Werner | Froschnacht | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Werner Froschnacht

Roman
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-10-401264-3
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-10-401264-3
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Frosch kommt einmal monatlich, bleibt für drei Tage und geht. Der, dem er im Hals sitzt, heißt Franz Thalmann: einst Pfarrer und verheiratet, nun aber und seit Jahren schon Lebensberater und geschieden. Zum Glück, denn beides ist ihm recht. Wenn da nicht eben jener Frosch wäre, und der heißt Thalmann Klemens und war sein Vater. Vor einem halben Jahr haben sie ihn begraben, was sie aber nicht begraben konnten, das ist das Ungeklärte, Unerlöste, das Unbesprochene zwischen Sohn und Vater. Da hilft dem Sohn nur, ihn zum Reden zu bringen, ihn, den Vater-Frosch, der sich nun von der Seele redet, was er dachte von der Welt. Und weil er sich verteidigen zu müssen glaubt, tut Franz, der Sohn, ein gleiches. In schöner Wechselrede sinnieren die beiden vor sich hin, mit Trauer und Wut, mit Scharfsinn und einem überrumpelnden Witz, der die Anfeindungen des Lebens entwaffnet.

Markus Werner wurde 1944 in der Schweiz, in Eschlikon im Kanton Thurgau, geboren und starb 2016 in Schaffhausen. Er studierte in Zürich Germanistik, arbeitete bis 1990 als Lehrer und dann als freier Schriftsteller. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Er veröffentlichte die Romane ?Zündels Abgang?, ?Froschnacht?, ?Die kalte Schulter?, ?Bis bald?, ?Festland?, ?Der ägyptische Heinrich? und ?Am Hang?. Zu seinem Werk erschien der von Martin Ebel herausgegebene Band ?»Allein das Zögern ist human«?. Literaturpreise: Joseph-Breitbach-Preis (2000) Johann-Peter-Hebel-Preis (2002) Schillerpreis der Schweizerischen Schillerstiftung (2005) Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen (2006) ProLitteris Preis 2016
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1


Einmal im Monat kommt er, nistet sich ein, bleibt drei Tage. Im Hals, wo sonst. Gurgle! raten Ahnungslose. Längst versucht, längst alles versucht. Er bleibt drei Tage.

Dreckfrosch.

Arg die dritte Nacht. Der weiß, daß es bald aus ist. Dehnt sich, schmarotzt mir Luft und Schlaf weg. Man muß zur Flasche greifen, sitzt, trinkt und würgt und brütet: Ich hab die schönsten Frauen aus brennenden Trümmern gerettet, schon manchem Lump ins Bein geschossen, zuweilen lieg ich im Spital, so weiß, so tapfer, vorbildlich ist mein Sterben, ein Fräulein war ich auch schon, alle elf Männer gar bald durchschaut und abgewehrt, ein Pack.

Ich kritzle und sinniere vor mich hin, wie ich’s gelernt hab in vielen Kursen zu Zürich, zu Köln und zu Boston. Keine Kontrolle, wenig Kontrolle, laßt laufen, verströmt euch. Und in mir das Fröschchen, neben und mit mir der rote Genosse, vor mir Papier, wehe.

Thalmann mein Name, Franz Thalmann, geschieden im zehnten Jahr. Salü Franz, hast auch eine Vorgeschichte? Hab eine lange Vorgeschichte, geht weit zurück, doch davon vielleicht später. Bin jetzt wahrhaftig neunundvierzig, und aus dem Gleis gebracht hat mich ein Wohlgeruch, doch davon später.

Neunundvierzig. Spannkraft läßt nach, stülpst dich kaum noch um, hin die Seligkeit. Thalmann. Saufbruder, abverreckter Pfaff, Lebensberater seither, verflucht erfolgreich. An Froschtagen geschlossen, sonst aber quillt die Praxis über.

Beiläufig hier mein Ansatz. Kalte Füße sind sehr widerwärtig, und Fußschweiß ist es auch. Fast traue ich mir zu, damit ein Existenzproblem wenn nicht gelöst, so doch skizziert zu haben.

Vater ist tot, hat mich verdammt und hat mich ausgelöscht in sich. Mit seinen Kühen sprach er über alles, nicht über Franz, nicht über Franzens große Sünde. Sein Stolz war ich und später seine Schande. Ein Pfarrer, handkehrum ein geiler Weiberschnüffler, der blindlings Frau und Kind verläßt. Zuviel, zuviel für Klemens Thalmann selig.

Zum Leib: Einseinundachtzig, hager. Rotblond einst, nun galoppierend gräulich, Antlitz zum Seufzen und volloval, Brille freilich, darunter schlammgrüne Augen. Ohren klein und scharf. Nase? Knollig.

Wer anders sein will, als er ist, der tut mir leid. Sein Wunsch ist ehrenwert, doch abgedroschen. Ich formuliere tastend eine These: Die Menschenseele mit allem Drum und Dran ist serieller Kitsch. Das Innerste erwirbt sich jeder von der Stange. Nichts von Mysterium, nur Schmalz.

