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E-Book, Deutsch, 268 Seiten

Weißmann Dazugehören

Handlungsstrategien von Arbeitslosen

E-Book, Deutsch, 268 Seiten

ISBN: 978-3-7445-1058-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Arbeitslose werden in modernen Gesellschaften häufig als Überflüssige oder Ausgeschlossene betrachtet. Besonders langzeitarbeitslose Hartz-IV-Empfänger sind zum Symbol geworden für vermeintlich passive Individuen, denen sozialer Anschluss fehlt. In der vorliegenden Studie erscheinen Arbeitslose in einem anderen Licht. Marliese Weißmann untersucht mithilfe biographischer Analysen, mit welchen Deutungen und Handlungsstrategien sich Arbeitslose in der Gesellschaft verorten. Sie rekonstruiert deren Bemühungen, trotz des Ausschlusses aus dem Arbeitsmarkt dazuzugehören und die Dilemmata, in die die Akteure dabei geraten. In den Blick kommen hierbei sowohl subjektive Zugehörigkeitsdeutungen und die darin implizierten Selbst- und Gesellschaftsbilder als auch Praktiken der Zugehörigkeitsherstellung. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Akteure sich nicht rein passiv verhalten. Vielmehr zeigt die Studie ein weites Spektrum an Inklusionsleistungen auf, das kontrastreich ist. Die Studie dokumentiert weiterhin die Anstrengungen der Akteure, trotz der langanhaltenden Arbeitslosigkeit Anschlüsse an die Arbeits- und Aktivgesellschaft durch etwa Beschäftigungsnarrative für virtuelle Welten zu suchen. Insgesamt zeigt die Studie auf, dass die Akteure zwar um Zugehörigkeit kämpfen, das zentrale Problem bleibt jedoch die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Zugehörigkeitsdeutungen und -praktiken: die Zugehörigkeit bleibt fragil.
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Einleitung
Angesichts der Prekarisierung von Beschäftigungsformen, anhaltender struktureller Arbeitslosigkeit und sozialstaatlicher Reformen hat das Problem gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Exklusion in den vergangenen Jahren sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in der Öffentlichkeit an Brisanz gewonnen. „Die Frage ist nicht, wer oben und unten ist, sondern wer drinnen und draußen ist“, spitzt es Heinz Bude (Bude 2008: 13) zu. Damit steht die fundamentale soziale Beziehung „that of belonging or not belonging to one’s society“ im Fokus der Aufmerksamkeit (Woodward/Kohli 2001: 2). (Nicht-)Zugehörigkeit rückt dabei nicht nur im Sinne objektiver Marginalität in den Blick, sondern auch als subjektiv empfundener Ausschluss. Die wachsende Bedeutung der Frage nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Exklusion schlägt sich in zahlreichen soziologischen Debatten nieder. Diese setzen ihre Schwerpunkte jeweils unterschiedlich und bringen eine inzwischen beachtliche Varianz an Diagnosen hervor. Diskutiert wird etwa die Verschärfung sozialer Spaltungen (Castel/Dörre 2009; Kronauer 2010; 2008; Vester 2009; Wagner 2008), die Rückkehr der Klassengesellschaft (Bude 20121, Groh-Samberg 2005) oder die Rückkehr der Unsicherheit in die Mitte der Gesellschaft (Böhnke 2006; Burzan 2008; Castel 2000; Dörre 2008; Lessenich/van Dyk 2008). Entsprechend breit ist auch die begriffliche Palette. Die Rede ist vom (abgehängten) Prekariat (Müller-Hilmer 2006; Neugebauer 2007; Vogel 2009), den Ausgegrenzten (Bauman 2005), den Ausgeschlossenen (Bude 2008) oder den Überflüssigen (Bude 1998; Bude/Willisch 2006; Offe 1996; Steinert 2000). An manchen Stellen finden sich gar Metaphern wie „Müll“, die das Problem gesellschaftlicher Nutzlosigkeit der Ausgeschlossenen symbolisch zum Ausdruck bringen sollen: „Für überflüssig erklärt zu werden bedeutet, weggeworfen zu werden, weil man ein Wegwerfartikel ist – wie eine leere Einwegplastikflasche oder eine Einmalspritze, eine unattraktive Ware, für die sich keine Käufer finden oder ein fehlerhaftes oder