Wiggs Träume von dir
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95649-920-3
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 120 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
ISBN: 978-3-95649-920-3
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ohne Begleitung auf einem Klassentreffen - das wäre die Hölle für Twyla. Aber was, wenn sie einfach Rob Carter, den ihre Freunde ihr auf der Junggesellenauktion ersteigert haben, mitnehmen würde?
Susan Wiggs hat an der Harvard Universität studiert und ist mit gleicher Leidenschaft Autorin, Mutter und Ehefrau. Ihre Hobbys sind Lesen, Reisen und Stricken. Sie lebt mit ihrem Mann, ihrer Tochter und dem Hund auf einer Insel im nordwestlichen Pazifik.
Autoren/Hrsg.
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1. KAPITEL
Liebes, du brauchst einen Mann“, sagte Mrs. Duckworth.
„Ich brauche was?“
„Einen Mann, du weißt schon. Ein großes männliches Wesen mit breiten Schultern und vielen Muskeln.“
Twyla McCabe nahm den Stielkamm und trennte geschickt eine von Theda Duckworths silbernen Strähnen ab. „So einen hatte ich mal, er hat mir überhaupt nicht gutgetan. Jetzt habe ich einen Hund.“
Mrs. Duckworth gestikulierte in Richtung der anderen Kundinnen im Salon. „Wir Frauen hier haben das besprochen, Herzchen. Es ist Zeit, dass du dir einen Mann suchst“, sagte sie betont geduldig.
Twyla beugte sich über den Frisierstuhl und begutachtete Mrs. Duckworths Haaransatz. „Süße, ich glaube, wir haben die Lavendeltönung zu lange einwirken lassen. Warum sollte ich mir den Ärger antun?“
Mrs. Duckworth fing Twylas Blick in dem großen runden Frisierspiegel auf. Ihr erstauntes Blinzeln beirrte die pensionierte Lehrerin nicht im Geringsten.
„Damit er dich auf das zehnjährige Klassentreffen begleitet“, sagte Mrs. Duckworth mit ernster Stimme.
Twyla tauchte den Kamm in die Edelstahlschüssel mit dem Lösungsmittel. „Diep“, wandte sie sich an die Nagelpflegerin, „du solltest das Klassentreffen doch nicht erwähnen! Mein Entschluss steht fest.“
Diep Tran lackierte Mrs. Spinellis Fingernägel. „Ich habe kein Wort darüber verloren“, sagte sie, ohne aufzublicken.
„Aber du hast allen die Einladung gezeigt, nicht wahr?“, fragte Twyla und spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.
„Ein Bild von dir mit Krone, das musste ich allen zeigen“, sagte Diep ungerührt und beugte den Kopf tiefer über die Hand ihrer Kundin. Mit einem extrafeinen Pinsel lackierte sie eine winzige Melonenscheibe auf jeden Nagel. Was Nail Art betraf, machte ihr keiner etwas vor. Diep Tran war die Georgia O’Keeffe der Nagellackkünste. Sie erfüllte ihren Kundinnen sämtliche Wünsche von anatomisch korrekten griechischen Göttern bis zu dem Schriftzug „Es ist aus!“ in Druckbuchstaben. Seit sie im Salon arbeitete, lief das Geschäft noch besser, und inzwischen gab es viele Stammkundinnen, die regelmäßig zur Maniküre kamen. Nur leider musste sie ihre Nase andauernd in die Angelegenheiten anderer stecken.
Twyla wunderte sich immer noch, dass ihre ehemaligen Klassenkameraden der Hell Creek Highschool sie aufgespürt hatten. Nach allem, was passiert war, hatte sie niemandem in ihrem Heimatort erzählt, wo sie hingezogen war. Aber irgendwie hatte die Einladung zum Klassentreffen ihren Weg durch Wyoming zu ihr gefunden.
