E-Book, Deutsch, Band 20, 240 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Wermke / Reimann Religiöse Bildung und demokratische Verfassung in historischer Perspektive
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-374-05842-6
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 20, 240 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Reihe: Studien zur Religiösen Bildung (StRB)
ISBN: 978-3-374-05842-6
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Verfassung der Weimarer Republik von 1919 ordnete das Schulsystem, den schulischen Religionsunterricht sowie das Staat-Kirchen-Verhältnis neu. Vor diesem Hintergrund untersuchte der »Arbeitskreis für historische Religionspädagogik« auf seiner Jahrestagung 2018 die Frage, wie sich gesellschaftspolitische Demokratisierungsprozesse und konzeptionelle, inhaltliche sowie systematische Ausgestaltungsformen religiöser Bildung wechselseitig beeinflussten.
Der vorliegende Sammelband vereint 13 Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Religionspädagogik, Politik-, Erziehungs- und Geschichtswissenschaft. Diese widmen sich dem Verhältnis von schulischer Bildung und demokratischen Verfassungen anhand historischer Entwicklungen in Deutschland, Frankreich, der Tschechoslowakei und den Vereinigten Staaten.
Religious Education and Democratic Constitution from a Historical Perspective
The constitution of the Weimar Republic of 1919 reorganized the school system, the school-based religious education and the relationship between state and church. Against this background, the »Arbeitskreis für historische Religionspädagogik« (»Working Group for Historical Religious Education«) at its annual conference in 2018 examined the question of how socio-political democratisation processes and conceptual, textual and systematic forms of religious education mutually influenced each other.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Christentum/Christliche Theologie Allgemein Christentum und Gesellschaft, Kirche und Politik
- Sozialwissenschaften Pädagogik Lehrerausbildung, Unterricht & Didaktik Allgemeine Didaktik Religionspädagogik, Religionsdidaktik
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Praktische Theologie Religionspädagogik, Christlicher Katechismus
Weitere Infos & Material
ZU EINER NEUBEWERTUNG DER SOZIALDEMOKRATISCHEN HALTUNG ZUM RELIGIONSUNTERRICHT UM 1918
Andreas Kubik 1. EINLEITUNG
Im Winter 1918/19, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, wurde in einigen deutschen Teilstaaten von den sozialistischen Übergangsregierungen der Religionsunterricht per Erlass abgeschafft. Damit setzten sie eine der wichtigsten schulpolitischen Forderungen der SPD in die Tat um. Auf dem Weg zu einer umfassenden Trennung von Staat und Kirche bzw. der Zurückstufung der Religion zur Privatsache sollte die Entfernung des Religionsunterrichts aus der staatlichen Schule einen Meilenstein darstellen. Das Programmziel war die »Weltlichkeit der Schule«.1 Mit diesem Ziel, das neben der Abschaffung des Religionsunterrichts auch die Verbannung der Religion aus dem Schulleben beinhaltete, grenzte man sich hauptsächlich von der in der Kaiserzeit noch weithin üblichen2 und gewollten Konfessionsschule ab, also einer öffentlichen Schule – zumeist einer Grund- oder Volksschule –, welche eine konfessionell weitgehend homogene Schülerschaft besaß. innerhalb der Sozialdemokratie. In diesem Sinne stelle sie nur die konsequente Umsetzung der allgemeinen religionskritischen Programmatik der SPD dar, welche sie von ihren intellektuellen Gründerfiguren vererbt bekommen habe. Doch bevor wir diese Wertung erwägen, betrachten wir zunächst einmal, wie die Geschichte weiterging. »Der RU ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der RU wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaft unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.