter. Ein SEK-Polizist wird von drei Kugeln getroffen. Einen Kopfschuss wehrt der ballistische Helm des Polizisten noch ab. Zwei weitere Projektile treffen ihn an ungeschützten Stellen. Trotz Notoperation im Krankenhaus verstirbt der Polizist einen Tag später. Immerhin: Der Täter kann überwältigt werden. Letztlich ist das aber nur ein kleiner Trost. Der Täter ist nicht irgendwer. Der Täter ist ein „Reichsbürger“. Reichsbürger leben ideologisch in der Vergangenheit. Hätten sie eine Zeitmaschine, würden sie wohl zurück ins Dritte Reich reisen und Adolf Hitler doch noch zum Endsieg führen. Doch leider zeigt das Beispiel aus Mittelfranken, dass Reichsbürger nicht als Spinner belächelt werden dürfen. Sie sind gefährlich und erkennen den deutschen Staat mit all seinen Institutionen und Gesetzen nicht an. Im Internet gibt es viele Anleitungen, wie jeder von uns zum Reichsbürger werden kann und warum Deutschland nicht souverän ist. Wer von einer ganz bestimmten Sache überzeugt ist, findet im Internet Mitstreiter. Die sozialen Medien, das ist auch Gehirnwäsche 2.0. 2 „Angela Hitler“ und ihre Reichsbürger Das Dritte Reich ist wieder da Viele ältere Menschen in Deutschland nutzen noch immer kein Internet. Doch neugierig sind sie trotzdem. Das Klischee der sensationslustigen Oma, die aus dem Fenster die ganze Nachbarschaft beobachtet, dürfte wohl jedem bekannt sein. Menschen in dem Alter brauchen Hilfe. So mancher Student ist so lieb und besorgt der Oma von nebenan ab und zu Einkäufe oder fährt sie zum Arzt. Unter den deutschen Senioren gibt es allerdings auch viele ewig Gestrige, die ganz andere Dienstleistungen wünschen. Dass das Deutsche Reich von damals vielleicht doch noch existieren könnte, macht die eh schon neugierige Oma noch neugieriger. Doch ohne Internet kommt sie an die Beweise nicht ran. Zum Glück gibt es die moderne Jugend. Und so findet die Generation ohne Internet schon bald einen pfiffigen Jüngling, der ihr Ausdrucke mit wilden Theorien vorbeibringt. Die mögliche Existenz des Dritten Reiches im Hier und Jetzt ist nämlich viel spannender als die eh gleichgeschaltete Lektüre des Lesezirkels. Und so entsteht ein Kreis der Mehrwissenden. Schnell fühlen sie sich wie Gelehrte in einem Meer von Unwissen. Nur sie kennen die wahrste Wahrheit über Deutschland. Und dass die Alliierten Deutschland noch immer kontrollieren, weil Deutschland ja eigentlich gar nicht souverän ist. Geheime Nazi-Kolonie hinter dem Mond In Wirklichkeit waren die Nazis bereits 1945 technisch so fortschrittlich, dass sich einige von ihnen mit Raumkapseln auf den Mond flüchten konnten. Die Amis haben das bislang nicht gecheckt, weil die „Mondnazis“ auf der dunklen Seite des Mondes leben, also quasi hinter dem Mond. Was total hanebüchen klingt, haben deutsche Filmemacher vor einigen Jahren tatsächlich cineastisch in Szene gesetzt. Iron Sky heißt der Film aus dem Jahr 2012, für den Stars wie Götz Otto und Julia Dietze ihren Namen hergaben. Irgendwie war der Film mit den Weltraumnazis für viele Fans ein Flop. Doch die Botschaft ist beachtlich: Nazis auf der Seite der dunklen Macht und ideologisch „hinter dem Mond“ lebend. Wer also ein bisschen nachdenkt, kann in dem Trash-Film beinahe einen kleinen Bildungsauftrag erkennen. Nazi-Kolonien gibt es allerdings wirklich. In Deutschland und mitten unter uns. Viele Menschen leben gedanklich noch immer im Deutschen Reich. Sie sind die Hüter der „guten alten Zeit“ und nennen sich Reichsbürger. Was nach skurrilen Querulanten klingt, die ein bisschen den deutschen Staat aufmischen, hat einen ernsten Hintergrund. Reichsbürger halten die Bundesrepublik Deutschland für einen Unrechtsstaat. Sie glauben nicht daran, dass das Deutsche Reich untergegangen ist. Sie behaupten, die BRD sei illegal entstanden. In ihrem Denken gelten noch immer die Grenzen von 1937. Reichsbürger stellen das komplette System der BRD infrage. Besonders gefährlich: Sie erkennen weder Ordnungshüter noch die deutsche Verwaltung an. Amtliche Bescheide – beispielsweise die Abführung der Rundfunkgebühren – werden nicht anerkannt. Dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten wird die Legitimität abgesprochen. Innerhalb dieses Logikmodells ist es folglich erlaubt, sich gegen Polizisten mit aller Gewalt zu wehren, weil diese einem illegalen und nicht legitimen System angehören. Reichsbürger sehen die Polizei also als Systemfeind, während Polizisten ihrerseits Reichsbürger als Systemfeinde betrachten. Eskalation ist damit vorprogrammiert. Die Reichsbürger unterstellen dem Normalo, selbst hinter dem Mond zu leben, sei doch das mit der Gründung der Bundesrepublik alles nur eine Lüge. Umgekehrt glaubt der Normalo, die Reichsbürger seien hinter dem Mond daheim, ist doch Deutschland ein souveränes Land, in dem es uns im Vergleich zu vielen anderen Ländern auf der Welt sehr gut geht. Immerhin leben wir in einer Demokratie, dürfen Parlamente wählen und reisen, wohin wir möchten. Woher genau kommt also der Glaube, dass Deutschland nicht souverän ist und das Deutsche Reich noch immer existiert? Wer belügt uns? Und warum? Die gewichtigste Grundannahme der Reichsbürger ist, dass Deutschland noch immer von den Alliierten besetzt sei und sich nach wie vor im Kriegszustand befinde. Begründet wird das unter anderem damit, dass der amerikanische Einfluss in Deutschland besonders stark sei, vor allem was Bräuche, Musik und die Sprache angeht. Ebenso behaupten Reichsbürger, dass es die Deutschen auch deshalb nicht wagen, eigene Kinder in die Welt zu setzen. Die irre Logik: Deutschland trägt die Züge eines besetzten Landes, dessen Zukunft von nichtdeutschen Interessen bestimmt wird. Auch der Holocaust spielt eine wichtige Rolle, gehen die Reichsbürger doch davon aus, dass den Deutschen ganz bewusst eine ewige Schuld eingeredet werden soll. Vor allem die US-Amerikaner sollen deshalb eine ganz besondere Macht über Deutschland haben. Die Reichsbürger glauben, dass wir deshalb auch auf ganz legale Weise von der NSA ausspioniert werden dürfen. Die Metapher mit den Kolonien ist passend. Denn Reichsbürger existieren in sektenartigen Verbänden, konkurrieren teilweise untereinander und sind deshalb heterogen. Die Tendenz zur Militanz hat in den letzten Jahren zugenommen. Durch viele Internetseiten und Blogs, die angebliche Beweise für die Besetzung Deutschlands und die Ungültigkeit des Grundgesetzes liefern, fühlt sich die Jüngerschaft in ihrer Denke mehr und mehr bestätigt. Qualitätsmedien werden als manipuliert geächtet. Reichsbürger konzipieren entsprechend ganz gezielt eigene News-Seiten im Internet, um „Gegenmedien“ anzubieten, die nicht dem Joch der US-Amerikaner unterworfen sind. In Deutschland gibt es rund 16.000 dieser Reichsbürger.68 Als rechtsextrem eingestuft werden allerdings nicht einmal zehn Prozent von ihnen. Knapp 1.000 Reichsbürger besitzen Waffen. Es gibt Berichte, dass die Reichsbürger sogar eine eigene Armee planen. Genauso gefährlich wie die Waffennarren sind aber auch die Geschäftemacher. Zu hohen Verkaufspreisen werden falsche Dokumente im Internet angeboten wie beispielsweise „Reichspersonenausweise“. Den Käufern wird glaubhaft gemacht, dass diese Ausweise dazu befähigen, sich vor Gebührenbescheiden und Gerichtsurteilen zu drücken. Innerhalb der Reichskolonien entstehen „Reichsregierungen“, die miteinander konkurrieren und sich teilweise bekämpfen. Die Reichsregierungen finanzieren sich durch „Reichssteuern“, die wohl den kirchlichen Steuern und Kollekten ähneln dürften. „Propagandaminister“ Xavier Naidoo? Die Reichsbürgerbewegung lebt von der Mundpropaganda. Effektiv sind die Vernetzungen und Bekanntmachungen in den sozialen Medien. Die größte Aufmerksamkeit erzielen die Reichsbürger allerdings durch die herkömmlichen Massenmedien wie Tageszeitungen oder Nachrichtenmagazine....


Dr. Frederik Weinert ist selbstständiger PR- und Kommunikationsberater und freier Journalist. Zu den Themen Politische Kommunikation, Fernseh- und Pressesprache hat er sieben Jahre am Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Passau geforscht. Die Sprache der Rechten ist von seiner im Jahr 2017 veröffentlichten Dissertation Mit Hitler zum Medienskandal. Skandal oder Skandalisierung? inspiriert.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.