Zweiter Teil
Das Erbe
Este
Am 20. November 1875 starb in Wien der letzte ehemals regierende Herzog von Modena, Franz V., Erzherzog von Österreich-Este. Er war reich gewesen und hatte immer reicher werden wollen. Er hob die höchsten Steuern ein, die es in Europa gab. Im Jahre 1848 brach in Modena die Revolution stürmischer als in allen anderen revoltierten Ländern aus. Franz V. musste sein Land verlassen, kaufte aber Truppen, die das Volk kirre machten, und kehrte nach einigen Monaten in sein Land zurück. Dann konnte er ungestört elf Jahre lang regieren. 1859 rüstete er gegen Napoleon III., dessen Herrschaft er nie anerkannt hatte, ein stattliches Heer aus, musste aber nach der Schlacht bei Magenta wieder sein Land verlassen und konnte nie mehr zurück, obwohl der Vertrag von Villafranca seine Wiedereinsetzung aussprach. Viktor Emanuel II. proklamierte die Vereinigung des Herzogtums Modena mit dem Königreich Sardinien. Franz V. protestierte, aber sein Protest rief nur das Gelächter des Hauses Piemont hervor. Grollend, Rache brütend, fuhr der abgesetzte Herzog nach Wien. Dort war er nicht der Herzog von Modena, sondern der Erzherzog von Österreich-Este, der Nachkomme des Erzherzogs Ferdinand von Österreich, der Maria Beatrice von Este geheiratet und den Namen Este angenommen hatte. Aber der Vertriebene gab seine Sache noch nicht verloren. Er hatte Geld. Mit seinem Gelde hoffte er früher oder später sein Land zurückzuerobern. Er nahm seine Söldner nach Wien mit, er wollte die erste Gelegenheit zur Wiedereroberung seines Landes in Wien abwarten. Seine Truppe, die Estensische Brigade, musste gut besoldet werden. Die Soldaten des Herzogs von Modena betranken sich täglich in den Vorstadtwirtshäusern. Nach zwei Jahren sah er ein, dass seine Brigade ein sehr kostspieliges Privatvergnügen war. Er löste die Brigade auf.
Er hatte Paläste in Wien und in Rom und in Venedig, er hatte Güter in Böhmen und in Bayern, er hatte auch Geld in den Banken, obwohl die verdammte Brigade einen großen Teil seiner Einkünfte verschlungen hatte. Was er besaß, durfte er aufessen und vertrinken, seine Frau Adelgunde hatte ihm keine Kinder geschenkt, sein einziger Bruder war tot. Franz V. aß jedoch wenig und trank wenig, er hatte einen schlechten Magen. Überdies träumte er noch immer von der Wiedereroberung seines Landes. Eine zahlreiche Verwandtschaft träumte von seinem Geld.
Sein Testament bildete den beliebtesten Gesprächsstoff ungeduldiger Mitglieder der Häuser Habsburg, Wittelsbach und Bourbon-Anjou, mit denen Franz V. verwandt war. Das Aussterben der Linie Este war die große Hoffnung vieler Fürstlichkeiten. Franz ließ seine Verwandten zappeln; das war die einzige Freude, die ihm noch geblieben war. Heimlich war er jedoch längst entschlossen, sein Geld einem Habsburger zu hinterlassen, der sich bereiterklären würde, den Namen Este anzunehmen und die Wiedergewinnung der Herrschaft in Modena anzustreben. Der Herzog ertrug nicht den Gedanken, dass sein Einfluss in dem Lande Modena für immer ausgeschaltet bleiben solle. Da der Kaiser von Österreich nur einen Sohn hatte, der als künftiger Kaiser von Österreich für eine Regentschaft in Modena nicht in Betracht kam, machte Franz in seinem Testament den ältesten Neffen des Kaisers, den zwölfjährigen Erzherzog Franz Ferdinand, zum Universalerben. In dem fünfhundert Seiten langen Testament stellte der Erblasser die Bedingung, dass Franz Ferdinand den Namen Este annehmen müsse. Im Sinne dieses Testaments sollte der Erbe das geerbte Vermögen zur Wiedergewinnung des Herzogtums Modena verwenden und nach vollbrachter Tat als Franz VI. den Thron besteigen.
Dieses Testament blieb bis zum Tode des Herzogs geheim. Franz V. starb unerwartet, ein Gehirnschlag machte seinem Leben ein jähes Ende. Er war in Wien beinahe ebenso unbeliebt wie in seinem einstigen Herzogtum. Als er starb, lag der Kardinal-Erzbischof von Wien, Joseph Rauscher, in Agonie. Über den Tod des letzten Herzogs von Modena berichteten die Zeitungen in drei amtlich trockenen Zeilen. Über den Tod des Erzbischofs Rauscher berichteten schwarz umrandete Extraausgaben. An dem Leichenbegängnis des Herzogs von Modena nahmen zwanzig Mitglieder des Kaiserhauses und einige Hofbeamte teil. Dem Sarg des Erzbischofs Rauscher folgten vierzigtausend Wiener.
Am Tage des Leichenbegängnisses meldete die »Germania« in Berlin, der Herzog von Modena, Franz V., Erzherzog von Österreich-Este, habe seine Paläste in Wien, den Palazzo d’Este in Rom und zwei Paläste in Venedig sowie seine Herrschaften in Ungarn seiner Nichte, der Erzherzogin Maria Theresia Dorothea, der Gemahlin des Prinzen Ludwig in Bayern, hinterlassen, die Besitzungen in Böhmen hingegen und einen großen Teil des übrigen Vermögens seinen bourbonischen Neffen, den Infanten Don Carlos und Don Alfonso von Spanien. Vier Tage später sickerte die Wahrheit durch. Am 15. Dezember meldete die »National-Zeitung« in Berlin, die Prinzessin Maria Theresia Dorothea habe durch den bayrischen Gesandten am Wiener Hofe Protest gegen das Testament einlegen lassen. Das offiziöse Wiener »Fremdenblatt« dementierte diese Meldung und erklärte, die Testamentseröffnung sei noch nicht erfolgt.