„Wie oft kriegen wir dich schon mit Krone auf dem Kopf zu sehen, Herzchen?“, fragte Mrs. Duckworth schmunzelnd. Unter ihrem roséfarbenen Umhang mit dem paillettenbesetzten Salonlogo – einem Paar roter Schuhe – zog sie den Newsletter des Organisationskomitees hervor. Den Titel zierten ein Bild der Hell Creek Highschool und eine Fotomontage der Schüler des Jahrgangs von vor zehn Jahren.
Mein Gott, was waren wir jung! dachte Twyla mit Blick auf die Titelseite. Die Schulabgänger lachten voller Selbstvertrauen und Zuversicht, sie sahen jung und stark aus. Ihre jugendlichen Gesichter strahlten vor Freude auf die unbegrenzten Möglichkeiten, die vor ihnen lagen.
Diese Jugendlichen hatten ihr Leben noch vor sich. Jeder Einzelne von ihnen war überzeugt, ihm gehöre die Zukunft.
Das größte Foto in der Mitte zeigte eine sehr viel jüngere Twyla mit einer funkelnden Tiara im Haar und Arm in Arm mit einem jungen Mann, der sie voller Bewunderung ansah. Sein Gesichtsausdruck verriet nicht, was die Jahre, die auf diesen Tag folgen sollten, bringen würden.
Twyla schämte sich beinahe dafür, wie lebhaft ihre Erinnerungen an den Abend waren. Jenen Abend, als sie genau zu wissen schien, wie ihr Leben verlaufen würde, als ihre Träume sie weit über die Kleinstadt in Wyoming, in der sie geboren und aufgewachsen war, hinaustrugen.
So viel zu dem Mädchen mit den vielversprechendsten Aussichten.
Diep und Sugar Spinelli steckten flüsternd ihre Köpfe über dem Maniküretisch zusammen. Mrs. Spinellis Ohrringe glitzerten, allerdings längst nicht so hell wie ihre Augen.
Sadie Kittredge hob die Trockenhaube von ihren Lockenwicklern und nahm Mrs. Duckworth die Einladung aus der Hand. „Wer hätte das gedacht?“, fragte sie lächelnd und blickte von der Einladung zu Twyla auf. „Du warst Aschenputtel.“
Twyla griff hastig nach der Einladung. „Und seht, was aus ihr geworden ist.“
„Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Das kennt jedes Kind.“
Twyla ließ eine Schachtel Alustreifen in ihren Händen auf und ab wippen. „Und warum erfahren wir nie, was danach kommt?“
„Kinder, Bausparvertrag, Schwiegereltern … Wer will davon schon lesen?“ Sadie zwinkerte ihr zu und schnalzte mit ihrem Kaugummi. „Du gehst also hin?“
„Nein“, sagte Twyla, „weißt du, wo Hell Creek liegt?“ Fahrig nahm sie die Aluminiumfolie und wickelte Mrs. Duckworths Haar Strähne für Strähne darin ein.
„Selbstverständlich weiß ich das“, entrüstete sich Mrs. Duckworth, „ich habe fünfunddreißig Jahre lang dort unterrichtet.“
„In der Schule war ich immer schlecht“, räumte Sadie ein. „Gib mir einen Tipp.“
„Es ist meilenweit entfernt“, sagte Twyla. Sie war mit Mrs. Duckworth fertig und streifte sich die Einmalhandschuhe von den Fingern. „Es liegt bei Jackson. Jedenfalls nicht nah genug, um mal eben auf ein Bier vorbeizuschneien. Selbst wenn ich mir ein freies Wochenende leisten könnte, würde ich es nicht für ein Klassentreffen verschwenden.“
„Aber, Schätzchen, das wär doch keine Verschwendung.“ Sadie reichte ihr die aktuelle Woman’s Day. „Hier steht’s: Der Kontakt zu alten Freunden ist gut für die Psyche.“
„Da steht auch, dass Liebe durch den Magen geht“, sagte Twyla und legte die Zeitschrift beiseite. „Ich glaube, das ist zu hoch gezielt.“
„Du kannst Männer ganz eindeutig nicht leiden“, bemerkte Diep kopfschüttelnd. „Dabei sind nicht alle wie dein erster Ehemann.“
Twyla wollte nicht an Jake denken. Wenn sie es doch tat, erschien vor ihrem geistigen Auge das Bild, wie er stolz sein Juradiplom in der Hand hielt. In einem Anflug guten Glaubens und Hoffnung auf die Zukunft hatte sie ihn gleich nach der Highschool geheiratet. Er hatte bereits drei Jahre am College studiert, sah umwerfend aus und hatte hehre Ziele. Wer hätte ahnen können, dass sich ihre Pläne so schnell und gründlich zerschlagen würden und sie ihre Heimat hängenden Hauptes verlassen würde? Seitdem hatte sie jedoch herausgefunden, dass es Schlimmeres gab, als von einem Mann, den man zu kennen glaubte, verlassen zu werden.
