E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Weinert-Wilton Der Teppich des Grauens
Ungekürzte Ausgabe nach der Erstausgabe von 1929
ISBN: 978-3-946554-01-1
Verlag: Welsch, Ursula
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Reihe: Crime Classics: Weinert-Wilton
ISBN: 978-3-946554-01-1
Verlag: Welsch, Ursula
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Louis Weinert-Wilton ist ein Pseudonym von Alois Weinert (* 11. Mai 1875 in Weseritz/Bedruzice oder Tepl/Teplá; ? 5. September 1945 in Prag). Er war Redakteur, Dramatiker und kaufmännischer Leiter eines Prager Theaters. Zwischen 1929 und 1939 schrieb er elf Kriminalromane, mit denen er seinen Ruf als deutscher Edgar Wallace und Klassiker dieses Genres begründet hat. Seine spannungsreichen Whodunnit-Krimis haben hohe Auflagen erzielt und wurden in den sechziger Jahren verfilmt. Weinert-Wilton starb 1945 in einem tschechischen Konzentrationslager.
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„Wenn es nicht klappt, mein Lieber, dann holt euch alle der Teufel. Richte das auch in der Küche aus. Ich werde mich von euch Pack nicht blamieren lassen. Zeit genug hättet ihr ja, Manieren zu lernen. – Von links hast du zu servieren, verstanden? Und daß du mit deinen unmöglichen Pfoten nicht zuviel herumparadierst ...“
Wie immer, wenn er Gäste erwartete, war der kleine, behäbige Frank Milner furchtbar aufgeregt und rannte mit seinen kurzen, dicken Beinen brummend und scheltend von einem Zimmer ins andere.
Der arme Nick mit dem einfältigen Gesicht, der sonst seinem Herrn die Kleider und Stiefel putzte und das Haus und den Garten in Ordnung hielt, schwitzte bereits seit Stunden Blut und bemühte sich vergeblich, auch nur die Hälfte der Weisungen in seinem Schädel zu behalten, die ihm Milner mit seiner piepsigen, fetten Stimme unausgesetzt in die Ohren schrie. Der einzige Lichtblick an solchen Tagen war immer nur die Aussicht auf den veritablen Rausch, den er sich, wenn alles vorüber war, von den Überresten in den Gläsern und Flaschen antrinken durfte. Der sonst so strenge Milner drückte in dieser Hinsicht ein Auge zu, denn er hatte Verständnis für diese Schwäche und außerdem pflegte er selbst sich nach solchen Gelagen meist erst zu erholen, wenn Nick schon längst wieder auf dem Damm war. Er mußte allerdings bei solchen Gelegenheiten auch weit mehr leisten, als seine Gäste, die erst anfingen, wenn er bereits ein gehöriges Quantum seines tadellosen schottischen Whisky in sich hatte.
Er nahm auch jetzt, da er von seinen Hausherrnpflichten so in Anspruch genommen wurde, immer wieder einen stärkenden Schluck zu sich, und aus seiner schwarz gebrannten Shagpfeife stiegen dichte, graue Rauchschwaden.
Ann, die bei ihrem Eintritt gerade in solch eine Wolke geriet, rümpfte das Näschen, ging kurzerhand zu einem der Fenster und stieß es auf. „Wenn man Gäste erwartet, Onkel, so empfängt man sie nicht in einer Räucherkammer.“
Sie legte die Pakete auf das kleine Büfett, und Frank Milner trippelte eilig herbei.
„Nichts vergessen, Ann?“, fragte er lebhaft. „Den Kaviar – die Heringe – die Zigarren?“
Ann machte ein etwas ungeduldiges Gesicht. „Alles da. Wenn ich mich umgekleidet und den Tee genommen habe, werde ich in der Küche beim Anrichten helfen.“
Sie nickte Milner flüchtig zu und verschwand.
