E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
Wiggs Wie Sterne am Himmel
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7457-5060-7
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
ISBN: 978-3-7457-5060-7
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für die Modedesignerin Caroline Shelby waren die Sterne zum Greifen nah. Bis ihr New Yorker Chef ihre Entwürfe stahl und dann ihre beste Freundin plötzlich starb. Aber Caroline lässt sich nicht unterkriegen. Sie zieht mit den verwaisten Kindern an den einzigen Ort, der ihnen ein sicheres Zuhause bietet: das kleine Küstenörtchen Oysterville am Westpazifik. Hier begegnet sie ihrer ersten großen Liebe Will wieder, und die Frauen ihres Heimatorts tun sich zusammen, um bei ihrem Neuanfang zu helfen. Doch dann droht Caroline die Kinder zu verlieren ...
»Meisterhaft beschreibt Susan Wiggs die Eigenheiten menschlicher Beziehungen.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Jodi Picoult
»Klug, kreativ und genial, hier hat sich Susan Wiggs selbst übertroffen. Ich habe das Buch verschlungen und so schnell umgeblättert, dass ich mich am Papier geschnitten habe.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber über »Dich im Herzen«
Weitere Infos & Material
Prolog
In der dunkelsten Stunde der Nacht, kurz vor Anbruch der Morgendämmerung, rollte Caroline Shelby mit ihrem Wagen nach Oysterville hinein; ein Ort am äußersten Rand des Staates Washington. Das kleine Örtchen ruhte an der Spitze einer schmalen Halbinsel, die gebogen wie ein lockender Finger zwischen der ruhigen Bucht und dem tobenden Pazifik lag.
Sie war zu Hause.
Zu Hause an einem Ort, den sie für immer hinter sich gelassen hatte. An einem Ort, der ihr Herz und ihre Erinnerungen hielt, aber nicht ihre Zukunft – das hatte sie zumindest bis zu diesem Moment geglaubt. Die chaotische, überstürzte Reise hierher hatte ihre Nerven zerfranst und ihren Blick getrübt, und beinahe hätte sie den Schatten übersehen, der sich am Fahrbahnrand bewegte und dann auf die Straße schoss.
Sie wich dem trippelnden Opossum gerade noch rechtzeitig aus und hoffte, dass die Kinder von der ruckartigen Bewegung des Wagens nicht geweckt wurden. Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihr, dass sie tief und fest schliefen. Träumt weiter, sagte sie stumm zu ihnen. Nur noch ein kleines bisschen länger.
Vertraute Wegzeichen tauchten an der neben einem Wasserweg verlaufenden Straße auf, als sie Long Beach durchquerte, den größten Ort der Insel. Im Gegensatz zu seinem bekannteren Namensvetter in Kalifornien gab es in Washingtons Long Beach eine Promenade, Karussells, ein Gruselkabinett und eine Sammlung anderer Merkwürdigkeiten, wie die größte Pfanne der Welt und eine aus Holz geschnitzte Schwertmuschel von der Größe eines Surfbretts.
Mehrere kleine Siedlungen und Kirchencamps lagen an der Hauptstraße, die nach Oysterville führte – ein Dorf, das von der Zeit vergessen worden war. Die Siedlung am Ende der Welt.
So hatten sie und ihre Freundinnen den Ort immer halb im Scherz genannt. Nie hätte sie gedacht, einmal wieder hier zu enden.
Und nie hätte sie gedacht, hier den ersten Mann wiederzusehen, den sie je geliebt hatte.
Will Jensen. Willem Karl Jensen.
Anfangs hielt sie ihn für eine Erscheinung, getaucht in den nebligen Schein der Natriumdampflampen, die die Kreuzung zwischen der Küstenstraße und dem Ortszentrum beleuchteten. Um diese Uhrzeit sollte sich doch niemand auf den Straßen herumtreiben, oder? Niemand außer gewitzte Otter, die um die Austernflotten herumglitten, oder Waschbär- und Opossumfamilien, die sich über die umgekippten Mülleimer hermachten.
