E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Werner Die Tote aus der Metzgergasse
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95824-810-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-95824-810-6
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Günter Werner, Autor und freier Journalist, begann seine Karriere beim 'Pfälzer Tagesblatt', bevor er 32 Jahre als Redakteur in Neustadt und Landau bei der bekannten Tageszeitung 'Rheinpfalz' tätig war. In seine Pfalz-Krimis rund um Kommissar König fließen sowohl seine journalistischen Erfahrungen als auch seine Liebe zur pfälzischen Heimat ein.
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Kapitel 1
Henri König ist ein fröhlicher, geselliger und umgänglicher Mensch. Er neigt nicht zur Überheblichkeit, weiß, was er kann. Und er kann einiges, ohne dass er dies an die große Glocke hängt. Der erfolgreiche Kriminalist kocht in seiner Freizeit, spielt immer mal wieder ganz für sich allein Orgel in der Kirche, joggt, fährt Motorrad und liest gerne Klassiker. Goethe ist sein Lieblingsdichter, ihn zitiert der einstige Student der Literaturwissenschaften bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Wenn jemand dabei milde lächelt, stört ihn das nicht.
Was der Rieslingkönig, wie er wegen seiner Vorliebe für Wein der Rebsorte Riesling nicht nur im Freundeskreis genannt wird, überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn man ihn in eine bestimmte Schublade steckt oder ihn unterschätzt. Selbstbewusst, wie er im Privat- und im Berufsleben ist, wehrt er sich zum Beispiel vehement gegen das Vorurteil, ein Kriminalbeamter sei nichts anderes als ein Mann, der darauf wartet, dass das Glück ihm über den Weg läuft und er ohne großen Aufwand einen gesuchten Täter fasst, um sich dann im Ruhm zu sonnen.
Wenn jemand so redet, wird der Weinfreund König entgegen seinem Naturell ärgerlich und muss an sich halten, dass er nicht ausflippt. Aber das kommt selten vor, weshalb er von Freund und Feind geschätzt wird.
Es ist früher Nachmittag. Henri König sitzt mit seiner Frau Ingeborg, die ebenfalls einen dienstfreien Tag hat, auf der Terrasse seiner Wohnung in Nußdorf. Nur selten haben sie die Chance, sich gemeinsam ein paar Stunden Ruhe zu gönnen, Kaffee zu trinken, zu plaudern, einen etwas tieferen Blick in ein Buch zu werfen und dann, wenn der Abend naht, ein Gläschen trockenen Riesling zu kosten, den beide gleichermaßen schätzen.
»Ach was, Ingeborg, ich öffne eine Flasche, auch wenn die Sonne noch nicht hinter den Bergen der Haardt verschwunden ist. Wer sagt denn, dass man den ersten Schluck erst trinken soll, wenn es langsam dunkel wird?«
»Prost, Rieslingkönig«, lacht Ingeborg und hebt ihr Glas in Richtung Henri.
»Prost, Riesling-Queen«, erwidert der Herr des Hauses.
In einschlägigen Kreisen ist bekannt, dass die Königs etwas vom Wein verstehen und ihn genießen, wenn die Stunde dafür gekommen ist. Heute ist dies der Fall. Sie haben längst herausgefunden, welche Winzer in der Pfalz hervorragenden Riesling erzeugen. Bei einigen sind sie Stammkunden.
»Leben wir nicht auf einem gottgesegneten Stückchen Erde?«, kommt der sonst so nüchterne Kriminalist ins Schwärmen. Wohin er von seiner Terrasse aus auch den Kopf dreht, überall sieht er Weinberge, hoch bis an den Waldrand. »Wenn wir alle Rieslinge noch probieren wollen, die in den letzten zehn Jahren in dieser Region gewachsen sind und eine Auszeichnung bekommen haben, müssen wir sehr alt werden«, bringt es Ingeborg auf den Punkt.
