E-Book, Deutsch, 252 Seiten
Werner Die außergewöhnlichen Radtouren eines Bürokraten
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7504-7485-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 252 Seiten
ISBN: 978-3-7504-7485-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neben seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit bei der Agentur für Arbeit war Burkhard Werner sein ganzes Leben auf den unterschiedlichsten Fahrrädern unterwegs. Auf dem Sattel oder dem Sitz eines Liegerades war er unheimlich glücklich und zufrieden: "Ich habe auf dem Rad meditiert, musiziert, Ideen entwickelt, überdacht, formuliert, vorbereitet oder zuweilen nur die Ruhe auf dem Rad genossen."
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Am Anfang stand eine Wette
Meppen – Würzburg 1975 (450 km)
Hätte ich geahnt, welche Auswirkungen diese Wette für mein ganzes Leben mit sich brachte, dann hätte ich dieser Wette wesentlich mehr Bedeutung geschenkt. Schließlich war das die Geburtsstunde vieler Radtouren in meinem ganzen weiteren Leben.
Nach einem Urlaub mit Freunden am Gardasee, verabredeten mein Freund Wolfgang, im Freundeskreis nur “Lorbass” genannt, und ich uns mit zwei der Mädchen, die wir in diesem Urlaub kennengelernt hatten. Sie wohnten im Raum Würzburg und so wurde diese Stadt zum Ziel einer für damalige Verhältnisse außergewöhnlichen Tour. Wir wollten weder mit dem Auto oder mit Bahn anreisen. Vielmehr verkündeten wir lauthals, die Strecke von weit über 400 km mit dem Fahrrad in Angriff zu nehmen! Dabei blieb es nicht. Um unserer Ankündigung die entsprechende Gewichtung zu verschaffen, wetteten wir ebenfalls, mit einem Tandem anzureisen. Damals erschien es uns ganz normal, diese Aussage noch nachlegen zu müssen. Dabei besaßen wir gar kein Tandem – wir hatten auch noch keines in natura gesehen.
Auch heute weiß ich nicht einmal, um was wir gewettet hatten, aber das war für uns auch nicht bedeutsam. Wir würden ein Tandem zusammenbauen – das war klar!
Schon wenige Tage später gingen wir ans Werk. Wir zersägten zwei alte Damenräder nach unseren Vorstellungen und ein handwerklich vorgebildeter Freund schaffte es, diese Rohrstücke zu einem Teil zusammenzuschweißen. Das Ergebnis sah elendig aus und erst zwei stabile T-Träger gaben dieser Konstruktion die nötige Steifigkeit, dass zwei ausgewachsene junge Männer damit fahren konnten.
Viel schwieriger war es, den erforderlichen Kettenantrieb umzusetzen. Bisher waren wir der Meinung, dass nur eine Kette das Rad antreibt. Viele Versuche führten zu einem erheblichen Materialverschleiß und der Erkenntnis, dass wir noch mehr Hilfestellung benötigen würden, als wir zunächst eingeplant hatten. Wir mussten uns sagen lassen, dass an einem konventionellen Tandem üblicherweise zwei Ketten verbaut werden, eine vom “Piloten”1 zum “Stoker” und eine weitere vom “Stoker” zur Hinterradachse auf der anderen Fahrradseite.
Die Mobilitätsdiskussion in den 70er Jahren ging in Richtung Auto – auch bei unseren Eltern. So mussten wir bei unseren Eltern oder anderen Bekannten mehrfach auf verständnislose Gesichter blicken, wenn wir von unserer geplanten (Tandem-)Tour sprachen. Aber irgendwie schafften wir es – das Tandem nahm Gestalt an, wurde mit einigen Extras, wie z. B. einer angeschweißten Geldkassette versehen, und auch die rot-weiße Farbkombination sorgte für viel Aufsehen bei unseren Probefahrten. Wir wurden zu einem echten Hingucker – und PE – das war die Abkürzung für "Prinz Eisenherz"– ein anderer Freund von mir, erklärte ebenfalls seine Teilnahme bei dieser ungewöhnlichen Radtour.
Und dann war es soweit. Wie mit dem Lineal gezogen, planten wir eine Strecke vom emsländischen Meppen über Warendorf, Korbach, Fulda nach Würzburg. Insgesamt errechnete ich ca. 450 km für eine Ideallinie, die wir mit einem Rad erwartungsgemäß fahren konnten. Somit kämen wir auf eine Tagesleistung von ca. 100 - 120 km. Unter den technischen Gegebenheiten eine höchst ambitionierte Fahrleistung, wie wir auch später erkannten.
Das Radfahren über solche Distanzen war in den 70er Jahren noch nicht sehr verbreitet. Während unserer ganzen Tour sahen wir keinen weiteren Tourenradler, lediglich innerhalb von Ortschaften begegneten uns einzelne Radfahrer, die uns ungläubig bestaunten.
Nachdem wir zu Beginn unserer Reise noch sehr verhalten in die Pedale getreten hatten, wurden wir zunehmend mutiger, die ersten Berge mit gemeinsamem Krafteinsatz zu nehmen. Und das mussten wir auch erst lernen. Das
Tandem Fahren erfordert mehr Kommunikation, als wir es bisher kannten. Da wir technisch noch sehr unerfahren waren, konnte die Dreigangschaltung nur vom Hintermann bedient werden. Insofern musste auch regelmäßig von meinem Hintermann oder mir eine laute Ansage für einen Gangwechsel erfolgen.
