Wettstein / Schmid / Gonon Berufsbildung in der Schweiz (E-Book)
2. Auflage 2014
ISBN: 978-3-0355-0204-6
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Formen, Strukturen, Akteure
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Reihe: hep praxis
ISBN: 978-3-0355-0204-6
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Zwei Drittel der Jugendlichen steigen über eine berufliche Grundbildung ins Erwerbsleben ein. Nach wie vor zeichnet sich die Berufsbildung in der Schweiz
insbesondere durch eine grosse Nähe zur Arbeitswelt und praxisnahe Ausbildung aus. Gleichzeitig hat sich das Bildungssystem in den letzten Jahren stark ausdifferenziert und bietet heute eine Vielzahl verschiedener Formen beruflicher Bildung, die Jugendliche und Erwachsene mit unterschiedlichen Stärken und Interessen in Beruf und Weiterqualifizierung führen. Das Buch beginnt mit einem umfassenden Überblick über die Vielfalt der Formen beruflicher Bildung und stellt Lernende und Studierende in verschiedenen Ausbildungsformen vor. Es bietet eine fundierte Einführung in die Struktur und die Rahmenbedingungen der Berufsbildung in der Schweiz, zeigt die Funktionen beruflichen Lernens, die Ausbildungswege und Herausforderungen von Jugendlichen zwischen Schule und Erwerbsleben auf und stellt die wichtigsten Institutionen und deren Akteure vor. Mit einem Blick auf verschiedene Spannungsfelder zeigen die Autorin und die Autoren abschliessend, wo die Stärken der Berufsbildung in der Schweiz liegen, aber auch wo aktuelle Herausforderungen und zukünftige Entwicklungsschritte zu verorten sind.
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Kapitel 2
Berufsbildung – Teil des Bildungssystems und Teil der Arbeitswelt
Die Berufsbildung ist Teil zweier Systeme: Sie gehört zum Bildungssystem, findet aber zum grossen Teil in der Arbeitswelt statt. Gemäss Artikel 3 des Berufsbildungsgesetzes dient sie einerseits der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und andererseits der beruflichen und persönlichen Entfaltung des Einzelnen und seiner Integration in die Gesellschaft. Diese doppelte Einbindung ist zu berücksichtigen, wenn man die heutige Stellung der Berufsbildung und ihre Entwicklung verstehen will. Wir stellen deshalb hier einige wichtige Aspekte beider Systeme dar, zu denen die Berufsbildung gehört und von denen sie geprägt wurde und wird. 2.1Bildungssystem
Die Vielfalt an Bildungseinrichtungen in einem Land wird in der Regel als zusammenhängendes System dargestellt, was unter anderem für die Aussendarstellung und die internationale Anerkennung wichtig ist. 2.1.1Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen
Die Schweiz verfügt über 26 kantonale, mehr oder weniger unterschiedlich ausgestaltete Schulsysteme und nicht über ein einheitliches Bildungssystem. Die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen war wiederholt Gegenstand politischer Auseinandersetzungen, wobei häufig zentralistische Tendenzen mit kantonalen Souveränitätsansprüchen im Widerstreit standen (Criblez, 2008). Es waren und sind überwiegend die Kantone, die zuständig sind für die Belange und die Organisation von Bildung und Schulen. In der Bundesverfassung (Art. 61a) heisst es seit 2006 allerdings auch, dass Bund und Kantone «gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz» sorgen. Im Übrigen setzt sich die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) seit Jahren für eine stärkere Koordination zwischen den Kantonen ein, die dann durch interkantonale Übereinkünfte («Konkordate») gefestigt wurde (vgl. Kapitel 5.4). Im Schulkonkordat von 1970 kam es unter anderem zu Vereinheitlichungen im Bereich des Schuleintrittsalters, der Beschulungsdauer und der Ausbildungszeit bis zur gymnasialen Matura. 1997 wurde eine parlamentarische Initiative für einen Bildungsrahmenartikel in der Bundesverfassung (BV) eingereicht. Die revidierte BV wurde 2006 in einer Volksabstimmung angenommen. Darin wird dem Bund die Möglichkeit einer umfassenden Rahmengesetzgebungskompetenz im gesamten Bildungswesen zugesprochen (BV, 1999/2013, Art. 62, Abs. 4). Das HarmoS-Konkordat (die Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule) von 2007 und der Lehrplan 21 sind weitere Bemühungen, eine Angleichung und Standardisierung der kantonalen Schulbildungen in der Schweiz zu erreichen. Was die berufliche Bildung angeht, so gelang es dem Bund seit Beginn des 20. Jahrhunderts, sich über die Frage der wirtschaftlichen Förderung nach und nach einen gewissen Einfluss zu sichern. Dies führte schliesslich dazu, dass dieser Bereich des Bildungssystems neben den Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) als Bundeskompetenz anerkannt wurde (vgl. Kapitel 2.3). Nationale und internationale Akteure der Bildungspolitik
