Wiesinger | Machtkampf im Ministerium | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 233 Seiten

Wiesinger Machtkampf im Ministerium

Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7110-5311-4
Verlag: ecoWing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört

E-Book, Deutsch, 233 Seiten

ISBN: 978-3-7110-5311-4
Verlag: ecoWing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In vielen österreichischen Klassenzimmern herrscht Ausnahmezustand. Kulturelle Konflikte, schlechte Deutschkenntnisse der Schüler und deren Ablehnung mancher Lehrinhalte machen normalen Unterricht oft unmöglich. In ihrem aufsehenerregenden Buch »Kulturkampf im Klassenzimmer« schilderte die Lehrerin Susanne Wiesinger die Missstände an Wiener Brennpunktschulen und prangerte das Wegschauen der Behörden an. Im Februar 2019 wurde sie als Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte ans Bildungsministerium berufen. In dieser Funktion war sie ein Jahr lang in ganz Österreich unterwegs und stellte fest: Die Probleme, die sie erlebt hat, sind kein Einzelfall und weiten sich zunehmend aus. Ein Bericht aus dem Inneren der österreichischen Bildungspolitik, die von Machtkämpfen, ideologischen Blockaden und Message Control geprägt ist.
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EINLEITUNG
Nach dem Erscheinen des Buches „Kulturkampf im Klassenzimmer“ im September 2018 änderte sich in meinem beruflichen wie privaten Leben so ziemlich alles. Mein Schritt an die Öffentlichkeit war, wie mir die zahlreichen privaten und vertraulichen Gespräche mit Lehrern, Direktoren und Schülern im Zuge der Veröffentlichung gezeigt haben, mehr als überfällig, und er war durchdacht. Ich bereue nichts, auch wenn es manchmal nicht leicht war. Meine Kollegen und Schüler bedauerten meinen Wechsel von der Schule in die Ombudsstelle für „Wertefragen und Kulturkonflikte“ ins Bildungsministerium. Sie wünschten mir Glück und Durchhaltevermögen. Viele Kollegen, mit denen ich auch befreundet bin, äußerten die Hoffnung, dass ich als Ombudsfrau an diesem starren Schulsystem zumindest ein wenig verändern kann. Der Abschied von den Schülern war berührend. Eine vierte Klasse der NMS, die ich in Deutsch und Musik unterrichtete, bereitete mir ein tolles, emotionales Abschiedsgeschenk. Das Bild mit vielen Fotos von uns hängt jetzt in meinem Büro im Ministerium. Mit einigen Schülern bin ich noch immer in Kontakt. Es berührt mich sehr, dass sie nie den Verdacht hatten, ich würde sie oder ihre Herkunft kritisieren. Einige wünschten mir zum Abschied Mut: „Kämpfen Sie für uns, aber passen Sie auf sich auf.“ Andere fragten mich, ob ich denn keine Angst vor den Leuten da auf der Straße hätte. Einen Punkt stellten sie aber erneut klar: „Wir werden uns niemals gegen unsere Eltern stellen.“ Die Schüler der benachbarten Volksschule fragten mich wiederum ganz fröhlich: „Du warst im Fernsehen und in der Zeitung. Bist du die Frau des Bürgermeisters?“ Als ich verneinte, kam die erstaunte Reaktion: „Was machst du dann im Fernsehen? Du bist doch eine Lehrerin.“ Diese Kinder und Jugendliche haben eine Fähigkeit, die uns Erwachsenen verloren gegangen ist oder die wir vielleicht nie hatten: Sie sind ehrlich, sagen, was sie denken, sie sind authentisch. Es sind diese Gespräche mit den Schülern, die mir sehr fehlen. Außerdem vermisse ich den täglichen Austausch im Lehrerzimmer. Der Alltag an einer „Brennpunktschule“ verbindet Lehrer und Schüler sehr stark. In diesem einen Jahr als Leiterin der Ombudsstelle wurde mir klar: Auch nach dreißig Jahren im Schuldienst liebe ich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen noch immer. Sie ist