E-Book, Deutsch, 440 Seiten, Format (B × H): 90 mm x 120 mm
Reihe: Schöne Bücher Bibliothek
Wieland Der Schwur des Mönchs
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-910789-01-2
Verlag: Burgenwelt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 440 Seiten, Format (B × H): 90 mm x 120 mm
Reihe: Schöne Bücher Bibliothek
            ISBN: 978-3-910789-01-2 
            Verlag: Burgenwelt Verlag
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 0 - No protection
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I. Festung Benzenburg bei Rohrdorf Anno domini 814 … und er ein Kind ist »Atto, wo bleibst du? Wir müssen aufbrechen!« Die Stimme des Grafen Eginhart von Rohrdorf verriet mühsam beherrschte Ungeduld. In einer Ecke des Stalls vergrub der sechsjährige Atto sein Gesicht im rauen Fell seiner Hündin. Mit aller Macht versuchte er, die Tränen zurückzuhalten. »Auf Wiedersehen, Arla«, murmelte er mit erstickter Stimme. »Vergiss mich nicht.« Widerstrebend löste er sich von dem Tier, das aus goldbraunen Augen zu ihm aufblickte, als würde es jedes Wort verstehen. »Atto! Komm jetzt!« Eginhart von Rohrdorfs hochgewachsene Gestalt erschien im Eingang des Stalls. »Ich muss mich doch von Arla verabschieden, Vater!« Atto versuchte, das Zittern in der Stimme zu verbergen, den Kopf hielt er gesenkt. Seine Tränen durfte der Vater nicht sehen. Graf von Rohrdorf machte einen Schritt auf Atto zu und legte die Hand auf die Schulter des Jungen. Seine Miene zeigte ein Wechselspiel an Regungen. Heute, zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche war der Tag gekommen, an dem er seinen Teil der Schuld einlösen musste. Nie hätte Eginhart gedacht, dass es ihm derart schwerfallen würde. Die Jahre schienen schneller vergangen als der Sturzflug eines Raubvogels. Er blickte auf die dunklen Locken des Jungen und erinnerte sich an den Tag der Geburt des Stammhalters von Rohrdorf, als wäre es gestern gewesen. Im Dezember hatte sich Attos Geburtstag zum sechsten Male gejährt; vor wenigen Wochen war der große Kaiser Karl gestorben und das Reich versank in Trauer. Ludwig, der jüngste und einzige überlebende Sohn Karls, hatte sich bereits im Vorjahr auf Geheiß seines Vaters ohne den Segen des Papstes zum König und Mitkaiser gekrönt, und trat nun die schwere Nachfolge Karls an. Ludwig stand von Beginn an im übermächtigen Schatten seines Vaters. Niemand glaubte so recht daran, dass er die Rolle ausfüllen würde, die Karl der Große über siebenundvierzig Jahre hinweg meisterhaft bewältigt hatte. Am Hof in Aquisgranum hatte der junge Kaiser viele Kritiker und seit Karls Tod fanden heftige Machtkämpfe unter den Hofleuten statt, munkelte man. Somit war die politische Lage ungewiss und im Falle eines Krieges wollte Eginhart wenigstens seinen Ältesten in Sicherheit hinter Klostermauern wissen. Also wann, wenn nicht jetzt sollte er sein Versprechen einlösen? Mit diesem Gedanken besänftigte Eginhart sein Gewissen ein klein wenig. Carolina hatte darauf bestanden, ihn und ihren Sohn auf dem Opfergang zum Inselkloster Augia dives, die reiche Aue, zu begleiten, obwohl sie erneut ein Kind unter dem Herzen trug. Arwin, der bald seinen fünften Geburtstag beging, würde bei der Kinderfrau und einigen seiner Getreuen zurückbleiben. »Komm.