Neben dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), Vertreterinnen und Vertretern der Bildungsinstitutionen, der Lehrerschaft, politischen Parteien, Berufs- und weiteren Interessenverbänden und Organisationen der Arbeitswelt treten auf der politischen Bühne zunehmend auch neue Akteure wie Thinktanks und andere engagierte Personen auf, die sich für die Gestaltung der (beruflichen) Bildung engagieren. Seit einigen Jahren sind verstärkt auch internationale Organisationen aktiv und in der Bildungspolitik tätig. Die OECD, die UNESCO, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), aber auch die Europäische Union lösten in der Schweiz eine Vielzahl bildungspolitischer Debatten und Reformvorschläge aus. So veränderte etwa die europäische Bologna-Vereinbarung die Hochschulen grundlegend, indem auch das schweizerische Hochschulwesen auf Bachelor- und Masterstudium umgestellt wurde. Ebenfalls beeinflusst der Europäische Qualifikationsrahmen die aktuelle Debatte in der Bildungspolitik und in der Gestaltung einer Bildungssystematik. 2.1.2Gliederung des Bildungssystems
Das Bildungssystem der Schweiz gliedert sich in verschiedene Bildungsstufen, aufgebaut nach dem Prinzip «Kein Abschluss ohne Anschluss» (vgl. Abb. 2-1 und bezüglich Gliederung nach HarmoS: EDK, 2007): •Primarstufe, inklusive Vorschule oder Eingangsstufe (in der Regel acht Schuljahre); •Sekundarstufe I (drei Schuljahre: Schulen mit Grundansprüchen und erweiterten Ansprüchen); •Brückenangebote (zwischen Sekundarstufe I und II, vgl. Kapitel 4.4); •Sekundarstufe II: berufliche Grundbildung und allgemeinbildende Mittelschulen; •Tertiärstufe:Hochschulen (Tertiär A) und höhere Berufsbildung (Tertiär B) •sowie die Weiterbildung. Die obligatorische Schulzeit endet mit Abschluss der Sekundarstufe I; nach dem neunten bzw. elften Schuljahr erfolgt in der Regel der Übergang in die nachobligatorische Bildung mit der Sekundarstufe II. Diese öffnet einen Zugang zur Tertiärstufe, der immer häufiger auch wahrgenommen wird. Ursprünglich beruhte das Bildungssystem in weiten Bereichen auf zwei getrennten Säulen. Die eine repräsentiert im Aufbau das klassische akademische Bildungswesen; der Weg führt über die gymnasiale Allgemeinbildung zur Hochschule. Der andere Pfeiler ist durch die Berufsbildung geprägt. Zwischen beiden Bildungswegen gab es keine bis wenig Berührungspunkte, es gab so auch kaum Möglichkeiten, den einmal eingeschlagenen Bildungspfad zu wechseln. Inzwischen gibt es recht gut ausgebaute Querverbindungen, die die Durchlässigkeit sehr stark verbessert haben. Abbildung 2-1: Das Bildungssystem der Schweiz, vereinfacht. Quelle: BFS (2013g), S. 6 2.1.3Obligatorische Schule
Die obligatorische Schule schliesst Kindergarten, Primarschule und Sekundarstufe I ein. Sie umfasst somit – gemäss dem seit 2009 in Kraft getretenen HarmoS-Konkordat – elf Schuljahre (EDK, 2007). Eine Besonderheit des schweizerischen Bildungssystems besteht darin, dass es, abgesehen von seiner föderalen Organisation, auch entlang der vier Sprachregionen bis auf die lokale Ebene unterschiedlich ausgestaltet ist. Das Ziel einer weiteren Angleichung kantonaler Schulsysteme gemäss HarmoS wird auch durch weitere Vorgaben zur Dauer, zu den wichtigsten Zielen der Bildungsstufen und zu deren Übergängen angestrebt. Ziel ist es unter anderem, die Mobilität der Lernenden innerhalb der Schweiz zu vereinfachen. 2.1.4Nachobligatorische Bildung
Tabelle 2-1: Sekundarstufe II: Neueintritte 2007/2008 und 2011/2012. Quelle: BFS (2013g), S. 18 Abbildung 2-2: Sekundarstufe II: Lernende in allgemeinbildenden Schulen und in der Berufsbildung, Entwicklung seit 1999/2000. Quelle: BFS (2013g), S. 23 und 24 Die Sekundarstufe II umfasst drei Bereiche: •die Berufsbildung, die in erster Linie auf Erwerbsfähigkeit zielt; •allgemeinbildende Bildungsgänge, die Studierfähigkeit als zentrales Ziel einschliessen, und •Formen mit hybridem bzw. doppelt qualifizierendem Ziel, wie die berufliche Grundbildung mit Berufsmaturität (vgl. Kapitel 1.4) oder (eingeschränkt) die Fachmittelschule. Über 95 Prozent der Jugendlichen treten in einen Zug der Sekundarstufe II ein, rund 90 Prozent schliessen diese Stufe erfolgreich ab (vgl. Kapitel 4). Insgesamt beträgt der Anteil der Jugendlichen, die sich für eine berufliche Grundbildung entscheiden, seit Jahren gut zwei Drittel eines Jahrganges. Sie können zwischen rund 240 beruflichen Grundbildungen wählen, wobei kaufmännische Berufe, Berufe im Detailhandel sowie Berufe im Gesundheits- und Sozialbereich zu den Spitzenreitern gehören (vgl. Kapitel 4.2.4). Bei den Knaben sind es rund drei Viertel und bei den Mädchen zwei Drittel, die eine berufliche Grundbildung absolvieren. Allerdings hat sich der Anteil der Jugendlichen, die eine Maturität anstreben, in den letzten Jahren erhöht. Eine Zunahme hat auch die zweijährige Grundbildung zu verzeichnen, die zum eidgenössischen Berufsattest (EBA) führt (BFS, 2013g). Im Schuljahr 2011/12 umfasste die Sekundarstufe II 356720 Lernende gegenüber 336815 im Jahr 2007/08. Tabelle 2-1 zeigt die Neueintritte 2011 im Vergleich mit den Zahlen aus dem Jahr 2007. Die Entwicklungen innerhalb der Sekundarstufe II über einen längeren Zeitraum werden aus der Abbildung 2-2 ersichtlich: Gestiegen sind in den letzten Jahren vor allem die EFZ-Ausbildungen (drei- und vierjährige...