Der erste Hoke-Moseley-Fall
E-Book, Deutsch, Band 1, 268 Seiten
Reihe: Hoke Moseley
ISBN: 978-3-89581-360-3
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
'Miami Blues' ist der erste Band einer in Miami angesiedelten vierteiligen Serie mit Detective Sergeant Hoke Moseley, einem Cop 'mit schlecht sitzendem Gebiß, billigen Freizeitanzügen, abgenudelter Kreditkarte und allzu freidenkerischen Auffassungen seines Berufs'. Der Roman wurde1990 mit Alec Baldwin verfilmt.
Neuauflage des ersten der vier legendären Hoke-Moseley-Romane - 'Miami Blues', 'Neue Hoffnung für die Toten', 'Seitenhieb', 'Wie wir heute sterben' -, die halbjährlich im Alexander Verlag erscheinen werden.
'Ich bin nicht Neo-Noir. Ich fühle mich näher bei der modernen Kriminalliteratur, noch näher bei Charles Willeford.' Quentin Tarantino
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2 Im VIP-Raum – der Golden Lounge, wie man ihn manchmal nach den goldenen Plastikkarten nannte, die die drei Airlines, die ihn betrieben, an ihre Erste-Klasse-Passagiere ausgaben – herrschte ein ungewöhnliches Gedränge. Der Tote, der auf dem blauen Teppichboden lag, war nicht der einzige, der sich hier aufhielt, ohne im Besitz einer Gold Card zu sein. Sergeant Hoke Moseley vom Morddezernat des Miami Police Department füllte sich einen Styroporbecher mit seinem dritten Gratiskaffee, nahm von den Doughnuts auf dem durchsichtigen Plastiktablett einen mit Zuckerguß und legte ihn wieder zurück; dann rührte er Süßstoff und N-Rich Coffee Creamer in seinen Kaffee. Sergeant Bill Henderson, Hokes stämmiger Partner, saß auf einer königsblauen Couch und las John Keaslers Humorspalte in der Miami News. Zwei Sicherheitsangestellte des Flughafens, Männer mittleren Alters in stahlblauen Sportjacken, standen neben der Tür und sahen aus, als seien sie bereit, Befehle von jedem entgegenzunehmen. Ein schwarzer PR-Beauftragter des Flughafens in einem braunseidenen Hundert-Dollar-Sporthemd und gelbleinener Golfhose machte sich mit einem goldenen Kugelschreiber Notizen in ein ledergebundenes Notizbuch. Dann steckte er das Notizbuch in seine Gesäßtasche und durchquerte den mit blauem Teppichboden ausgelegten Raum, um mit den beiden Männern zu reden, die, wie sie sagten, aus Waycross, Georgia, kamen – John und Irwin Peeples. Die beiden starrten ihm finster entgegen. »Keine Angst«, sagte der PR-Mann. »Sobald der Staatsanwalt hier ist und ich Gelegenheit habe, mit ihm zu reden, können Sie die nächste Maschine nach Atlanta nehmen. Nach Atlanta geht alle halbe Stunde irgendein Flug.« »Wir wollen aber nicht irgendeinen Flug«, erwiderte John Peeples. »Ich und Irwin fliegen mit Delta oder überhaupt nicht.« »Kein Problem. Wenn es sein muß, schmeißen wir zwei andere raus, und innerhalb einer Stunde sitzen Sie in Ihrer Delta-Maschine.« »Wenn ich Sie wäre«, schaltete Bill Henderson sich ein und nahm seine schwarz eingefaßte Lesebrille von der Nase, »dann würde ich diesen beiden Crackers* nichts versprechen. Es kann leicht sein, daß wir es hier mindestens mit Totschlag zu tun haben. Was weiß ich – womöglich ist die ganze Geschichte ein religiöses Komplott zur Ermordung dieses Krishna, und die beiden Crackers stecken von Anfang an mit drin. Stimmt’s, Hoke?« »Weiß ich noch nicht«, sagte Hoke. »Warten wir, was der Arzt und der Staatsanwalt zu sagen haben. Im günstigsten Fall, Mr. und Mr. Peeples, haben Sie noch eine lange Sitzung vor sich. Wir werden uns in der Stadt mit Ihnen unterhalten wollen, und wir müssen Ihre Aussagen zu Protokoll nehmen. Sie sind Hauptzeugen des« – er zeigte auf den Leichnam am Boden – »Ablebens dieses Krishna hier, und deshalb kann es sein, daß der Staatsanwalt Sie für ein paar Monate in Miami in Schutzhaft nehmen möchte.« Die beiden Brüder stöhnten. Hoke zwinkerte Bill Henderson zu und setzte sich zu ihm auf die Couch. Der andere Hare Krishna, der Partner des Toten, fing wieder an zu weinen. Jemand hatte ihm seine Perücke zurückgegeben, und er hatte sie sich in die Jackentasche gestopft. Er war mindestens fünfundzwanzig, aber er sah sehr viel jünger aus, als er sein Schluchzen zu unterdrücken versuchte und sich mit den Fingerspitzen über die Augen wischte. Sein frisch rasierter Schädel glitzerte von Schweiß. Noch nie hatte er einen Toten gesehen, und jetzt lag sein »Bruder«, ein Mann, mit dem er gebetet und braunen Reis gegessen hatte, so tot, wie man nur sein konnte, auf dem blauen Teppich des VIP-Raums, zugedeckt mit einer cremefarbenen AeroMexico-Decke, unter der nur die Füße in weißen Baumwollsocken und abgetretenen Hush Puppies hervorschauten. Dr. Merle Evans, der Gerichtsmediziner, erschien zusammen mit Violet Nygren, einer blonden, ziemlich unscheinbaren jungen Assistentin aus dem Büro der Staatsanwaltschaft. Hoke nickte den beiden Sicherheitsleuten an der Tür zu, und die beiden wurden durchgelassen. Hoke und Bill Henderson schüttelten Doc Evans die Hand, und die vier begaben sich in den hinteren Teil der Lounge, wo die Brüder Peeples, der PR-Mann und der weinende Krishna sie nicht hören konnten. »Ich bin neu im Geschäft«, sagte Violet Nygren, nachdem sie sich vorgestellt hatte. »Ich bin erst seit letztem Juni bei der Staatsanwaltschaft; davor habe ich hier an der Universität Jura studiert. Aber ich bin lernwillig, Sergeant Moseley.