« Eginhart schob Atto sanft, aber nachdrücklich vor sich her, hinaus auf den Hof, wo die Pferde gesattelt und aufgezäumt warteten. Zwei in Lederpanzer gekleidete Lehnsmänner würden die gräfliche Familie begleiten und für ihre Sicherheit sorgen. Neben der sanften grauen Stute, die Carolina reiten würde, warteten Attos Wallach, Eginharts Brauner, die Pferde für die beiden Bewaffneten und ein mit Gepäck, Proviant und Geschenken beladenes Lastpferd Hufe scharrend und schnaubend auf den Aufbruch. Der Atem aus den Nüstern der Tiere stieg dampfend auf und vermischte sich mit Nebelfetzen, die sich langsam in der Morgensonne auflösten. Eginhart hob Atto auf den Wallach, überprüfte mit geübten Handgriffen Steigbügel und Zaumzeug und gab dem Jungen die Zügel in die Hände. »Wo ist Mutter?« Atto rutschte unbehaglich auf dem Sattel herum. In den letzten Wochen hatte er immer wieder die Stimmen seiner Eltern aus der Halle dringen hören, wenn er abends neben seinem Bruder in der Kinderstube lag. Die Stimme seiner Mutter hatte etwas Drängendes, Flehendes gehabt, die des Vaters klang unerbittlich und bestimmt. »Carolina, ich habe einen Eid vor Gott geleistet. Den kann ich nicht einfach zurücknehmen. Du als Christin musst das doch verstehen!« »Ich verlange nicht von dir, dass du deinen Eid zurücknimmst oder brichst. Aber statt unser Kind zu opfern, könntest du dem Kloster eine großzügige Schenkung machen. Unser Landbesitz ist groß genug, um der Abtei etwas mehr davon zu schenken und damit betrügst du Gott nicht. Atto ist doch noch so klein. Außerdem liebt er das Leben auf der Feste. Er eifert dir nach, will Lehnsmann des Kaisers werden. Atto wird ein guter Nachfolger werden, wenn deine Zeit gekommen ist. Ist er älter, können wir ihn immer noch ins Kloster geben, damit er eine gute Ausbildung erhält.« »Glaube mir, Weib, mir fällt es genauso schwer wie dir, ihn hergeben zu müssen. Aber unsere Sünde hätte dich und ihn beinahe das Leben gekostet.« Stundenlang hatte Atto wachgelegen und gegrübelt, welche Sünde seine gottesfürchtigen Eltern begangen haben mochten. Für ihn war es unvorstellbar, dass seine sanfte, liebevolle Mutter überhaupt eine Untat begehen könnte. Der Vater bemerkte manchmal mit zärtlichem Spott, dass sie es zu sehr liebte, sich schön zu kleiden und übermäßig viel Zeit damit verbrachte, ihre Haare zu pflegen, die ihr unter dem Schleier wie schimmernde Kupferfäden in dicken Zöpfen bis zur Hüfte fielen. Aus Attos Sicht jedoch war sie frei von allen Lastern. Auch sein Vater schien ein gerechter und frommer Mann zu sein, darin waren sich Knechte, Stallburschen, Mägde und alle einig, die auf der Festung lebten. Atto hörte so manches, wenn er in Ställen und bei den Unfreien herumstreunte. Es war unbegreiflich für ihn, dass er sein vertrautes Heim verlassen musste. Atto lebte so gern auf der Burg, die sich, umgeben von Wäldern, stolz auf einem steilen Bergsporn erhob. Unterhalb lagen saftige Wiesen, fruchtbare Felder und eine Ansammlung von Hütten. Er wollte nicht weg von den Pferden, Hunden und Schafen, nicht fort von seiner Mutter, die er über alles liebte. Er wollte nicht fort aus der wohligen Geborgenheit der Küche, in der die Köchin oder eine Magd ihm stets ein Stück Käse oder einen Streifen Speck zusteckten, wenn er hungrig war von seinen Streifzügen durch die Festung, und die ihn liebevoll ‚unseren kleinen Gebieter‘ nannten. Carolina von Rohrdorf trat aus dem Wohnturm. Sie trug einen dicken, mit Otterfell verbrämten Wollumhang. Arwin klammerte sich an ihr Bein und greinte. Die Mutter trat an die Seite des Wallachs und hob Arwin hoch. Ihre Augen waren gerötet. »Verabschiede dich von deinem Bruder, Atto.