Der Verkehr zwischen ihr und dem Bruder ihrer verstorbenen Mutter war weder auf Herzlichkeit, noch auf Förmlichkeiten gestellt. Sie gingen an einander sehr kühl, zuweilen auch ziemlich gereizt vorüber, und nur wenn Frank Milner es in einem seiner häufigen Dusel mit der Rührseligkeit zu tun bekam, entdeckte er sein Herz für seine Nichte. Dann versuchte er, sie mit seinen dicken, feuchten Patschhändchen zu tätscheln, bekam Tränen in die verschwommenen Glotzaugen und erging sich glucksend in rätselhaften Andeutungen, die Ann für irgendwann ein märchenhaftes Leben verhießen.
Dem jungen Mädchen war Milner in dieser Verfassung noch widerwärtiger als sonst, und es fiel ihr nicht ein, seinem trunkenen Lallen irgendwelche Bedeutung beizumessen. Sie wußte, daß Onkel Frank wohlhabend sein mußte, aber er schien das, was er hatte, auch für sich aufzubrauchen, denn er ließ sich nichts abgehen und in den zehn Jahren, die sie nun bereits in seinem Hause weilte, hatte er nie etwas getan.
Für sie selbst hatte er jedoch stets nur das Allernotwendigste übrig gehabt und auch das wohl nur, weil er mußte. Er hatte auch darauf gesehen, sie so rasch als möglich auf eigene Füße zu stellen, und das war das Einzige, wofür ihm Ann aufrichtig dankbar war, denn sich von dem alten, unleidlichen Egoisten völlig abhängig zu wissen, wäre ihr furchtbar gewesen. So aber hatte sie ihm heute nichts mehr zu danken, denn dafür, daß er ihr Unterkunft und Unterhalt bot, kümmerte sie sich in ihren freien Stunden in ihrer energischen Art um sein Hauswesen, das unter dem Regime der behäbigen Haushälterin und des faulen und unbeholfenen Nick wohl bald ins Arge geraten wäre.
Frank Milner wußte das und fand es ganz in der Ordnung. Es kam ihm nie in den Sinn, daß sie als seine Nichte vielleicht Anspruch auf ein etwas anders gestaltetes Leben hätte, denn erstens hatte er es in seiner Jugend noch weit schlechter gehabt und zweitens hatte er seine Prinzipien. Er war in Ann’s Alter und noch lange Jahre darüber hinaus von einer kümmerlichen und fragwürdigen Existenz in die andere geschlüpft und hatte es nur seiner Tüchtigkeit und Geriebenheit zu danken, daß er von den beiden einzig möglichen Endergebnissen seiner Lebensführung – Wohlstand oder Zuchthaus – das erste glücklich erreicht hatte.
Seither genoß er im Bewußtsein redlich getaner Arbeit die wohlverdiente Ruhe, und den Mitmenschen gegenüber vertrat er seine Prinzipien, die er aus dem reichen Sprichwortschatze schöpfte. Die Sprichwörter hatten es ihm nämlich angetan, seitdem er an sich selbst erfahren hatte, daß die unangenehmen von ihnen, wie beispielsweise „Unrecht Gut gedeihet nicht“, „Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht“ und ähnliche nicht wahr, die angenehmen dagegen, wie z. B. „Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen“ zutreffend seien.
Vor allem wurde Ann von ihm mit Sprichwörtern wie „Arbeit ist die Würze des Lebens“, „Müßiggang ist aller Laster Anfang“, „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ und so weiter täglich so vollgepfropft, daß ihr noch heute übel wurde, wenn man ihr mit einem Sprichwort kam. Bei Onkel Frank hatte sie es sich endlich dadurch abgestellt, daß sie ihm einmal auf ein besonders salbungsvolles und eindringliches Sprichwort spitz erwiderte: „Schneide einen Dieb vom Galgen, und du hast den besten Prediger.“
Frank Milner war damals höchst betreten und gekränkt gewesen, denn er liebte so anzügliche und respektlose Antworten nicht.
Als es gegen sieben Uhr ging, wurde Milner noch nervöser und erst nach einigen weiteren Gläsern Whisky kam in sein zappeliges Wesen eine gewisse Ruhe. Er fühlte sich nun den schwierigsten Dingen gewachsen, und es stand ihm auch noch eine äußerst wichtige und heikle Sache bevor, ehe er sich mit seinen Gästen zu Tische setzen konnte.
