E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Weinert-Wilton Licht vom Strom
Ungekürzte Ausgabe nach der Erstausgabe von 1933
ISBN: 978-3-946554-06-6
Verlag: Welsch, Ursula
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Reihe: Crime Classics: Weinert-Wilton
ISBN: 978-3-946554-06-6
Verlag: Welsch, Ursula
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Louis Weinert-Wilton ist ein Pseudonym von Alois Weinert (* 11. Mai 1875 in Weseritz/Bedruzice oder Tepl/Teplá; ? 5. September 1945 in Prag). Er war Redakteur, Dramatiker und kaufmännischer Leiter eines Prager Theaters. Zwischen 1929 und 1939 schrieb er elf Kriminalromane, mit denen er seinen Ruf als deutscher Edgar Wallace und Klassiker dieses Genres begründet hat. Seine spannungsreichen Whodunnit-Krimis haben hohe Auflagen erzielt und wurden in den sechziger Jahren verfilmt. Weinert-Wilton starb 1945 in einem tschechischen Konzentrationslager.
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2
Auch in dieser Nacht kam das Licht vom Strom wieder nach Farnham Green herüber.
Es schoß plötzlich aus dem dunklen Wasserspiegel in einem dünnen, flimmernden Streifen hervor, zuckte gleich einem Blitz über den wolkenlosen Himmel und strich dann in immer breiter werdendem Kegel langsam über das Ufergelände. Das Laubwerk der Gärten sprang silberglänzend aus der Dunkelheit, und die Fenster der Villen glühten im Widerschein flammend auf.
Als die Helle das Klubhaus oben am Hang überflutete, wo man mit heißen Gesichtern an den Spieltischen saß, schien dies Lord Sherffield eine günstige Gelegenheit, aus dem hartnäckigen Pech herauszukommen, das ihn wieder einmal verfolgte.
„Eine unerhörte Rücksichtslosigkeit, diese Blinkerei“, krähte er ärgerlich, indem er die Karten auf den Tisch klappte und die fleischige Hand schützend über die Augen legte. „Und das scheint sich nun jede Nacht wiederholen zu wollen. Ich werde darüber Beschwerde führen; auch wenn es sich um ein Polizeiboot handeln sollte.“
Da die Partie nun einmal unterbrochen war, tänzelte der kleine kurzbeinige Mr. King mit neugieriger Geschäftigkeit zu der offenen Balkontür, durch die das weiße Licht hereinströmte und sah angelegentlich nach dem Flusse hinunter.
„Es kommt wieder genau von derselben Stelle, wie gestern und vorgestern“, berichtete er in seiner lebhaften Art. „Das Boot scheint ungefähr gegenüber von River-House festzuliegen, und Lady Claudia dürfte es ziemlich deutlich sehen können.“
Dennis Trevor hob den interessanten Kopf mit den angegrauten Schläfen und blickte etwas gelangweilt nach der Uhr. Sie zeigte kurz nach elf.
„Ich glaube, daß es dabei nicht viel zu sehen geben wird“, sagte er, indem er einige Aschenflöckchen von seinem tadellosen Abendanzuge stäubte. „Einige der jungen Leute, die jetzt Tag und Nacht auf der Themse herumlungern, haben eben das Grammophon und das Radio satt bekommen und sich zur Abwechslung einen Scheinwerfer beigelegt, um sich die Abende zu vertreiben.“
„Nein, es scheint doch etwas anderes zu sein als ein gewöhnlicher Unfug“, behauptete Mr. King nachdrücklich und schüttelte den dicken, runden Kopf, dessen Glatze ein kunstvoll gezogener seitlicher Scheitel verdeckte. „Das Licht nimmt nämlich immer denselben Weg, und ich wette, daß es auch heute sofort erlöschen wird, wenn es River-House erreicht hat.“
Er lugte wieder gespannt in die Nacht, ob seine Vorhersage zutreffen würde, und Trevor wandte sein schmales dunkles Gesicht mit einem leichten Lächeln Lord Sherffield zu.