Mit violetten Fingernägeln kommen sie zu mir, mit originellen Kaiser-Wilhelm-Schnäuzen, abgrenzungswütig schwänzeln sie herum und fühlen sich weiß Gott wie einzigartig. Dann öffnen sie den Mund und husten Abziehbildchen aus. Und was sie spüren, wünschen, träumen, das macht sie grausam gleich und hundsgewöhnlich.

Das Unverwechselbare an dir ist deine Nase, die Kapriolen deines Herzens aber sind ein Gassenhauer. Belege später.

Was meine Arbeit obendrein erleichtert: Die strukturelle Schlichtheit dessen, was nun einmal »Beziehungsstörung« heißt. Auf wirklich leckerbissige Disharmonien werfe ich mich mit hundertzwanzig Puls.

Freilich Sternstunden!

Und freilich findet der Berater, sofern er nicht ein Simpel ist, auch ordinäre Konstellationen sehr komplex. Negierte er den Anspruch des Klienten auf anspruchsvolles Leiden, dann bliebe seine Praxis leer.

Ich war ein Bauernbub. Kein Baum wächst in den Himmel. Pompöse Bäuche, Köpfe, Seelen sind mir ewig fremd. Wenig ist hoch und heilig. Die Birne fällt und fault, kein Grund, sie zu verachten. Der Mensch tut mehr als scheißen, ohne Zweifel, doch scheißen tut er auch und in der Regel sogar lieber als zum Beispiel denken, und gleichwohl definiert er sich als Geisteswesen.

Man überschätzt sich selbst und alles. Und es ist klar, daß unter anderm diese Platitüde mich erst zum Theologen und später auch zum Anti-Theologen machte.

Empfangen in Sünden wie jedes Adamskind und geboren im vogelpfeifwarmen Februar des Jahres fünfunddreißig als zweiter Sohn des Landwirts Klemens Thalmann und seiner Gattin Gret, geborene Habisreutinger. Getauft auf den mäßigen Namen Franz und die Wanderbahn angetreten unter dem Motto: Ein Hauch nur ist alles, was Mensch heißt.

Psalm soundso.

Geschwister. Bruder Paul, farbig, gut und krumm. Anna, Lieblingsschwester, gestorben anno neunundfünfzig an Leukämie. Myrta, verheiratet, zu ihren schusseligen Kindern sündhaft mild.

Vater Klemens tot seit einem halben Jahr. Friedlich vom Melkstuhl gekippt, und wenn’s euch lieber ist: gesunken.

Testament: »Daß mir der Franz nicht an den Sarg kommt.«

Zehn Jahre Groll für einen Hundesohn. Natürlich war ich am Begräbnis, Holunderblütenduft auf einem Dorffriedhof.

Mutter so lang schon tot wie John F. Kennedy. Weit weg ist sie, und ihre Sommersprossen verschmelzen mit denen meiner Ex-Frau Helen.

Und jetzt. Seit wann hat Thalmann junior den Frosch?

Seit seines Vaters Abgang.

Ich sage deutsch und deutlich und blitzdirekt: Der alte Rächer sucht mich heim von Zeit zu Zeit und kriecht in meinen Hals. Ich hab ein scharfes Ohr, ich höre, was er quakt: »Zwar bin ich tot, du aber bleibst ein Tropf.«

Man weiß, daß Pfarrer in den schönsten Häusern wohnen. Der liebe Gott will’s so. Meins stand im Zürcher Unterland. Ein Riegelbau, darin der Franz mit Geige, die Helen am Spinett und bald ein Töchterlein, strohblond, mit Namen Salome. Nach der Geburt ein langes Jahr lang vorwiegend Geige und Spinett, dann Costa Brava, neun Monde drauf ein zweites Töchterlein, strohblond, mit Namen Eva.

Alles in allem eine reiche Zeit, viel Frohes, zwanglos Frommes, viel Zuneigung trotz Gummischutz, seelsorgerisch enorm auf Trab, sprühend vor evangelischer Dynamik.

Bin ich ein Trinker? Kaum. Ich wär es gern. Ich trinke, wie ich lebe: ungierig und konstanzlos.

Und ich weiß nichts. Meine Haut ist mir unklar. Was ist Feuer. Wein macht man aus Trauben, woraus sind die. Nichts wird durchschaut. Plötzlich weiß der Kühlschrank, daß er brummen muß. Gelacht ist rasch, doch Hirn und Rückenmark tun auch das Ihre, aber was. Immer schwatzen, herumseckeln, rasieren, lauter Zeug, dabei weiß keiner, was Salat ist oder Strom oder Muskelkater. »Der Tempolimite zum Durchbruch verhelfen.« Was heißt das. Ich begreife jeden, der gläubig wird, und jeden Verrückten und jede Art Demut und Flucht. Verständnisvoll haß ich das alles.

Kindergarten und Primarschule im Kaff. Lehrer Knüsel: Nehmt euch ein Beispiel am fleißigen Franz. – Unmäßig faul bin ich gewesen mein Leben lang, und ich bereu es nicht. Hingegen hab ich es verstanden, wach und geschäftig zu erscheinen, auch wenn ich schlief.