Inzwischen hatte der Erzherzog Karl Ludwig bereits die feierliche Erklärung abgegeben und unterschrieben, dass sein zwölfjähriger Sohn Franz Ferdinand die Erbschaft und den Namen Este annehme. Die Verwaltung des geerbten Vermögens und der geerbten Güter übernahm der Vater des minderjährigen Universalerben. Karl Ludwig hatte bis zu diesem Zeitpunkt auskömmlich gelebt, er besaß nebst seiner Apanage und seiner Generalsgage kleine, aber wohlbewirtschaftete Güter, Schlösser und Häuser, aber er hielt sich für einen armen Mann, weil andere Mitglieder des Kaiserhauses reicher waren als er. Die Erbschaft der Este war ein fetter Bissen. Karl Ludwig ließ viele Messen für den verstorbenen Herzog Franz lesen und dankte jeden Morgen und jeden Abend Gott für das unverhoffte Glück. Das Testament enthielt zwar einige Klauseln, die Karl Ludwigs Abscheu hervorriefen, aber er traute sich fröhlich die Kraft zu, sie unschädlich zu machen. Die Witwe des Erblassers, die Herzogin Adelgunde, hatte nach den Bestimmungen des Testaments einen unanfechtbaren Anspruch auf den Fruchtgenuss von einer Million Gulden; gegen diese Klausel gab es keine Hilfe. Eine andere Klausel jedoch, die weit ärgerlicher war, wollte der Erzherzog gleich bekämpfen und mit Gottes Hilfe entgiften. Sie betraf den Papst Pius IX., den Freund des Re Bomba und des Herzogs Franz V. von Modena. Das Testament des letzten Herzogs von Modena bestimmte, dass sich sein Erbe verpflichten müsse, drei Prozent seiner Einkünfte aus dem estensischen Erbe dem Papst zuzuwenden, solange sich Seine Heiligkeit in finanzieller Bedrängnis befinden werde. Diese Klausel schuf dem Erzherzog Karl Ludwig arge Pein. Seine Frömmigkeit kämpfte auf Tod und Leben mit seiner Habgier. Er war ein gottesfürchtiger Mann, sein frommer Glaube war sein Halt und seine Rettung in allen schwierigen Lebenslagen, er verehrte den Heiligen Vater und fuhr jedes Jahr nach Rom, um die Hand des Stellvertreters Christi zu küssen. Trotzdem siegte die Habgier. Der Erzherzog begab sich – zum zweiten Male in diesem Jahr – nach Rom und überzeugte sich von einer erfreulichen Besserung der Finanzlage des Papstes. Diese Besserung wurde vom Papst bestritten. Der Staatssekretär des Päpstlichen Stuhls wies nach, dass sich in den fünf Jahren, die seit dem Verschwinden des Kirchenstaats vergangen waren, die Geldmittel des Papstes von Monat zu Monat verringert hätten. Es kam zu erregten Auseinandersetzungen, die zu keinem Ergebnis führten, weil der Papst erkrankte. Unverrichteter Dinge musste der Erzherzog abreisen. Infolge dieses Misserfolgs erkrankte auch er und musste auf der Rückreise in Triest die Fahrt unterbrechen. Maria Theresia wurde telegraphisch nach Triest berufen und pflegte liebevoll den Kranken, der sich erst nach Weihnachten erholte.
Heimgekehrt, sah er sich den bösartigsten Attacken ausgesetzt. Schlechte Menschen hatten das Gerücht verbreitet, die Erbschaft beziffere sich auf Hunderte Millionen, der Familie Karl Ludwigs seien unvorstellbare Reichtümer in den Schoß gefallen. Das Barvermögen, das Franz Ferdinand erbte, betrug jedoch kaum mehr als acht Millionen Gulden. Die jährlichen Einkünfte, die der gesamte Besitz des Erben abwarf, machten vierhunderttausend Gulden aus. Die Verwandten, die das Testament enttäuscht hatte, strengten Prozesse an. Jede Post brachte Berge von Bettelbriefen. Es gab unter den Schreibern dieser Bettelbriefe hochstehende Persönlichkeiten, die jahrzehntelang zu den Freunden der Familie gezählt worden waren. Karl Ludwig hielt sich die Nase zu. Karl Ludwig hielt die Taschen zu. Er wies jede Forderung der Enttäuschten zurück, er verschenkte keinen Kreuzer. Alle, die von ihm Geld wollten, ließ er wissen, dass er sich nicht berechtigt fühle, das geerbte Vermögen anzutasten. Nicht er, sondern der minderjährige Sohn war der Erbe, war der nunmehrige Besitzer des Vermögens der Este. Er, der arme Erzherzog Karl Ludwig, habe nichts zu verschenken. Als Verwalter des Vermögens seines Sohnes habe er die Pflicht, das Erbe bis zur erreichten Volljährigkeit Franz Ferdinands als unantastbares Gut zu betreuen, das dereinst den Zwecken dienen solle, die dem Erblasser vorgeschwebt hatten. Diese Stellungnahme sei juristisch und menschlich unangreifbar und selbstverständlich, obwohl sie manche wertvolle Persönlichkeit, die Karl Ludwig überaus hoch schätze, enttäusche. Ja, wäre nicht sein Sohn, sondern er selber, Karl Ludwig, der...