« (Art. 149,1 WRV)5 Dieser Artikel war eine echte Kompromissformel in dem Sinne, dass sie Niemandes Wunschergebnis bildete, aber für alle Beteiligten gewissermaßen die zweitbeste Lösung darstellte. Der Verfassungsartikel kam – und das ist für den Fortgang das entscheidende Datum – auf gemeinsamen Antrag von Sozialdemokraten und Liberalen zustande. Da auch die Zentrumspartei hinter dem Artikel stand,6 kann man von einem breiten gesellschaftlichen Konsens sprechen, der nichtsdestotrotz von vornherein brüchig und fragil war.7 2. DAS THEOLOGISCH-HISTORIOGRAPHISCHE INTERESSE AN DEN FORSCHUNGSFRAGEN
Doch bevor wir uns diesen Fragen zuwenden, möchte ich zunächst das Interesse klären, das ich vom religionspädagogischen Standpunkt aus an ihnen habe. Dieses Interesse betrifft die Darstellung und den Inhalt einer künftigen Geschichte der Religionspädagogik. Es geht mir um die Frage ihrer inneren Aufbauprinzipien sowie ihres theologischen und historiographischen Status. Die Frage ist: Falls man ihre Geschichte erzählen wollte, was für eine Geschichte würde dann eigentlich erzählt? Wenn man die Geschichte der Religionspädagogik selbst als eine theologische Disziplin ansieht, dann ist immer auch nach dem theologischen Sinn einer historischen Entwicklung zu fragen und das heißt, ob sie für die Fortentwicklung des Christlichen eigentlich als förderlich einzuschätzen ist.8 Konkret ginge es mir dann darum, die Geschichte zu erzählen, warum sich das Verständnis religiösen Unterrichts vom katechetischen Prinzip zu unserem heutigen subjektorientierten, pluralen, nicht-direktiven und gleichwohl konfessionsbezogenen Ansatz gewandelt hat, der uns heute auch als christlich angemessen und förderungswürdig erscheint.9 Dem, was diese Formel meint, stimme ich zu; sie selbst halte ich allerdings für unscharf. Richtiger würde man sagen, dass die konstitutive Berücksichtigung der allgemeinen Pädagogik selbst eine theologische Entscheidung darstellt.11 Das muss man aber nicht so entscheiden: Nicht nur in den konservativen katechetischen Entwürfen des 19. und 20. Jahrhunderts galt die allgemeine Pädagogik, der keine gleiche inhaltliche Dignität wie den christlichen Glaubensinhalten zukam, bestenfalls als Hilfswissenschaft, sondern auch noch heute gibt es in dieser Frage keinen Konsens unter den Religionsgemeinschaften, die RU anbieten. Als Beispiel ziehe ich den aktuellen Lehrplan der Mennoniten-Brüdergemeinde in Rheinland-Pfalz heran.12 Dort heißt es unter ausdrücklicher Berufung auf Helmuth Kittel: Unhaltbar sei, wie eine Pädagogik des bloßen Stillsitzens, »eine ›Pädagogik vom Kinde aus‹, die davon ausgeht, ›dass alle Erziehung sich primär am Kind zu orientieren habe, und nicht etwa an gesellschaftlichen Zielsetzungen oder an den Anforderungen, die der zu lernende Sachverhalt setzt.‹ Diese Pädagogik mag irgendwo ihre Berechtigung haben, aber nicht im bibelorientierten Religionsunterricht«.13 Und weiter: »Das heißt natürlich nicht, dass einfache Beobachtungen des Kindes sowie Ergebnisse psychologischer Forschung unberücksichtigt bleiben dürfen. Diese sind auch wichtig, sollten allerdings immer wieder im Lichte der Heiligen Schrift kritisch geprüft werden. Die Bibel hat in den Fragen nach dem Bilde des Kindes einen unübertroffenen Wert.