Und doch war er hier, in seiner ganzen, fast eins neunzig großen, verschwitzten Pracht in einem T-Shirt, auf dessen Rücken sich der Schriftzug Jensen über seine breiten Schultern spannte. Joggend führte er eine Schar von Teenagerjungen in Sweatshirts der Peninsula Mariners und Laufschuhen an. Langsam fuhr sie auf der Gegenfahrbahn an der Gruppe vorbei, um ihnen ausreichend Platz zu lassen.
Will Jensen.
Natürlich würde er ihr Auto nicht erkennen, doch vielleicht würde er sich über das New Yorker Nummernschild wundern. In einem so kleinen Ort und so weit von der Ostküste entfernt, fielen den Einheimischen solche Dinge in der Regel auf. Vor allem, weil niemand aus New York je hierherkam. Sie war so lange fort gewesen, dass sie sich wie ein Fisch an Land fühlte.
Wie ironisch, dass sie nach zehn Jahren des Schweigens nun beide wieder hier gelandet waren, wo alles angefangen – und geendet hatte.
Die einzige Ampel im Dorf schaltete auf Rot, und als Caroline anhielt, erscholl ein wütendes Brüllen vom Rücksitz. Das Geschrei riss sie aus ihren Gedanken zurück in die Gegenwart. Flick und Addie hatten die anstrengende Fahrt quer durchs Land ohne Murren ertragen – vermutlich in einer Mischung aus Schock, Verwirrung und Trauer. Doch jetzt, da sie ihr Ziel fast erreicht hatten, ging den Kindern die Geduld aus.
»Hunger«, jammerte Flick, den der abrupte Tempowechsel aus dem Schlaf gerissen hatte.
Ich hätte einfach bei Rot rüberfahren sollen, dachte Caroline. Niemand außer den frühmorgendlichen Joggern hätte es gesehen. Sie wappnete sich gegen den erneuten Ansturm von Besorgnis und rief sich dann zum wiederholten Male in Erinnerung, dass sie und die Kinder in Sicherheit waren. In Sicherheit.
»Ich muss mal«, sagte Addie. »Dringend.«
Caroline biss die Zähne zusammen. Im Rückspiegel sah sie, dass Will und sein Team zu ihr aufschlossen. Zu ihrer Rechten befand sich der Bait & Switch Fuel Stop, die kleine Tankstelle mit Supermarkt, die auch Anglerbedarf verkaufte. Das Neonschild flackerte schwach vor dem blau-schwarzen Himmel. 24 Stunden geöffnet, genau wie damals, als sie und ihre Freundinnen hierhergekommen waren, um sich für ein paar Pennys Süßigkeiten und Drachenschnur zu kaufen. Mr. Espy, der Besitzer des Ladens, hatte immer behauptet, er wäre ein halber Vampir, weshalb er jahrzehntelang nachts an der Kasse gestanden hatte.
Sie bog auf den Parkplatz ein und hielt vor dem Laden an. Ein Bündel Morgenzeitungen lag auf der Fußmatte vor der Tür. »Ich hol dir hier was zu essen«, sagte sie zu Flick. »Und du kannst auf Toilette gehen«, fügte sie an Addie gewandt hinzu.
»Zu spät«, erklang die kleine, verlegene Stimme. »Ich habe in die Hose gemacht.« Dann brach Addie in Tränen aus.
»Igitt!«, rief Flick. »Das stinkt.« Und dann fing auch er an zu weinen.
Die Lippen fest zusammengepresst, um ihre Gereiztheit zu unterdrücken, löste Caroline den Gurt, stieg aus und hob Addie von ihrer Sitzerhöhung. »Wir machen dich schnell sauber, meine Süße«, sagte sie und ging zur Rückseite des verbeulten Kombis, um aus einer der Taschen eine frische Unterhose und eine Leggins zu holen.
»Ich will zu meiner Mama«, schluchzte Addie.
»Mama ist nicht hier«, erwiderte Flick. »Mama ist tot.«
Addies Weinen steigerte sich zu einem Brüllen.