Fast jeder Mensch ist faul bis in die Knochen. Ein großes Tabu. Der Fleißige, so jedenfalls mein Eindruck, ist von Natur ein ganz besonders lahmer Hund, der sich aus purer Scham darüber fast unablässig in den Schwanz beißt. Fortschritt als Kind von Schuldgefühlen, Leistung als ein verdrossenes Produkt der Trägheit.

Sekundarschule im Nachbarkaff. Zeit der Pickel und des Grams darüber. Und lieber Gott vertilge meinen Dauerhandschweiß. Mädchen sind unerreichbar und sollten es sein. Konfirmandenunterricht, Pollutions-Panik. Hemmungen, Ängste, Blockaden, der ganze Dreck halt, der im Rückblick schöne Jugend heißt.

Hier ist kein Urteil scharf, kein Fluch vulgär genug. Die Art, wie Pubertät in unsern Breitengraden erlitten werden muß, ist schändlich, ein ganz und gar trostloses Zeugnis brutalsten Christenstumpfsinns. Von Generation zu Generation vererbt sich die verheerende Verklemmtheit kaputter Samstagabendvögler und spielt sich dummdreist auf als Leitstern der Erziehung. Kurzum, der Sünder braucht den Herrgott und dieser ihn, ich wurde fromm. Daneben Leichtathletik.

Ein Wort des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs zu Jerusalem. »Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, sei guter Dinge in der Blüte des Lebens! Wandle, wie es dein Herz gelüstet, und genieße, was deine Augen erschauen!« – Welch eine Botschaft, liebe Brüder, liebe Schwestern, vor allem liebe Brüder! Was sagt uns dieses Wort, was will es uns bedeuten? Es meint, in neuer Sprache ausgedrückt: Seid aufgestellt! Schöpfungsgenuß statt Anschiß! – Ich fahre fort im Text des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs zu Jerusalem: »Doch wisse, Jüngling, daß um all dieser Dinge willen Gott dich vor Gericht ziehen wird.«

Gymnasium. Der kleine Thalmann kommt aufs Gymnasium. Sogar Latein hat er, potz Donner. Dorflehrer Knüsel sitzt im Löwen und sagt jaja, ein heller Bursche, wach und fleißig, und Einmaleins und ABC hat er von , und seine Schwester Anna ist heller. – Was ist mit diesen Kindern? fragt Titus Feusi. Der Klemens hat doch weiß der Treu kein Gramm mehr Grütz als unsereins! – Der Klemens braucht, so ruft die Wirtin, der Klemens braucht im Gegensatz zu euch nicht sieben Schnäpse, bis er will und kann, entsprechend anders ist das Resultat.

Ich rutsche wider Willen in diesen Schüleraufsatztrott: Und dann und dann und dann. Weg mit der klebrigen Gewesenheit. Ein nächstes Glas und Themawechsel.

Frosch, ich erzähl dir was. Aus meiner Praxis, Fallstudie.

Die Frau: Super muß ich sein, sonst verlier ich seine Liebe. Der Mann: Ich muß super sein, sonst verlier ich ihre Liebe. Und beide waren ziemlich super und hatten Angst, entlarvt...


Werner, Markus
Markus Werner wurde 1944 in der Schweiz, in Eschlikon im Kanton Thurgau, geboren und starb 2016 in Schaffhausen. Er studierte in Zürich Germanistik, arbeitete bis 1990 als Lehrer und dann als freier Schriftsteller. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Er veröffentlichte die Romane ›Zündels Abgang‹, ›Froschnacht‹, ›Die kalte Schulter‹, ›Bis bald‹, ›Festland‹, ›Der ägyptische Heinrich‹ und ›Am Hang‹. Zu seinem Werk erschien der von Martin Ebel herausgegebene Band ›'Allein das Zögern ist human'‹.

Literaturpreise:

Joseph-Breitbach-Preis (2000)
Johann-Peter-Hebel-Preis (2002)
Schillerpreis der Schweizerischen Schillerstiftung (2005)
Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen (2006)
ProLitteris Preis 2016

Markus WernerMarkus Werner wurde 1944 in der Schweiz, in Eschlikon im Kanton Thurgau, geboren und starb 2016 in Schaffhausen. Er studierte in Zürich Germanistik, arbeitete bis 1990 als Lehrer und dann als freier Schriftsteller. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Er veröffentlichte die Romane ›Zündels Abgang‹, ›Froschnacht‹, ›Die kalte Schulter‹, ›Bis bald‹, ›Festland‹, ›Der ägyptische Heinrich‹ und ›Am Hang‹. Zu seinem Werk erschien der von Martin Ebel herausgegebene Band ›'Allein das Zögern ist human'‹.

Literaturpreise:

Joseph-Breitbach-Preis (2000)
Johann-Peter-Hebel-Preis (2002)
Schillerpreis der Schweizerischen Schillerstiftung (2005)
Bodensee-Literaturpreis der Stadt Überlingen (2006)
ProLitteris Preis 2016



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