E-Book, Deutsch, Band 214, 192 Seiten
Wells Die Insel des Dr. Moreau
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-29992-7
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 214, 192 Seiten
Reihe: Große Klassiker zum kleinen Preis
ISBN: 978-3-641-29992-7
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Herbert George Wells, geboren 1866 in Bromley bei London, widmete sich nach einem naturwissenschaftlichen Studium immer mehr dem Schreiben. Er bezeichnete sich selbst als Autor »wissenschaftlich fundierter Abenteuergeschichten« und führte Phänomene wie Unsichtbarkeit, Zeitreisen und die Invasion der Erde durch Ungeheuer aus dem All in die Literatur ein. Damit gelangte der Gesellschaftssatiriker und Utopist nicht nur zu Weltruhm, sondern gestaltete die Entwicklung der Science fiction entscheidend mit. H. G. Wells starb 1946 in London.
Weitere Infos & Material
3
Das unheimliche Gesicht
Wir verließen die Kabine und fanden einen Mann im Schott, der uns den Weg versperrte. Er stand, den Rücken gegen uns gekehrt, auf der Schiffsleiter und spähte über die Scherstöcke der Luke. Ich konnte sehen, es war ein missgestalteter, kurzer, breiter, plumper Mann mit einem Buckel, behaartem Nacken und zwischen die Schultern gesunkenem Kopf. Er war in dunkelblaue Serge gekleidet und hatte merkwürdig dickes, grobes, schwarzes Haar. Ich hörte die unsichtbaren Hunde knurren, und alsbald duckte er sich zurück und stieß gegen die Hand, die ich ausgestreckt hatte, um ihn abzuwehren. Er drehte sich mit tierischer Behändigkeit herum.
Auf irgendeine unbestimmte Weise widerte mich dieses Gesicht, das mich so anblitzte, in der Tiefe an. Es war ein seltsam entstelltes. Das Gesicht sprang vor und bildete etwas, was dunkel an eine Schnauze erinnerte, und der große, halb offene Mund zeigte so starke, weiße Zähne, wie ich sie nur je in einem menschlichen Mund gesehen hatte. Seine Augen waren an den Rändern blutunterlaufen, und kaum ein Streif Weiß blieb um die nussbraunen Pupillen. In seinem Gesicht lag eine seltsame Glut der Aufregung.
»Zum Henker!«, sagte Montgomery. »Was gehst du nicht aus dem Wege?« Der Mann mit dem schwarzen Gesicht fuhr ohne ein Wort zur Seite.
Ich stieg das Schott weiter und starrte ihn dabei instinktiv an. Montgomery blieb einen Moment am Fuß stehen. »Du weißt, du hast hier nichts zu suchen«, sagte er in überlegtem Ton. »Dein Platz ist vorn.«
Der Mann mit dem schwarzen Gesicht kauerte nieder. »Sie … wollen mich vorn nicht haben.« Er sprach langsam, mit einem wunderlichen, heiseren Klang in der Stimme.
»Wollen dich vorn nicht haben!«, sagte Montgomery mit drohender Stimme. »Aber ich sage dir, du gehst!« Er war nahe daran, noch etwas hinzuzufügen, blickte aber plötzlich zu mir auf und folgte mir die Leiter hinauf. Ich war, halbwegs die Luke hinauf, stillgestanden und blickte zurück, noch immer über die Maßen über die groteske Hässlichkeit dieses schwarzgesichtigen Geschöpfes erstaunt. Ich hatte nie zuvor ein so abstoßendes und außerordentliches Gesicht gesehen, und doch – wenn der Widerspruch zu glauben ist – hatte ich zu gleicher Zeit die merkwürdige Empfindung, als sei ich irgendwie doch schon genau den Zügen und Gesten begegnet, die mich jetzt entsetzten. Später fiel mir ein, dass ich ihn wahrscheinlich gesehen hatte, als ich an Bord gehoben wurde, doch befriedigte das meinen Argwohn einer früheren Bekanntschaft kaum. Aber wie man ein so eigentümliches Gesicht vor Augen gehabt und die genaue Gelegenheit vergessen haben kann, das ging über meine Vorstellung hinaus.
