E-Book, Deutsch, Band 3, 288 Seiten
Reihe: Edition Anaconda
Wilde Das Bildnis des Dorian Gray
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7306-9153-3
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 288 Seiten
Reihe: Edition Anaconda
ISBN: 978-3-7306-9153-3
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Oscar Wilde wurde 1854 in Dublin geboren. Der Vater war Leibarzt der Königin Viktoria, seine extravagante Mutter führte einen intellektuellen Salon nach französischem Muster. Wilde studierte erst am Trinity College in Dublin, dann in Oxford, wo er sich mehr und mehr einem Ästhetizismus zuwandte, den er nicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben zum Maß aller Dinge machte. 1884 heiratete er in London; 1885 und 1886 kamen seine beiden Söhne zur Welt. In den folgenden Jahren entfremdete er sich zunehmend von seiner Frau und wurde sich wohl auch seiner homoerotischen Neigungen deutlicher bewusst. Gleichzeitig nahm sein Ruhm stetig zu; in rascher Folge entstanden Essays, sein einziger Roman "Das Bildnis des Dorian Gray", die Märchen, Erzählungen und mehrere Theaterstücke.
1895 wurde er wegen seiner Liebesbeziehung zum jungen Lord Alfred Douglas in einen Prozess mit dessen Vater verwickelt, der ihm zum Verhängnis wurde: Wilde wurde zu Zwangsarbeit verurteilt und war nun gesellschaftlich, aber auch künstlerisch mit einem Schlag erledigt. 1897 aus seiner Einzelzelle entlassen, floh er nach Frankreich, unternahm noch einige Reisen in die Schweiz und nach Italien und starb 1900 resigniert in einem Pariser Hotel.
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KAPITEL 1
Das Atelier war von starkem Rosenduft erfüllt, und wenn der leichte Sommerwind die Bäume des Gartens hin und her wiegte, strömte durch die offene Tür das schwere Aroma des Flieders oder das zartere Parfum des Rotdorns.
Von der Ecke des Diwans aus persischem Satteltaschenstoff, auf dem er lag und wie gewöhnlich unzählige Zigaretten rauchte, konnte Lord Henry Wotton gerade noch den Schimmer der honigsüßen und honigfarbenen Blüten eines Goldregens erspähen, dessen zitternde Zweige die Last ihrer flammengleichen Schönheit kaum zu tragen vermochten; dann und wann huschten die fantastischen Schatten vorbeifliegender Vögel über die langen Vorhänge aus Tussahseide, die vor das riesige Fenster gezogen waren, was für einen Augenblick eine Art japanischer Stimmung erzeugte und ihn an die bleichen, jadegesichtigen Maler Tokios denken ließ, die mittels einer Kunst, die naturgemäß unbeweglich ist, den Eindruck von Schnelligkeit und Bewegung zu erwecken suchen. Das träge Summen der Bienen, die sich ihren Weg durch das hohe, ungemähte Gras bahnten oder mit eintöniger Beharrlichkeit um die staubig goldenen Blütenkelche des wuchernden Geißblatts kreisten, ließ die Stille noch drückender erscheinen. Das dumpfe Dröhnen Londons glich dem Basston einer fernen Orgel.
In der Mitte des Raumes, auf einer hoch aufgerichteten Staffelei befestigt, stand das lebensgroße Porträt eines jungen Mannes von außergewöhnlicher Schönheit, und ihm gegenüber, etwas entfernt davon, saß der Künstler selbst, Basil Hallward, dessen plötzliches Verschwinden vor einigen Jahren seinerzeit so viel Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt und zu so vielen seltsamen Vermutungen Anlass gegeben hatte.
Als der Maler die anmutige und hübsche Gestalt betrachtete, die er so meisterhaft in seiner Kunst widergespiegelt hatte, glitt ein vergnügtes Lächeln über seine Züge und schien dort verweilen zu wollen. Plötzlich aber fuhr er auf, schloss die Augen und legte seine Finger über die Lider, als wolle er in seinem Hirn einen seltsamen Traum einsperren, aus dem zu erwachen er fürchtete.