»Es tut mir leid, Liebes«, sagte Caroline, obwohl sie wusste, dass diese tröstenden, aber gleichwohl abgenutzten Worte niemals die verständnislose Trauer einer Fünfjährigen durchdringen konnten. Mit einem finsteren Blick in Richtung Flick sagte sie: »Das ist nicht hilfreich.« Dann nahm sie die kleine Hand des Mädchens. »Komm.«
Eine Glocke erklang, als sie die Ladentür öffnete. Caroline drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, dass Flick in wütendem, blindem Zorn in die andere Richtung auf die Straße zulief. »Flick!«, rief sie. »Komm sofort zurück.«
»Ich will zu meiner Mama«, schluchzte Addie erneut.
Caroline ließ ihre Hand los. »Warte hier und rühr dich nicht vom Fleck. Ich muss eben deinen Bruder holen.«
Er war schneller, als ein Sechsjähriger es sein sollte, und schoss im Halbdunkel wie der Blitz über den feuchten Asphalt des Parkplatzes. Innerhalb von Sekunden wurde er vom Nebel verschluckt, während er in Richtung des Sumpfes hinter dem Laden lief, in dem Cranberrys wuchsen. »Flick, komm sofort zurück!«, brüllte Caroline und rannte los. »Ich schwöre …«
»Ganz ruhig«, erklang da eine tiefe Stimme. Ein großer Schatten kam in Sicht und blockierte dem Jungen den Weg.
Caroline eilte hinüber. Vor Erleichterung wurden ihr die Knie weich. »Danke«, sagte sie und packte Flick an der Hand.
Der Junge riss sich von ihr los. »Lass mich in Ruhe!«
»Flick …«
Will Jensen ging in die Hocke und versperrte ihm erneut den Weg. Dann schaute er dem Jungen direkt in die Augen. »Du heißt Flick?«
Der Junge blieb ganz still stehen, nur seine Brust hob und senkte sich unter seinen heftigen Atemzügen. Er funkelte Will, diesen fremden Mann, böse und misstrauisch an.
»Ich bin Coach Jensen«, sagte Will und zeigte eine geübte Leichtigkeit im Umgang mit dem Jungen. »Du bist ein ganz schön schneller Läufer, Flick. Vielleicht wirst du eines Tages in mein Team kommen. Ich bin Trainer für Football und Geländelauf. Wir trainieren jeden Morgen.«
Flick nickte kurz. »Okay«, sagte er.
»Cool. Denk darüber nach. Einen schnellen Läufer kann unser Team immer gebrauchen.«
Caroline konnte Will nur stumm anstarren. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie die Haltung seiner Schultern, die Form seiner Hände, das Timbre seiner Stimme ganz genau gekannt.
Will richtete sich auf. Sie spürte den Moment, in dem er sie wiedererkannte. Sein gesamter Körper spannte sich an, und die freundliche Miene wich einem Ausdruck der Verwunderung. Leicht kniff er seine blauen Augen zusammen und sagte: »Hey, Fremde. Du bist zurück.«
Hey, Fremder.
So hatte sie ihn in ihrer Jugend zu Beginn eines jeden Sommers begrüßt. Sie war auf der Halbinsel aufgewachsen, umgeben vom Meerwasser, das ihr durch die Adern floss, und dem Sand vom Strandrestaurant ihrer Eltern, der ihre Füße bestäubte wie Zimt einen Donut. Will Jensen war einer der Sommergäste aus der Stadt gewesen – gebildet und privilegiert –, und er war jedes Jahr im Juni an die Küste gekommen.
Du bist zurück.
Doch jetzt wurde die jahrzehntealte Begrüßung nicht von dem vorfreudigen Grinsen begleitet, das sie jedes Mal beim ersten Treffen ausgetauscht hatten. Als Kinder hatten sie sich immer die Abenteuer ausgemalt, die sie erwarteten – mit den Drachen an den endlosen Stränden entlanglaufen, nach Schwertmuscheln graben, während die Brandung ihre sonnengebräunten, nackten Füße umspülte, das schüchterne Drängen der jugendlichen Anziehungskraft spüren, nach dem mythischen grünen Blitz Ausschau halten, wenn die Sonne über dem Meer unterging, am Lagerfeuer...