Die Bewegung, die Montgomery machte, um mir zu folgen, spannte meine Aufmerksamkeit ab, und ich wandte mich und sah mich auf dem glatten Deck des kleinen Schoners um.
Ich war durch die Töne, die ich gehört hatte, schon halb auf das, was ich sah, vorbereitet. Jedenfalls hatte ich noch kein so schmutziges Deck gesehen. Es war mit Rübenabfall, Fetzen von grünem Zeug und unbeschreiblichem Schmutz bedeckt. An dem Hauptmast waren mit Ketten eine Anzahl grauer Hetz hunde gefesselt, die jetzt gegen mich zu springen und zu bellen begannen, und am Besanmast war ein riesiger Puma in einen kleinen eisernen Käfig gesperrt, der viel zu eng war, um ihm auch nur Raum zum Wenden zu lassen. Ferner standen auf Steuerbord unter dem Geländer einige große Ställe, die eine Anzahl Kaninchen enthielten, und ein einzelnes Lama war vorn in einen bloßen Kasten von einem Käfig gequetscht. Die Hunde hatten Lederriemen um die Schnauzen. Das einzige menschliche Wesen auf Deck war ein hagerer, schweigsamer Seemann am Steuer.
Die geflickten, schmutzigen Treibsegel standen straff vor dem Wind, und oben schien das kleine Schiff all seine Segel draußen zu haben. Der Himmel war klar, die Sonne halbwegs den westlichen Horizont hinunter, lange Wogen, denen die Brise eine Schaumkappe gab, liefen mit uns. Wir gingen am Steuermann vorbei zum Backbord und blickten auf das Wasser, das schäumend unter den Stern lief, und auf die Blasen, die im Kielwasser tanzten und verschwanden. Ich drehte mich um und blickte das ekelhafte Schiffsdeck entlang.
»Ist dies eine Meeresmenagerie?«, sagte ich.
»Sieht fast so aus«, sagte Montgomery.
»Wozu sind die Bestien? Ware? Meint der Kapitän, er wird sie irgendwo in der Südsee loswerden?«
»Es sieht so aus, nicht wahr?«, sagte Montgomery und wandte sich wieder gegen das Kielwasser.
Plötzlich hörten wir von der Schottluke her einen Schrei und eine Ladung von Flüchen, und der ungestalte Mensch mit dem schwarzen Gesicht kletterte eilig herauf. Dicht hinter ihm folgte ein schwerer, rothaariger Mann mit weißer Mütze. Beim Anblick des ersteren wurden die Hetzhunde, die mittlerweile alle des Bellens müde geworden waren, wütend aufgeregt, heulten und sprangen gegen ihre Ketten. Der Schwarze zögerte vor ihnen, und das gab dem Rothaarigen Zeit, ihn einzuholen und ihm einen furchtbaren Stoß zwischen die Schulterblätter zu versehen. Der arme Teufel flog hin wie ein gefällter Ochs und rollte unter die wütend aufgeregten Hunde. Es war sein Glück, dass ihnen das Maul verbunden war. Der Rothaarige grunzte triumphierend und stand taumelnd, und, wie mir schien, in ernstlicher Gefahr da, entweder rückwärts die Luke hinunterzustürzen, oder vorwärts über sein Opfer.
Sobald der zweite Mann erschien, war Montgomery heftig aufgefahren. »Sachte da vorn!«, rief er im Ton der Warnung. Ein paar Matrosen erschienen am Bug.
Der Mann mit dem schwarzen Gesicht rollte unter den Füßen der Tiere umher und heulte mit merkwürdiger Stimme. Niemand versuchte ihm zu helfen. Die Tiere taten ihr Bestes, um ihn zu zerreißen, indem sie mit den Schnauzen nach ihm stießen. Ihre geschmeidigen, grauen Leiber vollführten einen behänden Tanz über der plumpen, gestürzten Gestalt. Die Matrosen vorn riefen ihnen zu, als sei es ein ausgezeichneter Ulk. Montgomery stieß einen zornigen Ausruf aus und ging das Deck hinauf. Ich folgte ihm.