« Hoke grinste. »Na schön. Das ist mein Partner, Sergeant Henderson. Wenn Sie Anwältin sind, Miss Nygren, wo ist dann Ihre Aktentasche?« »Ich habe einen Kassettenrecorder in meiner Handtasche«, erklärte sie und hielt dabei ihren ledernen Tragebeutel in die Höhe. »War nur ein Scherz. Ich habe großen Respekt vor Anwältinnen. Meine Exfrau hatte eine, und seit zehn Jahren geht die Hälfte meines Gehalts für Unterhaltszahlungen drauf.« »Mit Tötungsdelikten habe ich noch nie zu tun gehabt«, sagte sie. »Bis jetzt habe ich meistens Überfälle und Raub bearbeitet. Aber, wie gesagt, ich bin hier, um zu lernen, Sergeant.« »Vielleicht handelt es sich hier gar nicht um ein Tötungsdelikt. Deswegen wollten wir, daß Doc Evans jemanden von der Staatsanwaltschaft mitbringt. Wir hoffen, daß es keines ist. Wir hatten dieses Jahr schon genug. Aber das müssen Sie und Doc Evans entscheiden.« »Warum diese ungewohnte Zurückhaltung, Hoke?« fragte Doc Evans. »Was ist denn mit Ihnen los?« »Ich sag Ihnen, was passiert ist. Der Tote unter der Decke ist ein Hare Krishna.« Hoke warf einen Blick in sein aufgeklapptes Notizbuch. »Sein Name ist Martin Waggoner, und nach Angaben des anderen Krishna da drüben leben seine Eltern in Okeechobee. Vor neun oder zehn Monaten kam er nach Miami und hat sich den Krishna-Jüngern angeschlossen. Sie wohnen beide in dem neuen Krishna-Ashram draußen an der Krome Avenue in den East Glades. Die beiden arbeiten seit sechs Monaten hier am Flughafen; es ist ihr fester Einsatzort. Die Sicherheitsleute vom Flughafen kennen sie und haben sie mehrmals verwarnt, weil sie Passagiere belästigten. Der Tote hatte mehr als zweihundert Dollar in der Brieftasche, der andere hat ungefähr hundertfünfzig. Soviel haben sie seit heute morgen um sieben hier zusammengebettelt.« Hoke warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist es erst Viertel vor eins, und der Krishna da drüben sagt, normalerweise nehmen sie zusammen zirka fünfhundert pro Tag ein.« »Ziemlich viel Geld.« Violet Nygren zog die blassen Augenbrauen hoch. »Ich hätte nicht gedacht, daß soviel dabei zusammenkommt.« »Die Sicherheitsleute sagen, daß außer dem hier noch zwei Krishna-Teams am Flughafen arbeiten. Die Kommune haben wir noch nicht informiert, und die Eltern des Toten in Okeechobee haben wir auch noch nicht angerufen.« »Uns haben Sie auch noch nicht so schrecklich viel mitgeteilt«, sagte Doc Evans. »Unser Problem, Doc, sind die Zeugen. Es gab an die dreißig Zeugen; sie standen in der Schlange bei AeroMexico, aber sie sind nach Mérida abgeflogen. Die beiden Burschen da drüben haben wir uns noch schnappen können« – Hoke wies auf die beiden Brüder aus Georgia, die Mitte Vierzig zu sein schienen, »aber nur weil der häßlichere der beiden dem Opfer die Perücke geklaut hatte. Die Angestellten der Fluggesellschaft hinter dem Schalter wollen überhaupt nichts gesehen haben. Sie waren zu beschäftigt, sagen sie, und weil sie dabei waren, die Passagiere einzuchecken, vermute ich, daß es stimmt. Ich habe ihre Namen, und wir können später noch mal mit ihnen reden.« »Schade«, sagte Henderson, »daß wir die Lady mit dem Krishna-Knackfrosch nicht finden konnten.« »Was ist ein Krishna-Knackfrosch?« fragte Violet Nygren. »Die verkaufen sie hier draußen in Buchläden und Drugstores. Es ist ein Stückchen Blech mit einer flachen Stahlfeder. Wenn man auf die Feder drückt, knackt es, und man benutzt das Ding, wenn die Krishnas einem auf die Nerven gehen. Der Krach vertreibt sie meistens. Es gab mal einen Krishna-Hasser hier draußen, der sie verschenkt hat, aber entweder sind ihm die Knackfrösche oder das Geld oder die Begeisterung ausgegangen – ich weiß es nicht. Jedenfalls meinen die beiden Brüder da drüben, daß diese Frau dem Geschehen am nächsten war und sie dem Krishna so lange mit ihrem Knackfrosch vor dem Gesicht herumgefuchtelt hat, bis er aufhörte zu schreien.« »Wie wurde er denn getötet?« fragte Doc Evans. »Oder soll ich ihn anschauen und es Ihnen sagen? Ich muß zurück zum Leichenschauhaus.« »Darum geht’s ja gerade«, sagte Hoke. »Er wurde eigentlich nicht getötet. Er hat einen Kerl mit einer Lederjacke angesprochen. Der Typ hat ihm den Finger umgeknickt...