Gerade hat sie wieder ihr Buch zur Hand genommen, um weiterzulesen – sie widmet ihr Interesse derzeit der Schriftstellerin Ursula Krechel und ihrem Roman Landgericht –, läutet Henris Telefon. Wie er diese Handys hasst, weil sie immer gerade dann ertönen, wenn es still und gemütlich ist! Deshalb ärgert er sich ein bisschen über den im Moment noch unbekannten Anrufer. Da er als Leiter der Kriminalinspektion Landau auch außerhalb seiner Dienstzeit erreichbar sein muss, nimmt er das Geklingel als Teil seines Berufes hin.
»König«, meldet er sich und erkennt beim Blick auf das Display, dass der Anrufer Uwe Martin ist, sein Chef von der Zentralen Kriminalinspektion in Ludwigshafen. Er verkneift sich den respektlosen Ausruf »Was gibt’s?«, sagt vielmehr mit leichter Ironie in der Stimme: »Hallo, Herr Direktor, was verschafft mir die Ehre?«
»Entschuldigen Sie die Störung, Herr Kollege. Ich weiß, dass Sie frei haben und sicher ihre Ruhe haben wollen. Ginge mir genauso. Aber es geht um eine wichtige Personalentscheidung, die keinen Aufschub duldet. Deshalb erlaube ich mir ...«
»Schon gut, Chef«, unterbricht König den einige Jahre älteren Martin, mit dem er sich dienstlich gut versteht und in dem er einen Mann sieht, der ihm gewogen ist und ihm auf seinem weiteren Berufsweg noch sehr hilfreich werden könnte.
»Lieber Herr König, ich will nicht lange drumherum reden, sondern Sie ganz schlicht und einfach informieren, dass Sie mindestens für ein Jahr, vielleicht auch etwas länger, von Landau nach Neustadt versetzt werden. Das ist eine große Chance für Sie. Der Neustadter Kripochef ist, wie Sie sicher wissen, ans Innenministerium nach Mainz abgeordnet worden, seine Stelle in der Pfalzmetropole ist vakant und muss schnellstens besetzt werden.«
Der von Martin erwartete Seufzer der Enttäuschung bleibt aus. Das wertet er als gutes Zeichen. Henri König lässt sich nicht anmerken, dass er auf dem linken Fuß erwischt worden ist: »Ich freue mich, dass Sie mich ausgewählt haben. In Landau habe ich mich gut eingelebt, fühle mich hier sehr wohl, aber selbstverständlich nehme ich das Angebot an. Wann soll es in Neustadt losgehen?«
»In drei Wochen, am 1. Juli. Vorher können Sie gerne noch ein paar freie Tage abfeiern und sich von Ihren Landauer Kollegen gebührend verabschieden. Ihr Stellvertreter wird die Leitung der Inspektion kommissarisch übernehmen«, sagt Martin. Und fragt: »Arbeiten Sie gerade an einer größeren Sache, die Sie unbedingt noch abschließen wollen?«
»Nein!«
»Das ist prima, damit steht Ihrem beruflichen Neuanfang ja nichts im Wege. Ich wünsche jetzt schon Erfolg am neuen Platz und hoffe sehr, dass Ihnen auch in Neustadt das berufliche Glück hold ist.«
Ingeborg hat mit einem halben Ohr mitbekommen, worum es geht. Sie legt ihr Buch zur Seite und sieht Henri fragend an: »Warum hast du dir keine Bedenkzeit ausbedungen? Jetzt sind wir in Landau gerade heimisch geworden und müssen nach einer kurzen, aber schönen Zeit schon an Umzug denken.«
»Langsam, mein Schatz, keine Aufregung«, lässt sich König vernehmen. »Wir bleiben in Nußdorf wohnen. Die 20 Kilometer nach Neustadt sind keine Entfernung, die einen umhauen könnte. Lass uns einen Schluck auf die nächste Zukunft trinken.«
Henri und Ingeborg König gönnen sich eine Woche Urlaub und beschließen gleich am ersten Tag, in Neustadt eine Stadtführung mitzumachen und sich in der City etwas umzusehen. »Ich muss schließlich wissen, wo die touristischen Schwerpunkte liegen und wie es an meinem neuen Einsatzort aussieht«, unterstreicht König.