In der nächsten Sekunde hatte sich der Mann mit dem schwarzen Gesicht aufgerafft, und er taumelte vorwärts. Er stolperte gegen die Reeling bei den Wanten, wo er keuchend stehen blieb und sich über die Schulter weg nach den Hunden umsah. Der Rothaarige lachte ein befriedigtes Lachen.
»Hören Sie, Kapitän«, sagte Montgomery mit etwas akzentuiertem Lispeln, indem er den Rothaarigen bei den Ellenbogen packte: »Das geht nicht.«
Ich stand hinter Montgomery. Der Kapitän drehte sich halb um und sah ihn mit den stumpfen und feierlichen Augen eines Betrunkenen an. »Was geht nicht?«, sagte er; und nachdem er Montgomery eine Minute lang schläfrig ins Gesicht geblickt hatte, fügte er hinzu: »Verdammter Knochensäger!«
Mit einer plötzlichen Bewegung versuchte er die Arme freizuschütteln, und nach zwei wirkungslosen Versuchen steckte er die mit Sommersprossen bedeckten Hände in die Seitentaschen.
»Der Mann ist Passagier«, sagte Montgomery. »Ich rate Ihnen, die Hände von ihm zu lassen.«
»Gehen Sie zur Hölle!«, rief der Kapitän laut. Plötzlich drehte er sich um und taumelte zur Seite. »Tu was ich will auf meinem eigenen Schiff«, sagte er.
Ich meine, Montgomery hätte ihn jetzt lassen können – da der Kerl einmal betrunken war. Aber er wurde nur um einen Schatten blasser und folgte dem Kapitän zur Reeling.
»Hören Sie, Kapitän«, sagte er. »Der Mann da soll nicht misshandelt werden. Er ist geschunden worden, seit er an Bord kam.«
Eine Minute lang hielten den Kapitän alkoholische Dünste sprachlos. »Verdammter Knochensäger!«, war alles, was er für nötig hielt.
Ich konnte sehen, dass Montgomery eins jener langsamen, hartnäckigen Temperamente besaß, die Tag für Tag wärmer werden, bis sie zur Weißglut kommen, und die sich nie wieder bis zur Verzeihung abkühlen; und ich sah auch, dass dieser Streit seit einiger Zeit gewachsen war. »Der Mann ist betrunken«, sagte ich, vielleicht aufdringlich. »Sie werden nichts ausrichten.«
Montgomery zog seine hängende Lippe hässlich schief. »Er ist immer betrunken. Meinen Sie, das entschuldigte ihn, wenn er seine Passagiere an greift?«
»Mein Schiff«, begann der Kapitän, indem er die Hand unsicher gegen die Käfige hob, »war ein sauberes Schiff. Sehen Sie’s jetzt an.« Es war sicherlich alles eher als sauber. »Mannschaft«, fuhr der Kapitän fort, »saubere, ehrenwerte Mannschaft.«
»Sie waren bereit, die Tiere mitzunehmen.«
»Ich wollt, mir wär Ihre höllische Insel nie vor Augen gekommen. Was zum Teufel … brauchen Sie Tiere für solche Insel? Und dann Ihr Mann da … Wohlverstanden, wenn er ’n Mann war. Er ist ’n Verrückter. Und er hatte hinten nichts zu suchen. Meinen Sie, das ganze Satansschiff gehört Ihnen?«
»Ihre Leute begannen den armen Teufel zu schinden, sowie er an Bord kam.«
»Das ist er grad – er ist ’n Teufel, ’n hässlicher Teufel. Meine Leute können ihn nicht ausstehn. Ich kann ihn nicht ausstehn. Keiner von uns kann ihn ausstehn. Und auch nicht.«
Montgomery wandte sich ab. » lassen den Mann auf jeden Fall in Ruhe«, sagte er und nickte beim Sprechen mit dem Kopf.
Aber jetzt wollte der Kapitän streiten. Er erhob die Stimme: »Wenn er noch mal auf dieses Ende vom Schiff kommt, kehr ich ihm die Gedärme nach außen, sage ich Ihnen. Schneid ihm seine verdammten Gedärme heraus. Wer sind , dass Sie sagen wollen, was ich tun soll? Ich sage Ihnen, ich bin Kapitän auf dem...