Endlich hallte die alte, heisere Glocke, deren Schall er schon längst ungeduldig erwartet hatte, durch das Haus. Er hielt Nick, der sich auf die Beine machen wollte, energisch beim Kragen zurück und eilte selbst zur Tür, um zu öffnen.
Nach einem flüchtigen Blick und einem kurzen Händedruck führte er den Gast eilig und geheimnisvoll durch den halbdunklen Flur in sein zu ebener Erde gelegenes Arbeitszimmer, das er sofort sorgfältig abschloß, und nun erst fand er eine vertrauliche Begrüßung angezeigt.
„Wir haben uns lange nicht gesehen, Mr. Stone. Wie geht es Ihnen?“
Mr. David Stone schälte sich mit der gelassenen Grandezza eines Lords aus den Überkleidern, ließ sich in den Klubsessel beim Schreibtisch fallen und zupfte sich die elegante Weste über dem kleinen Embonpoint und die tadellos gebügelten Beinkleider zurecht.
„Wir haben uns lange nicht gesehen, Mr. Milner“, sagte er etwas mißmutig, „weil mit Ihnen nichts Vernünftiges mehr anzufangen ist, und es geht mir so so, weil mir meine Gallensteine manchmal zu schaffen geben. Aber um Ihnen das zu sagen, bin ich nicht hergekommen. – Was ist also mit dem Vorschlag, den ich Ihnen heute vormittag telephonisch machte? – Haben Sie sich entschlossen?“
David Stone richtete seine farblosen Augen, die aus einem graugelben Gesicht starrten, fragend auf sein Gegenüber und trommelte mit seinen beringten Fingern auf die Tischplatte.
Milner schleckte sich die trockenen Lippen und fuhr sich mit der zitternden Hand überlegend über den kahlen, kugelförmigen Schädel.
„Verdammt viel Geld, Mr. Stone“, meinte er zögernd.
David Stone zündete sich eine Zigarre an. „Zwölftausend Pfund, nicht einen Penny mehr, aber auch nicht einen Penny weniger, Mr. Milner. Sie verdienen dabei meiner Schätzung nach mindestens hundert Prozent.“ Er stieß energisch einige Rauchringe in die Luft. „Bei Gott, ich würde das Geschäft selbst machen, denn ich bin kein Menschenfreund, der andern das schöne Geld so ohne weiteres in den Rachen schiebt“, bekannte er aufrichtig, „aber Sie kennen ja die niederträchtige Bedingung: Zwölftausend Pfund sofort bar auf den Tisch. Wer kann das bei den heutigen schlechten Zeiten so ohne weiteres? Aber Sie haben solche Kunststücke ja schon öfter zustande gebracht. – Weiß der Teufel, wie Sie das anstellen.“ – Er beugte sich vor und sah Milner ungeduldig an. „Also wollen Sie oder wollen Sie nicht?“
Milner überlegte noch immer, und in seinem Gesicht spiegelten sich seine regen Bedenken wider.
„Ist die Sache auch wirklich unbedenklich?“ meinte er nach einer Weile. „Sie wissen, daß ich für anrüchige Geschäfte nicht zu haben bin.“
Stone wiegte den Kopf und schnalzte leise mit der Zunge.
„Was heißt bedenklich und was heißt anrüchig? Sehe ich so aus, als ob ich mich mit solchen Sachen abgeben würde? – Ich kann Ihnen nur sagen, es ist ein Geschäft ohne jedes Risiko. Sie können damit morgen in die City gehen und die Sachen zum Kaufe anbieten, und es wird Ihnen nicht nur nichts geschehen, sondern Sie werden dafür Ihr gutes Geld und noch einen hübschen Profit bekommen. Weil Sie eben der reiche Frank Milner sind, den man kennt und bei dem der Besitz solcher Kostbarkeiten nicht auffallend ist. Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so gehen Sie damit lieber nach Amsterdam oder nach Antwerpen, weil man dort bessere Preise zahlt.“
Milner hatte, einer plötzlichen Eingebung folgend,...