»Es ist deine beste Arbeit, Basil, das Beste, was du je gemacht hast«, sagte Lord Henry mit träger Stimme. »Du musst es nächstes Jahr unbedingt zur Grosvenor schicken. Die Akademie ist zu groß und zu gewöhnlich. Jedes Mal, wenn ich dort war, waren entweder so viele Leute dort, dass ich die Bilder nicht sehen konnte, was schrecklich war, oder so viele Bilder, dass ich die Leute nicht sehen konnte, und das war noch schlimmer. Die Grosvenor ist wirklich der einzig richtige Ort.«
»Ich glaube nicht, dass ich es überhaupt irgendwohin schicken werde«, antwortete er und warf seinen Kopf auf jene merkwürdige Art zurück, die bereits seine Freunde in Oxford immer zum Lachen gebracht hatte. »Nein, ich werde es nirgendwo hinschicken.«
Lord Henry hob die Augenbrauen und sah ihn durch die dünnen blauen Rauchkringel, die sich in fantastischen Wirbeln von seiner starken, opiumhaltigen Zigarette emporkräuselten, erstaunt an. »Es nirgendwo hinschicken? Aber warum nicht, mein Lieber? Hast du irgendeinen Grund dafür? Ihr Maler seid wirklich komische Kerle! Ihr tut alles in der Welt, um euch einen Namen zu machen. Sobald ihr ihn habt, scheint ihr ihn wieder loswerden zu wollen. Das ist töricht von dir, denn es gibt nur eine Sache auf der Welt, die schlimmer ist, als dass über einen geredet wird, nämlich, dass nicht über einen geredet wird. Ein Porträt wie dieses würde dich weit über alle jungen Männer in England erheben und die alten ziemlich eifersüchtig machen, sofern alte Männer überhaupt noch einer Gefühlsregung fähig sind.«
»Ich weiß, du wirst mich auslachen«, entgegnete er, »aber ich kann es wirklich nicht ausstellen. Ich habe zu viel von mir selbst hineingelegt.«
Lord Henry streckte sich auf dem Diwan aus und lachte.
»Ja, ich wusste, du würdest lachen; aber es ist trotzdem wahr.«
»Zu viel von dir selbst darin! Auf mein Wort, Basil, ich wusste nicht, dass du so eitel bist; ich kann wirklich keinerlei Ähnlichkeit zwischen dir mit deinem derben, markanten Gesicht und deinem kohlschwarzen Haar und diesem jungen Adonis entdecken, der aussieht, als sei er aus Elfenbein und Rosenblättern erschaffen. Weshalb er, mein lieber Basil, ein Narziss ist, und du – nun, natürlich hast du ein gebildetes Aussehen und so weiter. Aber Schönheit, wahre Schönheit, hört da auf, wo ein gebildetes Aussehen anfängt. Verstand ist an sich schon eine Form der Übertreibung und zerstört die Ebenmäßigkeit jedes Gesichts. In dem Augenblick, da man sich hinsetzt, um zu denken, wird man ganz Nase oder ganz Stirn oder sonst etwas Grässliches. Sieh dir die Männer an, die in irgendeinem gelehrten Beruf Erfolg haben. Wie vollkommen hässlich sie sind! Bis auf die in der Kirche, natürlich. Aber in der Kirche denken sie ja auch nicht. Ein Bischof gibt noch mit achtzig Jahren dasselbe von sich, was ihm als achtzehnjährigem Jungen beigebracht wurde, und als natürliche Folge davon sieht er immer ganz wonnig aus. Dein geheimnisvoller junger Freund, dessen Namen du mir nie genannt hast, dessen Bild mich aber wahrhaftig fasziniert, denkt niemals. Da bin ich mir ganz sicher. Er ist irgendein hirnloses, schönes Geschöpf, das im Winter stets hier sein sollte, wenn wir keine Blumen zum Anschauen haben, und das im Sommer stets hier sein sollte, wenn wir etwas zur Abkühlung unseres Geistes brauchen. Schmeichle dir nicht selbst, Basil, du hast nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm.«
»Du verstehst mich nicht, Harry«, antwortete der Künstler.