«14 Diese Einstufung der allgemeinen Pädagogik als eine Größe, die grundsätzlich unter dogmatischem Vorbehalt steht, ist offensichtlich grundgesetzkonform. Deshalb ist auch die – gerade von liberalen Mitbürgerinnen und Mitbürgern geäußerte – Meinung ein Irrtum, nach der bereits aus der grundgesetzlichen Verankerung des RU als ordentlichem Fach folge, dass der jeweils gängige Stand der allgemeinen Pädagogik und Didaktik vollumfänglich zu rezipieren und zu inkorporieren sei. Das GG schreibt dies gar nicht vor. Der spezifische religionspädagogische Stil einer Religionsgemeinschaft ist vielmehr nach meiner Auffassung Teil der »Grundsätze«, von denen das Grundgesetz spricht.15 Ergo, und um dies noch einmal zu betonen: Dass das landeskirchliche evangelische Christentum bereit ist, den Bewegungen in der allgemeinen Pädagogik einen gleichberechtigten Argumentwert zuzumessen und sich mit der allgemeinen Didaktik ins Benehmen zu setzen, ist seinerseits eine theologische Entscheidung, die keineswegs für alle Religionsgemeinschaften verbindlich ist, sondern zunächst den spezifischen Stil des modernen Christentums – historisch: vor allem des Protestantismus – ausdrückt. Die Entstehung einer eigentlichen ›Religionspädagogik‹ ist, so gesehen, besonders signifikant und exemplarisch für den Wandel des modernen Christentums überhaupt, welches in allen Handlungsfeldern enge Austauschbeziehungen mit einschlägigen Bestrebungen aus der allgemeinen Kultur eingeht.16 3. WAR DIE SOZIALDEMOKRATIE VOR 1919 ›KIRCHENFEINDLICH‹?
Die Frage nach dem Religionsunterricht bewegte sich für die Sozialdemokratie auf der Schnittstelle von allgemeiner Religionspolitik und Schulpolitik. Karl Marx verfocht die Meinung, dass die Religion ganz allgemein von den französischen Enzyklopädisten bis zu Feuerbach erschöpfend kritisiert worden war, sodass denen, die Augen hatten zu sehen, klar war, dass der Religion einerseits keinerlei konstruktive Kraft innewohnte, andererseits jede weitere intellektuelle Beschäftigung mit ihr reine Zeitverschwendung wäre.17 Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle teilten diese Ansicht.18 Die Frage war also nur, welchen Umgang man dann mit der organisierten Religion zu pflegen hatte, welche ohne Zweifel noch einen bedeutenden gesellschaftlichen Machtfaktor darstellte. Innerhalb der SPD gab es noch nach dem Vereinigungsparteitag in Gotha 1875 durchaus einige Stimmen, welche ein aktives Vorgehen gegen Kirche und Religion forderten. Die gewiefteren Taktiker, unter ihnen auch Wilhelm Liebknecht,19 allerdings mahnten zur Zurückhaltung. Jedes aktive Angehen der Kirchen – so die Erfahrungen aus dem Kulturkampf – würde nur deren Anhängerschaft hinter ihr umso fester zusammenschließen und den Schulterschluss mit führenden konservativen Politikern verstärken. Infolgedessen rückte für die frühen Programmatiker der sozialistischen Partei die Schule, v.a. die Volksschule, in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Nach ihrer Auffassung spielte die Schule nämlich eine Schlüsselrolle für die religiöse Sozialisation und für die Einpassung in den Staat-Kirche-Komplex, also in die wechselseitige Verstärkung von kirchlicher Christlichkeit und national-monarchischer Gesinnung. Gelänge es, hier den Hebel anzusetzen, hätte sich das Problem der Religion bald von allein erledigt, da die Kirchen aus ihrer eigenen Bildungsarbeit heraus, also ohne die Stütze der Schule, kaum vergleichbare Sozialisationserfolge würde zeitigen können. Darüber hinaus konnte man damit erneut ein Zurückdrängen der Religion aus dem öffentlichen Leben verbinden bis hin zu ihrer aktiven Bekämpfung, »wo dieselben dem Fortschritt der Wissenschaft entgegentreten oder die nach der Erlösung aus wirtschaftlicher und politischer Knechtschaft ringende Menschheit an der Erreichung dieses Zieles zu hindern suchen«.21 Der oder die Einzelne mochte für sich glauben, was sie wollten: Sobald Religion sich im öffentlichen Raum artikulierte, wäre dies unzulässig. Man konnte aber unter dieser zweiten Formel die Auffassung verstehen,...