beschädigtes, nutzloses Produkt, das die Qualitätsprüfer vom Fließband pflücken. ‚Überflüssig‘ bewegt sich im gleichen semantischen Umfeld wie ‚Ausschussware‘, ‚fehlerhaftes Exemplar‘, ‚Müll‘ – wie Abfall. Die Arbeitslosen – die ‚industrielle Reservearmee‘ – sollten noch ins aktive Erwerbsleben zurückgeholt werden. Der Bestimmungsort von Abfall ist die Abfallecke im Hinterhof, die Müllhalde“ (Bauman 2005: 21).2 Dieses Zitat sowie die vorherigen Aufzählungen an Begriffen für Akteure, deren Zugehörigkeit als prekär umschrieben wird, führen vor Augen, dass in der Forschung die Perspektive der Nicht-Zugehörigkeit auf die Akteure und der Bezug auf die Arbeitsmarktintegration dominieren. In der folgenden Studie wird hingegen die Perspektive umgedreht. Ins Zentrum gestellt werden hier die Zugehörigkeit und die subjektiven Anstrengungen der Akteure, zur Gesellschaft dazuzugehören, womit sie als aktive und „eigensinnige“ Handelnde in den Blick kommen. Dabei geht es um eine spezifische Gruppe, die weitläufig mit gesellschaftlichem Ausschluss verbunden wird: Erwerbslose Menschen, die seit langem vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind und die etwa in einer gesellschaftlichen Zone der Entkopplung oder Fürsorge angesiedelt werden (Castel 2000). Gerade in dieser sozialen Lage des Ausschlusses vom Arbeitsmarkt stellt sich die Frage, welche Wege sie finden, um (andere) Anschlüsse an die Gesellschaft herzustellen bzw. einzufordern. Wie verorten sie sich selbst und welche sozialen Felder, Praktiken oder Zugehörigkeiten werden für sie relevant? Mit welchen Handlungsstrategien und Deutungen verschaffen sie sich sozialen Halt? Und wie steht das in Zusammenhang mit sozialen Ausschlusserfahrungen? Mittels biographisch-narrativer Interviews und deren rekonstruktiver Interpretation wird im Folgenden untersucht, welche Inklusionsstrategien die Akteure zeigen, kurz: wie sie um soziale Zugehörigkeit kämpfen. Zugehörigkeit wird hier als subjektiv-sinnstiftende soziale Verortung verstanden und nicht etwa auf das Nachgehen einer Erwerbsarbeit reduziert. Mit der Gruppe der Arbeitslosen und der Frage nach der subjektiven Zugehörigkeitsherstellung werden Akteure in den Blick genommen, die seit den aktivierungspolitischen Arbeitsmarktreformen, insbesondere der vierten, sogenannten Hartz-IV-Reform zum 1. Januar 2005, in ein System sozialstaatlicher Sicherung eingebunden sind, in dem die Verantwortung für die Lebenslage individualisiert wird. Der Druck, für Sozialleistungen Gegenleistungen zu erbringen und nicht in der „sozialen Hängematte“, wie es im politischen Diskurs heißt, zu verweilen, wurde im Zuge dieser Reformen deutlich erhöht. Hartz IV ist mittlerweile ein „Signalwort“3 geworden, das mit Stigmatisierung und Ausgrenzung verbunden ist. Dies manifestiert sich auch in verbreiteten gesellschaftlichen Zuschreibungen charakterlicher Mängel wie bspw. Faulheit, die Verantwortung von Lebenslagen subjektivieren und moralisieren (Lessenich 2006). Gerade in diesem Kontext stellt sich die Frage, wie die Akteure mit dem Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt, den stigmatisierenden Zuschreibungen als Arbeitslosengeld-II-Empfänger4 (im Folgenden nur noch kurz ALG-II-Empfänger) und den Integrationsverpflichtungen seitens der Arbeitsverwaltung umgehen, d. h., inwiefern sie die Statuszuweisung und Zuschreibungen als stigmatisierend wahrnehmen und wie sich das in ihren subjektiven Verortungsleistungen bzw. Zugehörigkeitsanstrengungen widerspiegelt. Im ersten Kapitel der Arbeit geht es um die theoretische Betrachtung des Problems gesellschaftlicher Zugehörigkeit in der Arbeitslosigkeit. Dazu werden zunächst verschiedene theoretische Perspektiven auf Inklusion und Exklusion vorgestellt, die in der deutschen sowie internationalen Exklusionsforschung eine prominente Rolle spielen (Abschnitt 1.1). Diese theoretischen