„Du meinst meinen einzigen Ehemann“, stellte sie klar. „An einem zweiten bin ich nämlich nicht interessiert.“
„Du hast nur noch nicht den Richtigen gefunden“, sagte Sugar Spinelli. Da sie mit einem Mann verheiratet war, der sie maßlos verwöhnte, sprach sie mit einer weiblichen Gewissheit, die nur schwer zu widerlegen war. Ihr zierlicher Körper, ihre weißen Haare und ihr Lächeln verliehen ihr die gelassene Ausstrahlung einer Frau, die die Liebe eines aufrichtigen Mannes kennengelernt hatte.
„Ich bin gar nicht auf der Suche“, erwiderte Twyla und ließ Sadie auf dem Frisierstuhl Platz nehmen, um ihr die Haare zu bürsten. „Und in meiner Branche laufen mir auch kaum welche über den Weg.“ Sie deutete mit der Hand über die zuckerwattefarbige Einrichtung des Salons.
Seit drei Jahren war sie nun Inhaberin von Twyla’s Tease ’n’ Tweeze. In irgendeinem Buch hatte sie gelesen, dass jedes Geschäft eine Corporate Identity brauchte. Twyla hatte die roten Schuhe aus dem Zauberer von Oz als Logo gewählt. Die rot glitzernden Pumps zierten die Uhr im Salon, das Ladenschild, die Frisierumhänge, die gerahmten Bilder an den Wänden. Twyla selber trug jeden Tag rote Schuhe bei der Arbeit, und Diep hatte es ihr nachgemacht. Die roten Schuhe erinnerten Twyla daran, dass sie all den Zauber, den sie in ihrem Leben brauchte, in sich trug.
Nur war leider auf ihren Zauber absolut kein Verlass. Was man daran sah, wie schnell sich die Rechnungen im Salon und bei ihr zu Hause stapelten. Doch das war ihr gleichgültig. Twyla setzte auf harte Arbeit statt auf esoterische Weisheiten. „Außerdem kann man ja nicht einfach losziehen und sich einen aussuchen“, fügte sie hinzu.
„Doch“, sagte Mrs. Duckworth. Die Alustreifen auf ihrem Kopf flatterten, als sie eine Broschüre unter ihrem Umhang hervorholte. „Das kann man.“
„Was ist das?“
Die ältere Dame tauschte einen aufreizend koketten Blick mit Mrs. Spinelli. „Etwas ganz Besonderes. Seit Tagen sprechen Sugar und ich von nichts anderem.“ Selig drückte sie den Hochglanzkatalog an ihren üppigen Busen. „Ihr kennt doch sicher alle die Lost Springs Ranch.“
Twyla nickte interessiert. Alle hier kannten das Kinderheim nahe des Shoshone Highways. Die Ranch war seit Jahrzehnten dafür bekannt, dass sie Jungen aufnahm, die obdach- oder elternlos waren, in Schwierigkeiten steckten oder als hoffnungslose Fälle galten. Oft bot die Ranch ihnen den letzten Halt, bevor die Jugendstrafanstalt oder das Gefängnis drohten. Dank eines guten Lehr- und Therapiekonzepts konnte Lost Springs das Leben vieler Jungen zum Besseren wenden. Twyla vermutete, dass der Erfolg wenigstens zum Teil auch Lehrern wie Mrs. Duckworth zu verdanken war.
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