« Als der sich gehorsam zu Arwin beugte, um ihn zu umarmen, drehte sein Bruder den Kopf weg. »Nein! Will nicht.« Atto richtete sich gekränkt auf. Arwin würde er nicht vermissen. »Ich darf eine Reise mit Mutter und Vater machen und du musst daheim bleiben, weil du klein und schwach bist!«, sagte er und legte die größtmögliche Verachtung in seine Stimme. Nein, es war nicht schlimm, in die Welt hinauszuziehen. Es war ein Abenteuer und er war stark genug dafür. Stolz hob er das Kinn. Seine Mutter übergab seinen Bruder an die Kinderfrau, die sich mit den übrigen Bediensteten im Hof versammelt hatte. Eginhart von Rohrdorf half seiner Frau aufs Pferd, ging zu seinem Ross und schwang sich in den Sattel. »Atto, du reitest hinter mir«, befahl er. Der Trupp setzte sich in Bewegung, an der Spitze Eginhart, nach Atto seine Mutter, gefolgt von den beiden Bewaffneten mit dem Packpferd. Als sie durchs Tor ritten, drehte sich Atto noch einmal um. Er sah, wie sich Wiltrud, die Kinderfrau, und die Köchin Gersind weinend aneinanderklammerten. Selbst Udo, der Stallbursche, für seine rauen Späße bekannt, rieb sich verlegen das Gesicht. Atto winkte ihnen ein letztes Mal zu, dann ließen sie das Tor hinter sich. Das Geräusch des herabfallenden Riegels hallte in Attos Ohren und er fror plötzlich. Nie zuvor hatte er eine Reise gemacht. Solange er konnte, hielt er den Blick auf die Benzenburg gerichtet, den quadratischen Wohnturm, die Dächer der Wirtschaftsgebäude, den zweiten Turm, in dem die Dienstboten wohnten. In dem Wäldchen, das sie bergab durchquerten, hatte er sich stets nur in Gesellschaft eines der Lehnsmänner des Grafen, eines Stallburschen oder mit dem Vater selbst aufhalten dürfen, manchmal hatte der Vater ihn mit in die Siedlung am Fuß der Burg genommen. Weiter war Atto nie gekommen. Die Tritte der Pferde klangen dumpf auf dem weichen Waldboden. Zwischen Buchen und Eichen hoben sich langsam die Nebelschleier und im Moos glitzerten Tauperlen in den Spinnweben. Tiefer im Wald waren noch vereinzelt Schneeflecken zu erkennen. Der Vater hatte einen guten Tag für die Reise ausgesucht, es war frisch, aber nicht zu kalt. Der Winter zog sich jeden Tag mehr zurück und machte dem Frühling Platz, der sich mit dem ersten Grün an manchen Büschen und mit zarten weißen und rosa Blüten im braunvertrockneten Laubteppich hervorwagte. Während Atto die Wärme und das Schaukeln des Pferdeleibes unter sich genoss, dachte er darüber nach, was der Vater am gestrigen Tag zu ihm gesagt hatte. »Du hast als Oblate, also als dargebrachtes Kind, das Privileg, eine erstklassige Erziehung im Konvent der Benediktinerabtei auf der Insel Reichenau im Bodomo zu genießen. Dieses Kloster führt eine der berühmtesten Schulen im Reich. Vergiss niemals, uns Ehre zu machen und Gott für seine Gnade zu danken, durch alles, was du tust.« Atto hatte nicht verstanden, was ein Privileg war, oder warum er Latein, Dichtung, Musik und Schreiben lernen sollte, wo er doch viel lieber mit einem Holzschwert Kämpfe austrug und Gerichtstag...