»Natürlich bin ich nicht wie er. Das weiß ich sehr wohl. Ich wäre sogar bekümmert, wenn ich so aussähe wie er. Du zuckst mit den Schultern? Ich sage dir die Wahrheit. Über jeder körperlichen und geistigen Auszeichnung schwebt ein Verhängnis, die Art von Verhängnis, die durch die Geschichte hindurch den schwankenden Schritten der Könige zu folgen scheint. Es ist besser, sich von seinen Mitmenschen nicht zu unterscheiden. Die Hässlichen und die Dummen haben es am besten auf dieser Welt. Sie können bequem dasitzen und das Schauspiel begaffen. Wenn sie auch nichts vom Sieg wissen, so bleibt ihnen wenigstens die Bekanntschaft mit der Niederlage erspart. Sie leben, wie wir alle leben sollten, ungestört, gleichgültig und ohne Sorge. Weder bringen sie Verderben über andere noch empfangen sie es von fremder Hand. Dein Rang und dein Reichtum, Harry; mein Verstand, soviel ich davon habe – meine Kunst, was immer sie wert sein mag; Dorian Grays blendendes Aussehen – wir alle werden unter dem, was uns die Götter mitgegeben haben, leiden, schrecklich leiden.«
»Dorian Gray? So heißt er?«, fragte Lord Henry und ging durch das Atelier auf Basil Hallward zu.
»Ja, so heißt er. Ich wollte dir seinen Namen eigentlich nicht sagen.«
»Warum denn nicht?«
»Ach, das kann ich nicht erklären. Wenn ich Menschen ganz besonders gern habe, verrate ich niemandem ihren Namen. Es ist, als gäbe ich einen Teil von ihnen preis. Ich habe eine Vorliebe für Geheimhaltung entwickelt. Sie scheint das Einzige zu sein, was unser Leben heutzutage noch geheimnisvoll und wunderbar machen kann. Das alltäglichste Ding wird reizvoll, wenn man es nur verbirgt. Wenn ich jetzt die Stadt verlasse, sage ich meinen Leuten nie, wohin ich gehe. Täte ich es, wäre mein ganzes Vergnügen dahin. Es ist eine törichte Gewohnheit, das gebe ich zu, aber irgendwie scheint sie ein großes Maß an Romantik ins Leben zu bringen. Vermutlich hältst du mich deswegen für schrecklich albern?«
»Nicht im Geringsten«, antwortete Lord Henry, »nicht im Geringsten, mein lieber Basil. Du scheinst zu vergessen, dass ich verheiratet bin und dass der einzige Reiz der Ehe darin liegt, dass es für beide Parteien absolut notwendig ist, einander zu täuschen. Ich weiß nie, wo meine Frau ist, und meine Frau weiß nie, was ich treibe. Wenn wir uns treffen – wir treffen uns gelegentlich, wenn wir zusammen Essen gehen oder zum Herzog aufs Land fahren –, erzählen wir uns mit den ernsthaftesten Mienen die abwegigsten Geschichten. Meine Frau versteht sich vorzüglich darauf – ohne Frage viel besser als ich. Sie bringt ihre Termine nie durcheinander, ich hingegen ständig. Aber wenn sie mich ertappt, macht sie mir überhaupt keine Szene. Manchmal wünschte ich, sie täte es; aber sie lacht mich nur aus.«
»Ich verabscheue die Art, wie du über deine Ehe sprichst, Harry«, sagte Basil Hallward und schlenderte auf die Tür zu, die in den Garten führte. »Ich glaube, in Wirklichkeit bist du ein sehr guter Ehemann, schämst dich aber zutiefst deiner eigenen Tugenden. Du bist ein sonderbarer Bursche. Du sagst nie etwas Moralisches und tust nie etwas...