„Vielleicht bietet sich Ihnen da eine Gelegenheit, den alten Bau vorteilhaft loszuwerden. Er muß sich in dieser Beleuchtung äußerst romantisch ausnehmen, und es gibt Leute, die dafür etwas übrig haben.“
Sherffield konnte sonst bei derartigen Anspielungen auf seinen letzten Besitz sehr gereizt werden, denn River-House bereitete ihm wirklich viel Ärger und Sorgen. Es war nicht nur nicht an den Mann zu bringen, sondern nicht einmal mehr mit der winzigsten Hypothek zu belasten. Aber diesmal überhörte er die anzügliche Bemerkung, da ihn augenblicklich noch weit unangenehmere Dinge beschäftigten. Außerdem ließ sich Mr. King bereits wieder mit großer Wichtigkeit vernehmen.
„Nun, was habe ich gesagt? Jetzt ist River-House an der Reihe, und das wird einige Minuten dauern. Man könnte fast annehmen, daß das überhaupt der Hauptzweck sei, denn der Scheinwerfer blendet ununterbrochen auf und ab, und es sieht ganz so aus, als ob er Signale gäbe.“
Mr. King war so bei der Sache, daß er bis an die Brüstung des Balkons trippelte, um noch besseren Ausblick zu gewinnen, und auch der vierte Mann der Partie, Mr. Mahaffey, der bisher breitbeinig und teilnahmslos in der offenen Tür gestanden hatte, zog eine der gewaltigen Hände aus der Hosentasche, um ein winziges Glas an die Augen zu bringen.
„Nun, woher kommt es?“ erkundigte sich Trevor. „Von einem dieser vergnügten Hausboote oder von einer Polizeijolle?“
Mahaffey ließ sich mit der Antwort Zeit, und als er endlich das Glas absetzte und sich ins Zimmer wandte, blickte er noch mürrischer drein als sonst.
„Weder von dem einen, noch von dem andern“, erklärte er kurz, aber nur Mr. King fand diese Auskunft unbefriedigend.
„Ich werde der Sache morgen einmal nachgehen“, sagte er entschieden. „Wahrscheinlich handelt es sich doch um irgendwelche polizeiliche Nachforschungen. Der gewisse Fall mit dem angeblichen Landstreicher ist ja noch immer nicht aufgeklärt, und es dürfte weit mehr dahinterstecken als ein gewöhnliches Verbrechen. Das geht schon aus der Geschichte von der Kette der einarmigen Bettler hervor. Leider haben die Burschen rechtzeitig Lunte gerochen, und man konnte keinen einzigen von ihnen fassen. Aber es sieht ganz so aus, als ob da wieder einmal der geheimnisvolle ,Captain Ghost‘, wie man ihn nennt, seine Hände im Spiele hätte.“
Der vierschrötige Mahaffey, der mit schweren Schritten auf und ab marschierte, stoppte mit einem Ruck und sah aus verkniffenen Augen auf den geschwätzigen kleinen Mann hinab.
„Mir scheint, Sie lernen jeden derartigen Zeitungsquatsch auswendig“, knurrte er bissig. „Daß diese windigen Reporter um jedes bißchen Blut gleich einen ganzen Kriminalroman herumschreiben, ist ja schließlich ihr Geschäft. Aber daß es Leute gibt, die darauf so prompt hereinfallen, sollte man nicht für möglich halten.“
„Hereinfallen“, echote Mr. King gereizt. „Meinen Sie damit vielleicht mich? Da müßte ich denn doch sehr bitten …“
Mr. King schnappte mit gespitzten Lippen nach Luft und versuchte sich zu recken, um über den obersten Westenknopf des andern hinauszukommen. Er nahm von dem Kreise, in den er sich mit so beharrlicher Ausdauer gedrängt hatte, gerne manches hin, aber den ungehobelten Mahaffey zählte er nicht dazu. Der Mann war bestenfalls ein reich gewordener Krämer, wenn nicht noch etwas Gewöhnlicheres, und Geld allein vermochte Mr. King nicht im geringsten zu imponieren. Davon besaß er selbst genug. Er war einer der gesuchtesten Herrenschneider von St. James, und seitdem ein begeisterter Kunde ihn bei Gelegenheit „Meister“ King und einen Künstler genannt hatte, bekam er es immer mehr mit dem Größenwahn zu tun. Besonders da er sich in der letzten Zeit in Gesellschaft eines wirklichen Peers und Dennis Trevors zeigen durfte, der in zahlreichen vornehmen Klubs eine maßgebende Rolle spielte. Dieser Mahaffey aber spielte keine Rolle und war noch dazu ein ganz unverdaulicher Mensch, dem er in seinem Salon um keinen Preis einen Anzug hätte anmessen lassen. Noch weniger war er natürlich gewillt, von diesem ungehobelten Plebejer eine so beleidigende Bemerkung ruhig hinzunehmen.