unglaublich spannend, sinnstiftend und erfüllend – so anstrengend sie auch ist. Im vergangenen Jahr bekam ich nicht nur Einblick in Österreichs Brennpunktschulen, sondern auch in die Welt der Politik, besonders in die Arbeit des Bildungsministeriums. Ich führte Gespräche mit Politikern aller Parteien. Vom damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz über den damaligen SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern, die NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger, den ehemaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie den Liste-Jetzt-Gründer Peter Pilz. Sie alle wollten mehr über meine Erfahrungen als Lehrerin und meine Ansätze zur Verbesserung der Situation erfahren. Die Gespräche waren intensiv. Vereinnahmen ließ ich mich von keinem dieser Politiker, obwohl es Versuche dazu gab. Die persönlichsten und offensten Gespräche führte ich mit Christian Kern und der ehemaligen SPÖ-Bildungsministerin Sonja Hammerschmid. Nicht verwunderlich, war die Sozialdemokratie doch meine politische Heimat. Beiden waren die Probleme gerade mit muslimischen Schülern und der Einfluss des politischen Islam bewusst. Als ich erwähnte, dass sozialdemokratische Politiker Wiens gerade in diesem Punkt hartnäckig wegschauen, kam kein Widerspruch. Christian Kern bestätigte mir, dass er meinen Schritt an die Öffentlichkeit und den Widerstand in den eigenen Reihen sehr gut nachvollziehen könne. Die Gespräche mit dem damaligen Parteivorsitzenden der SPÖ haben mich am meisten bewegt. Die Zerrissenheit in der sozialdemokratischen Partei war offenbar nicht nur für mich, als ehemalige Funktionärin eines Wiener Bezirks, erdrückend. Sie betraf und betrifft vor allem die Spitze der Partei. Besonders deutlich wird diese Zerrissenheit am Beispiel des sehr intensiv diskutierten Kopftuchverbots an Volksschulen. In persönlichen Gesprächen stehen viele Sozialdemokraten und Grüne diesem Verbot positiv gegenüber, öffentlich spricht man sich aber dagegen aus: weil es nicht der Parteilinie entspricht und man dem politischen Gegner nicht recht geben dürfe. Öffentlich sagt man das aber natürlich nicht. Stattdessen argumentiert man mit der Religionsfreiheit, die es zu verteidigen gelte. Die Religionsfreiheit der Eltern selbstverständlich, denn kein Mädchen entscheidet sich in diesem Alter selbst dafür, sich zu verschleiern. Das war jedem Sozialdemokraten wie auch Politiker der Grünen, mit dem ich Kontakt hatte, klar. Im Gegenzug betonte praktisch jeder konservative Politiker, dass die Veränderungen in unserer Gesellschaft neue Antworten erfordern, gerade auch in der Bildung. Niemand sprach sich gegen einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle aus. Aber man sei der katholischen Kirche und dem damaligen Koalitionspartner FPÖ verpflichtet und dürfe daher den konfessionellen Religionsunterricht nicht schwächen. Dieses Argument habe ich nie verstanden, denn schließlich geht es nicht um eine Entscheidung zwischen Religionsunterricht oder Ethikunterricht, sondern um ein Nebeneinander dieser beiden Fächer. Die Zwänge, denen Politiker unterliegen, wurden mir durch diese persönlichen Begegnungen sehr bewusst. Sie sind in vielen Bereichen ohnmächtig und nur ihrer Partei verpflichtet. Wenn ich nach diesen Terminen zu Fuß nach Hause ging und über das Gespräch nachdachte, kam oft ein Gefühl von Mitleid in mir hoch. Doch das ist natürlich Blödsinn. Jeder Politiker weiß, was er tut, er handelt, wenn auch nicht aus persönlicher Überzeugung, so doch zumindest aus parteipolitischer Pflicht. Und genau hier liegt das Problem: denn Ideologie und Parteipolitik bringen das Land nicht voran. Sie