Eine fehlende Kommunikation zwischen “Pilot” und “Stoker” bestrafte das Rad sofort. Als ich als Steuermann das Rad nach links lenken wollte und mein Hintermann sich aus irgendeinem Grunde nach rechts lehnte, fuhren wir geradeaus und prallten prompt mit dem Vorderrad auf einen Bordstein. Sofort brachen zwei Speichen, da diese für eine derartige Belastung nicht ausgelegt waren.
Auch die Bremsleistung war für die Belastung durch zwei kräftige Männer mit zusätzlichem Gepäck nicht ausgelegt. Wir verfügten zwar über die vorgeschriebene Hand- und Rücktrittbremse, aber wenn es längere Zeit bergab ging, mussten wir wegen unseres erheblichen Eigengewichts kontinuierlich bremsen, um nicht zu schnell zu werden. Und dann befanden wir uns auch schnell in dem Grenzbereich unserer Bremsleistung.
Irgendwann kurz vor Korbach rief uns unser ständig im Windschatten fahrender Einzelfahrer zu: „Euer Hinterrad brennt!“ Wir nahmen diesen Zuruf eher als Scherz wahr, aber tatsächlich, es qualmte aus den Radtaschen heraus. Hektisch hielten wir an und untersuchten dieses Phänomen. Eine vom Bremsen rotglühende Radnabe war in die Nähe einer Satteltasche gekommen und hatte diese zum Schmelzen gebracht. Plastik tropfte zischend in die Radnabe und stank ungesund. Glücklicherweise konnten wir nach einigen Minuten weiterfahren und auch noch bremsen, ohne dass ein größerer Schaden festzustellen war.
Letztendlich wurde unsere 4-tägige Tandem-Tour von Erfolg gekrönt. Wir erreichten Würzburg mit einem heftigen Sonnenbrand. Die vielen technischen Pannen, Erfahrungen und Erlebnisse, führten letztlich dazu, dass wir auch zukünftig solche derartig außergewöhnlichen Radreisen unternehmen sollten.
Meppen – Paris 1977 (660 km)
Die Radtour nach Würzburg hatte uns dreien unheimlich Spaß gemacht und wir waren ein Team geworden. Schon bald suchten wir nach neuen Zielen für weitere Touren. Paris lag da schon fast auf der Hand und mit dem Zwischenziel “Douai”, hatten wir schon eine konkrete Strecke abgesteckt. Douai war eine nordfranzösische Stadt, zu der unser Wohnort Meppen partnerschaftliche Beziehungen unterhielt. Für uns bedeutete dieses Zwischenziel nur ein minimaler Umweg auf dem Weg nach Paris. Nach den Erfahrungen mit einem selbst gebauten Tandem wollten wir nun mit unseren normalen „Hollandfietsen“ die Tour angehen. Außerdem konnten wir Zelt und Schlafsack mitnehmen und so wesentlich unabhängiger und preisgünstiger reisen!
Ausgestattet mit viel Gepäck ging es los. Wir mussten uns sogar noch einen Gepäckträger an unser Vorderrad anbauen. Da wir aber auch noch eine gute Woche in Paris Urlaub machen wollten, schickten wir ein Paket mit Kleidung und Wäsche nach Paris “postlagernd” vor. Eine Idee, auf die wir zufällig stießen.
Weitere organisatorische Überlegungen hatten wir gar nicht angestellt. Lediglich ein günstiges Hotel in Paris, direkt am Place Pigalle gelegen, buchten wir schon von zu Hause aus. Die war Streckenführung grob auf einem Autoatlas vorgeplottet und als Kopie neben der Kleinbildkamera und sonstigen Wertgegenständen ständig griffbereit in unserer selbst genähten Lenkertasche.
Wir genossen es, abends unser Zelt aufzuschlagen und uns im Schlafsack gegenseitig mit Geschichten und Fantasien zu übertrumpfen. Wir durchfuhren die Niederlande und Belgien. Selbst Brüssel durchquerten wir im dichtesten Verkehr, ein wenig enttäuscht von der Größe des „Manneken Pis“, dem Wahrzeichen Brüssels. Es war nicht die schönste Streckenführung. Aber das war auch nicht das Hauptkriterium bei unserer, zur damaligen Zeit, höchst außergewöhnlichen Art der Fortbewegung, sondern die Unabhängigkeit und Freiheit einer solchen Radtour.
Auch der Norden Frankreichs, den wir auf dem Weg nach Douai durchfuhren, war nicht unbedingt eine Augenweide. Landwirtschaftliche Weideflächen, Industrieanlagen und Erinnerungen an den Steinkohleabbau wechselten sich ab und die Ortschaften reizten eigentlich eher durch die Anziehungskraft des Neuen als durch städtische Attraktivität.
In Douai fanden wir bei inzwischen einsetzender Dunkelheit auch gar keine Campingmöglichkeit für unsere beiden kleinen Minizelte. Wir suchten daher unter einer Brückenunterführung Schutz für unsere Zelte und gingen dann zum Essen in die Stadt. Wir gönnten uns am nächsten Tag noch einige Zeit nach dem Aufstehen, um die Stadt aus unserer Perspektive anzusehen. Anschließend radelten wir dann unserem ursprünglichen Ziel Paris entgegen.
Nach 4 Tagen mit sehr langen Tagesetappen hatten wir es dann geschafft. Mitten im pulsierenden Paris, einen Steinwurf vom Place Pigalle, fanden wir unser Hotel in einer kleinen Nebenstraße. Es wurde geführt von einem jungen Ehepaar, das wohl das erste Mal vor die Frage gestellt wurde, wo man denn...