Ansätze und Konzepte richten den Fokus auf Ausgrenzung, wodurch sich Zugehörigkeit ex negativo ableiten lässt. Die Ansätze werden auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede sowie ihre jeweiligen Reichweiten diskutiert und die Einseitigkeiten der Perspektive auf die Akteure und ihre Auseinandersetzung mit materiellem Ausschluss oder Arbeitsmarktausschluss herausgearbeitet. Der zweite Abschnitt widmet sich sozialpolitischen Perspektiven auf Inklusion und Exklusion. Der Sozialstaat wird im Anschluss an Stephan Lessenich (2008) als gesellschaftlicher Relationierungsmodus verstanden, der Instrumente sozialer Inklusion und Exklusion schafft und auf die subjektive Zugehörigkeit bzw. den Ausschluss der Akteure wirkt. Die aktivierungspolitische Ausrichtung des Sozialstaats im Zuge der Arbeitsmarktreformen bedeutete eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum, eine Verlagerung vom Recht auf Hilfe zur Pflicht des Hilfeempfängers. Dies wird am Beispiel der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufgezeigt und abschließend diskutiert. Im dritten Abschnitt wird der Forschungsstand empirischer Studien zu Inklusion und Exklusion in der sozialen Ungleichheitsforschung dargestellt. Es wird hier einerseits deutlich, dass die Frage subjektiver Zugehörigkeit auf subjektives Empfinden zur Gesellschaft verengt wird und wenig über eigensinnige Inklusionsleistungen der Akteure aus einer akteurszentrierten-biographischen Perspektive bekannt ist. Vielmehr steht der gesellschaftliche Ausschluss oder Erwerbsarbeit im Zentrum der meisten Studien. Auf diese Lücke zielt die vorliegende Studie. Im zweiten Kapitel der Arbeit wird das methodische Vorgehen vorgestellt. Die Studie folgt einer verstehenden und subjektzentrierten Perspektive. Sie stützt sich auf biographisch-narrative Interviews, die eine biographische Prozessperspektive auf Inklusion und ihr Zusammenspiel mit Exklusionserfahrungen ermöglichen. Zudem können so biographische Orientierungen und biographische Bedingungen sowie Ressourcen in den Blick kommen, die die Wege der Zugehörigkeitsherstellung der Akteure beeinflussen. Im dritten Kapitel werden vier typische Modi der Inklusion vorgestellt, die auf Basis der rekonstruktiven Auswertung des Datenmaterials gebildet wurden: der Modus der Normalisierung, der Modus des Prozessiertwerden, der Modus der Statusnivellierung und der Modus der Selbstermächtigung. Diese Modi der Inklusion, die ich als subjektive Wege der Herstellung von Zugehörigkeit auffasse, werden anhand von exemplarischen Falldarstellungen illustriert und abschließend in einem Typentableau systematisiert. Das letzte Kapitel befasst sich mit der Diskussion der Ergebnisse. Es zeigt sich ein weites Spektrum an Inklusionsanstrengungen, wobei die Akteure auf verschiedenste biographische Ressourcen zurückgreifen. Sie sind nicht nur einfach rein passiv, sondern suchen vielmehr eigensinnige Anschlüsse an die Arbeits- und Aktivgesellschaft, zum Beispiel über virtuelle Spielwelten oder über selbstzugeschriebene Rollen als „Aktivierer“ anderer Arbeitsloser. Sie werden dafür in vielen verschiedenen sozialen Feldern aktiv. Das zentrale Problem bleibt jedoch die gesellschaftliche Anerkennung ihrer individuell-eigensinnigen Zugehörigkeitsdeutungen und -praktiken: die Zugehörigkeit bleibt fragil. Siehe hierzu das Interview mit Heinz Bude in Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte, Heft 3: 18-23. Zygmunt Bauman hat hier Akteure im Blick, die im Zuge der Globalisierung zu „Überflüssigen“ werden, wenn sie von der weltweiten Arbeitsteilung bzw. dem kapitalistischem Verwertungsprozess ausgeschlossen sind. Diese Umschreibung wählt Wilhelm...


Dr. Marliese Weißmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI). Sie promovierte an der Universität Leipzig.


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