„Überhaupt“ – Mr. King war endlich so weit, seine Empörung in zusammenhängende Worte kleiden zu können – „verstehe ich nicht, wieso Sie sich über den Fall ein Urteil anmaßen wollen. Meines Wissens waren Sie ja damals noch nicht in Farnham Green, ich aber bin bereits einige Minuten, nachdem man den Mann gefunden hatte, an Ort und Stelle gewesen. Er war augenscheinlich überfahren worden, aber bei der Obduktion wurde festgestellt, daß er vorher einen tödlichen Stich erhalten hatte. Das ist gewiß ein auffallender Umstand, und daß ein Toter einen Zettel im Munde hat, dürfte auch nicht oft vorkommen. Wahrscheinlich war es auf dieses Papier abgesehen. Und …“
„Was Sie nicht sagen“, höhnte Mahaffey schon wieder, aber diesmal kam Trevor dem bedrängten kleinen Manne zu Hilfe.
„Jawohl, alle diese Dinge stimmen ungefähr“, bestätigte er leichthin. „Daß es hierbei um den gewissen Zettel ging, ist allerdings bloß eine Vermutung, doch hat diese etwas für sich. Der arme Kerl hatte nämlich einige Stunden vorher in Pimlico einem der erwähnten einarmigen Bettler eine in ein Papier gewickelte Münze entrissen, die diesem aus einem Auto zugeworfen worden war. Daraus hatte sich eine erbitterte Schlägerei entwickelt, als jedoch ein Polizist auftauchte, zogen die beiden Kämpfer es vor, das Weite zu suchen. Immerhin bot aber der Bericht über diesen an sich belanglosen Vorfall einen wichtigen Anhaltspunkt, als am nächsten Morgen hier draußen die Leiche des einen gefunden wurde. Die weiteren Erhebungen sollen dann ergeben haben, daß viele Wochen hindurch von Poplar bis Kensington und von Brompton bis Deptford eine ganze Kette solcher Bettler gesessen hatte. – Seither scheint man allerdings nicht viel weiter gekommen zu sein.“
Mr. King, der sich bereits wieder obenauf fühlte, hob vielsagend die wattierten Schultern und blinzelte sehr geheimnisvoll.
„Das heißt“, meinte er nachdrücklich, „man hat in der letzten Zeit nichts mehr über den Fall gehört. Aber je sicherer die Polizei sich auf einer Fährte fühlt, desto schweigsamer wird sie bekanntlich. Jedenfalls läßt Scotland Yard sich die Sache sehr angelegen sein, denn ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß nun Kommissar Spencer dahinter her ist. Das bedeutet aber auch, daß es um etwas Besonderes geht. Wegen eines einfachen Mordes pflegt sich Mr. Spencer nicht selbst zu bemühen. Ich vermute, wie schon gesagt, daß man endlich eine Spur von diesem ‚Captain Ghost‘ aufgestöbert hat.“
Mahaffey sah sich veranlaßt, wieder einmal die Hände aus den tiefen Hosentaschen zu befördern und in die massigen Hüften zu stemmen.
„Spencer … Spencer …“, fauchte er. – „Wer ist dieser Spencer?“
Es bereitete Mr. King eine große Genugtuung, die plötzlich erwachte lebhafte Wißbegierde seines ruppigen Gegners befriedigen zu können.
„Dieser Spencer ist der Mann, der den Frauenmörder von Old Ford auf die Falltür geschleift...