Dieser Freitag ist ein strahlender Junitag. Neustadt zeigt sich von seiner schönsten Seite. König hat sich erkundigt und erfahren, dass eine Stadtführerin um 15 Uhr am Brunnen auf dem Rathausplatz den zweistündigen Rundgang startet. Seine Frau und er reihen sich ein in die ein gutes Dutzend Teilnehmer umfassende Gruppe, hören den Erläuterungen der Frau mit großem Interesse zu. Die wenigen Einheimischen, die sich angeschlossen haben, kennen ihn natürlich nicht. Denn in Neustadt ist die Personalie König noch nicht gemeldet worden.
Als sie auf die im 14. Jahrhundert erbaute Stiftskirche schauen, die Führerin von einem der bedeutendsten Kirchenbauwerke der Pfalz spricht und auf die beiden markanten Türme zeigt, wo auf einem Turm früher mal ein Türmer gewohnt hat, flüstert Henri seiner Angetrauten zu: »Hier kann ich sicher gelegentlich mal Orgel spielen. Den Turm besteigen wir irgendwann auch.«
»Drehen Sie sich bitte alle mal um und schauen auf die andere Seite des Marktplatzes. Die kleine Gasse, die dort in südlicher Richtung abgeht, ist die Metzgergasse, Neustadts älteste Straße. Sie hat schon ein paar Jahrhunderte überlebt. Und uns wird sie auch überdauern«, informiert die Führerin. »Woher hat die Straße ihren Namen? Befindet sich dort eine Metzgerei neben der anderen?«, will ein Tourist aus Holland wohl in Erwartung eines leckeren Wurstbrötchens wissen.
Die junge Frau, die ihre Heimatstadt und jeden ihrer Winkel bestens kennt, lächelt den Fragesteller an: »Leider muss ich Sie enttäuschen, es gibt in der Metzgergasse keinen Metzgerladen mehr. Dafür können Sie alle ein paar sehenswerte Fachwerkhäuser bewundern. Das gotische Haus Nummer 3 ist das älteste Fachwerkhaus der Pfalz, erbaut 1381/82 und von größter architektonischer Bedeutung.«
Die Gruppe läuft ganz langsam durch die schmale, nur knapp 100 Meter lange Metzgergasse und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Fast jedes Bauwerk atmet hier Geschichte. Einige Torbögen tragen alte Zunftzeichen. Die Fremdenführerin meldet sich erneut zu Wort: »Im Mittelalter befand sich in der Metzgergasse die Fleischschranne, eine Art Markthalle für Fleischer. Mehrere Metzgereien lockten die Käufer. Aber das ist schon lange vorbei. Heute wohnen in den eindrucksvoll restaurierten Häusern Menschen wie Sie und ich.«
»Hier würde ich auch gerne wohnen«, flüstert Ingeborg ihrem Ehemann zu. Er schaut sie verwundert an: »Romantik ersetzt in der Realität vieles nicht«, betont der mit zwei Füßen im Leben stehende Kriminalist. »Wo würdest du unser Auto parken, wo würde ich mein Motorrad unterstellen, wo sollten wir unsere Kräuter pflanzen, auf die wir beim Kochen nicht verzichten wollen?«
Kurz vor acht Uhr am Mittwoch, den 1. Juli, betritt Henri König zum ersten Mal das Gebäude der Polizeidirektion in Neustadt. Am Eingang hängt ein ihm gewidmetes, mit der Hand geschriebenes Plakat: »Herzlich willkommen, Herr Kommissar!« Den neuen Kripochef freut dies sehr, er wertet diesen freundlichen Gruß als Zeichen der Unvoreingenommenheit ihm gegenüber.
Ein abergläubischer Mann war König noch nie, denn sonst hätte er seinen Dienst einen Tag früher oder später angetreten. Schließlich galt der Mittwoch einst im Volksglaube als Unglücks- oder Pechtag. Aber er hat im...