blockieren, schränken ein oder schaden. Das Ergebnis ist eine Bildungspolitik, die seit Jahren auf der Stelle tritt, während sich die sozialen, kulturellen und religiösen Probleme in allen österreichischen Schulen – wenn auch mit unterschiedlicher Intensität – verschärfen. Meine Freunde und Familie scherzten darüber, wen ich denn nun wieder getroffen hätte. Natürlich musste ich manchmal auch über mich selbst schmunzeln, doch meine Erkenntnisse aus diesen Gesprächen fand ich keineswegs witzig. Ich war auch in keiner Weise stolz oder geschmeichelt, einen berühmten Politiker getroffen zu haben. Dieser Einblick in die Welt der Spitzenpolitik hat mich nicht beeindruckt, sondern ernüchtert. Am liebsten hätte ich jedem meiner Gesprächspartner „Sag doch endlich einmal offen, was du wirklich denkst“, entgegengeschleudert. Alle Spitzenpolitiker, mit denen ich gesprochen habe, sind in den wesentlichen Punkten, was in der Integrationspolitik schiefläuft und wo man ansetzen sollte, nicht weit voneinander entfernt. Bleibt die Frage: Weshalb passiert nichts? Von Gewerkschaftern wurde ich naiv genannt. So funktioniere Politik. Mag sein. Aber so wird man den Herausforderungen und Problemen in unseren Klassenzimmern nicht gerecht. Im Gegenteil: Man trägt dazu bei, dass sich die Situation Tag für Tag verschlimmert. Wer nur aus parteipolitischer Taktik handelt, dem fehlt jegliches Verantwortungsbewusstsein. Der stärkste Zwang kommt immer aus den eigenen politischen Reihen. Das ist ernüchternd. Genauso ernüchternd waren die Versuche, mich parteipolitisch zu vereinnahmen. Ob es nun ehemalige Gewerkschaftskollegen waren oder das Kabinett des Ministers. Wenn man in Österreich politisch tätig ist – und dies ist man auch als Leiterin einer Ombudsstelle – muss man sich parteipolitisch irgendwo einordnen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, nirgendwo zugehörig zu sein. Das wurde mir oftmals mitgeteilt. Und es ist tatsächlich nicht angenehm. Aber die Ombudsstelle sollte parteipolitisch neutral sein. Das war eine absolute Bedingung für mich. Ohne diese Zusicherung hätte ich deren Leitung nicht übernommen. Sie soll Missstände aufzeigen und die Politik dazu bewegen, notwendige Reformen einzuleiten. Dass an dieser Unabhängigkeit immer wieder gerüttelt wurde, war ein Grund für dieses Buch. Als Beamtin werde ich vom Steuerzahler bezahlt. Ich bin also dem Staat verpflichtet und nicht einer bestimmten Partei. Ich weiß nicht, wie oft ich das im Gespräch mit Beamten des Ministeriums erwähnte. Manche waren durchaus überrascht von dieser Aussage – obwohl es auf sie im gleichen Maße zutrifft. Wir sind Staatsdiener und keine Parteidiener. Die überraschten Blicke haben mich amüsiert und verärgert. Zu den meisten meiner Genossen aus der Gewerkschaft besteht kein Kontakt mehr. Offensichtlich habe ich sie – wie auch Menschen aus meinem privaten Umfeld – vor den Kopf gestoßen. Das kann ich...


Susanne Wiesinger war dreißig Jahre Lehrerin an Volksschulen und Neuen Mittelschulen und als Personalvertreterin in der Gewerkschaft aktiv. Im Herbst 2018 prangerte sie in ihrem Buch »Kulturkampf im Klassenzimmer« flächendeckende Missstände an Wiener Schulen an. Im Februar 2019 wurde sie als Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte ans Bildungsministerium berufen.Jan Thies leitete die Addendum-Redaktion bei der Rechercheplattform Quo Vadis Veritas. Zuvor war er als Bereichsleiter beim Privatsender ServusTV tätig. Er hat Politikwissenschaften und Psychologie in München und Cork studiert. Seine journalistische Laufbahn startete er beim Bayerischen Rundfunk und dem ZDF.



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